schädigung für alle Rechte, auch für die aus der Leibeigenschaft hervor- gehenden auf, so daß erst seit 1848 der Grundsatz feststand, die letz- teren von der Entschädigung auszuschließen. Die Frage selbst ist dann von Lassalle in seiner "Theorie der erworbenen Rechte" im §. 7 weit- läuftig, speciell die Entschädigungsfrage S. 225 wieder aufgenommen, ohne daß ihm der Unterschied der Entwährung von der Aenderung der Rechte klar geworden wäre (s. oben). In der That aber ist die Sache sehr einfach. Ein "wohlerworbenes" Recht ist offenbar nur ein solches, welches als Recht des Einzelnen gegenüber dem Einzelnen überhaupt hat erworben werden können. Um das zu können, müssen beide Parteien der rechtlichen Selbstbestimmung fähig sein; darüber ist wohl kein Zweifel möglich. Nun aber war eben der Leibeigene zu keinem Rechts- geschäfte fähig, und der Herr konnte also gar kein Recht gegen ihn er- werben; die Lasten, die er ihm auferlegte, waren für den Leibeigenen eine vis major, und von dem Erwerb eines Rechtes auf dieselben konnte an und für sich keine Rede sein. Eben so wenig konnte eine erwer- bende Verjährung stattfinden, da der Begriff der Verjährung zwei Rechtssubjekte voraussetzt, während hier nur eins -- der Herr -- vor- handen war. Auch die Urtheile der Gerichte konnten aus einem Ver- hältniß, welches an und für sich selbst formell, abgesehen von dem ethischen Widerspruch mit dem Begriffe der Persönlichkeit, kein Rechts-, sondern ein Gewaltsverhältniß war, niemals ein Recht schaffen. Der Begriff der Leibeigenschaft schloß daher den Begriff des Rechts auf alles dasjenige aus, was aus der Leibeigenschaft entfloß; die Einnahmen der Grundherren aus diesem Titel waren daher Thatsachen, aber keine Rechte. Und es wäre daher an und für sich falsch gewesen, eine Entschädigung zu fordern, wo ein Recht auf das zu Beseitigende nie- mals entstehen konnte. Wunderlich, wie Lassalle diese einfachen Sätze nicht gesehen hat; noch wunderlicher, daß wir sie gegen die oben er- wähnten Ansichten noch jetzt vertheidigen müssen! Die Gesetzgebungen nach 1848 haben ihrerseits niemals über die Sache Zweifel gehabt; sie haben unbedingt unter definitiver Aufhebung aller Unterthänigkeit auch alle aus der Leibeigenschaft und dem Unterthansverhältniß ent- springenden Lasten einstimmig ohne Entschädigung aufgehoben.
Allerdings entstand aber dabei eine zweite, im Einzelnen gar nicht mehr zu lösende Frage. Das war die Frage über die Gränze der- jenigen Rechte oder vielmehr Lasten, welche nur als aus der alten Leibeigenschaft, bez. Unterthänigkeit auch wirklich entsprungen seien. Und hier nun zeigte sich, wie die bisherige Zeit eigentlich gearbeitet hatte. Der langsame Proceß der Befreiung hatte faktisch damit geendet, daß er alle alten, meist so scharf zwischen den verschiedenen Klassen
ſchädigung für alle Rechte, auch für die aus der Leibeigenſchaft hervor- gehenden auf, ſo daß erſt ſeit 1848 der Grundſatz feſtſtand, die letz- teren von der Entſchädigung auszuſchließen. Die Frage ſelbſt iſt dann von Laſſalle in ſeiner „Theorie der erworbenen Rechte“ im §. 7 weit- läuftig, ſpeciell die Entſchädigungsfrage S. 225 wieder aufgenommen, ohne daß ihm der Unterſchied der Entwährung von der Aenderung der Rechte klar geworden wäre (ſ. oben). In der That aber iſt die Sache ſehr einfach. Ein „wohlerworbenes“ Recht iſt offenbar nur ein ſolches, welches als Recht des Einzelnen gegenüber dem Einzelnen überhaupt hat erworben werden können. Um das zu können, müſſen beide Parteien der rechtlichen Selbſtbeſtimmung fähig ſein; darüber iſt wohl kein Zweifel möglich. Nun aber war eben der Leibeigene zu keinem Rechts- geſchäfte fähig, und der Herr konnte alſo gar kein Recht gegen ihn er- werben; die Laſten, die er ihm auferlegte, waren für den Leibeigenen eine vis major, und von dem Erwerb eines Rechtes auf dieſelben konnte an und für ſich keine Rede ſein. Eben ſo wenig konnte eine erwer- bende Verjährung ſtattfinden, da der Begriff der Verjährung zwei Rechtsſubjekte vorausſetzt, während hier nur eins — der Herr — vor- handen war. Auch die Urtheile der Gerichte konnten aus einem Ver- hältniß, welches an und für ſich ſelbſt formell, abgeſehen von dem ethiſchen Widerſpruch mit dem Begriffe der Perſönlichkeit, kein Rechts-, ſondern ein Gewaltsverhältniß war, niemals ein Recht ſchaffen. Der Begriff der Leibeigenſchaft ſchloß daher den Begriff des Rechts auf alles dasjenige aus, was aus der Leibeigenſchaft entfloß; die Einnahmen der Grundherren aus dieſem Titel waren daher Thatſachen, aber keine Rechte. Und es wäre daher an und für ſich falſch geweſen, eine Entſchädigung zu fordern, wo ein Recht auf das zu Beſeitigende nie- mals entſtehen konnte. Wunderlich, wie Laſſalle dieſe einfachen Sätze nicht geſehen hat; noch wunderlicher, daß wir ſie gegen die oben er- wähnten Anſichten noch jetzt vertheidigen müſſen! Die Geſetzgebungen nach 1848 haben ihrerſeits niemals über die Sache Zweifel gehabt; ſie haben unbedingt unter definitiver Aufhebung aller Unterthänigkeit auch alle aus der Leibeigenſchaft und dem Unterthansverhältniß ent- ſpringenden Laſten einſtimmig ohne Entſchädigung aufgehoben.
