die Landgemeinde zu leisten hatte. Und diese Verpflichtungen bleiben bei der höheren Entwicklung der staatsbürgerlichen Gesellschaft nicht etwa einfach bei der früheren Funktion der Gemeinde stehen; im Gegen- theil sie steigern und vermehren sich von Jahr zu Jahr. Immer größer werden die Lasten; immer neue treten hinzu; die Landgemeinde einst von der Verwaltung fast ganz vernachlässigt, wird allmählig gleich- bedeutend an Wichtigkeit mit der Stadtgemeinde. Wenn sie nicht mehr völlig ihre Schuldigkeit thut, so leidet die Verwaltung des ganzen Staats. Und wird sie dazu die Kraft haben? Wird sie sie namentlich dann haben, wenn die materielle Basis der Gemeinschaft, das Ge- meindegut, durch Auftheilung beseitigt ist? Wird sie gute Schulen, gute Wege, gute Brücken, gutes Armen- und Hülfswesen haben, wenn sie nichts besitzt, als die Beiträge ihrer Mitglieder? Und wie nun, wenn ohnehin durch die Befreiung des Grundes und Bodens die Selbständigkeit der Bauernwirthschaft hinreichend gefördert erscheint, und ohnehin das specifische Element der landwirthschaftlichen Individualität, die Stallfütterung, eintritt, und die wirthschaftliche Gestalt der Landwirth- schaft in der Geschlechterordnung, die Dreifelderwirthschaft ohnehin mit der Entlastung aufhört, und der Bauer ohnehin anfängt, den Frucht- wechsel und die Stallfütterung zu treiben, weil er jetzt ein freier Mann ist, wozu dann die Gemeinheitstheilung? Denn was wird sie dann sein und bedeuten? Sie wird, wo ohnehin die rationelle, individuelle Landwirthschaft der staatsbürgerlichen Gesellschaft durch die Freiheit des Grundbesitzes eingetreten ist, alsdann nur den einzelnen Besitzer reicher, aber die Gemeinde als Gesammtheit arm machen. Und ist denn das wünschenswerth, wo doch die Anforderungen nicht bloß an den Besitzer, sondern an die ganze Gemeinde gehen? Es ist klar, so wie durch die Entlastung die neue staatsbürgerliche Stellung der Ge- meinde als Verwaltungskörper eintritt, und die Selbständigkeit der Einzelnen ohnehin gewahrt ist, ist der alte Grund zur Gemeinheits- theilung verschwunden, und das Princip kehrt sich geradezu um, die staatsbürgerliche Verwaltung muß im Gegensatze zu der polizeilichen wünschen, daß die Gemeinde als solche ein Vermögen besitze, um den neuen Anforderungen immer genügen zu können; sie muß fordern, daß die Verwaltung dieses Vermögens nicht bloß in der Hand der Majorität der Interessenten liege, weil dieß Vermögen jetzt ein Faktor der Staatsverwaltung wird; sie muß daher die Verpflichtung zur Gemeinheitstheilung beseitigen, und muß an ihre Stelle jetzt im Geiste der neuen Idee der organischen Verwaltung des Staats, den Grundsatz setzen, daß die Veräußerung der Güter der Gemeinde über- haupt, also auch die Hingabe der Gemeindeweide an die Einzelnen
die Landgemeinde zu leiſten hatte. Und dieſe Verpflichtungen bleiben bei der höheren Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft nicht etwa einfach bei der früheren Funktion der Gemeinde ſtehen; im Gegen- theil ſie ſteigern und vermehren ſich von Jahr zu Jahr. Immer größer werden die Laſten; immer neue treten hinzu; die Landgemeinde einſt von der Verwaltung faſt ganz vernachläſſigt, wird allmählig gleich- bedeutend an Wichtigkeit mit der Stadtgemeinde. Wenn ſie nicht mehr völlig ihre Schuldigkeit thut, ſo leidet die Verwaltung des ganzen Staats. Und wird ſie dazu die Kraft haben? Wird ſie ſie namentlich dann haben, wenn die materielle Baſis der Gemeinſchaft, das Ge- meindegut, durch Auftheilung beſeitigt iſt? Wird ſie gute Schulen, gute Wege, gute Brücken, gutes Armen- und Hülfsweſen haben, wenn ſie nichts beſitzt, als die Beiträge ihrer Mitglieder? Und wie nun, wenn ohnehin durch die Befreiung des Grundes und Bodens die Selbſtändigkeit der Bauernwirthſchaft hinreichend gefördert erſcheint, und ohnehin das ſpecifiſche Element der landwirthſchaftlichen Individualität, die Stallfütterung, eintritt, und die wirthſchaftliche Geſtalt der Landwirth- ſchaft in der Geſchlechterordnung, die Dreifelderwirthſchaft ohnehin mit der Entlaſtung aufhört, und der Bauer ohnehin anfängt, den Frucht- wechſel und die Stallfütterung zu treiben, weil er jetzt ein freier Mann iſt, wozu dann die Gemeinheitstheilung? Denn was wird ſie dann ſein und bedeuten? Sie wird, wo ohnehin die