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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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system eintritt, beginnt allerdings für das öffentliche Recht eine neue
Epoche. Aber der alte rein negative Charakter der Preßfreiheit erhält
sich
, und das ist es, was der Preßrechtsliteratur der Gegenwart ihren
Inhalt gegeben hat. Dieß nun läßt sich wieder nur erklären, indem
man eben auf den Unterschied des Geistes der Presse von ihren Einzel-
äußerungen eingeht. Man war einverstanden, daß es ein Preßstraf-
und Polizeirecht geben müsse. Aber die Verwaltung hat die Fähigkeit,
dieß letztere so einzurichten, daß es indirekt auf den Geist der Presse
Einfluß nimmt. So entstand das zweite System, das Repressivsystem,
das Deutschland von Frankreich lernte. Es ist klar, daß ein Kampf
gegen dieß Repressivsystem einen ganz anderen Charakter haben mußte,
als gegen das Präventivsystem. Es kam nicht mehr darauf, einfach
wie früher das ganze System der Preßpolizei zu negiren, sondern, indem
man ihre Nothwendigkeit bis zu einem gewissen Grade zugeben mußte,
die Gränze zwischen der berechtigten und der unfreien Polizei der
Presse zu finden. Das aber konnte nur zu einem Resultat führen,
indem man diese Gränze theils in dem Objekt der Polizei, theils in
ihrem Begriffe setzte, und davon ausging, daß die Preßpolizei selbst
nichts anders sei und sein könne, als eine specielle Anwendung der
Polizei überhaupt, ihrer Rechte und Functionen, auf die Presse selbst.
Und das war es, was mangelte; gab es doch nicht einmal eine Unter-
scheidung mehr zwischen peinlichem und Polizeistrafrecht. Was daher
jetzt "Preßfreiheit" sei, vermochte man nicht recht mehr zu sagen.
Freiheit war auch für die Presse Freiheit innerhalb des Gesetzes, und
die Preßgesetze lagen vor. Man fühlte recht wohl, daß eine Unfreiheit
da sei; worin sie aber bestehe, wußte man nicht mehr zu formuliren,
seitdem die Nothwendigkeit der polizeilichen Beschränkungen selbst in
Beschlagnahme und Kaution unzweifelhaft war, und die völlige Polizei-
losigkeit der Presse um so weniger Vertreter fand, als man zugeben
mußte, daß auch England nie daran gedacht habe, dieselbe einzuräumen.
Das Merkmal dieser Zeit ist daher das Verschwinden des Wortes der
Preßfreiheit aus den betreffenden Untersuchungen, und damit ein juristi-
sches, wesentlich exegetisches Eingehen auf die einzelnen territorialen
Gesetzgebungen. Selbst die tüchtigsten Juristen, die sich mit der Sache
im Allgemeinen beschäftigen, kommen, so klar sie auch sich selber im
Princip sind, in der Form zu keinem Abschluß. Das Bedeutendste was
in dieser Richtung von Seiten der juristischen Literatur des vorigen
Jahrzehnts geliefert ist, ist ohne Zweifel der allgemeine Theil von
Lorbeers Grenzlinien der Rede- und Preßfreiheit nach englischem Rechte
mit Beispielen aus der Gerichtspraxis 1851, der zu keinem definitiven
Resultat im Ganzen gelangt; wieder aufgenommen ist die Frage vom

ſyſtem eintritt, beginnt allerdings für das öffentliche Recht eine neue
Epoche. Aber der alte rein negative Charakter der Preßfreiheit erhält
ſich
, und das iſt es, was der Preßrechtsliteratur der Gegenwart ihren
Inhalt gegeben hat. Dieß nun läßt ſich wieder nur erklären, indem
man eben auf den Unterſchied des Geiſtes der Preſſe von ihren Einzel-
äußerungen eingeht. Man war einverſtanden, daß es ein Preßſtraf-
und Polizeirecht geben müſſe. Aber die Verwaltung hat die Fähigkeit,
dieß letztere ſo einzurichten, daß es indirekt auf den Geiſt der Preſſe
Einfluß nimmt. So entſtand das zweite Syſtem, das Repreſſivſyſtem,
das Deutſchland von Frankreich lernte. Es iſt klar, daß ein Kampf
gegen dieß Repreſſivſyſtem einen ganz anderen Charakter haben mußte,
als gegen das Präventivſyſtem. Es kam nicht mehr darauf, einfach
wie früher das ganze Syſtem der Preßpolizei zu negiren, ſondern, indem
man ihre Nothwendigkeit bis zu einem gewiſſen Grade zugeben mußte,
die Gränze zwiſchen der berechtigten und der unfreien Polizei der
Preſſe zu finden. Das aber konnte nur zu einem Reſultat führen,
indem man dieſe Gränze theils in dem Objekt der Polizei, theils in
ihrem Begriffe ſetzte, und davon ausging, daß die Preßpolizei ſelbſt
nichts anders ſei und ſein könne, als eine ſpecielle Anwendung der
Polizei überhaupt, ihrer Rechte und Functionen, auf die Preſſe ſelbſt.
Und das war es, was mangelte; gab es doch nicht einmal eine Unter-
ſcheidung mehr zwiſchen peinlichem und Polizeiſtrafrecht. Was daher
jetzt „Preßfreiheit“ ſei, vermochte man nicht recht mehr zu ſagen.
Freiheit war auch für die Preſſe Freiheit innerhalb des Geſetzes, und
die Preßgeſetze lagen vor. Man fühlte recht wohl, daß eine Unfreiheit
da ſei; worin ſie aber beſtehe, wußte man nicht mehr zu formuliren,
ſeitdem die Nothwendigkeit der polizeilichen Beſchränkungen ſelbſt in
Beſchlagnahme und Kaution unzweifelhaft war, und die völlige Polizei-
loſigkeit der Preſſe um ſo weniger Vertreter fand, als man zugeben
mußte, daß auch England nie daran gedacht habe, dieſelbe einzuräumen.
Das Merkmal dieſer Zeit iſt daher das Verſchwinden des Wortes der
Preßfreiheit aus den betreffenden Unterſuchungen, und damit ein juriſti-
ſches, weſentlich exegetiſches Eingehen auf die einzelnen territorialen
Geſetzgebungen. Selbſt die tüchtigſten Juriſten, die ſich mit der Sache
im Allgemeinen beſchäftigen, kommen, ſo klar ſie auch ſich ſelber im
Princip ſind, in der Form zu keinem Abſchluß. Das Bedeutendſte was
in dieſer Richtung von Seiten der juriſtiſchen Literatur des vorigen
Jahrzehnts geliefert iſt, iſt ohne Zweifel der allgemeine Theil von
Lorbeers Grenzlinien der Rede- und Preßfreiheit nach engliſchem Rechte
mit Beiſpielen aus der Gerichtspraxis 1851, der zu keinem definitiven
Reſultat im Ganzen gelangt; wieder aufgenommen iſt die Frage vom

