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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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dasjenige Gebiet in dem Siege der staatsbürgerlichen Ordnung über
Geschlechter- und Ständerecht, welches auf Grundlage der Gesetzgebung
Aufgabe der inneren Verwaltung wird. Und demnach gehören
beide Gebiete, aus demselben Rechtsprincip entsprungen, natürlich zu-
sammen; die Rechtsgeschichte hat sie von demselben Standpunkt zu be-
handeln, und darin wird die wichtigste Aufgabe für die Zukunft der-
selben liegen.

Auf dieser Grundlage nun ist das System der Entwährung leicht
zu bezeichnen. Es steht dasselbe in der That nicht etwa selbständig da,
sondern es enthält diejenigen Gebiete der Aufhebung des Geschlechter-
und Ständerechts, bei denen die Entschädigung möglich und
darum nothwendig wird
. Deßhalb muß es uns verstattet sein,
einen Blick auf das ganze System der neuen Rechtsbildung zu werfen,
um für das der Entwährung darin seine Stelle und seinen Umfang
zu finden.

Das leitende Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung
gegenüber der Geschlechterordnung in Beziehung zunächst auf die Person
ist mit einem Worte das der rechtlichen Gleichheit. Der formale
Ausdruck dieses Princips besteht darin, daß die Verwaltung des Rechts
für alle gleich sein, das ist, daß alle ohne Unterschied vor demselben
Gericht des Staats ihr Recht suchen sollen. Damit ist die Aufhebung
der Grundlage des Geschlechterrechts, des Systems der Geschlechtergerichte,
oder der Verschiedenheit der Competenz je nach der gesellschaftlichen
Stellung ausgesprochen. Es folgt ferner, daß der Wille der Einzelnen
gleich sei, das ist, daß kein Einzelner als Einzelner von dem andern
Gehorsam zu fordern habe, sondern daß nur die Gemeinschaft aller im
persönlichen Staat über den Einzelnen herrschen dürfe. Der formale
Ausdruck dieses Princips ist, daß der Einzelne nur dem Gesetze und
nicht seinem Herrn zu gehorchen habe. Daran schließt sich der dritte
Satz, daß der Besitz als solcher ein Recht auf Verwaltung, Gericht
und Polizei nicht mehr geben dürfe; damit ward die letzte Grundlage
des feudalen Systems, die Grundherrlichkeit, die mit dem Geschlechter-
besitz verbundene Obrigkeit, unmöglich. Alle diese Rechte der Geschlechter
haben nun ihrem Wesen nach keinen wirthschaftlichen Werth; sie wer-
den daher nicht entwährt
, sondern einfach aufgehoben, und zwar
mit allen auch wirthschaftlichen Consequenzen und Leistungen der bisher
untergeordneten Klassen, da das Recht der herrschenden auf diese nicht
ein selbständiges Privatrecht, sondern nur die Folge eines Rechts ist,
das an sich, nach dem Princip der staatsbürgerlichen Gesellschaft, über-
haupt kein Privatrecht sein soll. Die Gesammtheit dieser auf-
gehobenen Rechte enthält die Herstellung der staatsbürgerlichen Gleichheit.


dasjenige Gebiet in dem Siege der ſtaatsbürgerlichen Ordnung über
Geſchlechter- und Ständerecht, welches auf Grundlage der Geſetzgebung
Aufgabe der inneren Verwaltung wird. Und demnach gehören
beide Gebiete, aus demſelben Rechtsprincip entſprungen, natürlich zu-
ſammen; die Rechtsgeſchichte hat ſie von demſelben Standpunkt zu be-
handeln, und darin wird die wichtigſte Aufgabe für die Zukunft der-
ſelben liegen.

Auf dieſer Grundlage nun iſt das Syſtem der Entwährung leicht
zu bezeichnen. Es ſteht daſſelbe in der That nicht etwa ſelbſtändig da,
ſondern es enthält diejenigen Gebiete der Aufhebung des Geſchlechter-
und Ständerechts, bei denen die Entſchädigung möglich und
darum nothwendig wird
. Deßhalb muß es uns verſtattet ſein,
einen Blick auf das ganze Syſtem der neuen Rechtsbildung zu werfen,
um für das der Entwährung darin ſeine Stelle und ſeinen Umfang
zu finden.

