und so entsteht die Beseitigung der Reallasten. Beide Gedanken sind daher die einfachen, aber nothwendigen Consequenzen des Verschwindens der Geschlechterordnung; in ihnen vollzieht sich dieselbe. Aber das Organ, durch welches sie sich vollzieht, ist der Staat. Der Staat aber und seine Gewalt sind noch in den Händen der Geschlechter. Jetzt ent- steht eine wunderbare Erscheinung, wunderbar, obgleich sie sich so oft wiederholt. Der Staat selbst entwickelt ein Doppelleben. Die höhere, reine Staatsidee tritt auf in den Gesetzen. Die Gesetze wollen und befehlen die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Ablösung der Grundlasten. Allein die herrschenden Elemente der Gesellschaft be- sitzen und dirigiren die vollziehende Gewalt, theils in den Aemtern, theils in der Erbgerichtsbarkeit. Diese nun sind zwar unvermögend, das Gesetz zu beseitigen; aber sie vermögen seine Verwirklichung zu hindern. So stockt alles, weil das, was die Deutschen ihre Verfassung nannten, nur die Ordnung der gesetzgebenden und nicht die der voll- ziehenden Gewalt ist. Dennoch arbeitet die große Idee der staats- bürgerlichen Gesellschaft weiter; auch jenes Hemmniß in der Vollziehung wird untergraben, zerbröckelt, überwunden. Die Geschlechter, die Grund- herren vom mediatisirten Reichsstand bis zum kleinsten Gutsherrn er- kennen daher die Gefahr. Das Gemeingefühl ihrer gesellschaftlichen Stellung wird ihnen lebendig. Sie erheben sich zum Kampfe gegen ihren gefährlichsten Feind. Der ist nicht in den Städten, nicht in der Wissenschaft, nicht in der Presse. Er ist in der Forderung des Bauernstandes nach Gleichheit der socialen Stellung. Was sind sie, die Herren, wenn sie keine Dienste, keine Hörigen, keine Reallasten, keine Patrimonialgerichtsbarkeit haben? Sie sind nichts als Groß- grundbesitzer. Der qualitative, der gesellschaftliche Unterschied ist hin, der quantitative, der wirthschaftliche bleibt allein. Ist nun Reich- thum Herrschaft? So wenig wie Brod Wein ist. Daher gilt es das Aeußerste. Seit 1815 folgen sich die nachdrücklichsten Versuche des Adels, seine "geheiligten" Rechte durch das Königthum zu bewahren. Allein das ist nun umsonst. Auch dießmal ist die Zeit mächtiger als die, welche in ihr leben. Die Gesetze, welche die Leibeigenschaft auf- heben und die Ablösbarkeit einführen, treten mit elementarer Gewalt auf. Da geschieht ein Anderes. Die herrschende Klasse muß das Princip der Gleichheit annehmen. Allein sie nimmt es an, indem sie die gesellschaftliche Frage nach der Geschlechterherrschaft in die privat- rechtliche des Eigenthums hinüber trägt. Ist einmal das Recht des Herrn kein Geschlechterrecht mehr, nun gut, so ist es ein Privatrecht, und Privatrechte sind nur unter Zustimmung der Betheiligten zu ändern. So wird zwar die Ablösung ausgesprochen, aber auf die
und ſo entſteht die Beſeitigung der Reallaſten. Beide Gedanken ſind daher die einfachen, aber nothwendigen Conſequenzen des Verſchwindens der Geſchlechterordnung; in ihnen vollzieht ſich dieſelbe. Aber das Organ, durch welches ſie ſich vollzieht, iſt der Staat. Der Staat aber und ſeine Gewalt ſind noch in den Händen der Geſchlechter. Jetzt ent- ſteht eine wunderbare Erſcheinung, wunderbar, obgleich ſie ſich ſo oft wiederholt. Der Staat ſelbſt entwickelt ein Doppelleben. Die höhere, reine Staatsidee tritt auf in den Geſetzen. Die Geſetze wollen und befehlen die Aufhebung der Leibeigenſchaft, die Ablöſung der Grundlaſten. Allein die herrſchenden Elemente der Geſellſchaft be- ſitzen und dirigiren die vollziehende Gewalt, theils in den Aemtern, theils in der Erbgerichtsbarkeit. Dieſe nun ſind zwar unvermögend, das Geſetz zu beſeitigen; aber ſie vermögen ſeine Verwirklichung zu hindern. So ſtockt alles, weil das, was die Deutſchen ihre Verfaſſung nannten, nur die Ordnung der geſetzgebenden und nicht die der voll- ziehenden Gewalt iſt. Dennoch arbeitet die große Idee der ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft weiter; auch jenes Hemmniß in der Vollziehung wird untergraben, zerbröckelt, überwunden. Die Geſchlechter, die Grund- herren vom mediatiſirten Reichsſtand bis zum kleinſten Gutsherrn er- kennen daher die Gefahr. Das Gemeingefühl ihrer geſellſchaftlichen Stellung wird ihnen lebendig. Sie erheben ſich zum Kampfe