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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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von der Verwaltung und beruht in dem, was sie bietet, nur auf den
sittlichen oder wirthschaftlichen Motiven, welche den Schriftsteller einer-
seits bei dem, was er schreibt, und den Leser anderseits bei dem, was
er liest, leiten.

Durch dieß Vorherrschen der individuellen und zufälligen Momente
scheint nun die Presse zunächst ein ganz chaotischer, keiner festen Organi-
sation fähiger, in Umfang und Inhalt, Werth und Erfolg ganz un-
berechenbarer, rein zufälliger Proceß zu sein, der dennoch in Form,
Umfang und Inhalt das ganze geistige Leben der Gemeinschaft umfaßt,
gleichsam die unorganische Form der Selbsthülfe im Gebiete der allge-
meinen Bildung, die aber mit den gewaltigsten, und wieder durch den
Mangel jeder Organisation gefährlichsten Kräften ausgestattet ist; aus-
gestattet mit der Möglichkeit für den Einzelnen, die allgemeine geistige
Thätigkeit seiner individuellen Anschauung zu unterwerfen und jene da-
durch im Guten wie im Bösen zu beherrschen, ausgestattet aber auch
mit der Möglichkeit von Seiten des Publikums, nicht bloß gegen das
Beste indifferent zu bleiben, sondern nur dasjenige zu wollen und da-
durch ins Leben zu rufen, was als ein Uebles erkannt werden muß.
Mag man über die Presse denken, wie man will, immer wird bei der
ungeheuren Masse, die einem hier entgegen tritt, dieser erste Eindruck
einer elementaren Gewalt mit scheinbar unberechenbaren Kräften
und Erfolgen der erste und herrschende sein.

Ohne allen Zweifel nun ist eine solche Vorstellung falsch. Auch
hier ist die Macht des Gesammtlebens selbst über diese freieste und
unbeschränkteste Form der individuellen Thätigkeit so groß, daß die
letztere von dem ersten einerseits gewisse äußere gemeingültige Formen
ihrer Erscheinung annimmt, die auch für das Verhältniß der Ver-
waltung von Bedeutung werden, andrerseits aber von einem Geiste er-
füllt, und im Großen und Ganzen auch bestimmt und beherrscht wird,
der, über alle einzelnen Erscheinungen hinausgehend, das eigentliche
-- wir würden sagen organische Wesen der großen, so unendlich wich-
tigen Funktion der Presse ausmacht. Die Verwaltungslehre ist nun
wohl berechtigt, ehe sie auf die Stellung des Staats und seiner Auf-
gabe gegenüber der Presse eingeht, sich von diesem höheren und all-
gemeineren Wesen derselben Rechenschaft abzulegen; denn zuletzt wird
es die diesem Wesen inwohnende Macht sein, welche jenes Verhältniß
der öffentlichen Macht zu diesem Faktor des geistigen Gesammtlebens
bedingt.


Die Darstellung des Preßwesens gehört zu denen Theilen, in welche
sich Verwaltungslehre und Recht am deutlichsten scheiden. Die erstere

von der Verwaltung und beruht in dem, was ſie bietet, nur auf den
ſittlichen oder wirthſchaftlichen Motiven, welche den Schriftſteller einer-
ſeits bei dem, was er ſchreibt, und den Leſer anderſeits bei dem, was
er liest, leiten.

Durch dieß Vorherrſchen der individuellen und zufälligen Momente
ſcheint nun die Preſſe zunächſt ein ganz chaotiſcher, keiner feſten Organi-
ſation fähiger, in Umfang und Inhalt, Werth und Erfolg ganz un-
berechenbarer, rein zufälliger Proceß zu ſein, der dennoch in Form,
Umfang und Inhalt das ganze geiſtige Leben der Gemeinſchaft umfaßt,
gleichſam die unorganiſche Form der Selbſthülfe im Gebiete der allge-
meinen Bildung, die aber mit den gewaltigſten, und wieder durch den
Mangel jeder Organiſation gefährlichſten Kräften ausgeſtattet iſt; aus-
geſtattet mit der Möglichkeit für den Einzelnen, die allgemeine geiſtige
Thätigkeit ſeiner individuellen Anſchauung zu unterwerfen und jene da-
durch im Guten wie im Böſen zu beherrſchen, ausgeſtattet aber auch
mit der Möglichkeit von Seiten des Publikums, nicht bloß gegen das
Beſte indifferent zu bleiben, ſondern nur dasjenige zu wollen und da-
durch ins Leben zu rufen, was als ein Uebles erkannt werden muß.
Mag man über die Preſſe denken, wie man will, immer wird bei der
ungeheuren Maſſe, die einem hier entgegen tritt, dieſer erſte Eindruck
einer elementaren Gewalt mit ſcheinbar unberechenbaren Kräften
und Erfolgen der erſte und herrſchende ſein.

