Man wird sich nun die Sache nicht so denken, als hätte das Kö- nigthum sein dominium eminens ausdrücklich in diesem Bewußtsein seiner socialen Aufgabe gefordert. Die ganze Frage entsteht vielmehr von selbst; sie wird auch nicht so sehr durch die Theorie angeregt, als vielmehr von ihr wissenschaftlich formulirt. Die Literatur derselben ist nicht etwa die Frage selbst, sondern nur ihr Ausdruck, die Form, in der dieselbe mit Princip und Consequenz zum Bewußtsein kommt. Eben so wenig ist die deutsche Bewegung hier der englischen oder französischen gleichartig, oder in ihren Wirkungen gleichzeitig. Denn das König- thum, an welches sich dieselbe anschließt, ist in England und Frankreich ein doch anderes, als in Deutschland und daher erscheint auch die ganze Behandlung des Princips als eine wesentlich verschiedene in den drei Ländern. In England ist der König dem anerkannten Rechte des feodal system nach wirklicher Eigenthümer alles Grundes und Bodens bis zum St. 24. Ch. II. 12. Sein jus und dominium eminens war daher an sich gar nicht fraglich; nur war er, so weit nicht eben das feodal system ihm ganz bestimmte Rechte einräumte, an die Zu- stimmung des Parlaments gebunden (s. oben). In Frankreich war der König oberster Lehnsherr, ohne doch eigentlich, mit Ausschluß der Kronlehen, Obereigenthümer zu sein; zwar wird nun das Königthum seit dem Ende des 15. Jahrhunderts allgewaltig, aber in die droits seigneuriaux greift es nicht ein, da es überhaupt seit Ludwig XIII. die innere Entwicklung des Volkes über dem Glanz des verderbten, vom Adel beherrschten Hofes und über die Machtfragen der Monarchie vergißt. In Frankreich ist seit Richelieu die Frage nach der Herrschaft der Krone im öffentlichen Recht unbezweifelt für dieselbe entschieden, aber die Frage nach der Gewalt über das Privatrecht des Grundherrn eben so bestimmt gegen dieselbe verneint. Die großen Organe, welche dies Recht der Grundherrschaft vertraten, waren die Parlamente. Aller- dings strafte der König durch diese Parlamente die Ausschreitungen der Grundherren gegen die Unterthanen, wenn sie zu wirklichen Ver- brechen ausarteten, wie 1665 in den Grands Jours d'Auvergne und sonst (Sugenheim a. a. O. S. 142--162), aber die Rechte selbst ließ er unangetastet -- einer der gewaltigen Gründe, weßhalb die Revo- lution mit der Geschlechterherrschaft auch das Königthum vernichtete. Daher hatte Frankreich die Lehre vom dominum eminens des Königs für die Herrschaft der Krone nicht nöthig, und wollte sie nicht gebrauchen für die innere Verwaltung. Ganz anders dagegen war es in Deutsch- land. Hier war mit dem Kaiserthum die Staatsidee selber gebrochen, und an ihre Stelle die örtliche Souverainetät getreten, die zuletzt selber nur ein Privatrecht auf Selbstherrschaft der kleinen Reichsstände
Man wird ſich nun die Sache nicht ſo denken, als hätte das Kö- nigthum ſein dominium eminens ausdrücklich in dieſem Bewußtſein ſeiner ſocialen Aufgabe gefordert. Die ganze Frage entſteht vielmehr von ſelbſt; ſie wird auch nicht ſo ſehr durch die Theorie angeregt, als vielmehr von ihr wiſſenſchaftlich formulirt. Die Literatur derſelben iſt nicht etwa die Frage ſelbſt, ſondern nur ihr Ausdruck, die Form, in der dieſelbe mit Princip und Conſequenz zum Bewußtſein kommt. Eben ſo wenig iſt die deutſche Bewegung hier der engliſchen oder franzöſiſchen gleichartig, oder in ihren Wirkungen gleichzeitig. Denn das König- thum, an welches ſich dieſelbe anſchließt, iſt in England und Frankreich ein doch anderes, als in Deutſchland und daher erſcheint auch die ganze Behandlung des Princips als eine weſentlich verſchiedene in den drei Ländern. In England iſt der König dem anerkannten Rechte des feodal system nach wirklicher Eigenthümer alles Grundes und Bodens bis zum St. 24. Ch. II. 12. Sein jus und dominium eminens war daher an ſich gar nicht fraglich; nur war er, ſo weit nicht eben das feodal system ihm ganz beſtimmte Rechte einräumte, an die Zu- ſtimmung des Parlaments gebunden (ſ. oben). In Frankreich war der König oberſter Lehnsherr, ohne doch eigentlich, mit Ausſchluß der Kronlehen, Obereigenthümer zu ſein; zwar wird nun das Königthum ſeit dem Ende des 15. Jahrhunderts allgewaltig, aber in die droits seigneuriaux greift es nicht ein, da es überhaupt ſeit Ludwig XIII. die