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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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jeder eine bestimmte Modifikation jenes allgemeinen Abhängigkeits-
verhältnisses bezeichnet. Der Uebelstand dabei war, daß die spätere
Wissenschaft dadurch zu der Meinung kam, daß es sich um wenigstens
zum Theil ganz eigengeartete und specifische Verhältnisse handle, und
deßhalb viel mehr Werth auf alle diese kleinen Einzelheiten legte, als
es nöthig war. Eine Erschöpfung aller dieser Einzelverhältnisse und
Namen ist jetzt fast unthunlich, und nicht der Mühe werth; wichtig ist
nur, daß man sich durch dieselben nicht abhalten lasse, die großen Kate-
gorien festzuhalten, welche alle jene Differenzen und Namen in einfacher
Weise beherrschen und dem Folgenden, dem großen Proceß der Be-
freiung aus der Geschlechterherrschaft zu Grunde liegen. Diese beiden
großen Kategorien nun, welche aus den ursprünglichen Zuständen her-
vorgehend, den Grundcharakter auch der späteren Unfreiheit bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts enthalten, und deren Unterscheidung auch
für das Entlastungswesen unentbehrlich ist, sind nun die der Bauern
und die der Leibeigenen. Indem wir dabei für alle Einzelheiten
auf das reiche Material bei Runde, Mittermaier und anderen ver-
weisen, müssen wir sie etwas genauer charakterisiren.

Die erste große Kategorie der unfreien Grundsaßen ward aus
denjenigen gebildet, welche bei persönlicher Freiheit in wirthschaft-
licher Unfreiheit
standen. Diese wirthschaftliche Unfreiheit bestand
ihrerseits theils in Abgaben, theils in Leistungen, Frohnden. Dieselben
aber hatten einen wesentlich verschiedenen Charakter, und dieser kann nur
erkannt werden, indem man auf den Ursprung der Grundherrlichkeit
zurückblickt. Man kann jene unfreien Leistungen und Giebigkeiten in
drei Hauptkategorien theilen.

Die erste Kategorie enthält diejenigen, welche nur die Bedeutung
einer recognitio dominii besitzen, und bei denen daher der Bauer mit
Person und Gut nur als Lehnsmann gilt.

Die zweite enthält diejenigen, welche von dem Gutsherrn als
Obrigkeit gefordert werden, und bei denen daher der Bauer dem Guts-
herrn nicht als Grundherrn, sondern als dem Herrn und Organ der
Verwaltung leistet.

Die dritte Kategorie enthält diejenigen, welche der Bauer als
Pachtzins leistet für Grundstücke, die ihm der Gutsherr entweder förm-
lich als Pacht übertragen hat, oder bei denen das ursprüngliche Eigen-
thum des Gutsherrn gar nicht bezweifelt wird.

Alle diese drei Unterarten bilden zusammengenommen die Lasten
der Bauern, deren specielle Namen meist von den Verschiedenheiten
ihrer Leistungen an den Grundherrn herrühren, die übrigens viel weniger
in der Sache als in der Form und der Bezeichnung sich unterscheiden.


jeder eine beſtimmte Modifikation jenes allgemeinen Abhängigkeits-
verhältniſſes bezeichnet. Der Uebelſtand dabei war, daß die ſpätere
Wiſſenſchaft dadurch zu der Meinung kam, daß es ſich um wenigſtens
zum Theil ganz eigengeartete und ſpecifiſche Verhältniſſe handle, und
deßhalb viel mehr Werth auf alle dieſe kleinen Einzelheiten legte, als
es nöthig war. Eine Erſchöpfung aller dieſer Einzelverhältniſſe und
Namen iſt jetzt faſt unthunlich, und nicht der Mühe werth; wichtig iſt
nur, daß man ſich durch dieſelben nicht abhalten laſſe, die großen Kate-
gorien feſtzuhalten, welche alle jene Differenzen und Namen in einfacher
Weiſe beherrſchen und dem Folgenden, dem großen Proceß der Be-
freiung aus der Geſchlechterherrſchaft zu Grunde liegen. Dieſe beiden
großen Kategorien nun, welche aus den urſprünglichen Zuſtänden her-
vorgehend, den Grundcharakter auch der ſpäteren Unfreiheit bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts enthalten, und deren Unterſcheidung auch
für das Entlaſtungsweſen unentbehrlich iſt, ſind nun die der Bauern
und die der Leibeigenen. Indem wir dabei für alle Einzelheiten
auf das reiche Material bei Runde, Mittermaier und anderen ver-
weiſen, müſſen wir ſie etwas genauer charakteriſiren.

