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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Ueber das ganze System sagt Frederic Morin bei Block Dict.
de Politique, v. Instruction: "Notre enseignement superieur est
tres loin de valoir celui de l'Allemagne, et a quelques egards on
peut dire qu'il n'existe que d'une facon nominale."
Das formale
Recht sehr gut bei Laferriere (Droit admin. III. T. W. Ch. II.).

B. Das College de France.

Das Gefühl dieses tiefen Mangels in der Instruction superieur
hat nun ein Institut ins Leben gerufen und erhalten, das formell kein
ähnliches in Europa neben sich hat, das College de France. Das
College de France ward schon am 24. März 1529 gegründet, schon
damals im Gegensatz zu der Universite de Paris, die in Beschränktheit
und Scholastik den auch wissenschaftlichen Aufschwung der Renaissance
unter Franz I. hemmte. Es sollte die Universität der freien
klassischen Lehre
sein. Es war daher für keinen Beruf eingerichtet,
hatte keine Prüfungen, ertheilte keine Grade, nahm kein Collegiengeld,
stand nicht unter der Behörde, welche die Universität verwaltete; aber
es hat sich von jeher auf die allgemeine klassische Bildung, Philosophie
und Naturwissenschaften beschränkt. Es ist das für ganz Frankreich,
was die philologischen Fakultäten für jede Universität Deutschlands
sind; nur daß ihm in seiner Trennung von den Fakultäten die letzteren
von jeher feindlich waren. Der Kampf mit der Pariser Universität
vor der Revolution, die es stets unterwerfen wollte, zieht sich durch
das ganze siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert; aber bei dem freien
Geiste, den diese Institution von jeher durchwehte, war eine Vereini-
gung geradezu unmöglich. Das Jahr VII erhielt daher auch von allen
alten gelehrten Institutionen das College de France (Decret vom
25. Messidor) und selbst Napoleon ließ es 1808 außerhalb seiner
Universite bestehen; er hätte es vernichten müssen, um es einzuordnen.
Auch Napoleon III. hat es nicht berührt; er hat nur die Ernennung der
Professoren, jedoch nach Präsentation des Lehrkörpers und des Institut
de France
vorbehalten (Decret vom 9. März 1853), während der Pro-
fessorenkörper des College de France der einzige öffentliche Lehr-
körper in Frankreich ist, der die Supplenten und Gehülfen selber
ernennt (Reglement vom 25. Oktober 1828) und unter einem selbst-
gewählten
Vorstand selbst die Disciplin seines Lehrkörpers ver-
waltet. Es ist die einzige Lehranstalt, die gegenüber der höchst be-
schränkten Fachbildung in den Facultes der Instruction superieure das
historische Princip der germanischen Universitätsbildung und die Freiheit
der Lehre und der Selbstverwaltung im System der französischen

Ueber das ganze Syſtem ſagt Frederic Morin bei Block Dict.
de Politique, v. Instruction: „Notre enseignement supérieur est
très loin de valoir celui de l’Allemagne, et à quelques égards on
peut dire qu’il n’existe que d’une façon nominale.“
Das formale
Recht ſehr gut bei Laferrière (Droit admin. III. T. W. Ch. II.).

