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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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V. Der Charakter des öffentlichen Gesundheitswesens und seines Rechts
in Frankreich, England, Belgien und Holland.

Das, was wir den Charakter des öffentlichen Rechts dieses Gebietes
nennen, besteht nun in dem Verhältniß der Regierungsgewalt und ihrer
Thätigkeit zu der Selbstthätigkeit der Selbstverwaltungskörper. Aus
diesem Verhältniß geht dann auch die Gestalt und der Umfang des
öffentlichen Rechts auf diesem Gebiete hervor, und hier ist es, wo wir
im höheren Sinne von einer Vergleichung reden können.

Was zunächst Frankreich betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß
Frankreich auch in gesundheitspolizeilicher Beziehung große Specialitäten
besitzt. Allein schon aus der Natur und der geringen Anzahl der Fa-
cultes de medecine
ergiebt sich, daß von einer allgemeinen ärztlichen
Bildung nicht die Rede sein kann. Daneben steht der Satz fest, daß
Frankreichs ganze innere Entwicklung eine wahre Selbstverwaltung nicht
hat aufkommen lassen. Nach wie vor ist die Gemeinde im Grunde ein
amtlicher Körper, dessen Haupt der Maire, ein Regierungsbeamteter,
ist. Das ist in der vollziehenden Gewalt weiter auseinander gesetzt.
Die Folge davon ist, daß vermöge der bedeutenden Bildung der Spitzen
der Medicin das Gesundheitswesen als ein nothwendiger und organi-
scher Theil der Staatsverwaltung allerdings anerkannt ist, daß aber
die Ausführung seiner Principien sich wesentlich auf das beschränkt,
was eben von Seite des Amtes dafür zu geschehen hat. Die franzö-
sische Gesetzgebung beginnt dem entsprechend auch mit der Organisation
des Heilpersonals in der Revolution, und bleibt dabei im Wesentlichen
stehen. Sein öffentliches Recht ist fast ausschließlich das Recht der
Funktion der Maires, denen hier wie immer Räthe, die Commissions
sanitaires etc.
zur Seite geordnet sind, und die selbst wieder unter den
Prefets stehen. Auf das, was in dieser Weise das Amt thut, beschränkt
sich das öffentliche Gesundheitswesen; die Theilnahme der Aerzte ist Aus-
nahme; von einer systematischen Aufnahme derselben in die Selbstver-
waltungskörper ist keine Rede. Der Charakter der das Gesundheitswesen
betreffenden Gesetze ist daher auch durchgreifend der der Vorschriften
für Beamtete, wie die Gesundheitspflege die Ausführung derselben ist.
Daher ist denn auch die durchgehende Verschmelzung der Begriffe von
medecine legale und hygiene publique in der Praxis zu erklären, welche
Frankreichs Literatur festhält, und andererseits die strenge Beziehung eben
auf die amtliche Funktion, welche Frankreichs Gesetzgebung auszeichnet.

Wesentlich anders ist der Charakter Englands. Derselbe be-
ruht darauf, daß das Gesundheitswesen bis 1848 überhaupt keine
Angelegenheit der Regierung ist
, und es auch seit 1848 nur in

V. Der Charakter des öffentlichen Geſundheitsweſens und ſeines Rechts
in Frankreich, England, Belgien und Holland.

Das, was wir den Charakter des öffentlichen Rechts dieſes Gebietes
nennen, beſteht nun in dem Verhältniß der Regierungsgewalt und ihrer
Thätigkeit zu der Selbſtthätigkeit der Selbſtverwaltungskörper. Aus
dieſem Verhältniß geht dann auch die Geſtalt und der Umfang des
öffentlichen Rechts auf dieſem Gebiete hervor, und hier iſt es, wo wir
im höheren Sinne von einer Vergleichung reden können.

