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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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entstehenden "necessitas" demselben das Recht an und für sich bei,
das Privateigenthum für seine Zwecke zu benützen; natürlich hauptsäch-
lich im Falle einer äußern, im Kriege gegebenen Noth (L. II. T. 6. 9).
Dieß "jus supereminens domini" wird dann als ein solches bezeichnet,
"quod ad omnes spectat res subditorum" (III. c. XIX). Damit ist
denn allerdings das Staatsnothrecht auf seine wahre Basis, den Be-
griff und das Wesen des Staats (natura civitatis), zurückgeführt; allein
zu der Unterscheidung dieses jus supereminens von der summa potestas
gelangt Hugo Grotius noch nicht, weil die Elemente des Unterschiedes
zwischen Gesetz und Verordnung ihm noch gänzlich fehlen. Diese nun
bilden sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts in dem großen Gegen-
satze zwischen Kaiser und Reich aus; das Reich ist der Träger der Idee
des Gesetzes, das Kaiserthum der der Verordnungsgewalt, und schon
jetzt bedeutet die summa potestas die Frage, ob der Kaiser das Recht
habe, einseitig -- wir würden sagen im Verordnungswege -- in die
Rechtsverhältniffe des Reiches gegen die Gesetze desselben (Reichsabschiede,
Wahlinstitutionen u. A.) einzugreifen, wenn die Noth des Reiches, die
necessitas imperii, es fordert. Hätte nun das 18. Jahrhundert es in
den Reichslanden zu einer Territorialgesetzgebung gebracht, so würde jene
Frage, die als eine specielle Frage zwischen Kaiser und Reich aufgeworfen
ward (s. oben), wahrscheinlich in das Staatsrecht überhaupt, und zwar mit
ihrem ganz bestimmten Inhalt als das Recht der Nothverordnung über-
gegangen sein. Allein da überhaupt keine Gesetzgebung zu Stande kam,
so verschmolz, wie wir es in der vollziehenden Gewalt dargelegt haben, die
gesetzgebende Gewalt mit der verordnenden, die Verordnung ward
Gesetz
, die Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Verordnung und
Gesetz, und mit ihr die von einer summa potestas ex titulo necessitatis
verschwand, und man wußte daher von einem auf das öffentliche Recht
bezüglichen jus eminens sich keine klare Vorstellung zu machen. Da-
gegen aber erzeugte die sich immer weiter entwickelnde Verwaltung den
Grundsatz des Entwährungsrechts, und speciell den der Enteignung.
Selbstverständlich suchte man nun diesen Grundsatz an das jus naturae
anzulehnen, und fand hier den alten Begriff des jus eminens, der
unklar Enteignung und Staatsnothrecht zusammenfaßte. Es war daher
ganz natürlich, daß man nunmehr diesen Ausdruck fortgebrauchte, das
Enteignungsrecht als ein jus eminens des Staates bezeichnete, und
das letztere mit dem Anfang unsers Jahrhunderts dann als "Staats-
nothrecht" deutsch übersetzte. Als nun das Enteignungsrecht sich zu selbst-
ständiger Gesetzgebung entwickelte, wußte man mit dem jus eminens und
dem Staatsnothrecht nichts Rechtes anzufangen, da man zwar das
richtige Gefühl hatte, daß es dem Enteignungsrecht auf das Engste

entſtehenden „necessitas“ demſelben das Recht an und für ſich bei,
das Privateigenthum für ſeine Zwecke zu benützen; natürlich hauptſäch-
lich im Falle einer äußern, im Kriege gegebenen Noth (L. II. T. 6. 9).
Dieß „jus supereminens domini“ wird dann als ein ſolches bezeichnet,
„quod ad omnes spectat res subditorum“ (III. c. XIX). Damit iſt
denn allerdings das Staatsnothrecht auf ſeine wahre Baſis, den Be-
griff und das Weſen des Staats (natura civitatis), zurückgeführt; allein
zu der Unterſcheidung dieſes jus supereminens von der summa potestas
gelangt Hugo Grotius noch nicht, weil die Elemente des Unterſchiedes
zwiſchen Geſetz und Verordnung ihm noch gänzlich fehlen. Dieſe nun
bilden ſich erſt im Laufe des 17. Jahrhunderts in dem großen Gegen-
ſatze zwiſchen Kaiſer und Reich aus; das Reich iſt der Träger der Idee
des Geſetzes, das Kaiſerthum der der Verordnungsgewalt, und ſchon
jetzt bedeutet die summa potestas die Frage, ob der Kaiſer das Recht
habe, einſeitig — wir würden ſagen im Verordnungswege — in die
Rechtsverhältniffe des Reiches gegen die Geſetze deſſelben (Reichsabſchiede,
Wahlinſtitutionen u. A.) einzugreifen, wenn die Noth des Reiches, die
necessitas imperii, es fordert. Hätte nun das 18. Jahrhundert es in
den Reichslanden zu einer Territorialgeſetzgebung gebracht, ſo würde jene
Frage, die als eine ſpecielle Frage zwiſchen Kaiſer und Reich aufgeworfen
ward (ſ. oben), wahrſcheinlich in das Staatsrecht überhaupt, und zwar mit
ihrem ganz beſtimmten Inhalt als das Recht der Nothverordnung über-
gegangen ſein. Allein da überhaupt keine Geſetzgebung zu Stande kam,
ſo verſchmolz, wie wir es in der vollziehenden Gewalt dargelegt haben, die
geſetzgebende Gewalt mit der verordnenden, die Verordnung ward
Geſetz
, die Vorſtellung von einem Gegenſatz zwiſchen Verordnung und
Geſetz, und mit ihr die von einer summa potestas ex titulo necessitatis
verſchwand, und man wußte daher von einem auf das öffentliche Recht
bezüglichen jus eminens ſich keine klare Vorſtellung zu machen. Da-
gegen aber erzeugte die ſich immer weiter entwickelnde Verwaltung den
Grundſatz des Entwährungsrechts, und ſpeciell den der Enteignung.
Selbſtverſtändlich ſuchte man nun dieſen Grundſatz an das jus naturae
anzulehnen, und fand hier den alten Begriff des jus eminens, der
unklar Enteignung und Staatsnothrecht zuſammenfaßte. Es war daher
ganz natürlich, daß man nunmehr dieſen Ausdruck fortgebrauchte, das
Enteignungsrecht als ein jus eminens des Staates bezeichnete, und
das letztere mit dem Anfang unſers Jahrhunderts dann als „Staats-
nothrecht“ deutſch überſetzte. Als nun das Enteignungsrecht ſich zu ſelbſt-
ſtändiger Geſetzgebung entwickelte, wußte man mit dem jus eminens und
dem Staatsnothrecht nichts Rechtes anzufangen, da man zwar das
richtige Gefühl hatte, daß es dem Enteignungsrecht auf das Engſte