B. Das Collège de France.

Das Gefühl dieſes tiefen Mangels in der Instruction supérieur
hat nun ein Inſtitut ins Leben gerufen und erhalten, das formell kein
ähnliches in Europa neben ſich hat, das Collège de France. Das
Collège de France ward ſchon am 24. März 1529 gegründet, ſchon
damals im Gegenſatz zu der Université de Paris, die in Beſchränktheit
und Scholaſtik den auch wiſſenſchaftlichen Aufſchwung der Renaiſſance
unter Franz I. hemmte. Es ſollte die Univerſität der freien
klaſſiſchen Lehre
ſein. Es war daher für keinen Beruf eingerichtet,
hatte keine Prüfungen, ertheilte keine Grade, nahm kein Collegiengeld,
ſtand nicht unter der Behörde, welche die Univerſität verwaltete; aber
es hat ſich von jeher auf die allgemeine klaſſiſche Bildung, Philoſophie
und Naturwiſſenſchaften beſchränkt. Es iſt das für ganz Frankreich,
was die philologiſchen Fakultäten für jede Univerſität Deutſchlands
ſind; nur daß ihm in ſeiner Trennung von den Fakultäten die letzteren
von jeher feindlich waren. Der Kampf mit der Pariſer Univerſität
vor der Revolution, die es ſtets unterwerfen wollte, zieht ſich durch
das ganze ſiebzehnte und achtzehnte Jahrhundert; aber bei dem freien
Geiſte, den dieſe Inſtitution von jeher durchwehte, war eine Vereini-
gung geradezu unmöglich. Das Jahr VII erhielt daher auch von allen
alten gelehrten Inſtitutionen das Collège de France (Decret vom
25. Messidor) und ſelbſt Napoleon ließ es 1808 außerhalb ſeiner
Université beſtehen; er hätte es vernichten müſſen, um es einzuordnen.
Auch Napoleon III. hat es nicht berührt; er hat nur die Ernennung der
Profeſſoren, jedoch nach Präſentation des Lehrkörpers und des Institut
de France
vorbehalten (Decret vom 9. März 1853), während der Pro-
feſſorenkörper des Collège de France der einzige öffentliche Lehr-
körper in Frankreich iſt, der die Supplenten und Gehülfen ſelber
ernennt (Reglement vom 25. Oktober 1828) und unter einem ſelbſt-
gewählten
Vorſtand ſelbſt die Disciplin ſeines Lehrkörpers ver-
waltet. Es iſt die einzige Lehranſtalt, die gegenüber der höchſt be-
ſchränkten Fachbildung in den Facultés der Instruction supérieure das
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[311/0339] Ueber das ganze Syſtem ſagt Frederic Morin bei Block Dict. de Politique, v. Instruction: „Notre enseignement supérieur est très loin de valoir celui de l’Allemagne, et à quelques égards on peut dire qu’il n’existe que d’une façon nominale.“ Das formale Recht ſehr gut bei Laferrière (Droit admin. III. T. W. Ch. II.). B. Das Collège de France. Das Gefühl dieſes tiefen Mangels in der Instruction supérieur hat nun ein Inſtitut ins Leben gerufen und erhalten, das formell kein ähnliches in Europa neben ſich hat, das Collège de France. Das Collège de France ward ſchon am 24. März 1529 gegründet, ſchon damals im Gegenſatz zu der Université de Paris, die in Beſchränktheit und Scholaſtik den auch wiſſenſchaftlichen Aufſchwung der Renaiſſance unter Franz I. hemmte. Es ſollte die Univerſität der freien klaſſiſchen Lehre ſein. Es war daher für keinen Beruf eingerichtet, hatte keine Prüfungen, ertheilte keine Grade, nahm kein Collegiengeld, ſtand nicht unter der Behörde, welche die Univerſität verwaltete; aber es hat ſich von jeher auf die allgemeine klaſſiſche Bildung, Philoſophie und Naturwiſſenſchaften beſchränkt. Es iſt das für ganz Frankreich, was die philologiſchen Fakultäten für jede Univerſität Deutſchlands ſind; nur daß ihm in ſeiner Trennung von den Fakultäten die letzteren von jeher feindlich waren. Der Kampf mit der Pariſer Univerſität vor der Revolution, die es ſtets unterwerfen wollte, zieht ſich durch das ganze ſiebzehnte und achtzehnte Jahrhundert; aber bei dem freien Geiſte, den dieſe Inſtitution von jeher durchwehte, war eine Vereini- gung geradezu unmöglich. Das Jahr VII erhielt daher auch von allen alten gelehrten Inſtitutionen das Collège de France (Decret vom 25. Messidor) und ſelbſt Napoleon ließ es 1808 außerhalb ſeiner Université beſtehen; er hätte es vernichten müſſen, um es einzuordnen. Auch Napoleon III. hat es nicht berührt; er hat nur die Ernennung der Profeſſoren, jedoch nach Präſentation des Lehrkörpers und des Institut de France vorbehalten (Decret vom 9. März 1853), während der Pro- feſſorenkörper des Collège de France der einzige öffentliche Lehr- körper in Frankreich iſt, der die Supplenten und Gehülfen ſelber ernennt (Reglement vom 25. Oktober 1828) und unter einem ſelbſt- gewählten Vorſtand ſelbſt die Disciplin ſeines Lehrkörpers ver- waltet. Es iſt die einzige Lehranſtalt, die gegenüber der höchſt be- ſchränkten Fachbildung in den Facultés der Instruction supérieure das hiſtoriſche Princip der germaniſchen Univerſitätsbildung und die Freiheit der Lehre und der Selbſtverwaltung im Syſtem der franzöſiſchen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/339>, abgerufen am 26.11.2024.