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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Recht behandelt werden, theils auch im rein römischen Recht als heu-
tiges gemeines Recht erscheinen, in der bisherigen Weise nur geeignet
ist, unklare Vorstellungen und Verwirrung zu erwecken.

Doch fordert die weitere Ausführung dieser Gedanken eine eigene,
sehr tief einschneidende Behandlung.


Ohne uns auf die Literatur einzulassen, bemerken wir hier nur
die Hauptquellen für jene neueste Gestalt des Vormundschaftswesens.
In Deutschland ist wohl allenthalben als das sogenannte gemeine
Recht
das bürgerliche von dem öffentlichen Recht in den Vormund-
schaftsordnungen geschieden. In Oesterreich ist das bürgerliche Recht
im bürgerl. Gesetzbuch (Theil I. 4. Hauptstück) enthalten, das öffent-
liche Recht oder die Vormundschaftsverwaltung dagegen in dem Gesetz
vom 9. August 1854 über das gerichtliche Verfahren über Rechtsangelegen-
heiten außer Streitsachen, 31. Hauptstück. In Preußen steht das
bürgerliche Recht im allgem. Landrecht II. 18. (Rönne, II. §. 319.)
In Frankreich hat der Code Civil L. I. T. X. das obige System
des Conseil de famille aufgestellt. Eine Einigung über die Geltung
des bürgerlichen oder öffentlichen Gesichtspunkts mangelt. In Eng-
land
scheint gar keine zu gelten. Stephen, Commentaries T. 192.
III.
338. Stein in der angeführten Abhandlung, S. 282 und 293.

II. Das Verlassenschaftswesen.
Begriff und Rechtsprincip.

Das Verlassenschaftswesen enthält das öffentliche Recht für
dasjenige Verhältniß, welches eintritt, wenn durch das Wegfallen der
Person in der vermögensrechtlichen Persönlichkeit die letztere an einen oder
mehrere andere Berechtigte übergeht. Dieser Uebergang ist ein Proceß,
der sich entweder ohne Zuthun der Verwaltung vollzieht, wenn die
berechtigten Personen vorhanden sind, oder der das Vermögen so lange
ohne persönliche Vertretung läßt, bis die berechtigte Person gefunden,
oder ihr Recht anerkannt ist. In diesem Falle hat die Verwaltung im
Interesse sowohl der einzelnen Betheiligten als des Verkehrs diese Ver-
tretung zu übernehmen; die Aufgabe derselben ist aber nicht wie bei
der Vormundschaft die wirthschaftliche Sorge für das Vermögen, sondern
nur die Sicherung der Berechtigten durch die amtliche Vermitt-
lung des Ueberganges an dieselben
. Die Gesammtheit der
Vorschriften für diese Thätigkeit der Verwaltung bildet das Verlassen-
schaftswesen
.

Recht behandelt werden, theils auch im rein römiſchen Recht als heu-
tiges gemeines Recht erſcheinen, in der bisherigen Weiſe nur geeignet
iſt, unklare Vorſtellungen und Verwirrung zu erwecken.

Doch fordert die weitere Ausführung dieſer Gedanken eine eigene,
ſehr tief einſchneidende Behandlung.


Ohne uns auf die Literatur einzulaſſen, bemerken wir hier nur
die Hauptquellen für jene neueſte Geſtalt des Vormundſchaftsweſens.
In Deutſchland iſt wohl allenthalben als das ſogenannte gemeine
Recht
das bürgerliche von dem öffentlichen Recht in den Vormund-
ſchaftsordnungen geſchieden. In Oeſterreich iſt das bürgerliche Recht
im bürgerl. Geſetzbuch (Theil I. 4. Hauptſtück) enthalten, das öffent-
liche Recht oder die Vormundſchaftsverwaltung dagegen in dem Geſetz
vom 9. Auguſt 1854 über das gerichtliche Verfahren über Rechtsangelegen-
heiten außer Streitſachen, 31. Hauptſtück. In Preußen ſteht das
bürgerliche Recht im allgem. Landrecht II. 18. (Rönne, II. §. 319.)
In Frankreich hat der Code Civil L. I. T. X. das obige Syſtem
des Conseil de famille aufgeſtellt. Eine Einigung über die Geltung
des bürgerlichen oder öffentlichen Geſichtspunkts mangelt. In Eng-
land
ſcheint gar keine zu gelten. Stephen, Commentaries T. 192.
III.
338. Stein in der angeführten Abhandlung, S. 282 und 293.