gegen ihren gefährlichſten Feind. Der iſt nicht in den Städten, nicht in der Wiſſenſchaft, nicht in der Preſſe. Er iſt in der Forderung des Bauernſtandes nach Gleichheit der ſocialen Stellung. Was ſind ſie, die Herren, wenn ſie keine Dienſte, keine Hörigen, keine Reallaſten, keine Patrimonialgerichtsbarkeit haben? Sie ſind nichts als Groß- grundbeſitzer. Der qualitative, der geſellſchaftliche Unterſchied iſt hin, der quantitative, der wirthſchaftliche bleibt allein. Iſt nun Reich- thum Herrſchaft? So wenig wie Brod Wein iſt. Daher gilt es das Aeußerſte. Seit 1815 folgen ſich die nachdrücklichſten Verſuche des Adels, ſeine „geheiligten“ Rechte durch das Königthum zu bewahren. Allein das iſt nun umſonſt. Auch dießmal iſt die Zeit mächtiger als die, welche in ihr leben. Die Geſetze, welche die Leibeigenſchaft auf- heben und die Ablösbarkeit einführen, treten mit elementarer Gewalt auf. Da geſchieht ein Anderes. Die herrſchende Klaſſe muß das Princip der Gleichheit annehmen. Allein ſie nimmt es an, indem ſie die geſellſchaftliche Frage nach der Geſchlechterherrſchaft in die privat- rechtliche des Eigenthums hinüber trägt. Iſt einmal das Recht des Herrn kein Geſchlechterrecht mehr, nun gut, ſo iſt es ein Privatrecht, und Privatrechte ſind nur unter Zuſtimmung der Betheiligten zu ändern. So wird zwar die Ablöſung ausgeſprochen, aber auf die
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daher die einfachen, aber nothwendigen Conſequenzen des Verſchwindens
der Geſchlechterordnung; in ihnen vollzieht ſich dieſelbe. Aber das
Organ, durch welches ſie ſich vollzieht, iſt der Staat. Der Staat aber
und ſeine Gewalt ſind noch in den Händen der Geſchlechter. Jetzt ent-
ſteht eine wunderbare Erſcheinung, wunderbar, obgleich ſie ſich ſo oft
wiederholt. Der Staat ſelbſt entwickelt ein Doppelleben.
Die höhere, reine Staatsidee tritt auf in den Geſetzen. Die Geſetze
wollen und befehlen die Aufhebung der Leibeigenſchaft, die Ablöſung
der Grundlaſten. Allein die herrſchenden Elemente der Geſellſchaft be-
ſitzen und dirigiren die vollziehende Gewalt, theils in den Aemtern,
theils in der Erbgerichtsbarkeit. Dieſe nun ſind zwar unvermögend,
das Geſetz zu beſeitigen; aber ſie vermögen ſeine Verwirklichung zu
hindern. So ſtockt alles, weil das, was die Deutſchen ihre Verfaſſung
nannten, nur die Ordnung der geſetzgebenden und nicht die der voll-
ziehenden Gewalt iſt. Dennoch arbeitet die große Idee der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft weiter; auch jenes Hemmniß in der Vollziehung
wird untergraben, zerbröckelt, überwunden. Die Geſchlechter, die Grund-
herren vom mediatiſirten Reichsſtand bis zum kleinſten Gutsherrn er-
kennen daher die Gefahr. Das Gemeingefühl ihrer geſellſchaftlichen
Stellung wird ihnen lebendig. Sie erheben ſich zum Kampfe gegen
ihren gefährlichſten Feind. Der iſt nicht in den Städten, nicht in
der Wiſſenſchaft, nicht in der Preſſe. Er iſt in der Forderung des
Bauernſtandes nach Gleichheit der ſocialen Stellung. Was ſind ſie,
die Herren, wenn ſie keine Dienſte, keine Hörigen, keine Reallaſten,
keine Patrimonialgerichtsbarkeit haben? Sie ſind nichts als Groß-
grundbeſitzer. Der qualitative, der geſellſchaftliche Unterſchied iſt
hin, der quantitative, der wirthſchaftliche bleibt allein. Iſt nun Reich-
thum Herrſchaft? So wenig wie Brod Wein iſt. Daher gilt es das
Aeußerſte. Seit 1815 folgen ſich die nachdrücklichſten Verſuche des
Adels, ſeine „geheiligten“ Rechte durch das Königthum zu bewahren.
Allein das iſt nun umſonſt. Auch dießmal iſt die Zeit mächtiger als
die, welche in ihr leben. Die Geſetze, welche die Leibeigenſchaft auf-
heben und die Ablösbarkeit einführen, treten mit elementarer Gewalt
auf. Da geſchieht ein Anderes. Die herrſchende Klaſſe muß das
Princip der Gleichheit annehmen. Allein ſie nimmt es an, indem ſie
die geſellſchaftliche Frage nach der Geſchlechterherrſchaft in die privat-
rechtliche des Eigenthums hinüber trägt. Iſt einmal das Recht des
Herrn kein Geſchlechterrecht mehr, nun gut, ſo iſt es ein Privatrecht,
und Privatrechte ſind nur unter Zuſtimmung der Betheiligten
zu ändern. So wird zwar die Ablöſung ausgeſprochen, aber auf die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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