Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.In ganz entsprechender Weise schloß sich daran der dritte Grund- So einfach und natürlich nun auch dieser Satz dasteht, so hatte Auch diese letzte und höchste Consequenz der Grundentlastung ist In ganz entſprechender Weiſe ſchloß ſich daran der dritte Grund- So einfach und natürlich nun auch dieſer Satz daſteht, ſo hatte Auch dieſe letzte und höchſte Conſequenz der Grundentlaſtung iſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0242" n="224"/> <p>In ganz entſprechender Weiſe ſchloß ſich daran der <hi rendition="#g">dritte</hi> Grund-<lb/> ſatz, daß bei aller Grundentlaſtung auch die Verpflichtungen der Grund-<lb/> herren gegen die früheren Unterthanen wegfallen, und zwar natürlich<lb/> in der Weiſe, daß bei unentgeltlicher Aufhebung der Reallaſten jene<lb/> Verpflichtungen auch unentgeltlich wegfallen, bei Entſchädigungen da-<lb/> gegen ihre Werthe von der Entſchädigungsſumme abgerechnet werden.</p><lb/> <p>So einfach und natürlich nun auch dieſer Satz daſteht, ſo hatte<lb/> er dennoch die größte Tragweite von allen. Denn in der That hatten<lb/> dieſe Verpflichtungen des Grundherren nicht etwa einfache Verpflich-<lb/> tungen deſſelben bedeutet, ſondern vielmehr die <hi rendition="#g">Stelle der Selbſt-<lb/> verwaltung der Gemeinde vertreten</hi>. Der Gutsherr war<lb/> gerade durch jene Verpflichtungen die Seele und der Schutzherr der<lb/> Gemeinde geweſen. Sie waren es, auf die ſich die Gemeinde berief,<lb/> wenn die Ortsangelegenheiten, Schule, Wege, Polizei u. a. ſchlecht<lb/> beſtellt waren; ſie waren es, auf die ſich der Einzelne verließ, wenn<lb/> er in Noth kam; ſie waren der örtlich thätige und helfende Staat ge-<lb/> weſen; durch ſie hatte der Landmann gelernt, ſich um ſeine eigenſten<lb/> Angelegenheiten nicht mehr zu kümmern. Indem man ſie daher be-<lb/> ſeitigte, ſchuf man in der That eine Leere, die im Grunde aber die<lb/> wichtigſten Pflichten der Gemeinde enthielt, ohne einen Verpflichteten<lb/> an die Stelle des Herrn zu ſetzen. Dieſe Lücke mußte ausgefüllt wer-<lb/> den, und ſo entſtand der Schlußakt des großen welthiſtoriſchen Dramas<lb/> der Befreiung von der Geſchlechterherrſchaft, <hi rendition="#g">der Uebergang der<lb/> alten jetzt in haltslos gewordenen Patrimonialjurisdiktion<lb/> in die neuen Gemeindeverfaſſungen</hi>. Erſt damit iſt die Ent-<lb/> laſtung aus ihrem rein negativen Stadium in ihr poſitives hinüber-<lb/> getreten, und jetzt können wir ſagen, daß die <hi rendition="#g">Vollendung der<lb/> Grundentlaſtung</hi> erſt mit der <hi rendition="#g">Herſtellung der Selbſtverwal-<lb/> tung</hi> auf dem Lande gegeben iſt.</p><lb/> <p>Auch dieſe letzte und höchſte Conſequenz der Grundentlaſtung iſt<lb/> nun nicht plötzlich entſtanden, ſondern eigentlich erſt ſtückweiſe den<lb/> Staaten und ihren Verwaltungen zum Bewußtſein gekommen. Es iſt<lb/> die <hi rendition="#g">Geſchichte der Gemeindeordnungen</hi>, welche hier — meiſt<lb/> ohne daß man die innere Verbindung zum klaren Bewußtſein brachte<lb/> — die Fortſetzung der Geſchichte der Entlaſtung bildet. <hi rendition="#g">Daher</hi> denn<lb/> die ſo hoch beachtenswerthe und doch ſo wenig beachtete Erſcheinung,<lb/> daß faſt alle deutſchen Staaten in dieſem Jahrhundert <hi rendition="#g">zweimal</hi> eine<lb/> Gemeindegeſetzgebung durchgemacht haben; die erſte <hi rendition="#g">vor</hi> 1848, un-<lb/> lebensfähig wie die unfertige Entlaſtung vor dieſer Zeit, die zweite<lb/> nach 1848, als erſte Verſuche der örtlichen Selbſtverwaltung. Ohne<lb/> hier darauf näher einzugehen, verſtatten wir uns als Baſis weiterer<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [224/0242]
In ganz entſprechender Weiſe ſchloß ſich daran der dritte Grund-
ſatz, daß bei aller Grundentlaſtung auch die Verpflichtungen der Grund-
herren gegen die früheren Unterthanen wegfallen, und zwar natürlich
in der Weiſe, daß bei unentgeltlicher Aufhebung der Reallaſten jene
Verpflichtungen auch unentgeltlich wegfallen, bei Entſchädigungen da-
gegen ihre Werthe von der Entſchädigungsſumme abgerechnet werden.
