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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Diese nun glauben wir mit Einem Worte bezeichnen zu können.
Es soll aus dem verordnungsmäßigen Enteignungsrecht, unter beinahe
vollständiger
Beibehaltung seines Inhalts, ein gesetzmäßiges ge-
macht werden. Der Grund dieser Forderung wird nirgends klar aus-
gesprochen, ist aber dennoch unzweifelhaft. So lange jenes Recht näm-
lich Verordnungsrecht ist, ist die Behörde ihrerseits berechtigt, stets neue
Verordnungen zu erlassen, und in jedem Falle nach ihrem Ermessen das
Verfahren zu ändern; und zweitens gibt es bei diesem Verordnungsrecht
kein Klagrecht vor dem Gericht, sondern nur ein Beschwerderecht vor
der höheren Behörde. Ist ein solcher Zustand nun schon überhaupt kein
wünschenswerther, so ist er es am wenigsten da, wo es sich um Eigen-
thum und Besitz handelt. Hier genügt es offenbar nicht, daß das Ent-
eignungsrecht principiell anerkannt sei, sondern es muß auch das Ver-
fahren bestimmten Gesetzen unterworfen sein, und in dieser Gesetzmäßigkeit
die Sicherung des Eigenthums gegenüber der Verwaltung gefunden und
durch die Möglichkeit der Klage sanctionirt werden. Das ist die zweite
Aufgabe der Rechtsbildung; erst in dritter Linie erscheint die Detailaus-
arbeitung der einzelnen Punkte. Und die ganze geschichtliche Entwicklung
Deutschlands geht deßhalb dahin, eben dieses Recht des Verfahrens bei
der wirklichen einzelnen Enteignung zu einem gesetzlichen zu machen.

Das Enteignungsrecht ist daher ein Gesetz für das Verfahren
der Verwaltungsorgane bei den einzelnen Enteignungen
.
Es ist daher kein Zweifel, daß es keinem andern Rechtsgebiete als dem
des innern Verwaltungsrechts angehört; und wie es im innern
Zusammenhange mit der ganzen Entwährung steht, ist bereits oben
nachgewiesen. Dieser Proceß der Rechtsbildung ist nun allerdings
etwas verschieden in den verschiedenen Ländern Europas gestaltet; wir
wollen versuchen, wenigstens die drei Grundformen desselben hier an-
zuschließen.

IV. Englands Enteignungsrecht.

Die Lands Clauses Act 8. Vict. 18. 1845.

Was hier zuerst England betrifft, so müssen wir zunächst den Irr-
thum berichtigen, den alle uns bekannte Autoren über das Enteignungs-
recht, und zuletzt wieder Thiel begehen, indem sie meinen, als habe
England keine Enteignungsgesetzgebung. Allerdings ist es richtig, daß
England das Princip der Heiligkeit des Eigenthums und eben so wenig
den Rechtsgrundsatz der Enteignung für öffentliche Zwecke niemals an-
erkannt und bis 1845 auch im einzelnen Falle nicht zugelassen hat.
Wie aber dasselbe die Entlastung, Ablösung und Auftheilung vom

Dieſe nun glauben wir mit Einem Worte bezeichnen zu können.
Es ſoll aus dem verordnungsmäßigen Enteignungsrecht, unter beinahe
vollſtändiger
Beibehaltung ſeines Inhalts, ein geſetzmäßiges ge-
macht werden. Der Grund dieſer Forderung wird nirgends klar aus-
geſprochen, iſt aber dennoch unzweifelhaft. So lange jenes Recht näm-
lich Verordnungsrecht iſt, iſt die Behörde ihrerſeits berechtigt, ſtets neue
Verordnungen zu erlaſſen, und in jedem Falle nach ihrem Ermeſſen das
Verfahren zu ändern; und zweitens gibt es bei dieſem Verordnungsrecht
kein Klagrecht vor dem Gericht, ſondern nur ein Beſchwerderecht vor
der höheren Behörde. Iſt ein ſolcher Zuſtand nun ſchon überhaupt kein
wünſchenswerther, ſo iſt er es am wenigſten da, wo es ſich um Eigen-
thum und Beſitz handelt. Hier genügt es offenbar nicht, daß das Ent-
eignungsrecht principiell anerkannt ſei, ſondern es muß auch das Ver-
fahren beſtimmten Geſetzen unterworfen ſein, und in dieſer Geſetzmäßigkeit
die Sicherung des Eigenthums gegenüber der Verwaltung gefunden und
durch die Möglichkeit der Klage ſanctionirt werden. Das iſt die zweite
Aufgabe der Rechtsbildung; erſt in dritter Linie erſcheint die Detailaus-
arbeitung der einzelnen Punkte. Und die ganze geſchichtliche Entwicklung
Deutſchlands geht deßhalb dahin, eben dieſes Recht des Verfahrens bei
der wirklichen einzelnen Enteignung zu einem geſetzlichen zu machen.