II. Das Verlaſſenſchaftsweſen.
Begriff und Rechtsprincip.

Das Verlaſſenſchaftsweſen enthält das öffentliche Recht für
dasjenige Verhältniß, welches eintritt, wenn durch das Wegfallen der
Perſon in der vermögensrechtlichen Perſönlichkeit die letztere an einen oder
mehrere andere Berechtigte übergeht. Dieſer Uebergang iſt ein Proceß,
der ſich entweder ohne Zuthun der Verwaltung vollzieht, wenn die
berechtigten Perſonen vorhanden ſind, oder der das Vermögen ſo lange
ohne perſönliche Vertretung läßt, bis die berechtigte Perſon gefunden,
oder ihr Recht anerkannt iſt. In dieſem Falle hat die Verwaltung im
Intereſſe ſowohl der einzelnen Betheiligten als des Verkehrs dieſe Ver-
tretung zu übernehmen; die Aufgabe derſelben iſt aber nicht wie bei
der Vormundſchaft die wirthſchaftliche Sorge für das Vermögen, ſondern
nur die Sicherung der Berechtigten durch die amtliche Vermitt-
lung des Ueberganges an dieſelben
. Die Geſammtheit der
Vorſchriften für dieſe Thätigkeit der Verwaltung bildet das Verlaſſen-
ſchaftsweſen
.

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[190/0212] Recht behandelt werden, theils auch im rein römiſchen Recht als heu- tiges gemeines Recht erſcheinen, in der bisherigen Weiſe nur geeignet iſt, unklare Vorſtellungen und Verwirrung zu erwecken. Doch fordert die weitere Ausführung dieſer Gedanken eine eigene, ſehr tief einſchneidende Behandlung. Ohne uns auf die Literatur einzulaſſen, bemerken wir hier nur die Hauptquellen für jene neueſte Geſtalt des Vormundſchaftsweſens. In Deutſchland iſt wohl allenthalben als das ſogenannte gemeine Recht das bürgerliche von dem öffentlichen Recht in den Vormund- ſchaftsordnungen geſchieden. In Oeſterreich iſt das bürgerliche Recht im bürgerl. Geſetzbuch (Theil I. 4. Hauptſtück) enthalten, das öffent- liche Recht oder die Vormundſchaftsverwaltung dagegen in dem Geſetz vom 9. Auguſt 1854 über das gerichtliche Verfahren über Rechtsangelegen- heiten außer Streitſachen, 31. Hauptſtück. In Preußen ſteht das bürgerliche Recht im allgem. Landrecht II. 18. (Rönne, II. §. 319.) In Frankreich hat der Code Civil L. I. T. X. das obige Syſtem des Conseil de famille aufgeſtellt. Eine Einigung über die Geltung des bürgerlichen oder öffentlichen Geſichtspunkts mangelt. In Eng- land ſcheint gar keine zu gelten. Stephen, Commentaries T. 192. III. 338. Stein in der angeführten Abhandlung, S. 282 und 293. II. Das Verlaſſenſchaftsweſen. Begriff und Rechtsprincip. Das Verlaſſenſchaftsweſen enthält das öffentliche Recht für dasjenige Verhältniß, welches eintritt, wenn durch das Wegfallen der Perſon in der vermögensrechtlichen Perſönlichkeit die letztere an einen oder mehrere andere Berechtigte übergeht. Dieſer Uebergang iſt ein Proceß, der ſich entweder ohne Zuthun der Verwaltung vollzieht, wenn die berechtigten Perſonen vorhanden ſind, oder der das Vermögen ſo lange ohne perſönliche Vertretung läßt, bis die berechtigte Perſon gefunden, oder ihr Recht anerkannt iſt. In dieſem Falle hat die Verwaltung im Intereſſe ſowohl der einzelnen Betheiligten als des Verkehrs dieſe Ver- tretung zu übernehmen; die Aufgabe derſelben iſt aber nicht wie bei der Vormundſchaft die wirthſchaftliche Sorge für das Vermögen, ſondern nur die Sicherung der Berechtigten durch die amtliche Vermitt- lung des Ueberganges an dieſelben. Die Geſammtheit der Vorſchriften für dieſe Thätigkeit der Verwaltung bildet das Verlaſſen- ſchaftsweſen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/212>, abgerufen am 23.11.2024.