nur die ihrer Gränze; die Vertheidigung dieser Rechte war nicht eine Vertheidigung von wirthschaftlichen, sondern von viel größeren socialen Interessen. Die römisch-rechtlichen Grundsätze über servitutes waren daher hier principiell gar nicht anwendbar, so wenig wie bei den Grund- lasten; denn der Römer verstand weder die Unfreiheit des Besitzes noch die des Erwerbes. Und daher war es auch undenkbar, diese Dienstbar- keiten und Bannrechte einfach den Parteien zur Beseitigung im Wege der freien Vereinbarung zu überweisen, wie das römische Recht es hätte thun müssen. Es war gleich anfangs vollkommen klar, daß sie als Ausflüsse der beiden gesellschaftlichen Ordnungen mit diesen selbst stehen oder fallen mußten. So wie daher die staatsbürgerliche Gesellschafts- ordnung beginnt, beginnt auch der Kampf gegen dieselben; aber gleich- zeitig ist es, und zwar von Anfang an klar, daß dieser Kampf nur durch Staatsgesetze zu Ende geführt werden kann. Die Aufhebung jener Rechtsverhältnisse tritt daher nothwendig erst mit dem durch die königliche Gewalt gegebenen Siege der neuen freien Geschlechterordnung ein, geht mit ihr Schritt für Schritt vorwärts, und während sie in England schon im 13. und 14. Jahrhundert ziemlich allgemein gesichert ist, ist sie in Frankreich und Deutschland von Anfang an ein integri- render Theil der Befreiung des Grundbesitzes überhaupt, also ein Theil der Entlastung. Daher hat man beide mit einander so oft zusammen- geworfen, und in der That sind sie in ihrer Selbständigkeit untrennbar, namentlich wenn man die Ablösung auf die Dienstbarkeiten der Ge- schlechterordnung begränzt, und wenn man eine scharfe äußere Gränze statt der inneren für Entlastung und Ablösung fordert, die unfindbar ist, weil sie nach der Natur der Geschlechter und ständischen Unfreiheit gar nicht existiren kann. In jedem Falle aber scheint nun das klar, daß eine Verschmelzung des Begriffes und Wesens dieser Rechtsverhält- nisse mit dem römischen Recht und seinen servitutes nicht möglich ist. Die germanisch rechtlichen Dienstbarkeiten haben sehr oft einen ähn- lichen materiellen Inhalt wie die römischen, wenn auch nicht immer; stets aber haben sie einen ganz andern Ursprung und eine ganz andere Natur, denn sie sind entweder die Dienstbarkeiten der Geschlechter- ordnung, das ist die eigentlichen Herrenrechte (eigentliche Dienst- barkeiten), oder die Dienstbarkeiten, die aus der ständischen Ordnung in die Geschlechterordnung übergehen, die Bannrechte, oder endlich die rein ständischen Dienstbarkeiten, die Realgewerbe. Alle diese Dienstbarkeiten stehen mit dem Begriff und Recht der freien staats- bürgerlichen Persönlichkeit und ihrem freien Eigenthum im Widerspruch, haben aber als gesellschaftliches Recht den Charakter einer öffent- lichen Rechtsordnung und werden daher erst durch Gesetze beseitigt, die
Stein, die Verwaltungslehre. VII. 16
nur die ihrer Gränze; die Vertheidigung dieſer Rechte war nicht eine Vertheidigung von wirthſchaftlichen, ſondern von viel größeren ſocialen Intereſſen. Die römiſch-rechtlichen Grundſätze über servitutes waren daher hier principiell gar nicht anwendbar, ſo wenig wie bei den Grund- laſten; denn der Römer verſtand weder die Unfreiheit des Beſitzes noch die des Erwerbes. Und daher war es auch undenkbar, dieſe Dienſtbar- keiten und Bannrechte einfach den Parteien zur Beſeitigung im Wege der freien Vereinbarung zu überweiſen, wie das römiſche Recht es hätte thun müſſen. Es war gleich anfangs vollkommen klar, daß ſie als Ausflüſſe der beiden geſellſchaftlichen Ordnungen mit dieſen ſelbſt ſtehen oder fallen mußten. So wie daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchafts- ordnung beginnt, beginnt auch der Kampf gegen dieſelben; aber gleich- zeitig iſt es, und zwar von Anfang an klar, daß dieſer Kampf nur durch Staatsgeſetze zu Ende geführt werden kann. Die Aufhebung jener Rechtsverhältniſſe tritt daher nothwendig erſt mit dem durch die königliche Gewalt gegebenen Siege der neuen freien Geſchlechterordnung ein, geht mit ihr Schritt für Schritt vorwärts, und während ſie in England ſchon im 13. und 14. Jahrhundert ziemlich allgemein geſichert iſt, iſt ſie in Frankreich und Deutſchland von Anfang an ein integri- render Theil der Befreiung des Grundbeſitzes überhaupt, alſo ein Theil der Entlaſtung. Daher hat man beide mit einander ſo oft zuſammen- geworfen, und