Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Charakter der eigentlichen Realgymnasien, indem auf ihnen zwar Latei-
nisch, aber kein Griechisch gelehrt wird. Die Hochschule oder Akademie
in Belgrad ist eine eigenthümliche, durch die Verhältnisse bedingte
Verschmelzung der höchsten wissenschaftlichen mit der wirthschaftlichen
Bildung, die jedoch noch nicht Umfang und Recht einer Universität hat.
Sie enthält bis jetzt drei Fakultäten, die philosophische (ohne Vor-
lesungen über Philosophie, dagegen mit allen Fächern der Staats-
wissenschaft, und wieder ohne Griechisch); die technische, die Gegenstände
der allgemeinen Technologie -- ohne Zeichnen -- enthaltend, jedoch
mit der ganz verständigen Verpflichtung der Techniker, die Staatswissen-
schaften zu hören, und die juridische. Für die Medicin sind die Serben
noch auf fremde Universitäten angewiesen. Höchst merkwürdig ist unmittel-
bar an der türkischen Gränze die Errichtung einer höheren Mädchenschule,
namentlich für Erzieherinnen, die ganz rationell organisirt ist. Für
alle diese Fächer gilt der Grundsatz, daß die Regierung dieselben noch
erweitern kann. Die studirende Jugend arbeitet mit großem und patrio-
tischem Eifer. Im Jahre 1866 hatte die philosophische Fakultät 21,
die technische 15, die juridische 162 Studirende; die Theologie hatte
188 Studirende. In allen Gymnasien waren 1828 Schüler, in den
männlichen Normalschulen 17,407, in den weiblichen 2400, in der weib-
lichen höheren Schule 134 Schüler und Schülerinnen. Die Lehrkörper
haben die innere Selbstverwaltung, doch sind die Lehrer selbst noch reine
Staatsbeamte. Diese Andeutungen werden genügen, um den ersten
positiven Schritt, den Deutschland in der Organisation
des serbischen Bildungswesens nach dem Orient gethan
hat
, zu charakterisiren. (Vergl. die zwar kurze, aber gute Zusammen-
stellung der Bestimmungen über das Unterrichtswesen in Serbien bei
Tkalac, Staatsrecht des Fürstenthums Serbien, 1838, S. 183 ff.)

Rumänien. Der junge Staat hat mit richtigem Verständniß die
Herstellung des öffentlichen Bildungswesens für eine seiner ersten und
wichtigsten Aufgaben gehalten, und das betreffende Gesetz vom 25. Nov.
1864 (in 418 Artikeln) erlassen. Dasselbe ist in der That sehr weit-
läuftig, und beweist vor allem, daß hier für das Bildungswesen noch
alles zu ordnen ist. Es darf uns nicht wundern, daß allerlei Dinge
darin vorkommen, die unverständlich bleiben, wie z. B. die Bestimmung,
daß in den untersten Volksschulen bereits das "Verwaltungsrecht" auf-
genommen ist (Art. 32), und daß eine Universität entstehen soll, wenn
mehrere Fakultäten in einem Gebäude zusammen lehren. Im Uebrigen
ist es eine an sich nicht uninteressante Zusammenstellung der Grundsätze
über das Bildungswesen theils auf deutscher, theils auf französischer
Grundlage. Ein einheitlicher und beherrschender Gedanke fehlt, wie es

Stein, die Verwaltungslehre. V. 5

Charakter der eigentlichen Realgymnaſien, indem auf ihnen zwar Latei-
niſch, aber kein Griechiſch gelehrt wird. Die Hochſchule oder Akademie
in Belgrad iſt eine eigenthümliche, durch die Verhältniſſe bedingte
Verſchmelzung der höchſten wiſſenſchaftlichen mit der wirthſchaftlichen
Bildung, die jedoch noch nicht Umfang und Recht einer Univerſität hat.