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[86/0102] ſyſtem eintritt, beginnt allerdings für das öffentliche Recht eine neue Epoche. Aber der alte rein negative Charakter der Preßfreiheit erhält ſich, und das iſt es, was der Preßrechtsliteratur der Gegenwart ihren Inhalt gegeben hat. Dieß nun läßt ſich wieder nur erklären, indem man eben auf den Unterſchied des Geiſtes der Preſſe von ihren Einzel- äußerungen eingeht. Man war einverſtanden, daß es ein Preßſtraf- und Polizeirecht geben müſſe. Aber die Verwaltung hat die Fähigkeit, dieß letztere ſo einzurichten, daß es indirekt auf den Geiſt der Preſſe Einfluß nimmt. So entſtand das zweite Syſtem, das Repreſſivſyſtem, das Deutſchland von Frankreich lernte. Es iſt klar, daß ein Kampf gegen dieß Repreſſivſyſtem einen ganz anderen Charakter haben mußte, als gegen das Präventivſyſtem. Es kam nicht mehr darauf, einfach wie früher das ganze Syſtem der Preßpolizei zu negiren, ſondern, indem man ihre Nothwendigkeit bis zu einem gewiſſen Grade zugeben mußte, die Gränze zwiſchen der berechtigten und der unfreien Polizei der Preſſe zu finden. Das aber konnte nur zu einem Reſultat führen, indem man dieſe Gränze theils in dem Objekt der Polizei, theils in ihrem Begriffe ſetzte, und davon ausging, daß die Preßpolizei ſelbſt nichts anders ſei und ſein könne, als eine ſpecielle Anwendung der Polizei überhaupt, ihrer Rechte und Functionen, auf die Preſſe ſelbſt. Und das war es, was mangelte; gab es doch nicht einmal eine Unter- ſcheidung mehr zwiſchen peinlichem und Polizeiſtrafrecht. Was daher jetzt „Preßfreiheit“ ſei, vermochte man nicht recht mehr zu ſagen. Freiheit war auch für die Preſſe Freiheit innerhalb des Geſetzes, und die Preßgeſetze lagen vor. Man fühlte recht wohl, daß eine Unfreiheit da ſei; worin ſie aber beſtehe, wußte man nicht mehr zu formuliren, ſeitdem die Nothwendigkeit der polizeilichen Beſchränkungen ſelbſt in Beſchlagnahme und Kaution unzweifelhaft war, und die völlige Polizei- loſigkeit der Preſſe um ſo weniger Vertreter fand, als man zugeben mußte, daß auch England nie daran gedacht habe, dieſelbe einzuräumen. Das Merkmal dieſer Zeit iſt daher das Verſchwinden des Wortes der Preßfreiheit aus den betreffenden Unterſuchungen, und damit ein juriſti- ſches, weſentlich exegetiſches Eingehen auf die einzelnen territorialen Geſetzgebungen. Selbſt die tüchtigſten Juriſten, die ſich mit der Sache im Allgemeinen beſchäftigen, kommen, ſo klar ſie auch ſich ſelber im Princip ſind, in der Form zu keinem Abſchluß. Das Bedeutendſte was in dieſer Richtung von Seiten der juriſtiſchen Literatur des vorigen Jahrzehnts geliefert iſt, iſt ohne Zweifel der allgemeine Theil von Lorbeers Grenzlinien der Rede- und Preßfreiheit nach engliſchem Rechte mit Beiſpielen aus der Gerichtspraxis 1851, der zu keinem definitiven Reſultat im Ganzen gelangt; wieder aufgenommen iſt die Frage vom

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/102>, abgerufen am 12.05.2024.