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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien
Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden" (deutsche
Grundrechte), was in einige deutsche Verfassungen überging. Das war
die erste Auffassung des Preßrechts der neuen Epoche.

Offenbar war diese Auffassung eine undurchführbare. Jeder Ver-
ständige mußte sich sagen, daß eine Presse ohne alles Recht undenkbar
sei. Welches dieß Recht nun sein solle, war allerdings zweifelhaft;
nur Eins stand fest, daß es nämlich von jetzt an statt eines verordnungs-
mäßigen ein gesetzmäßiges sein müsse. Darüber ward man auch bei
den Regierungen einig, und die Verfassungen sprachen diesen Grund-
satz aus (preußische Verfassung Art. 23, bayerische Preßordnung vom
4. Juni 1848). Die Frage aber war jetzt, welche Bestimmungen diese
Gesetze enthalten und welche Momente alle diese Bestimmungen ent-
scheiden würden.

Vielleicht nun wäre bereits im Jahre 1848 der definitive Schritt
zur Aufstellung eines freien Preßrechts festgehalten worden, wenn nicht
aus bekannten historischen Gründen die Volksvertretungen durch den
Rückschlag, den jede Revolution mit sich bringt, vielfach direkt oder
indirekt von ihrer Berechtigung in öffentlichen Dingen wieder entfernt
worden wären, und wenn andererseits das noch immer nicht nüchterne
Freiheitsbewußtsein verstanden hätte, Maß zu halten. Beides war
nicht der Fall. Das erste nun warf das Volk, dem die Freiheit der
Bewegung in seinen Vertretungskörpern beschränkt war, auf die Presse
als das große, jenes Bedürfniß erfüllende Organ zurück; das zweite
gab ihr eine vielfach geradezu feindliche Stellung zu den herrschenden
Systemen. Ein Kampf gegen die Presse von Seiten der letzteren war
daher an und für sich unvermeidlich. Das neue Preßrecht hatte über-
haupt die Aufgabe, ein neues Straf- und Polizeirecht der Presse zu
formuliren; die tiefgehende Feindseligkeit der Gegensätze, die gleich nach
1848 wieder auftrat, erzeugte das natürliche Bestreben, neben den ein-
zelnen Ausdrücken wiederum den Geist der Presse zum Gegenstand des
öffentlichen Rechts zu machen. Und das war es nun, was diesem
letzteren seinen Charakter gab.

Denn jene Freiheit des Journalismus hatte in demselben etwas
erzeugt, was dieses Etwas, das wir den Geist der Presse nennen, in
einer viel concreteren, faßbareren Form als bisher erscheinen ließ.
Das war dasjenige, was wir die politische Individualität jedes einzel-
nen Journals nennen möchten. Seit 1848 hatte das öffentliche Be-
wußtsein sich in große, ziemlich bestimmt auftretende Parteien gespalten.
Dem mußte die Tagespresse Rechnung tragen. Das einzelne Journal
konnte nicht mehr im Allgemeinen reden, wie früher. Es mußte eine

Buchhandels, Poſtverbote oder andere Hemmungen des freien
Verkehrs beſchränkt, ſuspendirt oder aufgehoben werden“ (deutſche
Grundrechte), was in einige deutſche Verfaſſungen überging. Das war
die erſte Auffaſſung des Preßrechts der neuen Epoche.

Offenbar war dieſe Auffaſſung eine undurchführbare. Jeder Ver-
ſtändige mußte ſich ſagen, daß eine Preſſe ohne alles Recht undenkbar
ſei. Welches dieß Recht nun ſein ſolle, war allerdings zweifelhaft;
nur Eins ſtand feſt, daß es nämlich von jetzt an ſtatt eines verordnungs-
mäßigen ein geſetzmäßiges ſein müſſe. Darüber ward man auch bei
den Regierungen einig, und die Verfaſſungen ſprachen dieſen Grund-
ſatz aus (preußiſche Verfaſſung Art. 23, bayeriſche Preßordnung vom
4. Juni 1848). Die Frage aber war jetzt, welche Beſtimmungen dieſe
Geſetze enthalten und welche Momente alle dieſe Beſtimmungen ent-
ſcheiden würden.

