über Wesen und Umfang der "utilite publique" klar zu werden. Die Nothwendigkeit der Enteignung wird noch durch die Ingenieurs des ponts et chaussees festgestellt; die Entschädigung geht vorauf. Das Gesetz vom 30. März 1831 bezog sich wesentlich auf die Enteignung zu militärischen Zwecken, und gehört durch den Nachdruck, den es auf die "urgence" legt (Art. 2), bereits zum Theil dem Staatsnothrecht an. Wesentlich ist, daß diese Nothwendigkeit durch die Ordonnance royale ausgesprochen werden muß; das Gesetz von 1831 ist daher der Punkt, auf welchem sich das Element des verordnungsmäßigen Ent- eignungsrechts von dem gesetzmäßigen scheidet; und die folgenden Gesetze haben damit die Aufgabe, diese Scheidung durchzuführen, und darauf das eigentlich französische Enteignungsrecht zu begründen. Dies geschieht durch das Gesetz vom 7. Juli 1833 und durch die Ordonnance vom 18. Februar 1834. Das Gesetz von 1833 nämlich enthält bereits das ganze System des gesetzlichen Enteignungsrechts; die Verordnung von 1834 dagegen bestimmt das Verfahren der Behörde, und den Antheil, den dieselbe an der Enteignung zu nehmen hat, wozu noch die Ordonnanz vom 23. August 1835 hinzugerechnet werden muß. Die Bestimmungen des Gesetzes von 1833 werden dann in dem großen Gesetz vom 3. Mai 1841, dem eigentlichen Enteignungsgesetze Frankreichs, mit mehreren Modificationen revidirt und codificirt, und dieses Gesetz ist jetzt das geltende Recht Frankreichs. Die Expropriationsgesetzgebung des übrigen Europas hat sich theils bereits an das Gesetz von 1833, theils an das von 1841 angeschlossen. Der Charakter dieser Gesetzgebung ist einfach. Wir heben ihn hervor, weil er seinerseits das natürliche System des ganzen Enteignungsrechts begründet. Das Enteignungsverfahren zer- fällt darnach in drei Abtheilungen. Das erste Stadium desselben ent- hält die Feststellung des "utilite publique" für das Unternehmen, das der Enteignung bedarf; und diese wird entweder durch ein eigenes Gesetz (Gesetz von 1833 und 1841 Art. 2), oder durch eine Verordnung des Königs (Ordonnanz von 1834 Tit. II und Gesetz von 1833 und 1841 bei Departementalwegen, Ordonnanz von 1835 mit bestimmten Formalitäten auch bei Gemeindewegen) ausgesprochen. Das zweite Stadium ist die Feststellung der zu enteignenden Besitzungen, auf welche dann das gerichtliche Enteignungsurtheil folgt. Das dritte ist die Ver- theilung der Entschädigung. Man darf sagen, daß in der That im Großen und Ganzen damit das Enteignungsrecht erschöpft ist; der deutschen Rechtsbildung blieb nichts anderes übrig, als sich derselben im Wesentlichen anzuschließen.
über Weſen und Umfang der „utilité publique“ klar zu werden. Die Nothwendigkeit der Enteignung wird noch durch die Ingénieurs des ponts et chaussées feſtgeſtellt; die Entſchädigung geht vorauf. Das Geſetz vom 30. März 1831 bezog ſich weſentlich auf die Enteignung zu militäriſchen Zwecken, und gehört durch den Nachdruck, den es auf die „urgence“ legt (Art. 2), bereits zum Theil dem Staatsnothrecht an. Weſentlich iſt, daß dieſe Nothwendigkeit durch die Ordonnance royale ausgeſprochen werden muß; das Geſetz von 1831 iſt daher der Punkt, auf welchem ſich das Element des verordnungsmäßigen Ent- eignungsrechts von dem geſetzmäßigen ſcheidet; und die folgenden Geſetze haben damit die Aufgabe, dieſe Scheidung durchzuführen, und darauf das eigentlich franzöſiſche Enteignungsrecht zu begründen. Dies geſchieht durch das Geſetz vom 7. Juli 1833 und durch die Ordonnance vom 18. Februar 1834. Das Geſetz von 1833 nämlich enthält bereits das ganze Syſtem des geſetzlichen Enteignungsrechts; die Verordnung von 1834 dagegen beſtimmt das Verfahren der Behörde, und den Antheil, den dieſelbe an der Enteignung zu nehmen hat, wozu noch die Ordonnanz vom 23. Auguſt 1835 hinzugerechnet werden muß. Die Beſtimmungen des Geſetzes von 1833 werden dann in dem großen Geſetz vom 3. Mai 1841, dem eigentlichen Enteignungsgeſetze Frankreichs, mit mehreren Modificationen revidirt und codificirt, und dieſes