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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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französischen anschließt. Allein während sie die Herstellung der Schulen
und die Schullast wie in Frankreich zum Gegenstand einer centralen
Reichsgesetzgebung gemacht, und das ganze Schulwesen einer centralen
Inspektion untergeordnet hat, ist die einzelne Schule dennoch Gegen-
stand einer beinahe ganz freien Selbstverwaltung. Bei aller formellen
Ueberstimmung mit dem den Italienern verständlichen französischen Recht
ist der Geist des neuen Schulwesens ein deutscher, und man erkennt
deutlich, daß nur die noch sehr große Unfertigkeit des communalen Lebens,
namentlich auf dem Lande, die Regierung zwingt, ihrerseits mehr einzu-
greifen, als sie selbst möchte. In der That hat die neue Gesetzgebung
sich offenbar von dem vielleicht ganz richtigen Gefühle leiten lassen, daß
es sich hier, um überhaupt zu einem Resultate zu gelangen, noch nicht
so sehr um freie Selbstverwaltung der Gemeinden, als vielmehr über-
haupt nur um ein durch die centrale Gewalt herzustellendes Volksschul-
wesen handelt. Das ist das Princip der neuen Gesetzgebung, welche mit
dem Grundgesetz für die Volksschule vom 13. November 1859 beginnt.
Die leitenden Gedanken dieses Gesetzes sind: Scheidung der istruzione
inferiore
(Elementarschule) von der istruzione superiore (Bürgerschule),
jede mit zweijährigem Cursus. Aller Volksunterricht soll unentgeltlich
sein, und die Gemeinden sind verpflichtet, den Unterricht darzubieten.
Derselbe ist geschieden in Knaben- und Mädchenschulen. Die Schul-
pflicht
ist nach französischem Muster nicht eingeführt, jedoch sollen die
Eltern der schulfähigen Kinder vom Sindaco aufgefordert werden, die
Kinder zur Schule zu schicken, eventuell können sie mit Bußen dazu
angehalten werden; eine Bestimmung des Gesetzes von 1859, welche
speziell in Neapel durch Verordnung vom 7. Januar 1861 eingeschärft
worden ist. Daneben haben die Gemeinden ihrerseits ihre Schulen her-
zustellen und zu erhalten; doch können zwei Gemeinden zusammengelegt
werden. Können sie dennoch die Last nicht tragen, so werden ihnen nach
dem Gesetze von 1859 (Art. 345) vom Staate Unterstützungen bewilligt.
Das Lehrerwesen beruht wie in Frankreich auf den scuole normale,
die theils vom Staate unmittelbar hergestellt, theils von den Gemeinden
errichtet und den Staatsnormalschulen gleichgestellt sind. Jeder Schul-
lehrer muß eine Prüfung bestehen und bekommt alsdann die patente
di capacita (brevet de capacite).
Die Zeugnisse sind wieder definitive
und provisorische. Die Schulbildung ist durch das Reglement vom
23. Juni 1860 genauer geregelt. Jede Provinz hat das Recht, solche
Lehrerseminarien (scuole magistrale) zu gründen; die Professoren der
Lehrerseminarien haben selbständige Conferenzen über die Lehrordnung;
der Curs dauert drei Jahre; die Prüfungen werden öffentlich, theils
schriftlich, theils mündlich abgehalten; das patente wird jedoch erst

franzöſiſchen anſchließt. Allein während ſie die Herſtellung der Schulen
und die Schullaſt wie in Frankreich zum Gegenſtand einer centralen
Reichsgeſetzgebung gemacht, und das ganze Schulweſen einer centralen
Inſpektion untergeordnet hat, iſt die einzelne Schule dennoch Gegen-
ſtand einer beinahe ganz freien Selbſtverwaltung. Bei aller formellen
Ueberſtimmung mit dem den Italienern verſtändlichen franzöſiſchen Recht
iſt der Geiſt des neuen Schulweſens ein deutſcher, und man erkennt
deutlich, daß nur die noch ſehr große Unfertigkeit des communalen Lebens,
namentlich auf dem Lande, die Regierung zwingt, ihrerſeits mehr einzu-
greifen, als ſie ſelbſt möchte. In der That hat die neue Geſetzgebung
ſich offenbar von dem vielleicht ganz richtigen Gefühle leiten laſſen, daß
es ſich hier, um überhaupt zu einem Reſultate zu gelangen, noch nicht
ſo ſehr um freie Selbſtverwaltung der Gemeinden, als vielmehr über-
haupt nur um ein durch die centrale Gewalt herzuſtellendes Volksſchul-
weſen handelt. Das iſt das Princip der neuen Geſetzgebung, welche mit
dem Grundgeſetz für die Volksſchule vom 13. November 1859 beginnt.
Die leitenden Gedanken dieſes Geſetzes ſind: Scheidung der istruzione
inferiore
(Elementarſchule) von der istruzione superiore (Bürgerſchule),
jede mit zweijährigem Curſus. Aller Volksunterricht ſoll unentgeltlich
ſein, und die Gemeinden ſind verpflichtet, den Unterricht darzubieten.