Was zunächſt Frankreich betrifft, ſo iſt nicht zu läugnen, daß
Frankreich auch in geſundheitspolizeilicher Beziehung große Specialitäten
beſitzt. Allein ſchon aus der Natur und der geringen Anzahl der Fa-
cultés de médecine
ergiebt ſich, daß von einer allgemeinen ärztlichen
Bildung nicht die Rede ſein kann. Daneben ſteht der Satz feſt, daß
Frankreichs ganze innere Entwicklung eine wahre Selbſtverwaltung nicht
hat aufkommen laſſen. Nach wie vor iſt die Gemeinde im Grunde ein
amtlicher Körper, deſſen Haupt der Maire, ein Regierungsbeamteter,
iſt. Das iſt in der vollziehenden Gewalt weiter auseinander geſetzt.
Die Folge davon iſt, daß vermöge der bedeutenden Bildung der Spitzen
der Medicin das Geſundheitsweſen als ein nothwendiger und organi-
ſcher Theil der Staatsverwaltung allerdings anerkannt iſt, daß aber
die Ausführung ſeiner Principien ſich weſentlich auf das beſchränkt,
was eben von Seite des Amtes dafür zu geſchehen hat. Die franzö-
ſiſche Geſetzgebung beginnt dem entſprechend auch mit der Organiſation
des Heilperſonals in der Revolution, und bleibt dabei im Weſentlichen
ſtehen. Sein öffentliches Recht iſt faſt ausſchließlich das Recht der
Funktion der Maires, denen hier wie immer Räthe, die Commissions
sanitaires etc.
zur Seite geordnet ſind, und die ſelbſt wieder unter den
Préfets ſtehen. Auf das, was in dieſer Weiſe das Amt thut, beſchränkt
ſich das öffentliche Geſundheitsweſen; die Theilnahme der Aerzte iſt Aus-
nahme; von einer ſyſtematiſchen Aufnahme derſelben in die Selbſtver-
waltungskörper iſt keine Rede. Der Charakter der das Geſundheitsweſen
betreffenden Geſetze iſt daher auch durchgreifend der der Vorſchriften
für Beamtete, wie die Geſundheitspflege die Ausführung derſelben iſt.
Daher iſt denn auch die durchgehende Verſchmelzung der Begriffe von
médecine légale und hygiène publique in der Praxis zu erklären, welche
Frankreichs Literatur feſthält, und andererſeits die ſtrenge Beziehung eben
auf die amtliche Funktion, welche Frankreichs Geſetzgebung auszeichnet.

Weſentlich anders iſt der Charakter Englands. Derſelbe be-
ruht darauf, daß das Geſundheitsweſen bis 1848 überhaupt keine
Angelegenheit der Regierung iſt
, und es auch ſeit 1848 nur in

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[18/0034] V. Der Charakter des öffentlichen Geſundheitsweſens und ſeines Rechts in Frankreich, England, Belgien und Holland. Das, was wir den Charakter des öffentlichen Rechts dieſes Gebietes nennen, beſteht nun in dem Verhältniß der Regierungsgewalt und ihrer Thätigkeit zu der Selbſtthätigkeit der Selbſtverwaltungskörper. Aus dieſem Verhältniß geht dann auch die Geſtalt und der Umfang des öffentlichen Rechts auf dieſem Gebiete hervor, und hier iſt es, wo wir im höheren Sinne von einer Vergleichung reden können. Was zunächſt Frankreich betrifft, ſo iſt nicht zu läugnen, daß Frankreich auch in geſundheitspolizeilicher Beziehung große Specialitäten beſitzt. Allein ſchon aus der Natur und der geringen Anzahl der Fa- cultés de médecine ergiebt ſich, daß von einer allgemeinen ärztlichen Bildung nicht die Rede ſein kann. Daneben ſteht der Satz feſt, daß Frankreichs ganze innere Entwicklung eine wahre Selbſtverwaltung nicht hat aufkommen laſſen. Nach wie vor iſt die Gemeinde im Grunde ein amtlicher Körper, deſſen Haupt der Maire, ein Regierungsbeamteter, iſt. Das iſt in der vollziehenden Gewalt weiter auseinander geſetzt. Die Folge davon iſt, daß vermöge der bedeutenden Bildung der Spitzen der Medicin das Geſundheitsweſen als ein nothwendiger und organi- ſcher Theil der Staatsverwaltung allerdings anerkannt iſt, daß aber die Ausführung ſeiner Principien ſich weſentlich auf das beſchränkt, was eben von Seite des Amtes dafür zu geſchehen hat. Die franzö- ſiſche Geſetzgebung beginnt dem entſprechend auch mit der Organiſation des Heilperſonals in der Revolution, und bleibt dabei im Weſentlichen ſtehen. Sein öffentliches Recht iſt faſt ausſchließlich das Recht der Funktion der Maires, denen hier wie immer Räthe, die Commissions sanitaires etc. zur Seite geordnet ſind, und die ſelbſt wieder unter den Préfets ſtehen. Auf das, was in dieſer Weiſe das Amt thut, beſchränkt ſich das öffentliche Geſundheitsweſen; die Theilnahme der Aerzte iſt Aus- nahme; von einer ſyſtematiſchen Aufnahme derſelben in die Selbſtver- waltungskörper iſt keine Rede. Der Charakter der das Geſundheitsweſen betreffenden Geſetze iſt daher auch durchgreifend der der Vorſchriften für Beamtete, wie die Geſundheitspflege die Ausführung derſelben iſt. Daher iſt denn auch die durchgehende Verſchmelzung der Begriffe von médecine légale und hygiène publique in der Praxis zu erklären, welche Frankreichs Literatur feſthält, und andererſeits die ſtrenge Beziehung eben auf die amtliche Funktion, welche Frankreichs Geſetzgebung auszeichnet. Weſentlich anders iſt der Charakter Englands. Derſelbe be- ruht darauf, daß das Geſundheitsweſen bis 1848 überhaupt keine Angelegenheit der Regierung iſt, und es auch ſeit 1848 nur in

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/34>, abgerufen am 24.11.2024.