innere Entwicklung des Volkes über dem Glanz des verderbten, vom Adel beherrſchten Hofes und über die Machtfragen der Monarchie vergißt. In Frankreich iſt ſeit Richelieu die Frage nach der Herrſchaft der Krone im öffentlichen Recht unbezweifelt für dieſelbe entſchieden, aber die Frage nach der Gewalt über das Privatrecht des Grundherrn eben ſo beſtimmt gegen dieſelbe verneint. Die großen Organe, welche dies Recht der Grundherrſchaft vertraten, waren die Parlamente. Aller- dings ſtrafte der König durch dieſe Parlamente die Ausſchreitungen der Grundherren gegen die Unterthanen, wenn ſie zu wirklichen Ver- brechen ausarteten, wie 1665 in den Grands Jours d’Auvergne und ſonſt (Sugenheim a. a. O. S. 142—162), aber die Rechte ſelbſt ließ er unangetaſtet — einer der gewaltigen Gründe, weßhalb die Revo- lution mit der Geſchlechterherrſchaft auch das Königthum vernichtete. Daher hatte Frankreich die Lehre vom dominum eminens des Königs für die Herrſchaft der Krone nicht nöthig, und wollte ſie nicht gebrauchen für die innere Verwaltung. Ganz anders dagegen war es in Deutſch- land. Hier war mit dem Kaiſerthum die Staatsidee ſelber gebrochen, und an ihre Stelle die örtliche Souverainetät getreten, die zuletzt ſelber nur ein Privatrecht auf Selbſtherrſchaft der kleinen Reichsſtände
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Man wird ſich nun die Sache nicht ſo denken, als hätte das Kö-
nigthum ſein dominium eminens ausdrücklich in dieſem Bewußtſein
ſeiner ſocialen Aufgabe gefordert. Die ganze Frage entſteht vielmehr
von ſelbſt; ſie wird auch nicht ſo ſehr durch die Theorie angeregt, als
vielmehr von ihr wiſſenſchaftlich formulirt. Die Literatur derſelben
iſt nicht etwa die Frage ſelbſt, ſondern nur ihr Ausdruck, die Form,
in der dieſelbe mit Princip und Conſequenz zum Bewußtſein kommt.
Eben ſo wenig iſt die deutſche Bewegung hier der engliſchen oder franzöſiſchen
gleichartig, oder in ihren Wirkungen gleichzeitig. Denn das König-
thum, an welches ſich dieſelbe anſchließt, iſt in England und Frankreich
ein doch anderes, als in Deutſchland und daher erſcheint auch die
ganze Behandlung des Princips als eine weſentlich verſchiedene in den
drei Ländern. In England iſt der König dem anerkannten Rechte
des feodal system nach wirklicher Eigenthümer alles Grundes und
Bodens bis zum St. 24. Ch. II. 12. Sein jus und dominium eminens
war daher an ſich gar nicht fraglich; nur war er, ſo weit nicht eben
das feodal system ihm ganz beſtimmte Rechte einräumte, an die Zu-
ſtimmung des Parlaments gebunden (ſ. oben). In Frankreich war
der König oberſter Lehnsherr, ohne doch eigentlich, mit Ausſchluß der
Kronlehen, Obereigenthümer zu ſein; zwar wird nun das Königthum
ſeit dem Ende des 15. Jahrhunderts allgewaltig, aber in die droits
seigneuriaux greift es nicht ein, da es überhaupt ſeit Ludwig XIII.
die innere Entwicklung des Volkes über dem Glanz des verderbten,
vom Adel beherrſchten Hofes und über die Machtfragen der Monarchie
vergißt. In Frankreich iſt ſeit Richelieu die Frage nach der Herrſchaft
der Krone im öffentlichen Recht unbezweifelt für dieſelbe entſchieden,
aber die Frage nach der Gewalt über das Privatrecht des Grundherrn
eben ſo beſtimmt gegen dieſelbe verneint. Die großen Organe, welche
dies Recht der Grundherrſchaft vertraten, waren die Parlamente. Aller-
dings ſtrafte der König durch dieſe Parlamente die Ausſchreitungen
der Grundherren gegen die Unterthanen, wenn ſie zu wirklichen Ver-
brechen ausarteten, wie 1665 in den Grands Jours d’Auvergne und
ſonſt (Sugenheim a. a. O. S. 142—162), aber die Rechte ſelbſt ließ
er unangetaſtet — einer der gewaltigen Gründe, weßhalb die Revo-
lution mit der Geſchlechterherrſchaft auch das Königthum vernichtete.
Daher hatte Frankreich die Lehre vom dominum eminens des Königs
für die Herrſchaft der Krone nicht nöthig, und wollte ſie nicht gebrauchen
für die innere Verwaltung. Ganz anders dagegen war es in Deutſch-
land. Hier war mit dem Kaiſerthum die Staatsidee ſelber gebrochen,
und an ihre Stelle die örtliche Souverainetät getreten, die zuletzt
ſelber nur ein Privatrecht auf Selbſtherrſchaft der kleinen Reichsſtände
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/184>, abgerufen am 28.11.2024.
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