Sie enthält bis jetzt drei Fakultäten, die philoſophiſche (ohne Vor-
leſungen über Philoſophie, dagegen mit allen Fächern der Staats-
wiſſenſchaft, und wieder ohne Griechiſch); die techniſche, die Gegenſtände
der allgemeinen Technologie — ohne Zeichnen — enthaltend, jedoch
mit der ganz verſtändigen Verpflichtung der Techniker, die Staatswiſſen-
ſchaften zu hören, und die juridiſche. Für die Medicin ſind die Serben
noch auf fremde Univerſitäten angewieſen. Höchſt merkwürdig iſt unmittel-
bar an der türkiſchen Gränze die Errichtung einer höheren Mädchenſchule,
namentlich für Erzieherinnen, die ganz rationell organiſirt iſt. Für
alle dieſe Fächer gilt der Grundſatz, daß die Regierung dieſelben noch
erweitern kann. Die ſtudirende Jugend arbeitet mit großem und patrio-
tiſchem Eifer. Im Jahre 1866 hatte die philoſophiſche Fakultät 21,
die techniſche 15, die juridiſche 162 Studirende; die Theologie hatte
188 Studirende. In allen Gymnaſien waren 1828 Schüler, in den
männlichen Normalſchulen 17,407, in den weiblichen 2400, in der weib-
lichen höheren Schule 134 Schüler und Schülerinnen. Die Lehrkörper
haben die innere Selbſtverwaltung, doch ſind die Lehrer ſelbſt noch reine
Staatsbeamte. Dieſe Andeutungen werden genügen, um den erſten
poſitiven Schritt, den Deutſchland in der Organiſation
des ſerbiſchen Bildungsweſens nach dem Orient gethan
hat
, zu charakteriſiren. (Vergl. die zwar kurze, aber gute Zuſammen-
ſtellung der Beſtimmungen über das Unterrichtsweſen in Serbien bei
Tkalac, Staatsrecht des Fürſtenthums Serbien, 1838, S. 183 ff.)

Rumänien. Der junge Staat hat mit richtigem Verſtändniß die
Herſtellung des öffentlichen Bildungsweſens für eine ſeiner erſten und
wichtigſten Aufgaben gehalten, und das betreffende Geſetz vom 25. Nov.
1864 (in 418 Artikeln) erlaſſen. Daſſelbe iſt in der That ſehr weit-
läuftig, und beweist vor allem, daß hier für das Bildungsweſen noch
alles zu ordnen iſt. Es darf uns nicht wundern, daß allerlei Dinge
darin vorkommen, die unverſtändlich bleiben, wie z. B. die Beſtimmung,
daß in den unterſten Volksſchulen bereits das „Verwaltungsrecht“ auf-
genommen iſt (Art. 32), und daß eine Univerſität entſtehen ſoll, wenn
mehrere Fakultäten in einem Gebäude zuſammen lehren. Im Uebrigen
iſt es eine an ſich nicht unintereſſante Zuſammenſtellung der Grundſätze
über das Bildungsweſen theils auf deutſcher, theils auf franzöſiſcher
Grundlage. Ein einheitlicher und beherrſchender Gedanke fehlt, wie es

Stein, die Verwaltungslehre. V. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0093" n="65"/>
Charakter der eigentlichen Realgymna&#x017F;ien, indem auf ihnen zwar Latei-<lb/>
ni&#x017F;ch, aber kein Griechi&#x017F;ch gelehrt wird. Die Hoch&#x017F;chule oder Akademie<lb/>
in Belgrad i&#x017F;t eine eigenthümliche, durch die Verhältni&#x017F;&#x017F;e bedingte<lb/>
Ver&#x017F;chmelzung der höch&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen mit der wirth&#x017F;chaftlichen<lb/>
Bildung, die jedoch noch nicht Umfang und Recht einer Univer&#x017F;ität hat.<lb/>
Sie enthält bis jetzt drei Fakultäten, die philo&#x017F;ophi&#x017F;che (<hi rendition="#g">ohne</hi> Vor-<lb/>
