obwohl sich in derselben jene beiden Grundanschauungen dauernd er- hielten, ohne auf das praktische Recht weiteren Einfluß zu gewinnen. Wir glauben das Verhältniß am besten zu bezeichnen, wenn wir zwei der bedeutendsten Namen, welche jene beiden Auffassungen vertreten, hier anführen. Fischer (in seinem Lehrbegriff sämmtlicher Cameral- und Polizeirechte 1785) sagte Bd. I. §. 1120: "Es wird über die Rechts- frage sehr gestritten, ob die heutigen Bauern von den alten Leibeigenen herkommen, oder nicht. Sie ist allerdings zu bejahen. Denn ob zwar schon einige von alten Freigeborenen, von Bürgern und sogar von Edelleuten herrühren, so machen doch diese in Betracht des ganzen Haufens eine sehr unbeträchtliche Anzahl aus, die nur Aus- nahme von der Regel sind." Das war der Standpunkt, den man als den der Mitte des vorigen Jahrhunderts ziemlich allgemein, wenn auch bald mit Betonung des einen, bald des andern Punktes, bezeichnen kann. Die Literatur ist nicht unbedeutend. Grupen (Observationes p. 1005) und Selchow (De jure ingenuit. Cap. 1. §. 20) heben stärker die ursprüngliche Freiheit heraus; Benkendorf in seiner Oeco- nomia forensis P. V. 206 ff. und Westphal, teutsches Privatrecht Th. I. Abth. 31. S. 333 mehr die Unfreiheit; daß sich Estor in seinen späteren Werken (bürgerl. Rechtsgelehrsamkeit Thl. III. §. 358) daran an- schloß, war ganz natürlich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat dagegen die Rechtsgeschichte bereits bedeutende Fortschritte gemacht. Hauschild selbst hat noch 1771 in seinen "Juristischen Abhandlungen von Bauern und Frohndiensten" (Quart) alles zusammengefaßt, was jenen Estor'schen Streit und seine juristischen Folgen betrifft; die größere Bekanntschaft mit den alten Rechtsquellen, die kaum einen Zweifel ließen, die Untersuchung localer Rechtsverhältnisse, die sich schon damals über Belgien und Holland ausbreitete (England und Frankreich blieben auch damals den gewöhnlichen deutschen Gelehrten unbekannte Länder) erzeugte ein besseres historisches Verständniß, dem zuletzt Sartorius in seiner "Geschichte des deutschen Bauernkrieges, oder der Empörung in Deutschland zu Anfang des 16. Jahrhunderts" (1795) eine allge- meine Gestalt gab; und so entstand die Ansicht, der Runde in seinen trefflichen, bis jetzt nur in der Breite, kaum in der Tiefe übertroffenen Grundsätzen des deutschen gemeinen Privatrechts (1795. 2. Aufl. §. 484) den damals wohl allgemein gültigen Ausdruck gab: "Der Unterschied zwischen freien und leibeigenen Bauern hat in Deutschland von den frühesten Zeiten an stattgefunden, wiewohl übrigens nicht zu läugnen ist, daß die Leibeigenschaft unter den deutschen Bauern in den älteren Zeiten viel gemeiner (allgemeiner!) und drückender war, als heut zu Tage, und daß auch in den meisten Provinzen (welches Reiches?) worin
obwohl ſich in derſelben jene beiden Grundanſchauungen dauernd er- hielten, ohne auf das praktiſche Recht weiteren Einfluß zu gewinnen. Wir glauben das Verhältniß am beſten zu bezeichnen, wenn wir zwei der bedeutendſten Namen, welche jene beiden Auffaſſungen vertreten, hier anführen. Fiſcher (in ſeinem Lehrbegriff ſämmtlicher Cameral- und Polizeirechte 1785) ſagte Bd. I. §. 1120: „Es wird über die Rechts- frage ſehr geſtritten, ob die heutigen Bauern von den alten Leibeigenen herkommen, oder nicht. Sie iſt allerdings zu bejahen. Denn ob zwar ſchon einige von alten Freigeborenen, von Bürgern und ſogar von Edelleuten herrühren, ſo machen doch dieſe in Betracht des ganzen Haufens eine ſehr unbeträchtliche Anzahl aus, die nur Aus- nahme von der Regel ſind.“ Das war der Standpunkt, den man als den der Mitte des vorigen Jahrhunderts ziemlich allgemein, wenn auch bald mit Betonung des einen, bald des andern Punktes, bezeichnen kann. Die Literatur iſt nicht unbedeutend. Grupen (Observationes p. 1005) und Selchow (De jure ingenuit. Cap. 1. §. 20) heben ſtärker die urſprüngliche Freiheit heraus; Benkendorf in ſeiner Oeco- nomia forensis P. V. 206 ff. und Weſtphal, teutſches Privatrecht Th. I. Abth. 31. S. 333 mehr die Unfreiheit; daß ſich Eſtor in ſeinen ſpäteren Werken (bürgerl. Rechtsgelehrſamkeit Thl. III. §. 