Derſelbe iſt geſchieden in Knaben- und Mädchenſchulen. Die Schul-
pflicht
iſt nach franzöſiſchem Muſter nicht eingeführt, jedoch ſollen die
Eltern der ſchulfähigen Kinder vom Sindaco aufgefordert werden, die
Kinder zur Schule zu ſchicken, eventuell können ſie mit Bußen dazu
angehalten werden; eine Beſtimmung des Geſetzes von 1859, welche
ſpeziell in Neapel durch Verordnung vom 7. Januar 1861 eingeſchärft
worden iſt. Daneben haben die Gemeinden ihrerſeits ihre Schulen her-
zuſtellen und zu erhalten; doch können zwei Gemeinden zuſammengelegt
werden. Können ſie dennoch die Laſt nicht tragen, ſo werden ihnen nach
dem Geſetze von 1859 (Art. 345) vom Staate Unterſtützungen bewilligt.
Das Lehrerweſen beruht wie in Frankreich auf den scuole normale,
die theils vom Staate unmittelbar hergeſtellt, theils von den Gemeinden
errichtet und den Staatsnormalſchulen gleichgeſtellt ſind. Jeder Schul-
lehrer muß eine Prüfung beſtehen und bekommt alsdann die patente
di capacita (brevet de capacité).
Die Zeugniſſe ſind wieder definitive
und proviſoriſche. Die Schulbildung iſt durch das Reglement vom
23. Juni 1860 genauer geregelt. Jede Provinz hat das Recht, ſolche
Lehrerſeminarien (scuole magistrale) zu gründen; die Profeſſoren der
Lehrerſeminarien haben ſelbſtändige Conferenzen über die Lehrordnung;
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[111/0139] franzöſiſchen anſchließt. Allein während ſie die Herſtellung der Schulen und die Schullaſt wie in Frankreich zum Gegenſtand einer centralen Reichsgeſetzgebung gemacht, und das ganze Schulweſen einer centralen Inſpektion untergeordnet hat, iſt die einzelne Schule dennoch Gegen- ſtand einer beinahe ganz freien Selbſtverwaltung. Bei aller formellen Ueberſtimmung mit dem den Italienern verſtändlichen franzöſiſchen Recht iſt der Geiſt des neuen Schulweſens ein deutſcher, und man erkennt deutlich, daß nur die noch ſehr große Unfertigkeit des communalen Lebens, namentlich auf dem Lande, die Regierung zwingt, ihrerſeits mehr einzu- greifen, als ſie ſelbſt möchte. In der That hat die neue Geſetzgebung ſich offenbar von dem vielleicht ganz richtigen Gefühle leiten laſſen, daß es ſich hier, um überhaupt zu einem Reſultate zu gelangen, noch nicht ſo ſehr um freie Selbſtverwaltung der Gemeinden, als vielmehr über- haupt nur um ein durch die centrale Gewalt herzuſtellendes Volksſchul- weſen handelt. Das iſt das Princip der neuen Geſetzgebung, welche mit dem Grundgeſetz für die Volksſchule vom 13. November 1859 beginnt. Die leitenden Gedanken dieſes Geſetzes ſind: Scheidung der istruzione inferiore (Elementarſchule) von der istruzione superiore (Bürgerſchule), jede mit zweijährigem Curſus. Aller Volksunterricht ſoll unentgeltlich ſein, und die Gemeinden ſind verpflichtet, den Unterricht darzubieten. Derſelbe iſt geſchieden in Knaben- und Mädchenſchulen. Die Schul- pflicht iſt nach franzöſiſchem Muſter nicht eingeführt, jedoch ſollen die Eltern der ſchulfähigen Kinder vom Sindaco aufgefordert werden, die Kinder zur Schule zu ſchicken, eventuell können ſie mit Bußen dazu angehalten werden; eine Beſtimmung des Geſetzes von 1859, welche ſpeziell in Neapel durch Verordnung vom 7. Januar 1861 eingeſchärft worden iſt. Daneben haben die Gemeinden ihrerſeits ihre Schulen her- zuſtellen und zu erhalten; doch können zwei Gemeinden zuſammengelegt werden. Können ſie dennoch die Laſt nicht tragen, ſo werden ihnen nach dem Geſetze von 1859 (Art. 345) vom Staate Unterſtützungen bewilligt. Das Lehrerweſen beruht wie in Frankreich auf den scuole normale, die theils vom Staate unmittelbar hergeſtellt, theils von den Gemeinden errichtet und den Staatsnormalſchulen gleichgeſtellt ſind. Jeder Schul- lehrer muß eine Prüfung beſtehen und bekommt alsdann die patente di capacita (brevet de capacité). Die Zeugniſſe ſind wieder definitive und proviſoriſche. Die Schulbildung iſt durch das Reglement vom 23. Juni 1860 genauer geregelt. Jede Provinz hat das Recht, ſolche Lehrerſeminarien (scuole magistrale) zu gründen; die Profeſſoren der Lehrerſeminarien haben ſelbſtändige Conferenzen über die Lehrordnung; der Curs dauert drei Jahre; die Prüfungen werden öffentlich, theils ſchriftlich, theils mündlich abgehalten; das patente wird jedoch erſt

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/139>, abgerufen am 24.11.2024.