Das Enteignungsrecht iſt daher ein Geſetz für das Verfahren
der Verwaltungsorgane bei den einzelnen Enteignungen
.
Es iſt daher kein Zweifel, daß es keinem andern Rechtsgebiete als dem
des innern Verwaltungsrechts angehört; und wie es im innern
Zuſammenhange mit der ganzen Entwährung ſteht, iſt bereits oben
nachgewieſen. Dieſer Proceß der Rechtsbildung iſt nun allerdings
etwas verſchieden in den verſchiedenen Ländern Europas geſtaltet; wir
wollen verſuchen, wenigſtens die drei Grundformen deſſelben hier an-
zuſchließen.

IV. Englands Enteignungsrecht.

Die Lands Clauses Act 8. Vict. 18. 1845.

Was hier zuerſt England betrifft, ſo müſſen wir zunächſt den Irr-
thum berichtigen, den alle uns bekannte Autoren über das Enteignungs-
recht, und zuletzt wieder Thiel begehen, indem ſie meinen, als habe
England keine Enteignungsgeſetzgebung. Allerdings iſt es richtig, daß
England das Princip der Heiligkeit des Eigenthums und eben ſo wenig
den Rechtsgrundſatz der Enteignung für öffentliche Zwecke niemals an-
erkannt und bis 1845 auch im einzelnen Falle nicht zugelaſſen hat.
Wie aber daſſelbe die Entlaſtung, Ablöſung und Auftheilung vom

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[309/0327] Dieſe nun glauben wir mit Einem Worte bezeichnen zu können. Es ſoll aus dem verordnungsmäßigen Enteignungsrecht, unter beinahe vollſtändiger Beibehaltung ſeines Inhalts, ein geſetzmäßiges ge- macht werden. Der Grund dieſer Forderung wird nirgends klar aus- geſprochen, iſt aber dennoch unzweifelhaft. So lange jenes Recht näm- lich Verordnungsrecht iſt, iſt die Behörde ihrerſeits berechtigt, ſtets neue Verordnungen zu erlaſſen, und in jedem Falle nach ihrem Ermeſſen das Verfahren zu ändern; und zweitens gibt es bei dieſem Verordnungsrecht kein Klagrecht vor dem Gericht, ſondern nur ein Beſchwerderecht vor der höheren Behörde. Iſt ein ſolcher Zuſtand nun ſchon überhaupt kein wünſchenswerther, ſo iſt er es am wenigſten da, wo es ſich um Eigen- thum und Beſitz handelt. Hier genügt es offenbar nicht, daß das Ent- eignungsrecht principiell anerkannt ſei, ſondern es muß auch das Ver- fahren beſtimmten Geſetzen unterworfen ſein, und in dieſer Geſetzmäßigkeit die Sicherung des Eigenthums gegenüber der Verwaltung gefunden und durch die Möglichkeit der Klage ſanctionirt werden. Das iſt die zweite Aufgabe der Rechtsbildung; erſt in dritter Linie erſcheint die Detailaus- arbeitung der einzelnen Punkte. Und die ganze geſchichtliche Entwicklung Deutſchlands geht deßhalb dahin, eben dieſes Recht des Verfahrens bei der wirklichen einzelnen Enteignung zu einem geſetzlichen zu machen. Das Enteignungsrecht iſt daher ein Geſetz für das Verfahren der Verwaltungsorgane bei den einzelnen Enteignungen. Es iſt daher kein Zweifel, daß es keinem andern Rechtsgebiete als dem des innern Verwaltungsrechts angehört; und wie es im innern Zuſammenhange mit der ganzen Entwährung ſteht, iſt bereits oben nachgewieſen. Dieſer Proceß der Rechtsbildung iſt nun allerdings etwas verſchieden in den verſchiedenen Ländern Europas geſtaltet; wir wollen verſuchen, wenigſtens die drei Grundformen deſſelben hier an- zuſchließen. IV. Englands Enteignungsrecht. Die Lands Clauses Act 8. Vict. 18. 1845. Was hier zuerſt England betrifft, ſo müſſen wir zunächſt den Irr- thum berichtigen, den alle uns bekannte Autoren über das Enteignungs- recht, und zuletzt wieder Thiel begehen, indem ſie meinen, als habe England keine Enteignungsgeſetzgebung. Allerdings iſt es richtig, daß England das Princip der Heiligkeit des Eigenthums und eben ſo wenig den Rechtsgrundſatz der Enteignung für öffentliche Zwecke niemals an- erkannt und bis 1845 auch im einzelnen Falle nicht zugelaſſen hat. Wie aber daſſelbe die Entlaſtung, Ablöſung und Auftheilung vom

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/327>, abgerufen am 22.11.2024.