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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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dafür anstatt der Strafgerichte competent machte; die Verordnung vom
5. März 1858, welche das Verfahren vor diesen Polizeigerichten regelte,
(und nach welcher statt des "Urtheils" ein Auszug aus dem Protokoll
gegeben wird, der die Thatsachen und die Entscheidung enthält) und die
Verordnung vom 20. Juni 1858, welche den Polizeibehörden die Com-
petenz für eine große Reihe von Verwaltungsstraffällen überwies, so-
wie den Instanzenzug der Beschwerde (Polizeibehörde -- politische
Landesbehörde -- Ministerium des Innern) feststellte; die Verordnung vom
31. Jan. 1860 fügte einige, namentlich die Strafmilderungsgründe in
der Rekursinstanz betreffende Bestimmungen hinzu. Dieß Verfügungs-
recht und Strafcompetenzrecht der Verwaltungsbehörden ward dann
modificirt durch das, unter Mitwirkung des Reichsrathes erlassene, aber
freilich höchst dürftige Gesetz vom 22. Okt. 1862, welches einen Theil
dieser polizeilichen Competenz aufhob, und namentlich das im Straf-
gesetzbuch enthaltene Gebiet der Verwaltungsvergehen den Gerichten zu-
rückgab, wieder mit Ausnahme der großen Städte. Der Competenzstreit
ward dabei durch die höchst eigenthümliche Bestimmung des §. 4 erledigt:
"zweifelt eine Polizeibehörde, ob eine derselben angezeigte strafbare
Handlung in ihren Wirkungskreis gehöre, so soll sie sich mit dem be-
treffenden (?) Gericht ins Einvernehmen setzen, und auf dessen Verlangen
die Verhandlung dahin abtreten." Die völlige Unfertigkeit dieser Be-
stimmungen, sowie die Unklarheit des ganzen Standpunktes ist offenbar.
Eine Entscheidung über das Recht der Verfügung an sich wird gar
nicht provocirt; der Einzelne muß es vom Ermessen der Polizei abhängen
lassen, ob sie sich selber für competent hält; eine Organisirung des Re-
kursverfahrens existirt nicht. Dennoch ist das Streben nach einem ob-
jektiven Recht der Verfügung nicht zu verkennen, das namentlich auch
durch die Aufstellung der allgemeinen Ordnungsstrafen (Verordnung
vom 30. Sept. 1857) allerdings wohl motivirt war. Hier ist daher ein
festes Rechtssystem noch zu schaffen. -- Das preußische Recht ist darüber
weit klarer, wenn auch nicht eben freisinniger. Schon das Gesetz vom
11. Mai 1842 stellte den Grundsatz auf, daß gegen jede polizeiliche Ver-
fügung der Rekurs, oder gegen eine solche die Klage oder der Rechts-
weg
nur dann ergriffen werden kann, wenn die Verletzung eines zum
Privateigenthum gehörigen Rechts (also keines Gesetzes überhaupt)
behauptet wird. Der erstere ist an die vorgesetzte Dienstbehörde, der
letztere an das Gericht zu richten. Dabei gelten die beiden Grundsätze,
daß die Klage keinen Suspensiveffekt für die Ausführung der Verfügung
hat, wohl aber der Beamtete (nach dem allg. Landrecht II. 10. §. 127 ff.)
haftet. S. Rönne, Staatsrecht I. §. 56, nebst dem Streit über den
Umfang jenes Gesetzes. Das Rekursverfahren ist nicht geregelt. --

dafür anſtatt der Strafgerichte competent machte; die Verordnung vom
5. März 1858, welche das Verfahren vor dieſen Polizeigerichten regelte,
(und nach welcher ſtatt des „Urtheils“ ein Auszug aus dem Protokoll
gegeben wird, der die Thatſachen und die Entſcheidung enthält) und die
Verordnung vom 20. Juni 1858, welche den Polizeibehörden die Com-
petenz für eine große Reihe von Verwaltungsſtraffällen überwies, ſo-
wie den Inſtanzenzug der Beſchwerde (Polizeibehörde — politiſche
Landesbehörde — Miniſterium des Innern) feſtſtellte; die Verordnung vom
31. Jan. 1860 fügte einige, namentlich die Strafmilderungsgründe in
der Rekursinſtanz betreffende Beſtimmungen hinzu. Dieß Verfügungs-
recht und Strafcompetenzrecht der Verwaltungsbehörden ward dann
modificirt durch das, unter Mitwirkung des Reichsrathes erlaſſene, aber
freilich höchſt dürftige Geſetz vom 22. Okt. 1862, welches einen Theil
dieſer polizeilichen Competenz aufhob, und namentlich das im Straf-
geſetzbuch enthaltene Gebiet der Verwaltungsvergehen den Gerichten zu-
rückgab, wieder mit Ausnahme der großen Städte. Der Competenzſtreit
ward dabei durch die höchſt eigenthümliche Beſtimmung des §. 4 erledigt:
zweifelt eine Polizeibehörde, ob eine derſelben angezeigte ſtrafbare
Handlung in ihren Wirkungskreis gehöre, ſo ſoll ſie ſich mit dem be-
treffenden (?) Gericht ins Einvernehmen ſetzen, und auf deſſen Verlangen
die Verhandlung dahin abtreten.“ Die völlige Unfertigkeit dieſer Be-
ſtimmungen, ſowie die Unklarheit des ganzen Standpunktes iſt offenbar.
Eine Entſcheidung über das Recht der Verfügung an ſich wird gar
nicht provocirt; der Einzelne muß es vom Ermeſſen der Polizei abhängen
laſſen, ob ſie ſich ſelber für competent hält; eine Organiſirung des Re-
kursverfahrens exiſtirt nicht. Dennoch iſt das Streben nach einem ob-
jektiven Recht der Verfügung nicht zu verkennen, das namentlich auch
durch die Aufſtellung der allgemeinen Ordnungsſtrafen (Verordnung
vom 30. Sept. 1857) allerdings wohl motivirt war. Hier iſt daher ein
feſtes Rechtsſyſtem noch zu ſchaffen. — Das preußiſche Recht iſt darüber
weit klarer, wenn auch nicht eben freiſinniger. Schon das Geſetz vom
11. Mai 1842 ſtellte den Grundſatz auf, daß gegen jede polizeiliche Ver-
fügung der Rekurs, oder gegen eine ſolche die Klage oder der Rechts-
weg
nur dann ergriffen werden kann, wenn die Verletzung eines zum
Privateigenthum gehörigen Rechts (alſo keines Geſetzes überhaupt)
behauptet wird. Der erſtere iſt an die vorgeſetzte Dienſtbehörde, der
letztere an das Gericht zu richten. Dabei gelten die beiden Grundſätze,
daß die Klage keinen Suspenſiveffekt für die Ausführung der Verfügung
hat, wohl aber der Beamtete (nach dem allg. Landrecht II. 10. §. 127 ff.)
haftet. S. Rönne, Staatsrecht I. §. 56, nebſt dem Streit über den
Umfang jenes Geſetzes. Das Rekursverfahren iſt nicht geregelt. —