358) daran an- ſchloß, war ganz natürlich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat dagegen die Rechtsgeſchichte bereits bedeutende Fortſchritte gemacht. Hauſchild ſelbſt hat noch 1771 in ſeinen „Juriſtiſchen Abhandlungen von Bauern und Frohndienſten“ (Quart) alles zuſammengefaßt, was jenen Eſtor’ſchen Streit und ſeine juriſtiſchen Folgen betrifft; die größere Bekanntſchaft mit den alten Rechtsquellen, die kaum einen Zweifel ließen, die Unterſuchung localer Rechtsverhältniſſe, die ſich ſchon damals über Belgien und Holland ausbreitete (England und Frankreich blieben auch damals den gewöhnlichen deutſchen Gelehrten unbekannte Länder) erzeugte ein beſſeres hiſtoriſches Verſtändniß, dem zuletzt Sartorius in ſeiner „Geſchichte des deutſchen Bauernkrieges, oder der Empörung in Deutſchland zu Anfang des 16. Jahrhunderts“ (1795) eine allge- meine Geſtalt gab; und ſo entſtand die Anſicht, der Runde in ſeinen trefflichen, bis jetzt nur in der Breite, kaum in der Tiefe übertroffenen Grundſätzen des deutſchen gemeinen Privatrechts (1795. 2. Aufl. §. 484) den damals wohl allgemein gültigen Ausdruck gab: „Der Unterſchied zwiſchen freien und leibeigenen Bauern hat in Deutſchland von den früheſten Zeiten an ſtattgefunden, wiewohl übrigens nicht zu läugnen iſt, daß die Leibeigenſchaft unter den deutſchen Bauern in den älteren Zeiten viel gemeiner (allgemeiner!) und drückender war, als heut zu Tage, und daß auch in den meiſten Provinzen (welches Reiches?) worin
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hielten, ohne auf das praktiſche Recht weiteren Einfluß zu gewinnen.
Wir glauben das Verhältniß am beſten zu bezeichnen, wenn wir zwei
der bedeutendſten Namen, welche jene beiden Auffaſſungen vertreten,
hier anführen. Fiſcher (in ſeinem Lehrbegriff ſämmtlicher Cameral-
und Polizeirechte 1785) ſagte Bd. I. §. 1120: „Es wird über die Rechts-
frage ſehr geſtritten, ob die heutigen Bauern von den alten Leibeigenen
herkommen, oder nicht. Sie iſt allerdings zu bejahen. Denn
ob zwar ſchon einige von alten Freigeborenen, von Bürgern und ſogar
von Edelleuten herrühren, ſo machen doch dieſe in Betracht des
ganzen Haufens eine ſehr unbeträchtliche Anzahl aus, die nur Aus-
nahme von der Regel ſind.“ Das war der Standpunkt, den man
als den der Mitte des vorigen Jahrhunderts ziemlich allgemein, wenn
auch bald mit Betonung des einen, bald des andern Punktes, bezeichnen
kann. Die Literatur iſt nicht unbedeutend. Grupen (Observationes
p. 1005) und Selchow (De jure ingenuit. Cap. 1. §. 20) heben
ſtärker die urſprüngliche Freiheit heraus; Benkendorf in ſeiner Oeco-
nomia forensis P. V. 206 ff. und Weſtphal, teutſches Privatrecht
Th. I. Abth. 31. S. 333 mehr die Unfreiheit; daß ſich Eſtor in ſeinen
ſpäteren Werken (bürgerl. Rechtsgelehrſamkeit Thl. III. §. 358) daran an-
ſchloß, war ganz natürlich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat
dagegen die Rechtsgeſchichte bereits bedeutende Fortſchritte gemacht.
Hauſchild ſelbſt hat noch 1771 in ſeinen „Juriſtiſchen Abhandlungen
von Bauern und Frohndienſten“ (Quart) alles zuſammengefaßt, was
jenen Eſtor’ſchen Streit und ſeine juriſtiſchen Folgen betrifft; die größere
Bekanntſchaft mit den alten Rechtsquellen, die kaum einen Zweifel
ließen, die Unterſuchung localer Rechtsverhältniſſe, die ſich ſchon damals
über Belgien und Holland ausbreitete (England und Frankreich blieben
auch damals den gewöhnlichen deutſchen Gelehrten unbekannte Länder)
erzeugte ein beſſeres hiſtoriſches Verſtändniß, dem zuletzt Sartorius
in ſeiner „Geſchichte des deutſchen Bauernkrieges, oder der Empörung
in Deutſchland zu Anfang des 16. Jahrhunderts“ (1795) eine allge-
meine Geſtalt gab; und ſo entſtand die Anſicht, der Runde in ſeinen
trefflichen, bis jetzt nur in der Breite, kaum in der Tiefe übertroffenen
Grundſätzen des deutſchen gemeinen Privatrechts (1795. 2. Aufl. §. 484)
den damals wohl allgemein gültigen Ausdruck gab: „Der Unterſchied
zwiſchen freien und leibeigenen Bauern hat in Deutſchland von den
früheſten Zeiten an ſtattgefunden, wiewohl übrigens nicht zu läugnen
iſt, daß die Leibeigenſchaft unter den deutſchen Bauern in den älteren
Zeiten viel gemeiner (allgemeiner!) und drückender war, als heut zu
Tage, und daß auch in den meiſten Provinzen (welches Reiches?) worin
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/178>, abgerufen am 28.11.2024.
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