in der That ſind ſie in ihrer Selbſtändigkeit untrennbar, namentlich wenn man die Ablöſung auf die Dienſtbarkeiten der Ge- ſchlechterordnung begränzt, und wenn man eine ſcharfe äußere Gränze ſtatt der inneren für Entlaſtung und Ablöſung fordert, die unfindbar iſt, weil ſie nach der Natur der Geſchlechter und ſtändiſchen Unfreiheit gar nicht exiſtiren kann. In jedem Falle aber ſcheint nun das klar, daß eine Verſchmelzung des Begriffes und Weſens dieſer Rechtsverhält- niſſe mit dem römiſchen Recht und ſeinen servitutes nicht möglich iſt. Die germaniſch rechtlichen Dienſtbarkeiten haben ſehr oft einen ähn- lichen materiellen Inhalt wie die römiſchen, wenn auch nicht immer; ſtets aber haben ſie einen ganz andern Urſprung und eine ganz andere Natur, denn ſie ſind entweder die Dienſtbarkeiten der Geſchlechter- ordnung, das iſt die eigentlichen Herrenrechte (eigentliche Dienſt- barkeiten), oder die Dienſtbarkeiten, die aus der ſtändiſchen Ordnung in die Geſchlechterordnung übergehen, die Bannrechte, oder endlich die rein ſtändiſchen Dienſtbarkeiten, die Realgewerbe. Alle dieſe Dienſtbarkeiten ſtehen mit dem Begriff und Recht der freien ſtaats- bürgerlichen Perſönlichkeit und ihrem freien Eigenthum im Widerſpruch, haben aber als geſellſchaftliches Recht den Charakter einer öffent- lichen Rechtsordnung und werden daher erſt durch Geſetze beſeitigt, die
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nur die ihrer Gränze; die Vertheidigung dieſer Rechte war nicht eine
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Intereſſen. Die römiſch-rechtlichen Grundſätze über servitutes waren
daher hier principiell gar nicht anwendbar, ſo wenig wie bei den Grund-
laſten; denn der Römer verſtand weder die Unfreiheit des Beſitzes noch
die des Erwerbes. Und daher war es auch undenkbar, dieſe Dienſtbar-
keiten und Bannrechte einfach den Parteien zur Beſeitigung im Wege
der freien Vereinbarung zu überweiſen, wie das römiſche Recht es hätte
thun müſſen. Es war gleich anfangs vollkommen klar, daß ſie als
Ausflüſſe der beiden geſellſchaftlichen Ordnungen mit dieſen ſelbſt ſtehen
oder fallen mußten. So wie daher die ſtaatsbürgerliche Geſellſchafts-
ordnung beginnt, beginnt auch der Kampf gegen dieſelben; aber gleich-
zeitig iſt es, und zwar von Anfang an klar, daß dieſer Kampf nur
durch Staatsgeſetze zu Ende geführt werden kann. Die Aufhebung
jener Rechtsverhältniſſe tritt daher nothwendig erſt mit dem durch die
königliche Gewalt gegebenen Siege der neuen freien Geſchlechterordnung
ein, geht mit ihr Schritt für Schritt vorwärts, und während ſie in
England ſchon im 13. und 14. Jahrhundert ziemlich allgemein geſichert
iſt, iſt ſie in Frankreich und Deutſchland von Anfang an ein integri-
render Theil der Befreiung des Grundbeſitzes überhaupt, alſo ein Theil
der Entlaſtung. Daher hat man beide mit einander ſo oft zuſammen-
geworfen, und in der That ſind ſie in ihrer Selbſtändigkeit untrennbar,
namentlich wenn man die Ablöſung auf die Dienſtbarkeiten der Ge-
ſchlechterordnung begränzt, und wenn man eine ſcharfe äußere Gränze
ſtatt der inneren für Entlaſtung und Ablöſung fordert, die unfindbar
iſt, weil ſie nach der Natur der Geſchlechter und ſtändiſchen Unfreiheit
gar nicht exiſtiren kann. In jedem Falle aber ſcheint nun das klar,
daß eine Verſchmelzung des Begriffes und Weſens dieſer Rechtsverhält-
niſſe mit dem römiſchen Recht und ſeinen servitutes nicht möglich iſt.
Die germaniſch rechtlichen Dienſtbarkeiten haben ſehr oft einen ähn-
lichen materiellen Inhalt wie die römiſchen, wenn auch nicht immer;
ſtets aber haben ſie einen ganz andern Urſprung und eine ganz andere
Natur, denn ſie ſind entweder die Dienſtbarkeiten der Geſchlechter-
ordnung, das iſt die eigentlichen Herrenrechte (eigentliche Dienſt-
barkeiten), oder die Dienſtbarkeiten, die aus der ſtändiſchen Ordnung
in die Geſchlechterordnung übergehen, die Bannrechte, oder endlich
die rein ſtändiſchen Dienſtbarkeiten, die Realgewerbe. Alle dieſe
Dienſtbarkeiten ſtehen mit dem Begriff und Recht der freien ſtaats-
bürgerlichen Perſönlichkeit und ihrem freien Eigenthum im Widerſpruch,
haben aber als geſellſchaftliches Recht den Charakter einer öffent-
lichen Rechtsordnung und werden daher erſt durch Geſetze beſeitigt, die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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