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[78/0100] dafür anſtatt der Strafgerichte competent machte; die Verordnung vom 5. März 1858, welche das Verfahren vor dieſen Polizeigerichten regelte, (und nach welcher ſtatt des „Urtheils“ ein Auszug aus dem Protokoll gegeben wird, der die Thatſachen und die Entſcheidung enthält) und die Verordnung vom 20. Juni 1858, welche den Polizeibehörden die Com- petenz für eine große Reihe von Verwaltungsſtraffällen überwies, ſo- wie den Inſtanzenzug der Beſchwerde (Polizeibehörde — politiſche Landesbehörde — Miniſterium des Innern) feſtſtellte; die Verordnung vom 31. Jan. 1860 fügte einige, namentlich die Strafmilderungsgründe in der Rekursinſtanz betreffende Beſtimmungen hinzu. Dieß Verfügungs- recht und Strafcompetenzrecht der Verwaltungsbehörden ward dann modificirt durch das, unter Mitwirkung des Reichsrathes erlaſſene, aber freilich höchſt dürftige Geſetz vom 22. Okt. 1862, welches einen Theil dieſer polizeilichen Competenz aufhob, und namentlich das im Straf- geſetzbuch enthaltene Gebiet der Verwaltungsvergehen den Gerichten zu- rückgab, wieder mit Ausnahme der großen Städte. Der Competenzſtreit ward dabei durch die höchſt eigenthümliche Beſtimmung des §. 4 erledigt: „zweifelt eine Polizeibehörde, ob eine derſelben angezeigte ſtrafbare Handlung in ihren Wirkungskreis gehöre, ſo ſoll ſie ſich mit dem be- treffenden (?) Gericht ins Einvernehmen ſetzen, und auf deſſen Verlangen die Verhandlung dahin abtreten.“ Die völlige Unfertigkeit dieſer Be- ſtimmungen, ſowie die Unklarheit des ganzen Standpunktes iſt offenbar. Eine Entſcheidung über das Recht der Verfügung an ſich wird gar nicht provocirt; der Einzelne muß es vom Ermeſſen der Polizei abhängen laſſen, ob ſie ſich ſelber für competent hält; eine Organiſirung des Re- kursverfahrens exiſtirt nicht. Dennoch iſt das Streben nach einem ob- jektiven Recht der Verfügung nicht zu verkennen, das namentlich auch durch die Aufſtellung der allgemeinen Ordnungsſtrafen (Verordnung vom 30. Sept. 1857) allerdings wohl motivirt war. Hier iſt daher ein feſtes Rechtsſyſtem noch zu ſchaffen. — Das preußiſche Recht iſt darüber weit klarer, wenn auch nicht eben freiſinniger. Schon das Geſetz vom 11. Mai 1842 ſtellte den Grundſatz auf, daß gegen jede polizeiliche Ver- fügung der Rekurs, oder gegen eine ſolche die Klage oder der Rechts- weg nur dann ergriffen werden kann, wenn die Verletzung eines zum Privateigenthum gehörigen Rechts (alſo keines Geſetzes überhaupt) behauptet wird. Der erſtere iſt an die vorgeſetzte Dienſtbehörde, der letztere an das Gericht zu richten. Dabei gelten die beiden Grundſätze, daß die Klage keinen Suspenſiveffekt für die Ausführung der Verfügung hat, wohl aber der Beamtete (nach dem allg. Landrecht II. 10. §. 127 ff.) haftet. S. Rönne, Staatsrecht I. §. 56, nebſt dem Streit über den Umfang jenes Geſetzes. Das Rekursverfahren iſt nicht geregelt. —

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/100>, abgerufen am 28.11.2024.