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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Beschränkungen zu fragen, und zwar um so entschiedener, als sich als-
bald der direkteste Gegensatz gegen dieselbe, die Censur, zum förmlichen
System erhob. Der tiefe Widerspruch derselben mit der aufkommenden
staatsbürgerlichen Freiheit ward natürlich so lebhaft gefühlt, daß die höhere
Publicistik auch jetzt noch gar keinen Anlaß fand, nach einem bestimm-
ten Begriff der Preßfreiheit zu fragen; Preßfreiheit war von da an
der Gegensatz zur Censur. Allein eben die Censur machte eine Literatur
gegen dieselbe wieder unmöglich; es ist daher klar, weßhalb bis zum
Jahre 1830 die Vertretung der Preßfreiheit in der Presse selbst ver-
schwindet; nur die französische Literatur über dieselbe von 1814 bis
1830 vertritt die Idee der freien Presse, da sie keine Censur kannte
(Mohl, Polizeiwissenschaft Bd. III. S. 127). Damit gewann denn
die juristische Richtung Raum, und diese hier, wie immer an das Be-
stehende anschließend und jedem vagen Begriffe abgeneigt, ließ das
Preßwesen wieder unter die Kategorie der "Polizei" fallen. Die be-
deutendsten Arbeiten sind daher jetzt Untersuchungen über die Frage
der Preßbeschränkung, die Motivirung des polizeilichen Standpunkts,
den die Gesetzgebung hier einnimmt, und die Untersuchung nicht mehr
über das Princip der Freiheit, sondern über das der polizeilichen Be-
schränkung und des Strafrechts. Im freieren Sinne: Schmid, Ueber
Preßfreiheit und ihre Gränzen 1818; Krug, Entwurf zur deutschen
und Darstellung der englischen Gesetzgebung über Preßfreiheit 1818,
der jedoch in ähnlicher Weise wie Jacob a. a. O. von einer "freien
Censur" phantasirt, das Princip derselben grundsätzlich festhaltend; von
allen am bedeutendsten Rühle v. Lilienstern a. a. O. 2. Abth.,
eine hochachtenswerthe Arbeit, mit dem ersten Versuch juristische Auf-
fassung in die Frage nach dem Recht der freien Presse zu bringen
(namentlich S. 256 ff.). Die Idee der Censur ihrerseits fand dagegen
gleichfalls ihre Vertreter, und es ist nicht zu läugnen, daß hier das
Preßstraf- und Polizeirecht zum Theil wissenschaftlich behandelt worden.
Den ersten und bedeutendsten Schritt that hier Ancillon (Vorlesung
in der Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 14. März
1816; bei Rühle v. Lilienstern S. 1 ff.), der namentlich Begriff
und Inhalt der Preßvergehen untersucht; dann die durch seinen Ver-
fasser fast noch mehr als durch ihren Inhalt berühmte Abhandlung von
Gentz (Wiener Jahrbücher der Literatur 1818 Bd. I., gleichfalls bei
Rühle v. Lilienstern S. 47 ff.): "Ueber die Preßfreiheit in Eng-
land", den Rühle v. Lilienstern selbst vortrefflich charakterisirt; der
Gedanke desselben ist: der Mißbrauch der Presse soll an sich durch ein
Gesetz gehindert werden; darüber ist kein Zweifel; ein gutes Gesetz über
die Preßfreiheit ist aber der Quadratur des Cirkels gleichzusetzen, und

Beſchränkungen zu fragen, und zwar um ſo entſchiedener, als ſich als-
bald der direkteſte Gegenſatz gegen dieſelbe, die Cenſur, zum förmlichen
Syſtem erhob. Der tiefe Widerſpruch derſelben mit der aufkommenden
ſtaatsbürgerlichen Freiheit ward natürlich ſo lebhaft gefühlt, daß die höhere
Publiciſtik auch jetzt noch gar keinen Anlaß fand, nach einem beſtimm-
ten Begriff der Preßfreiheit zu fragen; Preßfreiheit war von da an
der Gegenſatz zur Cenſur. Allein eben die Cenſur machte eine Literatur
gegen dieſelbe wieder unmöglich; es iſt daher klar, weßhalb bis zum
Jahre 1830 die Vertretung der Preßfreiheit in der Preſſe ſelbſt ver-
ſchwindet; nur die franzöſiſche Literatur über dieſelbe von 1814 bis
1830 vertritt die Idee der freien Preſſe, da ſie keine Cenſur kannte
(Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. III. S. 127). Damit gewann denn
die juriſtiſche Richtung Raum, und dieſe hier, wie immer an das Be-
ſtehende anſchließend und jedem vagen Begriffe abgeneigt, ließ das
Preßweſen wieder unter die Kategorie der „Polizei“ fallen. Die be-
deutendſten Arbeiten ſind daher jetzt Unterſuchungen über die Frage
der Preßbeſchränkung, die Motivirung des polizeilichen Standpunkts,
den die Geſetzgebung hier einnimmt, und die Unterſuchung nicht mehr
über das Princip der Freiheit, ſondern über das der polizeilichen Be-
ſchränkung und des Strafrechts. Im freieren Sinne: Schmid, Ueber
Preßfreiheit und ihre Gränzen 1818; Krug, Entwurf zur deutſchen
und Darſtellung der engliſchen Geſetzgebung über Preßfreiheit 1818,
der jedoch in ähnlicher Weiſe wie Jacob a. a. O. von einer „freien
Cenſur“ phantaſirt, das Princip derſelben grundſätzlich feſthaltend; von
allen am bedeutendſten Rühle v. Lilienſtern a. a. O. 2. Abth.,
eine hochachtenswerthe Arbeit, mit dem erſten Verſuch juriſtiſche Auf-
faſſung in die Frage nach dem Recht der freien Preſſe zu bringen
(namentlich S. 256 ff.). Die Idee der Cenſur ihrerſeits fand dagegen
gleichfalls ihre Vertreter, und es iſt nicht zu läugnen, daß hier das
Preßſtraf- und Polizeirecht zum Theil wiſſenſchaftlich behandelt worden.