le&#x017F;ungen über Philo&#x017F;ophie, dagegen mit allen Fächern der Staats-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, und wieder <hi rendition="#g">ohne</hi> Griechi&#x017F;ch); die techni&#x017F;che, die Gegen&#x017F;tände<lb/>
der allgemeinen Technologie &#x2014; ohne Zeichnen &#x2014; enthaltend, jedoch<lb/>
mit der ganz ver&#x017F;tändigen Verpflichtung der Techniker, die Staatswi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften zu hören, und die juridi&#x017F;che. Für die Medicin &#x017F;ind die Serben<lb/>
noch auf fremde Univer&#x017F;itäten angewie&#x017F;en. Höch&#x017F;t merkwürdig i&#x017F;t unmittel-<lb/>
bar an der türki&#x017F;chen Gränze die Errichtung einer höheren Mädchen&#x017F;chule,<lb/>
namentlich für Erzieherinnen, die ganz rationell organi&#x017F;irt i&#x017F;t. Für<lb/>
alle die&#x017F;e Fächer gilt der Grund&#x017F;atz, daß die Regierung die&#x017F;elben noch<lb/>
erweitern kann. Die &#x017F;tudirende Jugend arbeitet mit großem und patrio-<lb/>
ti&#x017F;chem Eifer. Im Jahre 1866 hatte die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Fakultät 21,<lb/>
die techni&#x017F;che 15, die juridi&#x017F;che 162 Studirende; die Theologie hatte<lb/>
188 Studirende. In allen Gymna&#x017F;ien waren 1828 Schüler, in den<lb/>
männlichen Normal&#x017F;chulen 17,407, in den weiblichen 2400, in der weib-<lb/>
lichen höheren Schule 134 Schüler und Schülerinnen. Die Lehrkörper<lb/>
haben die innere Selb&#x017F;tverwaltung, doch &#x017F;ind die Lehrer &#x017F;elb&#x017F;t noch reine<lb/>
Staatsbeamte. Die&#x017F;e Andeutungen werden genügen, um den <hi rendition="#g">er&#x017F;ten<lb/>
po&#x017F;itiven Schritt, den Deut&#x017F;chland in der Organi&#x017F;ation<lb/>
des &#x017F;erbi&#x017F;chen Bildungswe&#x017F;ens nach dem Orient gethan<lb/>
hat</hi>, zu charakteri&#x017F;iren. (Vergl. die zwar kurze, aber gute Zu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;tellung der Be&#x017F;timmungen über das Unterrichtswe&#x017F;en in Serbien bei<lb/><hi rendition="#g">Tkalac</hi>, Staatsrecht des Für&#x017F;tenthums Serbien, 1838, S. 183 ff.)</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Rumänien</hi>. Der junge Staat hat mit richtigem Ver&#x017F;tändniß die<lb/>
Her&#x017F;tellung des öffentlichen Bildungswe&#x017F;ens für eine &#x017F;einer er&#x017F;ten und<lb/>
wichtig&#x017F;ten Aufgaben gehalten, und das betreffende Ge&#x017F;etz vom 25. Nov.<lb/>
1864 (in 418 Artikeln) erla&#x017F;&#x017F;en. Da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t in der That &#x017F;ehr weit-<lb/>
läuftig, und beweist vor allem, daß hier für das Bildungswe&#x017F;en noch<lb/><hi rendition="#g">alles</hi> zu ordnen i&#x017F;t. Es darf uns nicht wundern, daß allerlei Dinge<lb/>
darin vorkommen, die unver&#x017F;tändlich bleiben, wie z. B. die Be&#x017F;timmung,<lb/>
daß in den unter&#x017F;ten Volks&#x017F;chulen bereits das &#x201E;Verwaltungsrecht&#x201C; auf-<lb/>
genommen i&#x017F;t (Art. 32), und daß eine Univer&#x017F;ität ent&#x017F;tehen &#x017F;oll, wenn<lb/>
mehrere Fakultäten in einem Gebäude zu&#x017F;ammen lehren. Im Uebrigen<lb/>
i&#x017F;t es eine an &#x017F;ich nicht unintere&#x017F;&#x017F;ante Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung der Grund&#x017F;ätze<lb/>
