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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Repressivsystem gänzlich vernichtet und an die Stelle desselben das System
der Preßfreiheit gesetzt ward. Dieß Gesetz hebt nämlich die oben citirte Be-
stimmung des Stat. 36. Georg. III. c. 7. ausdrücklich auf, mit Aus-
nahme derjenigen Schriften u. s. w., die darauf hinausgehen, den Tod,
Untergang oder Gefangennehmung des Königs, seiner Erben und Nach-
folger "kundzugeben, auszusprechen oder zu erklären," indem es "zweck-
mäßig erscheint, alle diejenigen nach der erwähnten Akte gültigen Be-
stimmungen, die sich nicht auf Verbrechen an der Person des
Regenten
beziehen, aufzuheben." Damit erst war die gesetzliche
Verfolgung eines Druckwerkes, das nicht Felonie enthielt, beseitigt; der
Geist der Presse war frei und jedem Urtheil entzogen und ein Druck-
werk nur dann der Felonie schuldig, "wenn solche Pläne, Anschläge,
Entwürfe, Projekte als Ansichten ausgesprochen oder erklärt sein sollten,"
wobei Druck und Schrift, öffentliche oder vorsätzliche Rede und offene
That und Handlung als gleichbedeutend erklärt werden (Glasers un-
eigentliche Preßdelicte). Mit diesem Gesetz ist die Epoche zu Ende, deren
Inhalt Blackstone juristisch und Georg III. gesetzlich formulirt; es gibt
kein Preßvergehen in England mehr, sondern nur noch Vergehen und
Verbrechen, welche durch die Presse begangen werden können. Es ist
nur durch den Mangel an einem klaren Begriff von Preßfreiheit er-
klärlich, daß auch Lorbeer den entscheidenden Fortschritt, der hierin
liegt, nicht gesehen hat; aber höchst merkwürdig tritt uns wieder einmal
trotz anderer Verschiedenheiten die Gleichartigkeit, ja die Gleichzeitigkeit
der englischen und continentalen Gesetzbildung selbst da entgegen, wo
man sie oft am wenigsten erwartete.

Die weitere Frage wäre nun offenbar die, in welchem Verhältniß
Campbells Bill, die von 11. Vict. 12. gar nicht berührt wird, zu der
letzteren steht. Wir können, auf Grundlage der früheren Darstellung,
kurz sein. Sie bleibt; aber sie und ihre Hermeneutik enthalten jetzt
auch formell kein Preßrecht, sondern das Injurienstrafrecht. Blackstones
und Starkies Ansichten sind jetzt erst für das Preßrecht beseitigt und
England hat jetzt überhaupt kein specifisches Preßrecht, sondern nur eine
Preßpolizei.

Diese nun, abgesehen von der Einführung des Zeitungsstempels
60. Georg. III. und 1. Georg. IV. 9. und deren Herabsetzung durch
6. 7. Will. IV. 76. ist einfach, aber streng. Eine Polizei des Druckerei-
gewerbes kennt England nicht. Dagegen ist die Verpflichtung der
Pflichtexemplare mit dem Namen des Druckers und Verlegers anerkannt,
ebenso das System der Cautionen, das sich auch auf Flugschriften be-
zieht. Die strengen Vorschriften für Zeitungen von 38. Georg. III. 78.
(1798) sind doch nie so weit gegangen, eine Concession erforderlich zu

Repreſſivſyſtem gänzlich vernichtet und an die Stelle deſſelben das Syſtem
der Preßfreiheit geſetzt ward. Dieß Geſetz hebt nämlich die oben citirte Be-
ſtimmung des Stat. 36. Georg. III. c. 7. ausdrücklich auf, mit Aus-
nahme derjenigen Schriften u. ſ. w., die darauf hinausgehen, den Tod,
Untergang oder Gefangennehmung des Königs, ſeiner Erben und Nach-
folger „kundzugeben, auszuſprechen oder zu erklären,“ indem es „zweck-
mäßig erſcheint, alle diejenigen nach der erwähnten Akte gültigen Be-
ſtimmungen, die ſich nicht auf Verbrechen an der Perſon des
Regenten
beziehen, aufzuheben.“ Damit erſt war die geſetzliche
Verfolgung eines Druckwerkes, das nicht Felonie enthielt, beſeitigt; der
Geiſt der Preſſe war frei und jedem Urtheil entzogen und ein Druck-
werk nur dann der Felonie ſchuldig, „wenn ſolche Pläne, Anſchläge,
Entwürfe, Projekte als Anſichten ausgeſprochen oder erklärt ſein ſollten,“
wobei Druck und Schrift, öffentliche oder vorſätzliche Rede und offene
That und Handlung als gleichbedeutend erklärt werden (Glaſers un-
eigentliche Preßdelicte). Mit dieſem Geſetz iſt die Epoche zu Ende, deren
Inhalt Blackſtone juriſtiſch und Georg III. geſetzlich formulirt; es gibt
kein Preßvergehen in England mehr, ſondern nur noch Vergehen und
Verbrechen, welche durch die Preſſe begangen werden können. Es iſt
nur durch den Mangel an einem klaren Begriff von Preßfreiheit er-
klärlich, daß auch Lorbeer den entſcheidenden Fortſchritt, der hierin
liegt, nicht geſehen hat; aber höchſt merkwürdig tritt uns wieder einmal
trotz anderer Verſchiedenheiten die Gleichartigkeit, ja die Gleichzeitigkeit
der engliſchen und continentalen Geſetzbildung ſelbſt da entgegen, wo
man ſie oft am wenigſten erwartete.