Allerdings entſtand aber dabei eine zweite, im Einzelnen gar nicht mehr zu löſende Frage. Das war die Frage über die Gränze der- jenigen Rechte oder vielmehr Laſten, welche nur als aus der alten Leibeigenſchaft, bez. Unterthänigkeit auch wirklich entſprungen ſeien. Und hier nun zeigte ſich, wie die bisherige Zeit eigentlich gearbeitet hatte. Der langſame Proceß der Befreiung hatte faktiſch damit geendet, daß er alle alten, meiſt ſo ſcharf zwiſchen den verſchiedenen Klaſſen
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[222/0240]
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teren von der Entſchädigung auszuſchließen. Die Frage ſelbſt iſt dann
von Laſſalle in ſeiner „Theorie der erworbenen Rechte“ im §. 7 weit-
läuftig, ſpeciell die Entſchädigungsfrage S. 225 wieder aufgenommen,
ohne daß ihm der Unterſchied der Entwährung von der Aenderung der
Rechte klar geworden wäre (ſ. oben). In der That aber iſt die Sache
ſehr einfach. Ein „wohlerworbenes“ Recht iſt offenbar nur ein ſolches,
welches als Recht des Einzelnen gegenüber dem Einzelnen überhaupt
hat erworben werden können. Um das zu können, müſſen beide
Parteien der rechtlichen Selbſtbeſtimmung fähig ſein; darüber iſt wohl
kein Zweifel möglich. Nun aber war eben der Leibeigene zu keinem Rechts-
geſchäfte fähig, und der Herr konnte alſo gar kein Recht gegen ihn er-
werben; die Laſten, die er ihm auferlegte, waren für den Leibeigenen
eine vis major, und von dem Erwerb eines Rechtes auf dieſelben konnte
an und für ſich keine Rede ſein. Eben ſo wenig konnte eine erwer-
bende Verjährung ſtattfinden, da der Begriff der Verjährung zwei
Rechtsſubjekte vorausſetzt, während hier nur eins — der Herr — vor-
handen war. Auch die Urtheile der Gerichte konnten aus einem Ver-
hältniß, welches an und für ſich ſelbſt formell, abgeſehen von dem
ethiſchen Widerſpruch mit dem Begriffe der Perſönlichkeit, kein Rechts-,
ſondern ein Gewaltsverhältniß war, niemals ein Recht ſchaffen. Der
Begriff der Leibeigenſchaft ſchloß daher den Begriff des Rechts auf alles
dasjenige aus, was aus der Leibeigenſchaft entfloß; die Einnahmen der
Grundherren aus dieſem Titel waren daher Thatſachen, aber keine
Rechte. Und es wäre daher an und für ſich falſch geweſen, eine
Entſchädigung zu fordern, wo ein Recht auf das zu Beſeitigende nie-
mals entſtehen konnte. Wunderlich, wie Laſſalle dieſe einfachen Sätze
nicht geſehen hat; noch wunderlicher, daß wir ſie gegen die oben er-
wähnten Anſichten noch jetzt vertheidigen müſſen! Die Geſetzgebungen
nach 1848 haben ihrerſeits niemals über die Sache Zweifel gehabt; ſie
haben unbedingt unter definitiver Aufhebung aller Unterthänigkeit
auch alle aus der Leibeigenſchaft und dem Unterthansverhältniß ent-
ſpringenden Laſten einſtimmig ohne Entſchädigung aufgehoben.
Allerdings entſtand aber dabei eine zweite, im Einzelnen gar nicht
mehr zu löſende Frage. Das war die Frage über die Gränze der-
jenigen Rechte oder vielmehr Laſten, welche nur als aus der alten
Leibeigenſchaft, bez. Unterthänigkeit auch wirklich entſprungen ſeien.
Und hier nun zeigte ſich, wie die bisherige Zeit eigentlich gearbeitet
hatte. Der langſame Proceß der Befreiung hatte faktiſch damit geendet,
daß er alle alten, meiſt ſo ſcharf zwiſchen den verſchiedenen Klaſſen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/240>, abgerufen am 24.11.2024.
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