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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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wie allenthalben der gesellschaftliche Proceß, der das Mittelalter
auszeichnet. Die alte Gestalt der Gesellschaft, in welcher der freie
Bauer mit vollkommen gleichem Recht neben dem Herrn stand, und
beide den Leibeigenen als dienende Klasse unter sich haben, beginnt
zu verschwinden und die ganze gesellschaftliche Ordnung theilt sich
in die zwei großen Klassen, die des grundherrlichen Adels, und die
des abhängig gewordenen Bauern. Die weitere Geschichte besteht dann
ihrerseits wieder in der Fortsetzung des obigen Processes, der nach den
Gesetzen der socialen Bewegung sich fast von selbst vollzieht, und den
die großen kirchlichen und internationalen Ereignisse nur fördern, ohne
ihn doch erzeugt oder wesentlich umgewandelt zu haben. Der Grund-
herr beginnt die anfangs noch sehr tiefgehenden Unterschiede innerhalb
der Klasse der Bauern zu bekämpfen, und für alle Abstufungen derselben
die gleiche Abhängigkeit hervorzurufen. Die Reste des freien Bauern-
standes ringen dagegen mit allen Mitteln. Das Bewußtsein des alten
Rechts und des neuen Unrechts lebt in ihnen fort. Sie erheben sich
daher in Deutschland gerade wie in England und Frankreich mit den
Waffen in der Hand. Die Bauernkriege treten auf. Allein sie haben
hier wie in England und Frankreich dasselbe Schicksal, und im Wesent-
lichen beruht dieß Schicksal auf denselben Gründen. Der Bauer hat
die Waffenübung verloren, und ist dem Ritter gegenüber fast wehrlos.
Aber er hat außerdem auch in Deutschland nur das Gefühl für seine
Klasse. Er nimmt die Leibeigenen nicht in sich auf; sein Aufstand
ist daher kein Volkskrieg, sondern nur der Kampf eines Theiles der
unterworfenen Klasse gegen die herrschende, wie Sugenheim das mit so
vielem Rechte betont (a. a. O. S. 367). Er ist daher unmächtig, wie
die Sklavenkriege in Rom. Dazu kommt, daß die Städte ihrerseits,
selbst zu Grundherrn geworden, sich von den Bauern fern halten. Der
eigentliche Bauernstand unterliegt; und das Ergebniß, gesellschaftlich
ausgedrückt, ist daher die Unterwerfung des höheren, besser berechtigten
Theiles der niederen Klasse unter dasselbe Recht und Unrecht, welches
bis dahin für den niederen, weniger berechtigten Theil desselben ge-
golten. Der Begriff und das Recht des freien Bauernthums, bisher
eine allgemeine gesellschaftliche Kategorie, werden zur Ausnahme.

Dennoch sind einzelne Gebiete Deutschlands bis zum 17. Jahr-
hundert von jener Bewegung gar nicht ergriffen. Noch ist der ganz freie
oder der Lehnsbauer in diesen Gebieten eine mächtige, neben dem Grund-
herrn dastehende, in seiner eigenen und freien Gemeinde sich selber
seine eigene Dorfschaft verwaltende Klasse von Grundbesitzern, über
die der Herr oft gar keine, oft nur eine ganz geringe Gewalt hat. In
tiefer Verschiedenheit von der adeligen Gutsherrschaft stehen diese Frei-

wie allenthalben der geſellſchaftliche Proceß, der das Mittelalter
auszeichnet. Die alte Geſtalt der Geſellſchaft, in welcher der freie
Bauer mit vollkommen gleichem Recht neben dem Herrn ſtand, und
beide den Leibeigenen als dienende Klaſſe unter ſich haben, beginnt
zu verſchwinden und die ganze geſellſchaftliche Ordnung theilt ſich
in die zwei großen Klaſſen, die des grundherrlichen Adels, und die
des abhängig gewordenen Bauern. Die weitere Geſchichte beſteht dann
ihrerſeits wieder in der Fortſetzung des obigen Proceſſes, der nach den
Geſetzen der ſocialen Bewegung ſich faſt von ſelbſt vollzieht, und den
die großen kirchlichen und internationalen Ereigniſſe nur fördern, ohne
ihn doch erzeugt oder weſentlich umgewandelt zu haben. Der Grund-
herr beginnt die anfangs noch ſehr tiefgehenden Unterſchiede innerhalb
der Klaſſe der Bauern zu bekämpfen, und für alle Abſtufungen derſelben
die gleiche Abhängigkeit hervorzurufen. Die Reſte des freien Bauern-
ſtandes ringen dagegen mit allen Mitteln. Das Bewußtſein des alten
Rechts und des neuen Unrechts lebt in ihnen fort. Sie erheben ſich
daher in Deutſchland gerade wie in England und Frankreich mit den
Waffen in der Hand. Die Bauernkriege treten auf. Allein ſie haben
hier wie in England und Frankreich dasſelbe Schickſal, und im Weſent-
lichen beruht dieß Schickſal auf denſelben Gründen. Der Bauer hat
die Waffenübung verloren, und iſt dem Ritter gegenüber faſt wehrlos.
Aber er hat außerdem auch in Deutſchland nur das Gefühl für ſeine
Klaſſe. Er nimmt die Leibeigenen nicht in ſich auf; ſein Aufſtand
iſt daher kein Volkskrieg, ſondern nur der Kampf eines Theiles der
unterworfenen Klaſſe gegen die herrſchende, wie Sugenheim das mit ſo
vielem Rechte betont (a. a. O. S. 367). Er iſt daher unmächtig, wie
die Sklavenkriege in Rom. Dazu kommt, daß die Städte ihrerſeits,
ſelbſt zu Grundherrn geworden, ſich von den Bauern fern halten. Der
eigentliche Bauernſtand unterliegt; und das Ergebniß, geſellſchaftlich
ausgedrückt, iſt daher die Unterwerfung des höheren, beſſer berechtigten
Theiles der niederen Klaſſe unter daſſelbe Recht und Unrecht, welches
bis dahin für den niederen, weniger berechtigten Theil deſſelben ge-
golten. Der Begriff und das Recht des freien Bauernthums, bisher
eine allgemeine geſellſchaftliche Kategorie, werden zur Ausnahme.