über das Bildungswe&#x017F;en theils auf deut&#x017F;cher, theils auf franzö&#x017F;i&#x017F;cher<lb/>
Grundlage. Ein einheitlicher und beherr&#x017F;chender Gedanke fehlt, wie es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">V.</hi> 5</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0093] Charakter der eigentlichen Realgymnaſien, indem auf ihnen zwar Latei- niſch, aber kein Griechiſch gelehrt wird. Die Hochſchule oder Akademie in Belgrad iſt eine eigenthümliche, durch die Verhältniſſe bedingte Verſchmelzung der höchſten wiſſenſchaftlichen mit der wirthſchaftlichen Bildung, die jedoch noch nicht Umfang und Recht einer Univerſität hat. Sie enthält bis jetzt drei Fakultäten, die philoſophiſche (ohne Vor- leſungen über Philoſophie, dagegen mit allen Fächern der Staats- wiſſenſchaft, und wieder ohne Griechiſch); die techniſche, die Gegenſtände der allgemeinen Technologie — ohne Zeichnen — enthaltend, jedoch mit der ganz verſtändigen Verpflichtung der Techniker, die Staatswiſſen- ſchaften zu hören, und die juridiſche. Für die Medicin ſind die Serben noch auf fremde Univerſitäten angewieſen. Höchſt merkwürdig iſt unmittel- bar an der türkiſchen Gränze die Errichtung einer höheren Mädchenſchule, namentlich für Erzieherinnen, die ganz rationell organiſirt iſt. Für alle dieſe Fächer gilt der Grundſatz, daß die Regierung dieſelben noch erweitern kann. Die ſtudirende Jugend arbeitet mit großem und patrio- tiſchem Eifer. Im Jahre 1866 hatte die philoſophiſche Fakultät 21, die techniſche 15, die juridiſche 162 Studirende; die Theologie hatte 188 Studirende. In allen Gymnaſien waren 1828 Schüler, in den männlichen Normalſchulen 17,407, in den weiblichen 2400, in der weib- lichen höheren Schule 134 Schüler und Schülerinnen. Die Lehrkörper haben die innere Selbſtverwaltung, doch ſind die Lehrer ſelbſt noch reine Staatsbeamte. Dieſe Andeutungen werden genügen, um den erſten poſitiven Schritt, den Deutſchland in der Organiſation des ſerbiſchen Bildungsweſens nach dem Orient gethan hat, zu charakteriſiren. (Vergl. die zwar kurze, aber gute Zuſammen- ſtellung der Beſtimmungen über das Unterrichtsweſen in Serbien bei Tkalac, Staatsrecht des Fürſtenthums Serbien, 1838, S. 183 ff.) Rumänien. Der junge Staat hat mit richtigem Verſtändniß die Herſtellung des öffentlichen Bildungsweſens für eine ſeiner erſten und wichtigſten Aufgaben gehalten, und das betreffende Geſetz vom 25. Nov. 1864 (in 418 Artikeln) erlaſſen. Daſſelbe iſt in der That ſehr weit- läuftig, und beweist vor allem, daß hier für das Bildungsweſen noch alles zu ordnen iſt. Es darf uns nicht wundern, daß allerlei Dinge darin vorkommen, die unverſtändlich bleiben, wie z. B. die Beſtimmung, daß in den unterſten Volksſchulen bereits das „Verwaltungsrecht“ auf- genommen iſt (Art. 32), und daß eine Univerſität entſtehen ſoll, wenn mehrere Fakultäten in einem Gebäude zuſammen lehren. Im Uebrigen iſt es eine an ſich nicht unintereſſante Zuſammenſtellung der Grundſätze über das Bildungsweſen theils auf deutſcher, theils auf franzöſiſcher Grundlage. Ein einheitlicher und beherrſchender Gedanke fehlt, wie es Stein, die Verwaltungslehre. V. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/93
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/93>, abgerufen am 21.11.2024.