Den erſten und bedeutendſten Schritt that hier Ancillon (Vorleſung
in der Sitzung der Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin, 14. März
1816; bei Rühle v. Lilienſtern S. 1 ff.), der namentlich Begriff
und Inhalt der Preßvergehen unterſucht; dann die durch ſeinen Ver-
faſſer faſt noch mehr als durch ihren Inhalt berühmte Abhandlung von
Gentz (Wiener Jahrbücher der Literatur 1818 Bd. I., gleichfalls bei
Rühle v. Lilienſtern S. 47 ff.): „Ueber die Preßfreiheit in Eng-
land“, den Rühle v. Lilienſtern ſelbſt vortrefflich charakteriſirt; der
Gedanke deſſelben iſt: der Mißbrauch der Preſſe ſoll an ſich durch ein
Geſetz gehindert werden; darüber iſt kein Zweifel; ein gutes Geſetz über
die Preßfreiheit iſt aber der Quadratur des Cirkels gleichzuſetzen, und

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[84/0100] Beſchränkungen zu fragen, und zwar um ſo entſchiedener, als ſich als- bald der direkteſte Gegenſatz gegen dieſelbe, die Cenſur, zum förmlichen Syſtem erhob. Der tiefe Widerſpruch derſelben mit der aufkommenden ſtaatsbürgerlichen Freiheit ward natürlich ſo lebhaft gefühlt, daß die höhere Publiciſtik auch jetzt noch gar keinen Anlaß fand, nach einem beſtimm- ten Begriff der Preßfreiheit zu fragen; Preßfreiheit war von da an der Gegenſatz zur Cenſur. Allein eben die Cenſur machte eine Literatur gegen dieſelbe wieder unmöglich; es iſt daher klar, weßhalb bis zum Jahre 1830 die Vertretung der Preßfreiheit in der Preſſe ſelbſt ver- ſchwindet; nur die franzöſiſche Literatur über dieſelbe von 1814 bis 1830 vertritt die Idee der freien Preſſe, da ſie keine Cenſur kannte (Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. III. S. 127). Damit gewann denn die juriſtiſche Richtung Raum, und dieſe hier, wie immer an das Be- ſtehende anſchließend und jedem vagen Begriffe abgeneigt, ließ das Preßweſen wieder unter die Kategorie der „Polizei“ fallen. Die be- deutendſten Arbeiten ſind daher jetzt Unterſuchungen über die Frage der Preßbeſchränkung, die Motivirung des polizeilichen Standpunkts, den die Geſetzgebung hier einnimmt, und die Unterſuchung nicht mehr über das Princip der Freiheit, ſondern über das der polizeilichen Be- ſchränkung und des Strafrechts. Im freieren Sinne: Schmid, Ueber Preßfreiheit und ihre Gränzen 1818; Krug, Entwurf zur deutſchen und Darſtellung der engliſchen Geſetzgebung über Preßfreiheit 1818, der jedoch in ähnlicher Weiſe wie Jacob a. a. O. von einer „freien Cenſur“ phantaſirt, das Princip derſelben grundſätzlich feſthaltend; von allen am bedeutendſten Rühle v. Lilienſtern a. a. O. 2. Abth., eine hochachtenswerthe Arbeit, mit dem erſten Verſuch juriſtiſche Auf- faſſung in die Frage nach dem Recht der freien Preſſe zu bringen (namentlich S. 256 ff.). Die Idee der Cenſur ihrerſeits fand dagegen gleichfalls ihre Vertreter, und es iſt nicht zu läugnen, daß hier das Preßſtraf- und Polizeirecht zum Theil wiſſenſchaftlich behandelt worden. Den erſten und bedeutendſten Schritt that hier Ancillon (Vorleſung in der Sitzung der Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin, 14. März 1816; bei Rühle v. Lilienſtern S. 1 ff.), der namentlich Begriff und Inhalt der Preßvergehen unterſucht; dann die durch ſeinen Ver- faſſer faſt noch mehr als durch ihren Inhalt berühmte Abhandlung von Gentz (Wiener Jahrbücher der Literatur 1818 Bd. I., gleichfalls bei Rühle v. Lilienſtern S. 47 ff.): „Ueber die Preßfreiheit in Eng- land“, den Rühle v. Lilienſtern ſelbſt vortrefflich charakteriſirt; der Gedanke deſſelben iſt: der Mißbrauch der Preſſe ſoll an ſich durch ein Geſetz gehindert werden; darüber iſt kein Zweifel; ein gutes Geſetz über die Preßfreiheit iſt aber der Quadratur des Cirkels gleichzuſetzen, und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/100>, abgerufen am 21.11.2024.