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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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welche den juvenile and other offenders -- offenbar diejenigen, die
gegen die Sittlichkeit Aergerniß geben, vorgeschrieben werden; bei
weniger als vierzehn Jahren sollen nicht mehr als zwölf Streiche gegeben
werden, und soll der Stock von Birkenholz sein. In Schottland werden
dagegen die Betreffenden gepeitscht; doch soll nach demselben Gesetz
niemand mehr als einmal für dasselbe Vergehen gepeitscht werden
(s. Austria 1864 S. 373). Das legt die Frage wohl wieder nahe,
ob die körperlichen Züchtigungen unbedingt zu verurtheilen sind. Im
übrigen haben allerdings die Polizeiorgane sich strenge nach den Ge-
setzen zu halten. Literatur und Jurisprudenz existirt darüber nicht.

Frankreich dagegen hat den Grundsatz, daß nur dasjenige be-
straft werden kann, was im Code Penal verboten ist, strenge durch-
geführt. Eine Sittenpolizei existirt hier daher nur bei Gasthäusern.
Im Uebrigen handelt es sich dann um die Auslegung der Art. 471 ff.
durch die Police correctionelle.

In Deutschland beginnt das polizeiliche Element des Kampfes
gegen die Unsitte schon mit dem 16. Jahrhundert, und hier bereits
scheidet sich das Sittenstrafrecht von der Sittenpolizei. Es ist eins der
großen Verdienste der Con. C. Carolina, zuerst das erstere in ganz
bestimmter Weise für gewisse Vergehen formulirt zu haben; allein der
Standpunkt, den schon damals die Regierungen einnahmen, war ein
viel allgemeinerer. Schon die Urheber der ältern Reichspolizeiord-
nungen erklärten, ihr Hauptzweck sei "die Ausreutung vieler unleidlicher
sträflicher Laster, und die Pflanzung und Aufbauung guter Sitten,
Ehrbarkeit und Tugend." (Reichsakten 1551 §. 70, Berg, Polizei-
reicht III. Bd. S. 6.) Dieser Gedanke lebt fort; aus dem Vorgange
der Con. C. Carol. geht die Aufnahme der groben Vergehen in die ein-
zelnen Landesstrafgesetzbücher des 17. und 18. Jahrhunderts hervor, aus
dem Princip der verschiedenen Reichspolizeiordnungen der Gedanke,
daß die "Obrigkeit" auch ohne bestimmte Gesetze berechtigt sei, mit
Strafen einzugreifen, da sie zugleich Gericht und Polizei war. Die
Staatslehre des 18. Jahrhunderts formulirt diesen Gedanken bestimm-
ter, und während die Reichspolizeiordnungen noch bestimmte ständische
Unterschiede machen, führt jene ihre Principien schon ganz allgemein
aus. Den im Grunde tiefen ethischen Standpunkt zeigen Arbeiten
wie Bensen, Grundriß der reinen und angewandten Staatslehre,
Abth. 2. 67; ebenso Berg, Polizeirecht III. S. 6 und Bd. IV. Abth. 2,
S. 810; sogar juristisch ward die Sache in das Staatsrecht aufge-
nommen (Kretschmann, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts §. 450)
und als Aufgabe der Polizei anerkannt Heumann (Jus. pol. c. 21).
Ebenso erklärte sich die Polizeiwissenschaft, Justi, Bd. II. Buch XI.

welche den juvenile and other offenders — offenbar diejenigen, die
gegen die Sittlichkeit Aergerniß geben, vorgeſchrieben werden; bei
weniger als vierzehn Jahren ſollen nicht mehr als zwölf Streiche gegeben
werden, und ſoll der Stock von Birkenholz ſein. In Schottland werden
dagegen die Betreffenden gepeitſcht; doch ſoll nach demſelben Geſetz
niemand mehr als einmal für daſſelbe Vergehen gepeitſcht werden
(ſ. Auſtria 1864 S. 373). Das legt die Frage wohl wieder nahe,
ob die körperlichen Züchtigungen unbedingt zu verurtheilen ſind. Im
übrigen haben allerdings die Polizeiorgane ſich ſtrenge nach den Ge-
ſetzen zu halten. Literatur und Jurisprudenz exiſtirt darüber nicht.

Frankreich dagegen hat den Grundſatz, daß nur dasjenige be-
ſtraft werden kann, was im Code Pénal verboten iſt, ſtrenge durch-
geführt. Eine Sittenpolizei exiſtirt hier daher nur bei Gaſthäuſern.
Im Uebrigen handelt es ſich dann um die Auslegung der Art. 471 ff.
durch die Police correctionelle.