Dennoch ſind einzelne Gebiete Deutſchlands bis zum 17. Jahr-
hundert von jener Bewegung gar nicht ergriffen. Noch iſt der ganz freie
oder der Lehnsbauer in dieſen Gebieten eine mächtige, neben dem Grund-
herrn daſtehende, in ſeiner eigenen und freien Gemeinde ſich ſelber
ſeine eigene Dorfſchaft verwaltende Klaſſe von Grundbeſitzern, über
die der Herr oft gar keine, oft nur eine ganz geringe Gewalt hat. In
tiefer Verſchiedenheit von der adeligen Gutsherrſchaft ſtehen dieſe Frei-

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[153/0171] wie allenthalben der geſellſchaftliche Proceß, der das Mittelalter auszeichnet. Die alte Geſtalt der Geſellſchaft, in welcher der freie Bauer mit vollkommen gleichem Recht neben dem Herrn ſtand, und beide den Leibeigenen als dienende Klaſſe unter ſich haben, beginnt zu verſchwinden und die ganze geſellſchaftliche Ordnung theilt ſich in die zwei großen Klaſſen, die des grundherrlichen Adels, und die des abhängig gewordenen Bauern. Die weitere Geſchichte beſteht dann ihrerſeits wieder in der Fortſetzung des obigen Proceſſes, der nach den Geſetzen der ſocialen Bewegung ſich faſt von ſelbſt vollzieht, und den die großen kirchlichen und internationalen Ereigniſſe nur fördern, ohne ihn doch erzeugt oder weſentlich umgewandelt zu haben. Der Grund- herr beginnt die anfangs noch ſehr tiefgehenden Unterſchiede innerhalb der Klaſſe der Bauern zu bekämpfen, und für alle Abſtufungen derſelben die gleiche Abhängigkeit hervorzurufen. Die Reſte des freien Bauern- ſtandes ringen dagegen mit allen Mitteln. Das Bewußtſein des alten Rechts und des neuen Unrechts lebt in ihnen fort. Sie erheben ſich daher in Deutſchland gerade wie in England und Frankreich mit den Waffen in der Hand. Die Bauernkriege treten auf. Allein ſie haben hier wie in England und Frankreich dasſelbe Schickſal, und im Weſent- lichen beruht dieß Schickſal auf denſelben Gründen. Der Bauer hat die Waffenübung verloren, und iſt dem Ritter gegenüber faſt wehrlos. Aber er hat außerdem auch in Deutſchland nur das Gefühl für ſeine Klaſſe. Er nimmt die Leibeigenen nicht in ſich auf; ſein Aufſtand iſt daher kein Volkskrieg, ſondern nur der Kampf eines Theiles der unterworfenen Klaſſe gegen die herrſchende, wie Sugenheim das mit ſo vielem Rechte betont (a. a. O. S. 367). Er iſt daher unmächtig, wie die Sklavenkriege in Rom. Dazu kommt, daß die Städte ihrerſeits, ſelbſt zu Grundherrn geworden, ſich von den Bauern fern halten. Der eigentliche Bauernſtand unterliegt; und das Ergebniß, geſellſchaftlich ausgedrückt, iſt daher die Unterwerfung des höheren, beſſer berechtigten Theiles der niederen Klaſſe unter daſſelbe Recht und Unrecht, welches bis dahin für den niederen, weniger berechtigten Theil deſſelben ge- golten. Der Begriff und das Recht des freien Bauernthums, bisher eine allgemeine geſellſchaftliche Kategorie, werden zur Ausnahme. Dennoch ſind einzelne Gebiete Deutſchlands bis zum 17. Jahr- hundert von jener Bewegung gar nicht ergriffen. Noch iſt der ganz freie oder der Lehnsbauer in dieſen Gebieten eine mächtige, neben dem Grund- herrn daſtehende, in ſeiner eigenen und freien Gemeinde ſich ſelber ſeine eigene Dorfſchaft verwaltende Klaſſe von Grundbeſitzern, über die der Herr oft gar keine, oft nur eine ganz geringe Gewalt hat. In tiefer Verſchiedenheit von der adeligen Gutsherrſchaft ſtehen dieſe Frei-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/171>, abgerufen am 27.11.2024.