rationelle, individuelle Landwirthſchaft der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft durch die Freiheit des Grundbeſitzes eingetreten iſt, alsdann nur den einzelnen Beſitzer reicher, aber die Gemeinde als Geſammtheit arm machen. Und iſt denn das wünſchenswerth, wo doch die Anforderungen nicht bloß an den Beſitzer, ſondern an die ganze Gemeinde gehen? Es iſt klar, ſo wie durch die Entlaſtung die neue ſtaatsbürgerliche Stellung der Ge- meinde als Verwaltungskörper eintritt, und die Selbſtändigkeit der Einzelnen ohnehin gewahrt iſt, iſt der alte Grund zur Gemeinheits- theilung verſchwunden, und das Princip kehrt ſich geradezu um, die ſtaatsbürgerliche Verwaltung muß im Gegenſatze zu der polizeilichen wünſchen, daß die Gemeinde als ſolche ein Vermögen beſitze, um den neuen Anforderungen immer genügen zu können; ſie muß fordern, daß die Verwaltung dieſes Vermögens nicht bloß in der Hand der Majorität der Intereſſenten liege, weil dieß Vermögen jetzt ein Faktor der Staatsverwaltung wird; ſie muß daher die Verpflichtung zur Gemeinheitstheilung beſeitigen, und muß an ihre Stelle jetzt im Geiſte der neuen Idee der organiſchen Verwaltung des Staats, den Grundſatz ſetzen, daß die Veräußerung der Güter der Gemeinde über- haupt, alſo auch die Hingabe der Gemeindeweide an die Einzelnen
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die Landgemeinde zu leiſten hatte. Und dieſe Verpflichtungen bleiben
bei der höheren Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft nicht
etwa einfach bei der früheren Funktion der Gemeinde ſtehen; im Gegen-
theil ſie ſteigern und vermehren ſich von Jahr zu Jahr. Immer größer
werden die Laſten; immer neue treten hinzu; die Landgemeinde einſt
von der Verwaltung faſt ganz vernachläſſigt, wird allmählig gleich-
bedeutend an Wichtigkeit mit der Stadtgemeinde. Wenn ſie nicht mehr
völlig ihre Schuldigkeit thut, ſo leidet die Verwaltung des ganzen
Staats. Und wird ſie dazu die Kraft haben? Wird ſie ſie namentlich
dann haben, wenn die materielle Baſis der Gemeinſchaft, das Ge-
meindegut, durch Auftheilung beſeitigt iſt? Wird ſie gute Schulen, gute
Wege, gute Brücken, gutes Armen- und Hülfsweſen haben, wenn ſie
nichts beſitzt, als die Beiträge ihrer Mitglieder? Und wie nun, wenn
ohnehin durch die Befreiung des Grundes und Bodens die Selbſtändigkeit
der Bauernwirthſchaft hinreichend gefördert erſcheint, und ohnehin
das ſpecifiſche Element der landwirthſchaftlichen Individualität, die
Stallfütterung, eintritt, und die wirthſchaftliche Geſtalt der Landwirth-
ſchaft in der Geſchlechterordnung, die Dreifelderwirthſchaft ohnehin mit
der Entlaſtung aufhört, und der Bauer ohnehin anfängt, den Frucht-
wechſel und die Stallfütterung zu treiben, weil er jetzt ein freier Mann
iſt, wozu dann die Gemeinheitstheilung? Denn was wird ſie dann
ſein und bedeuten? Sie wird, wo ohnehin die rationelle, individuelle
Landwirthſchaft der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft durch die Freiheit
des Grundbeſitzes eingetreten iſt, alsdann nur den einzelnen Beſitzer
reicher, aber die Gemeinde als Geſammtheit arm machen. Und iſt
denn das wünſchenswerth, wo doch die Anforderungen nicht bloß an
den Beſitzer, ſondern an die ganze Gemeinde gehen? Es iſt klar, ſo
wie durch die Entlaſtung die neue ſtaatsbürgerliche Stellung der Ge-
meinde als Verwaltungskörper eintritt, und die Selbſtändigkeit der
Einzelnen ohnehin gewahrt iſt, iſt der alte Grund zur Gemeinheits-
theilung verſchwunden, und das Princip kehrt ſich geradezu um, die
ſtaatsbürgerliche Verwaltung muß im Gegenſatze zu der polizeilichen
wünſchen, daß die Gemeinde als ſolche ein Vermögen beſitze,
um den neuen Anforderungen immer genügen zu können; ſie muß
fordern, daß die Verwaltung dieſes Vermögens nicht bloß in der Hand
der Majorität der Intereſſenten liege, weil dieß Vermögen jetzt ein
Faktor der Staatsverwaltung wird; ſie muß daher die Verpflichtung
zur Gemeinheitstheilung beſeitigen, und muß an ihre Stelle jetzt im
Geiſte der neuen Idee der organiſchen Verwaltung des Staats, den
Grundſatz ſetzen, daß die Veräußerung der Güter der Gemeinde über-
haupt, alſo auch die Hingabe der Gemeindeweide an die Einzelnen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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