sogar gegen die Reisen der jungen Leute, "auf denen sie ihre guten Sitten verlieren." Eine unverkennbare Abneigung gegen die classische Bildung spricht aus seiner ganzen Darstellung; Deutschland kennt er übrigens nicht. Als sein Werk nach Deutschland kam, machte es einen großen Eindruck: "Die meisten dieser Vorwürfe sind gegründet," sagt darüber Jacob (Polizeiwissenschaft Th. II. §. 153). Allein den Ge- danken einer Aufhebung der Universitäten faßte denn doch niemand. Im Gegentheil trat mit den napoleonischen Kriegen eine Bewegung ein, in welcher der ächt deutsche Geist auch auf den Universitäten zum Siege gelangte. Die Studentschaften wurden durch den Ernst der Zeit auf das Tiefste ergriffen; sie begannen die große Arbeit, sich durch eigene Kraft zu reformiren; sie fingen an, jede geistige und physische Ver- wilderung offen zu brandmarken, und aus dem tief sittlichen Bewußt- sein, daß das Vaterland und die Freiheit in ihnen die wahre Stütze ihrer Zukunft zu suchen habe, entstanden die Burschenschaften, diese historisch eben so wichtige, als ehrenwerthe und segensreiche Erscheinung. Zugleich erschienen die ersten Geister Deutschlands auf dem fast schon mißachteten Katheder, und es geschah, daß die Gründung der Univer- sität Berlin als dem großen Wehrsystem von Scharnhorst in Bedeutung und Kraft gleichstehend anerkannt werden konnte. Da war es denn natürlich, daß diese Zeit der Verjüngung deutscher Universitäten den alten polizeilichen Standpunkt nicht mehr ertragen konnte. Die Univer- sitätsfrage war eine der Lebensfragen Deutschlands, die Universitäts- freiheit eine Grundveste der deutschen Freiheit geworden. Hatte man noch am Ende des vorigen Jahrhunderts es für zeitgemäß gehalten, eine Beschränkung des Universitätsbesuches zu wünschen (Böttiger, über die besten Mittel, die Studiersucht zu hemmen 1787; Weiler, über die Nothwendigkeit den Eintritt in gelehrte Schulen zu erschweren 1803), so ward jetzt das höhere geistige Wesen, die zugleich ethische und politische Seite der Universität von den ersten Männern laut ausge- sprochen; formell bekämpft Villers (Blick auf die Universitäten Deutsch- lands 1808) die Auflösung derselben in Fachschulen nach französischem Muster; Schleiermacher dagegen (gelegentliche Gedanken über Univer- sitäten); Schelling, (Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums) und Savigny (Wesen und Werth der deutschen Univer- sitäten) haben das Verdienst, dauernd im deutschen Volke die Ueber- zeugung begründet zu haben, daß die wahre wissenschaftliche Bildung nur in der Einheit aller Gebiete derselben gefunden werden kann und daß eben darin die deutsche Universität die Heimath der Wissenschaft sei; als der ehrenwerthe Scheidler sein Buch "die Idee der Univer- sität" 1838 schrieb, war die Frage zum Heile Deutschlands entschieden
ſogar gegen die Reiſen der jungen Leute, „auf denen ſie ihre guten Sitten verlieren.“ Eine unverkennbare Abneigung gegen die claſſiſche Bildung ſpricht aus ſeiner ganzen Darſtellung; Deutſchland kennt er übrigens nicht. Als ſein Werk nach Deutſchland kam, machte es einen großen Eindruck: „Die meiſten dieſer Vorwürfe ſind gegründet,“ ſagt darüber Jacob (Polizeiwiſſenſchaft Th. II. §. 153). Allein den Ge- danken einer Aufhebung der Univerſitäten faßte denn doch niemand. Im Gegentheil trat mit den napoleoniſchen Kriegen eine Bewegung ein, in welcher der ächt deutſche Geiſt auch auf den Univerſitäten zum Siege gelangte. Die Studentſchaften wurden durch den Ernſt der Zeit auf das Tiefſte ergriffen; ſie begannen die große Arbeit, ſich durch eigene Kraft zu reformiren; ſie fingen an, jede geiſtige und phyſiſche Ver- wilderung offen zu brandmarken, und aus dem tief ſittlichen Bewußt- ſein, daß das Vaterland und die Freiheit in ihnen die wahre Stütze ihrer Zukunft zu ſuchen habe, entſtanden die Burſchenſchaften, dieſe hiſtoriſch eben ſo wichtige, als ehrenwerthe und ſegensreiche Erſcheinung. Zugleich erſchienen die erſten Geiſter Deutſchlands auf dem faſt ſchon mißachteten Katheder, und es geſchah, daß die Gründung der Univer- ſität Berlin als dem großen Wehrſyſtem von Scharnhorſt in Bedeutung und Kraft gleichſtehend anerkannt werden konnte. Da war es denn natürlich, daß dieſe Zeit der Verjüngung deutſcher