Geſetz iſt jetzt das geltende Recht Frankreichs. Die Expropriationsgeſetzgebung des übrigen Europas hat ſich theils bereits an das Geſetz von 1833, theils an das von 1841 angeſchloſſen. Der Charakter dieſer Geſetzgebung iſt einfach. Wir heben ihn hervor, weil er ſeinerſeits das natürliche Syſtem des ganzen Enteignungsrechts begründet. Das Enteignungsverfahren zer- fällt darnach in drei Abtheilungen. Das erſte Stadium deſſelben ent- hält die Feſtſtellung des „utilité publique“ für das Unternehmen, das der Enteignung bedarf; und dieſe wird entweder durch ein eigenes Geſetz (Geſetz von 1833 und 1841 Art. 2), oder durch eine Verordnung des Königs (Ordonnanz von 1834 Tit. II und Geſetz von 1833 und 1841 bei Departementalwegen, Ordonnanz von 1835 mit beſtimmten Formalitäten auch bei Gemeindewegen) ausgeſprochen. Das zweite Stadium iſt die Feſtſtellung der zu enteignenden Beſitzungen, auf welche dann das gerichtliche Enteignungsurtheil folgt. Das dritte iſt die Ver- theilung der Entſchädigung. Man darf ſagen, daß in der That im Großen und Ganzen damit das Enteignungsrecht erſchöpft iſt; der deutſchen Rechtsbildung blieb nichts anderes übrig, als ſich derſelben im Weſentlichen anzuſchließen.
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über Weſen und Umfang der „utilité publique“ klar zu werden. Die
Nothwendigkeit der Enteignung wird noch durch die Ingénieurs des
ponts et chaussées feſtgeſtellt; die Entſchädigung geht vorauf. Das
Geſetz vom 30. März 1831 bezog ſich weſentlich auf die Enteignung
zu militäriſchen Zwecken, und gehört durch den Nachdruck, den es auf
die „urgence“ legt (Art. 2), bereits zum Theil dem Staatsnothrecht
an. Weſentlich iſt, daß dieſe Nothwendigkeit durch die Ordonnance
royale ausgeſprochen werden muß; das Geſetz von 1831 iſt daher der
Punkt, auf welchem ſich das Element des verordnungsmäßigen Ent-
eignungsrechts von dem geſetzmäßigen ſcheidet; und die folgenden Geſetze
haben damit die Aufgabe, dieſe Scheidung durchzuführen, und darauf
das eigentlich franzöſiſche Enteignungsrecht zu begründen. Dies geſchieht
durch das Geſetz vom 7. Juli 1833 und durch die Ordonnance vom
18. Februar 1834. Das Geſetz von 1833 nämlich enthält bereits das
ganze Syſtem des geſetzlichen Enteignungsrechts; die Verordnung von
1834 dagegen beſtimmt das Verfahren der Behörde, und den Antheil,
den dieſelbe an der Enteignung zu nehmen hat, wozu noch die Ordonnanz
vom 23. Auguſt 1835 hinzugerechnet werden muß. Die Beſtimmungen
des Geſetzes von 1833 werden dann in dem großen Geſetz vom 3. Mai
1841, dem eigentlichen Enteignungsgeſetze Frankreichs, mit mehreren
Modificationen revidirt und codificirt, und dieſes Geſetz iſt jetzt das
geltende Recht Frankreichs. Die Expropriationsgeſetzgebung des übrigen
Europas hat ſich theils bereits an das Geſetz von 1833, theils an das
von 1841 angeſchloſſen. Der Charakter dieſer Geſetzgebung iſt einfach.
Wir heben ihn hervor, weil er ſeinerſeits das natürliche Syſtem des
ganzen Enteignungsrechts begründet. Das Enteignungsverfahren zer-
fällt darnach in drei Abtheilungen. Das erſte Stadium deſſelben ent-
hält die Feſtſtellung des „utilité publique“ für das Unternehmen, das
der Enteignung bedarf; und dieſe wird entweder durch ein eigenes
Geſetz (Geſetz von 1833 und 1841 Art. 2), oder durch eine Verordnung
des Königs (Ordonnanz von 1834 Tit. II und Geſetz von 1833 und
1841 bei Departementalwegen, Ordonnanz von 1835 mit beſtimmten
Formalitäten auch bei Gemeindewegen) ausgeſprochen. Das zweite
Stadium iſt die Feſtſtellung der zu enteignenden Beſitzungen, auf welche
dann das gerichtliche Enteignungsurtheil folgt. Das dritte iſt die Ver-
theilung der Entſchädigung. Man darf ſagen, daß in der That im
Großen und Ganzen damit das Enteignungsrecht erſchöpft iſt; der
deutſchen Rechtsbildung blieb nichts anderes übrig, als ſich derſelben
im Weſentlichen anzuſchließen.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/331>, abgerufen am 24.11.2024.
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