In Deutſchland beginnt das polizeiliche Element des Kampfes
gegen die Unſitte ſchon mit dem 16. Jahrhundert, und hier bereits
ſcheidet ſich das Sittenſtrafrecht von der Sittenpolizei. Es iſt eins der
großen Verdienſte der Con. C. Carolina, zuerſt das erſtere in ganz
beſtimmter Weiſe für gewiſſe Vergehen formulirt zu haben; allein der
Standpunkt, den ſchon damals die Regierungen einnahmen, war ein
viel allgemeinerer. Schon die Urheber der ältern Reichspolizeiord-
nungen erklärten, ihr Hauptzweck ſei „die Ausreutung vieler unleidlicher
ſträflicher Laſter, und die Pflanzung und Aufbauung guter Sitten,
Ehrbarkeit und Tugend.“ (Reichsakten 1551 §. 70, Berg, Polizei-
reicht III. Bd. S. 6.) Dieſer Gedanke lebt fort; aus dem Vorgange
der Con. C. Carol. geht die Aufnahme der groben Vergehen in die ein-
zelnen Landesſtrafgeſetzbücher des 17. und 18. Jahrhunderts hervor, aus
dem Princip der verſchiedenen Reichspolizeiordnungen der Gedanke,
daß die „Obrigkeit“ auch ohne beſtimmte Geſetze berechtigt ſei, mit
Strafen einzugreifen, da ſie zugleich Gericht und Polizei war. Die
Staatslehre des 18. Jahrhunderts formulirt dieſen Gedanken beſtimm-
ter, und während die Reichspolizeiordnungen noch beſtimmte ſtändiſche
Unterſchiede machen, führt jene ihre Principien ſchon ganz allgemein
aus. Den im Grunde tiefen ethiſchen Standpunkt zeigen Arbeiten
wie Benſen, Grundriß der reinen und angewandten Staatslehre,
Abth. 2. 67; ebenſo Berg, Polizeirecht III. S. 6 und Bd. IV. Abth. 2,
S. 810; ſogar juriſtiſch ward die Sache in das Staatsrecht aufge-
nommen (Kretſchmann, Lehrbuch des deutſchen Staatsrechts §. 450)
und als Aufgabe der Polizei anerkannt Heumann (Jus. pol. c. 21).
Ebenſo erklärte ſich die Polizeiwiſſenſchaft, Juſti, Bd. II. Buch XI.

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[15/0031] welche den juvenile and other offenders — offenbar diejenigen, die gegen die Sittlichkeit Aergerniß geben, vorgeſchrieben werden; bei weniger als vierzehn Jahren ſollen nicht mehr als zwölf Streiche gegeben werden, und ſoll der Stock von Birkenholz ſein. In Schottland werden dagegen die Betreffenden gepeitſcht; doch ſoll nach demſelben Geſetz niemand mehr als einmal für daſſelbe Vergehen gepeitſcht werden (ſ. Auſtria 1864 S. 373). Das legt die Frage wohl wieder nahe, ob die körperlichen Züchtigungen unbedingt zu verurtheilen ſind. Im übrigen haben allerdings die Polizeiorgane ſich ſtrenge nach den Ge- ſetzen zu halten. Literatur und Jurisprudenz exiſtirt darüber nicht. Frankreich dagegen hat den Grundſatz, daß nur dasjenige be- ſtraft werden kann, was im Code Pénal verboten iſt, ſtrenge durch- geführt. Eine Sittenpolizei exiſtirt hier daher nur bei Gaſthäuſern. Im Uebrigen handelt es ſich dann um die Auslegung der Art. 471 ff. durch die Police correctionelle. In Deutſchland beginnt das polizeiliche Element des Kampfes gegen die Unſitte ſchon mit dem 16. Jahrhundert, und hier bereits ſcheidet ſich das Sittenſtrafrecht von der Sittenpolizei. Es iſt eins der großen Verdienſte der Con. C. Carolina, zuerſt das erſtere in ganz beſtimmter Weiſe für gewiſſe Vergehen formulirt zu haben; allein der Standpunkt, den ſchon damals die Regierungen einnahmen, war ein viel allgemeinerer. Schon die Urheber der ältern Reichspolizeiord- nungen erklärten, ihr Hauptzweck ſei „die Ausreutung vieler unleidlicher ſträflicher Laſter, und die Pflanzung und Aufbauung guter Sitten, Ehrbarkeit und Tugend.“ (Reichsakten 1551 §. 70, Berg, Polizei- reicht III. Bd. S. 6.) Dieſer Gedanke lebt fort; aus dem Vorgange der Con. C. Carol. geht die Aufnahme der groben Vergehen in die ein- zelnen Landesſtrafgeſetzbücher des 17. und 18. Jahrhunderts hervor, aus dem Princip der verſchiedenen Reichspolizeiordnungen der Gedanke, daß die „Obrigkeit“ auch ohne beſtimmte Geſetze berechtigt ſei, mit Strafen einzugreifen, da ſie zugleich Gericht und Polizei war. Die Staatslehre des 18. Jahrhunderts formulirt dieſen Gedanken beſtimm- ter, und während die Reichspolizeiordnungen noch beſtimmte ſtändiſche Unterſchiede machen, führt jene ihre Principien ſchon ganz allgemein aus. Den im Grunde tiefen ethiſchen Standpunkt zeigen Arbeiten wie Benſen, Grundriß der reinen und angewandten Staatslehre, Abth. 2. 67; ebenſo Berg, Polizeirecht III. S. 6 und Bd. IV. Abth. 2, S. 810; ſogar juriſtiſch ward die Sache in das Staatsrecht aufge- nommen (Kretſchmann, Lehrbuch des deutſchen Staatsrechts §. 450) und als Aufgabe der Polizei anerkannt Heumann (Jus. pol. c. 21). Ebenſo erklärte ſich die Polizeiwiſſenſchaft, Juſti, Bd. II. Buch XI.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/31>, abgerufen am 27.04.2024.