Vielleicht nun wäre bereits im Jahre 1848 der definitive Schritt
zur Aufſtellung eines freien Preßrechts feſtgehalten worden, wenn nicht
aus bekannten hiſtoriſchen Gründen die Volksvertretungen durch den
Rückſchlag, den jede Revolution mit ſich bringt, vielfach direkt oder
indirekt von ihrer Berechtigung in öffentlichen Dingen wieder entfernt
worden wären, und wenn andererſeits das noch immer nicht nüchterne
Freiheitsbewußtſein verſtanden hätte, Maß zu halten. Beides war
nicht der Fall. Das erſte nun warf das Volk, dem die Freiheit der
Bewegung in ſeinen Vertretungskörpern beſchränkt war, auf die Preſſe
als das große, jenes Bedürfniß erfüllende Organ zurück; das zweite
gab ihr eine vielfach geradezu feindliche Stellung zu den herrſchenden
Syſtemen. Ein Kampf gegen die Preſſe von Seiten der letzteren war
daher an und für ſich unvermeidlich. Das neue Preßrecht hatte über-
haupt die Aufgabe, ein neues Straf- und Polizeirecht der Preſſe zu
formuliren; die tiefgehende Feindſeligkeit der Gegenſätze, die gleich nach
1848 wieder auftrat, erzeugte das natürliche Beſtreben, neben den ein-
zelnen Ausdrücken wiederum den Geiſt der Preſſe zum Gegenſtand des
öffentlichen Rechts zu machen. Und das war es nun, was dieſem
letzteren ſeinen Charakter gab.

Denn jene Freiheit des Journalismus hatte in demſelben etwas
erzeugt, was dieſes Etwas, das wir den Geiſt der Preſſe nennen, in
einer viel concreteren, faßbareren Form als bisher erſcheinen ließ.
Das war dasjenige, was wir die politiſche Individualität jedes einzel-
nen Journals nennen möchten. Seit 1848 hatte das öffentliche Be-
wußtſein ſich in große, ziemlich beſtimmt auftretende Parteien geſpalten.
Dem mußte die Tagespreſſe Rechnung tragen. Das einzelne Journal
konnte nicht mehr im Allgemeinen reden, wie früher. Es mußte eine

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[110/0126] Buchhandels, Poſtverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beſchränkt, ſuspendirt oder aufgehoben werden“ (deutſche Grundrechte), was in einige deutſche Verfaſſungen überging. Das war die erſte Auffaſſung des Preßrechts der neuen Epoche. Offenbar war dieſe Auffaſſung eine undurchführbare. Jeder Ver- ſtändige mußte ſich ſagen, daß eine Preſſe ohne alles Recht undenkbar ſei. Welches dieß Recht nun ſein ſolle, war allerdings zweifelhaft; nur Eins ſtand feſt, daß es nämlich von jetzt an ſtatt eines verordnungs- mäßigen ein geſetzmäßiges ſein müſſe. Darüber ward man auch bei den Regierungen einig, und die Verfaſſungen ſprachen dieſen Grund- ſatz aus (preußiſche Verfaſſung Art. 23, bayeriſche Preßordnung vom 4. Juni 1848). Die Frage aber war jetzt, welche Beſtimmungen dieſe Geſetze enthalten und welche Momente alle dieſe Beſtimmungen ent- ſcheiden würden. Vielleicht nun wäre bereits im Jahre 1848 der definitive Schritt zur Aufſtellung eines freien Preßrechts feſtgehalten worden, wenn nicht aus bekannten hiſtoriſchen Gründen die Volksvertretungen durch den Rückſchlag, den jede Revolution mit ſich bringt, vielfach direkt oder indirekt von ihrer Berechtigung in öffentlichen Dingen wieder entfernt worden wären, und wenn andererſeits das noch immer nicht nüchterne Freiheitsbewußtſein verſtanden hätte, Maß zu halten. Beides war nicht der Fall. Das erſte nun warf das Volk, dem die Freiheit der Bewegung in ſeinen Vertretungskörpern beſchränkt war, auf die Preſſe als das große, jenes Bedürfniß erfüllende Organ zurück; das zweite gab ihr eine vielfach geradezu feindliche Stellung zu den herrſchenden Syſtemen. Ein Kampf gegen die Preſſe von Seiten der letzteren war daher an und für ſich unvermeidlich. Das neue Preßrecht hatte über- haupt die Aufgabe, ein neues Straf- und Polizeirecht der Preſſe zu formuliren; die tiefgehende Feindſeligkeit der Gegenſätze, die gleich nach 1848 wieder auftrat, erzeugte das natürliche Beſtreben, neben den ein- zelnen Ausdrücken wiederum den Geiſt der Preſſe zum Gegenſtand des öffentlichen Rechts zu machen. Und das war es nun, was dieſem letzteren ſeinen Charakter gab. Denn jene Freiheit des Journalismus hatte in demſelben etwas erzeugt, was dieſes Etwas, das wir den Geiſt der Preſſe nennen, in einer viel concreteren, faßbareren Form als bisher erſcheinen ließ. Das war dasjenige, was wir die politiſche Individualität jedes einzel- nen Journals nennen möchten. Seit 1848 hatte das öffentliche Be- wußtſein ſich in große, ziemlich beſtimmt auftretende Parteien geſpalten. Dem mußte die Tagespreſſe Rechnung tragen. Das einzelne Journal konnte nicht mehr im Allgemeinen reden, wie früher. Es mußte eine

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/126>, abgerufen am 21.11.2024.