Die weitere Frage wäre nun offenbar die, in welchem Verhältniß
Campbells Bill, die von 11. Vict. 12. gar nicht berührt wird, zu der
letzteren ſteht. Wir können, auf Grundlage der früheren Darſtellung,
kurz ſein. Sie bleibt; aber ſie und ihre Hermeneutik enthalten jetzt
auch formell kein Preßrecht, ſondern das Injurienſtrafrecht. Blackſtones
und Starkies Anſichten ſind jetzt erſt für das Preßrecht beſeitigt und
England hat jetzt überhaupt kein ſpecifiſches Preßrecht, ſondern nur eine
Preßpolizei.

Dieſe nun, abgeſehen von der Einführung des Zeitungsſtempels
60. Georg. III. und 1. Georg. IV. 9. und deren Herabſetzung durch
6. 7. Will. IV. 76. iſt einfach, aber ſtreng. Eine Polizei des Druckerei-
gewerbes kennt England nicht. Dagegen iſt die Verpflichtung der
Pflichtexemplare mit dem Namen des Druckers und Verlegers anerkannt,
ebenſo das Syſtem der Cautionen, das ſich auch auf Flugſchriften be-
zieht. Die ſtrengen Vorſchriften für Zeitungen von 38. Georg. III. 78.
(1798) ſind doch nie ſo weit gegangen, eine Conceſſion erforderlich zu

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[132/0148] Repreſſivſyſtem gänzlich vernichtet und an die Stelle deſſelben das Syſtem der Preßfreiheit geſetzt ward. Dieß Geſetz hebt nämlich die oben citirte Be- ſtimmung des Stat. 36. Georg. III. c. 7. ausdrücklich auf, mit Aus- nahme derjenigen Schriften u. ſ. w., die darauf hinausgehen, den Tod, Untergang oder Gefangennehmung des Königs, ſeiner Erben und Nach- folger „kundzugeben, auszuſprechen oder zu erklären,“ indem es „zweck- mäßig erſcheint, alle diejenigen nach der erwähnten Akte gültigen Be- ſtimmungen, die ſich nicht auf Verbrechen an der Perſon des Regenten beziehen, aufzuheben.“ Damit erſt war die geſetzliche Verfolgung eines Druckwerkes, das nicht Felonie enthielt, beſeitigt; der Geiſt der Preſſe war frei und jedem Urtheil entzogen und ein Druck- werk nur dann der Felonie ſchuldig, „wenn ſolche Pläne, Anſchläge, Entwürfe, Projekte als Anſichten ausgeſprochen oder erklärt ſein ſollten,“ wobei Druck und Schrift, öffentliche oder vorſätzliche Rede und offene That und Handlung als gleichbedeutend erklärt werden (Glaſers un- eigentliche Preßdelicte). Mit dieſem Geſetz iſt die Epoche zu Ende, deren Inhalt Blackſtone juriſtiſch und Georg III. geſetzlich formulirt; es gibt kein Preßvergehen in England mehr, ſondern nur noch Vergehen und Verbrechen, welche durch die Preſſe begangen werden können. Es iſt nur durch den Mangel an einem klaren Begriff von Preßfreiheit er- klärlich, daß auch Lorbeer den entſcheidenden Fortſchritt, der hierin liegt, nicht geſehen hat; aber höchſt merkwürdig tritt uns wieder einmal trotz anderer Verſchiedenheiten die Gleichartigkeit, ja die Gleichzeitigkeit der engliſchen und continentalen Geſetzbildung ſelbſt da entgegen, wo man ſie oft am wenigſten erwartete. Die weitere Frage wäre nun offenbar die, in welchem Verhältniß Campbells Bill, die von 11. Vict. 12. gar nicht berührt wird, zu der letzteren ſteht. Wir können, auf Grundlage der früheren Darſtellung, kurz ſein. Sie bleibt; aber ſie und ihre Hermeneutik enthalten jetzt auch formell kein Preßrecht, ſondern das Injurienſtrafrecht. Blackſtones und Starkies Anſichten ſind jetzt erſt für das Preßrecht beſeitigt und England hat jetzt überhaupt kein ſpecifiſches Preßrecht, ſondern nur eine Preßpolizei. Dieſe nun, abgeſehen von der Einführung des Zeitungsſtempels 60. Georg. III. und 1. Georg. IV. 9. und deren Herabſetzung durch 6. 7. Will. IV. 76. iſt einfach, aber ſtreng. Eine Polizei des Druckerei- gewerbes kennt England nicht. Dagegen iſt die Verpflichtung der Pflichtexemplare mit dem Namen des Druckers und Verlegers anerkannt, ebenſo das Syſtem der Cautionen, das ſich auch auf Flugſchriften be- zieht. Die ſtrengen Vorſchriften für Zeitungen von 38. Georg. III. 78. (1798) ſind doch nie ſo weit gegangen, eine Conceſſion erforderlich zu

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/148>, abgerufen am 24.11.2024.