Die erſte große Kategorie der unfreien Grundſaßen ward aus
denjenigen gebildet, welche bei perſönlicher Freiheit in wirthſchaft-
licher Unfreiheit
ſtanden. Dieſe wirthſchaftliche Unfreiheit beſtand
ihrerſeits theils in Abgaben, theils in Leiſtungen, Frohnden. Dieſelben
aber hatten einen weſentlich verſchiedenen Charakter, und dieſer kann nur
erkannt werden, indem man auf den Urſprung der Grundherrlichkeit
zurückblickt. Man kann jene unfreien Leiſtungen und Giebigkeiten in
drei Hauptkategorien theilen.

Die erſte Kategorie enthält diejenigen, welche nur die Bedeutung
einer recognitio dominii beſitzen, und bei denen daher der Bauer mit
Perſon und Gut nur als Lehnsmann gilt.

Die zweite enthält diejenigen, welche von dem Gutsherrn als
Obrigkeit gefordert werden, und bei denen daher der Bauer dem Guts-
herrn nicht als Grundherrn, ſondern als dem Herrn und Organ der
Verwaltung leiſtet.

Die dritte Kategorie enthält diejenigen, welche der Bauer als
Pachtzins leiſtet für Grundſtücke, die ihm der Gutsherr entweder förm-
lich als Pacht übertragen hat, oder bei denen das urſprüngliche Eigen-
thum des Gutsherrn gar nicht bezweifelt wird.

Alle dieſe drei Unterarten bilden zuſammengenommen die Laſten
der Bauern, deren ſpecielle Namen meiſt von den Verſchiedenheiten
ihrer Leiſtungen an den Grundherrn herrühren, die übrigens viel weniger
in der Sache als in der Form und der Bezeichnung ſich unterſcheiden.


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[155/0173] jeder eine beſtimmte Modifikation jenes allgemeinen Abhängigkeits- verhältniſſes bezeichnet. Der Uebelſtand dabei war, daß die ſpätere Wiſſenſchaft dadurch zu der Meinung kam, daß es ſich um wenigſtens zum Theil ganz eigengeartete und ſpecifiſche Verhältniſſe handle, und deßhalb viel mehr Werth auf alle dieſe kleinen Einzelheiten legte, als es nöthig war. Eine Erſchöpfung aller dieſer Einzelverhältniſſe und Namen iſt jetzt faſt unthunlich, und nicht der Mühe werth; wichtig iſt nur, daß man ſich durch dieſelben nicht abhalten laſſe, die großen Kate- gorien feſtzuhalten, welche alle jene Differenzen und Namen in einfacher Weiſe beherrſchen und dem Folgenden, dem großen Proceß der Be- freiung aus der Geſchlechterherrſchaft zu Grunde liegen. Dieſe beiden großen Kategorien nun, welche aus den urſprünglichen Zuſtänden her- vorgehend, den Grundcharakter auch der ſpäteren Unfreiheit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts enthalten, und deren Unterſcheidung auch für das Entlaſtungsweſen unentbehrlich iſt, ſind nun die der Bauern und die der Leibeigenen. Indem wir dabei für alle Einzelheiten auf das reiche Material bei Runde, Mittermaier und anderen ver- weiſen, müſſen wir ſie etwas genauer charakteriſiren. Die erſte große Kategorie der unfreien Grundſaßen ward aus denjenigen gebildet, welche bei perſönlicher Freiheit in wirthſchaft- licher Unfreiheit ſtanden. Dieſe wirthſchaftliche Unfreiheit beſtand ihrerſeits theils in Abgaben, theils in Leiſtungen, Frohnden. Dieſelben aber hatten einen weſentlich verſchiedenen Charakter, und dieſer kann nur erkannt werden, indem man auf den Urſprung der Grundherrlichkeit zurückblickt. Man kann jene unfreien Leiſtungen und Giebigkeiten in drei Hauptkategorien theilen. Die erſte Kategorie enthält diejenigen, welche nur die Bedeutung einer recognitio dominii beſitzen, und bei denen daher der Bauer mit Perſon und Gut nur als Lehnsmann gilt. Die zweite enthält diejenigen, welche von dem Gutsherrn als Obrigkeit gefordert werden, und bei denen daher der Bauer dem Guts- herrn nicht als Grundherrn, ſondern als dem Herrn und Organ der Verwaltung leiſtet. Die dritte Kategorie enthält diejenigen, welche der Bauer als Pachtzins leiſtet für Grundſtücke, die ihm der Gutsherr entweder förm- lich als Pacht übertragen hat, oder bei denen das urſprüngliche Eigen- thum des Gutsherrn gar nicht bezweifelt wird. Alle dieſe drei Unterarten bilden zuſammengenommen die Laſten der Bauern, deren ſpecielle Namen meiſt von den Verſchiedenheiten ihrer Leiſtungen an den Grundherrn herrühren, die übrigens viel weniger in der Sache als in der Form und der Bezeichnung ſich unterſcheiden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/173>, abgerufen am 28.11.2024.