Ohne allen Zweifel nun iſt eine ſolche Vorſtellung falſch. Auch
hier iſt die Macht des Geſammtlebens ſelbſt über dieſe freieſte und
unbeſchränkteſte Form der individuellen Thätigkeit ſo groß, daß die
letztere von dem erſten einerſeits gewiſſe äußere gemeingültige Formen
ihrer Erſcheinung annimmt, die auch für das Verhältniß der Ver-
waltung von Bedeutung werden, andrerſeits aber von einem Geiſte er-
füllt, und im Großen und Ganzen auch beſtimmt und beherrſcht wird,
der, über alle einzelnen Erſcheinungen hinausgehend, das eigentliche
— wir würden ſagen organiſche Weſen der großen, ſo unendlich wich-
tigen Funktion der Preſſe ausmacht. Die Verwaltungslehre iſt nun
wohl berechtigt, ehe ſie auf die Stellung des Staats und ſeiner Auf-
gabe gegenüber der Preſſe eingeht, ſich von dieſem höheren und all-
gemeineren Weſen derſelben Rechenſchaft abzulegen; denn zuletzt wird
es die dieſem Weſen inwohnende Macht ſein, welche jenes Verhältniß
der öffentlichen Macht zu dieſem Faktor des geiſtigen Geſammtlebens
bedingt.


Die Darſtellung des Preßweſens gehört zu denen Theilen, in welche
ſich Verwaltungslehre und Recht am deutlichſten ſcheiden. Die erſtere

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[46/0062] von der Verwaltung und beruht in dem, was ſie bietet, nur auf den ſittlichen oder wirthſchaftlichen Motiven, welche den Schriftſteller einer- ſeits bei dem, was er ſchreibt, und den Leſer anderſeits bei dem, was er liest, leiten. Durch dieß Vorherrſchen der individuellen und zufälligen Momente ſcheint nun die Preſſe zunächſt ein ganz chaotiſcher, keiner feſten Organi- ſation fähiger, in Umfang und Inhalt, Werth und Erfolg ganz un- berechenbarer, rein zufälliger Proceß zu ſein, der dennoch in Form, Umfang und Inhalt das ganze geiſtige Leben der Gemeinſchaft umfaßt, gleichſam die unorganiſche Form der Selbſthülfe im Gebiete der allge- meinen Bildung, die aber mit den gewaltigſten, und wieder durch den Mangel jeder Organiſation gefährlichſten Kräften ausgeſtattet iſt; aus- geſtattet mit der Möglichkeit für den Einzelnen, die allgemeine geiſtige Thätigkeit ſeiner individuellen Anſchauung zu unterwerfen und jene da- durch im Guten wie im Böſen zu beherrſchen, ausgeſtattet aber auch mit der Möglichkeit von Seiten des Publikums, nicht bloß gegen das Beſte indifferent zu bleiben, ſondern nur dasjenige zu wollen und da- durch ins Leben zu rufen, was als ein Uebles erkannt werden muß. Mag man über die Preſſe denken, wie man will, immer wird bei der ungeheuren Maſſe, die einem hier entgegen tritt, dieſer erſte Eindruck einer elementaren Gewalt mit ſcheinbar unberechenbaren Kräften und Erfolgen der erſte und herrſchende ſein. Ohne allen Zweifel nun iſt eine ſolche Vorſtellung falſch. Auch hier iſt die Macht des Geſammtlebens ſelbſt über dieſe freieſte und unbeſchränkteſte Form der individuellen Thätigkeit ſo groß, daß die letztere von dem erſten einerſeits gewiſſe äußere gemeingültige Formen ihrer Erſcheinung annimmt, die auch für das Verhältniß der Ver- waltung von Bedeutung werden, andrerſeits aber von einem Geiſte er- füllt, und im Großen und Ganzen auch beſtimmt und beherrſcht wird, der, über alle einzelnen Erſcheinungen hinausgehend, das eigentliche — wir würden ſagen organiſche Weſen der großen, ſo unendlich wich- tigen Funktion der Preſſe ausmacht. Die Verwaltungslehre iſt nun wohl berechtigt, ehe ſie auf die Stellung des Staats und ſeiner Auf- gabe gegenüber der Preſſe eingeht, ſich von dieſem höheren und all- gemeineren Weſen derſelben Rechenſchaft abzulegen; denn zuletzt wird es die dieſem Weſen inwohnende Macht ſein, welche jenes Verhältniß der öffentlichen Macht zu dieſem Faktor des geiſtigen Geſammtlebens bedingt. Die Darſtellung des Preßweſens gehört zu denen Theilen, in welche ſich Verwaltungslehre und Recht am deutlichſten ſcheiden. Die erſtere

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/62>, abgerufen am 23.11.2024.