So einfach und natürlich nun auch dieſer Satz daſteht, ſo hatte
er dennoch die größte Tragweite von allen. Denn in der That hatten
dieſe Verpflichtungen des Grundherren nicht etwa einfache Verpflich-
tungen deſſelben bedeutet, ſondern vielmehr die Stelle der Selbſt-
verwaltung der Gemeinde vertreten. Der Gutsherr war
gerade durch jene Verpflichtungen die Seele und der Schutzherr der
Gemeinde geweſen. Sie waren es, auf die ſich die Gemeinde berief,
wenn die Ortsangelegenheiten, Schule, Wege, Polizei u. a. ſchlecht
beſtellt waren; ſie waren es, auf die ſich der Einzelne verließ, wenn
er in Noth kam; ſie waren der örtlich thätige und helfende Staat ge-
weſen; durch ſie hatte der Landmann gelernt, ſich um ſeine eigenſten
Angelegenheiten nicht mehr zu kümmern. Indem man ſie daher be-
ſeitigte, ſchuf man in der That eine Leere, die im Grunde aber die
wichtigſten Pflichten der Gemeinde enthielt, ohne einen Verpflichteten
an die Stelle des Herrn zu ſetzen. Dieſe Lücke mußte ausgefüllt wer-
den, und ſo entſtand der Schlußakt des großen welthiſtoriſchen Dramas
der Befreiung von der Geſchlechterherrſchaft, der Uebergang der
alten jetzt in haltslos gewordenen Patrimonialjurisdiktion
in die neuen Gemeindeverfaſſungen. Erſt damit iſt die Ent-
laſtung aus ihrem rein negativen Stadium in ihr poſitives hinüber-
getreten, und jetzt können wir ſagen, daß die Vollendung der
Grundentlaſtung erſt mit der Herſtellung der Selbſtverwal-
tung auf dem Lande gegeben iſt.
Auch dieſe letzte und höchſte Conſequenz der Grundentlaſtung iſt
nun nicht plötzlich entſtanden, ſondern eigentlich erſt ſtückweiſe den
Staaten und ihren Verwaltungen zum Bewußtſein gekommen. Es iſt
die Geſchichte der Gemeindeordnungen, welche hier — meiſt
ohne daß man die innere Verbindung zum klaren Bewußtſein brachte
— die Fortſetzung der Geſchichte der Entlaſtung bildet. Daher denn
die ſo hoch beachtenswerthe und doch ſo wenig beachtete Erſcheinung,
daß faſt alle deutſchen Staaten in dieſem Jahrhundert zweimal eine
Gemeindegeſetzgebung durchgemacht haben; die erſte vor 1848, un-
lebensfähig wie die unfertige Entlaſtung vor dieſer Zeit, die zweite
nach 1848, als erſte Verſuche der örtlichen Selbſtverwaltung. Ohne
hier darauf näher einzugehen, verſtatten wir uns als Baſis weiterer
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