Das leitende Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung
gegenüber der Geſchlechterordnung in Beziehung zunächſt auf die Perſon
iſt mit einem Worte das der rechtlichen Gleichheit. Der formale
Ausdruck dieſes Princips beſteht darin, daß die Verwaltung des Rechts
für alle gleich ſein, das iſt, daß alle ohne Unterſchied vor demſelben
Gericht des Staats ihr Recht ſuchen ſollen. Damit iſt die Aufhebung
der Grundlage des Geſchlechterrechts, des Syſtems der Geſchlechtergerichte,
oder der Verſchiedenheit der Competenz je nach der geſellſchaftlichen
Stellung ausgeſprochen. Es folgt ferner, daß der Wille der Einzelnen
gleich ſei, das iſt, daß kein Einzelner als Einzelner von dem andern
Gehorſam zu fordern habe, ſondern daß nur die Gemeinſchaft aller im
perſönlichen Staat über den Einzelnen herrſchen dürfe. Der formale
Ausdruck dieſes Princips iſt, daß der Einzelne nur dem Geſetze und
nicht ſeinem Herrn zu gehorchen habe. Daran ſchließt ſich der dritte
Satz, daß der Beſitz als ſolcher ein Recht auf Verwaltung, Gericht
und Polizei nicht mehr geben dürfe; damit ward die letzte Grundlage
des feudalen Syſtems, die Grundherrlichkeit, die mit dem Geſchlechter-
beſitz verbundene Obrigkeit, unmöglich. Alle dieſe Rechte der Geſchlechter
haben nun ihrem Weſen nach keinen wirthſchaftlichen Werth; ſie wer-
den daher nicht entwährt
, ſondern einfach aufgehoben, und zwar
mit allen auch wirthſchaftlichen Conſequenzen und Leiſtungen der bisher
untergeordneten Klaſſen, da das Recht der herrſchenden auf dieſe nicht
ein ſelbſtändiges Privatrecht, ſondern nur die Folge eines Rechts iſt,
das an ſich, nach dem Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, über-
haupt kein Privatrecht ſein ſoll. Die Geſammtheit dieſer auf-
gehobenen Rechte enthält die Herſtellung der ſtaatsbürgerlichen Gleichheit.


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[80/0098] dasjenige Gebiet in dem Siege der ſtaatsbürgerlichen Ordnung über Geſchlechter- und Ständerecht, welches auf Grundlage der Geſetzgebung Aufgabe der inneren Verwaltung wird. Und demnach gehören beide Gebiete, aus demſelben Rechtsprincip entſprungen, natürlich zu- ſammen; die Rechtsgeſchichte hat ſie von demſelben Standpunkt zu be- handeln, und darin wird die wichtigſte Aufgabe für die Zukunft der- ſelben liegen. Auf dieſer Grundlage nun iſt das Syſtem der Entwährung leicht zu bezeichnen. Es ſteht daſſelbe in der That nicht etwa ſelbſtändig da, ſondern es enthält diejenigen Gebiete der Aufhebung des Geſchlechter- und Ständerechts, bei denen die Entſchädigung möglich und darum nothwendig wird. Deßhalb muß es uns verſtattet ſein, einen Blick auf das ganze Syſtem der neuen Rechtsbildung zu werfen, um für das der Entwährung darin ſeine Stelle und ſeinen Umfang zu finden. Das leitende Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung gegenüber der Geſchlechterordnung in Beziehung zunächſt auf die Perſon iſt mit einem Worte das der rechtlichen Gleichheit. Der formale Ausdruck dieſes Princips beſteht darin, daß die Verwaltung des Rechts für alle gleich ſein, das iſt, daß alle ohne Unterſchied vor demſelben Gericht des Staats ihr Recht ſuchen ſollen. Damit iſt die Aufhebung der Grundlage des Geſchlechterrechts, des Syſtems der Geſchlechtergerichte, oder der Verſchiedenheit der Competenz je nach der geſellſchaftlichen Stellung ausgeſprochen. Es folgt ferner, daß der Wille der Einzelnen gleich ſei, das iſt, daß kein Einzelner als Einzelner von dem andern Gehorſam zu fordern habe, ſondern daß nur die Gemeinſchaft aller im perſönlichen Staat über den Einzelnen herrſchen dürfe. Der formale Ausdruck dieſes Princips iſt, daß der Einzelne nur dem Geſetze und nicht ſeinem Herrn zu gehorchen habe. Daran ſchließt ſich der dritte Satz, daß der Beſitz als ſolcher ein Recht auf Verwaltung, Gericht und Polizei nicht mehr geben dürfe; damit ward die letzte Grundlage des feudalen Syſtems, die Grundherrlichkeit, die mit dem Geſchlechter- beſitz verbundene Obrigkeit, unmöglich. Alle dieſe Rechte der Geſchlechter haben nun ihrem Weſen nach keinen wirthſchaftlichen Werth; ſie wer- den daher nicht entwährt, ſondern einfach aufgehoben, und zwar mit allen auch wirthſchaftlichen Conſequenzen und Leiſtungen der bisher untergeordneten Klaſſen, da das Recht der herrſchenden auf dieſe nicht ein ſelbſtändiges Privatrecht, ſondern nur die Folge eines Rechts iſt, das an ſich, nach dem Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, über- haupt kein Privatrecht ſein ſoll. Die Geſammtheit dieſer auf- gehobenen Rechte enthält die Herſtellung der ſtaatsbürgerlichen Gleichheit.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/98>, abgerufen am 22.11.2024.