Univerſitäten den alten polizeilichen Standpunkt nicht mehr ertragen konnte. Die Univer- ſitätsfrage war eine der Lebensfragen Deutſchlands, die Univerſitäts- freiheit eine Grundveſte der deutſchen Freiheit geworden. Hatte man noch am Ende des vorigen Jahrhunderts es für zeitgemäß gehalten, eine Beſchränkung des Univerſitätsbeſuches zu wünſchen (Böttiger, über die beſten Mittel, die Studierſucht zu hemmen 1787; Weiler, über die Nothwendigkeit den Eintritt in gelehrte Schulen zu erſchweren 1803), ſo ward jetzt das höhere geiſtige Weſen, die zugleich ethiſche und politiſche Seite der Univerſität von den erſten Männern laut ausge- ſprochen; formell bekämpft Villers (Blick auf die Univerſitäten Deutſch- lands 1808) die Auflöſung derſelben in Fachſchulen nach franzöſiſchem Muſter; Schleiermacher dagegen (gelegentliche Gedanken über Univer- ſitäten); Schelling, (Vorleſungen über die Methode des akademiſchen Studiums) und Savigny (Weſen und Werth der deutſchen Univer- ſitäten) haben das Verdienſt, dauernd im deutſchen Volke die Ueber- zeugung begründet zu haben, daß die wahre wiſſenſchaftliche Bildung nur in der Einheit aller Gebiete derſelben gefunden werden kann und daß eben darin die deutſche Univerſität die Heimath der Wiſſenſchaft ſei; als der ehrenwerthe Scheidler ſein Buch „die Idee der Univer- ſität“ 1838 ſchrieb, war die Frage zum Heile Deutſchlands entſchieden
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Bildung ſpricht aus ſeiner ganzen Darſtellung; Deutſchland kennt er
übrigens nicht. Als ſein Werk nach Deutſchland kam, machte es einen
großen Eindruck: „Die meiſten dieſer Vorwürfe ſind gegründet,“ ſagt
darüber Jacob (Polizeiwiſſenſchaft Th. II. §. 153). Allein den Ge-
danken einer Aufhebung der Univerſitäten faßte denn doch niemand. Im
Gegentheil trat mit den napoleoniſchen Kriegen eine Bewegung ein, in
welcher der ächt deutſche Geiſt auch auf den Univerſitäten zum Siege
gelangte. Die Studentſchaften wurden durch den Ernſt der Zeit auf
das Tiefſte ergriffen; ſie begannen die große Arbeit, ſich durch eigene
Kraft zu reformiren; ſie fingen an, jede geiſtige und phyſiſche Ver-
wilderung offen zu brandmarken, und aus dem tief ſittlichen Bewußt-
ſein, daß das Vaterland und die Freiheit in ihnen die wahre Stütze
ihrer Zukunft zu ſuchen habe, entſtanden die Burſchenſchaften, dieſe
hiſtoriſch eben ſo wichtige, als ehrenwerthe und ſegensreiche Erſcheinung.
Zugleich erſchienen die erſten Geiſter Deutſchlands auf dem faſt ſchon
mißachteten Katheder, und es geſchah, daß die Gründung der Univer-
ſität Berlin als dem großen Wehrſyſtem von Scharnhorſt in Bedeutung
und Kraft gleichſtehend anerkannt werden konnte. Da war es denn
natürlich, daß dieſe Zeit der Verjüngung deutſcher Univerſitäten den
alten polizeilichen Standpunkt nicht mehr ertragen konnte. Die Univer-
ſitätsfrage war eine der Lebensfragen Deutſchlands, die Univerſitäts-
freiheit eine Grundveſte der deutſchen Freiheit geworden. Hatte man
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts es für zeitgemäß gehalten,
eine Beſchränkung des Univerſitätsbeſuches zu wünſchen (Böttiger,
über die beſten Mittel, die Studierſucht zu hemmen 1787; Weiler,
über die Nothwendigkeit den Eintritt in gelehrte Schulen zu erſchweren
1803), ſo ward jetzt das höhere geiſtige Weſen, die zugleich ethiſche und
politiſche Seite der Univerſität von den erſten Männern laut ausge-
ſprochen; formell bekämpft Villers (Blick auf die Univerſitäten Deutſch-
lands 1808) die Auflöſung derſelben in Fachſchulen nach franzöſiſchem
Muſter; Schleiermacher dagegen (gelegentliche Gedanken über Univer-
ſitäten); Schelling, (Vorleſungen über die Methode des akademiſchen
Studiums) und Savigny (Weſen und Werth der deutſchen Univer-
ſitäten) haben das Verdienſt, dauernd im deutſchen Volke die Ueber-
zeugung begründet zu haben, daß die wahre wiſſenſchaftliche Bildung
nur in der Einheit aller Gebiete derſelben gefunden werden kann und
daß eben darin die deutſche Univerſität die Heimath der Wiſſenſchaft
ſei; als der ehrenwerthe Scheidler ſein Buch „die Idee der Univer-
ſität“ 1838 ſchrieb, war die Frage zum Heile Deutſchlands entſchieden
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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