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[343/0361] entſtehenden „necessitas“ demſelben das Recht an und für ſich bei, das Privateigenthum für ſeine Zwecke zu benützen; natürlich hauptſäch- lich im Falle einer äußern, im Kriege gegebenen Noth (L. II. T. 6. 9). Dieß „jus supereminens domini“ wird dann als ein ſolches bezeichnet, „quod ad omnes spectat res subditorum“ (III. c. XIX). Damit iſt denn allerdings das Staatsnothrecht auf ſeine wahre Baſis, den Be- griff und das Weſen des Staats (natura civitatis), zurückgeführt; allein zu der Unterſcheidung dieſes jus supereminens von der summa potestas gelangt Hugo Grotius noch nicht, weil die Elemente des Unterſchiedes zwiſchen Geſetz und Verordnung ihm noch gänzlich fehlen. Dieſe nun bilden ſich erſt im Laufe des 17. Jahrhunderts in dem großen Gegen- ſatze zwiſchen Kaiſer und Reich aus; das Reich iſt der Träger der Idee des Geſetzes, das Kaiſerthum der der Verordnungsgewalt, und ſchon jetzt bedeutet die summa potestas die Frage, ob der Kaiſer das Recht habe, einſeitig — wir würden ſagen im Verordnungswege — in die Rechtsverhältniffe des Reiches gegen die Geſetze deſſelben (Reichsabſchiede, Wahlinſtitutionen u. A.) einzugreifen, wenn die Noth des Reiches, die necessitas imperii, es fordert. Hätte nun das 18. Jahrhundert es in den Reichslanden zu einer Territorialgeſetzgebung gebracht, ſo würde jene Frage, die als eine ſpecielle Frage zwiſchen Kaiſer und Reich aufgeworfen ward (ſ. oben), wahrſcheinlich in das Staatsrecht überhaupt, und zwar mit ihrem ganz beſtimmten Inhalt als das Recht der Nothverordnung über- gegangen ſein. Allein da überhaupt keine Geſetzgebung zu Stande kam, ſo verſchmolz, wie wir es in der vollziehenden Gewalt dargelegt haben, die geſetzgebende Gewalt mit der verordnenden, die Verordnung ward Geſetz, die Vorſtellung von einem Gegenſatz zwiſchen Verordnung und Geſetz, und mit ihr die von einer summa potestas ex titulo necessitatis verſchwand, und man wußte daher von einem auf das öffentliche Recht bezüglichen jus eminens ſich keine klare Vorſtellung zu machen. Da- gegen aber erzeugte die ſich immer weiter entwickelnde Verwaltung den Grundſatz des Entwährungsrechts, und ſpeciell den der Enteignung. Selbſtverſtändlich ſuchte man nun dieſen Grundſatz an das jus naturae anzulehnen, und fand hier den alten Begriff des jus eminens, der unklar Enteignung und Staatsnothrecht zuſammenfaßte. Es war daher ganz natürlich, daß man nunmehr dieſen Ausdruck fortgebrauchte, das Enteignungsrecht als ein jus eminens des Staates bezeichnete, und das letztere mit dem Anfang unſers Jahrhunderts dann als „Staats- nothrecht“ deutſch überſetzte. Als nun das Enteignungsrecht ſich zu ſelbſt- ſtändiger Geſetzgebung entwickelte, wußte man mit dem jus eminens und dem Staatsnothrecht nichts Rechtes anzufangen, da man zwar das richtige Gefühl hatte, daß es dem Enteignungsrecht auf das Engſte

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/361>, abgerufen am 23.11.2024.