besondern Grund, weil sie "nachts nicht schlief". Sie stellten mehrfach mitten in der Unterhaltung die Forderung, dass ich die Uhr hervorhole und lachten dann sehr befriedigt, wenn sie wirklich wach war und tickte.
Nichts wäre verkehrter als zu glauben, dass dieser aufrichtigen Neugier und Bewunderung nun ein eigentlicher Wissenstrieb oder ein tieferes Bedürfnis des Verstehens zu Grunde gelegen hätte. Ueber die Frage: "hast du das gemacht?" kamen sie nicht hinaus. Nein, ich gab einfach meine Zirkusvorstellung, ich zeigte meine Kunststücke, und man freute sich, dass ich sie in jedem Augenblick in aller Eleganz vorweisen konnte und mich niemals blamierte. Das verblüffendste Beispiel einer oberflächlichen Befriedigung gab später der dicke Yapü, als Vogel ihm seine goldene Uhr zeigte und, um ihn auf das wertvolle Gold recht aufmerk- sam zu machen, sie zum Kontrast auf die Glasseite herumdrehte. Yapü hatte gerade ein Stück Beiju, Mandiokafladen in der Hand, der nur auf einer Seite gut gebacken zu werden pflegte, und somit eine schön goldgelbe und eine andere grauweissliche Seite hatte: "Beiju", sagte er gelassen, und schritt weiter. Die Erscheinung war ihm von Beiju her bekannt, und es lohnte wahrlich nicht, sich dabei aufzuhalten.
Auch kann ich hier schon ihrer Ueberraschung gedenken, als einer der Herren, der in der Lage war, ein falsches Gebiss herausnehmen zu können, dieses Kunststück produzierte. Sie staunten, aber lachten auch sehr bald, und einige Tage später, als sie an den gefangenen Piranyafischen die Gebisse, ihre ein- heimischen "Messer", auslösten und von einem Kameraden gefragt wurden, warum sie das thäten, antwortete Einer nicht ohne Witz: "damit wir uns auch helfen können, wie der Bruder, wenn wir einmal alt werden".
Wie wäre es auch möglich gewesen, ihnen irgend einen meiner Apparate oder auch nur ein Messer oder einen Knopf wirklich zu erklären? Wie sollte ich ihnen begreiflich machen, was eine "Maschine" ist? Was sie zu leisten hatten, leisteten sie, sie passten gut auf und es war hübsch, die Lebhaftigkeit und Wichtigthuerei zu beobachten, mit der ein eben gezeigtes Kunststück einem neu Hinzutretenden, einem Ignoranten in ihren Augen, beschrieben wurde. So merkten sie sich ganz genau, dass meine schwedischen Zündhölzer nur auf der Reibfläche in Brand gerieten; mit grossem Eifer wurde ein Ankömmling auf Bakairi über "tända endast mot ladans plan" belehrt. Welche Dame bei uns wüsste mehr davon zu sagen? Nicht davon zu reden, dass keine eine Ahnung davon hat, was Feuer ist. Zuerst erschraken sie, dann fanden sie die Sache spannend, dann sehr nett und spasshaft, und endlich zogen sie die Nutzanwendung und baten mich, als ein Feuer angezündet werden sollte, einen dicken Holzkloben mit meinen Schweden in Brand zu setzen. Eine Frau, bei der wohl die ersten Gefühle vorherrschend blieben, nahm eine leere Schachtel und hing sie ihrem Baby um den Hals.
Ihr Bedürfnis, in das Wesen der neuen Dinge einzudringen, erschöpfte sich ausser in der Frage, ob ich sie gemacht habe, in der zweiten nach dem Namen.
besondern Grund, weil sie »nachts nicht schlief«. Sie stellten mehrfach mitten in der Unterhaltung die Forderung, dass ich die Uhr hervorhole und lachten dann sehr befriedigt, wenn sie wirklich wach war und tickte.
Nichts wäre verkehrter als zu glauben, dass dieser aufrichtigen Neugier und Bewunderung nun ein eigentlicher Wissenstrieb oder ein tieferes Bedürfnis des Verstehens zu Grunde gelegen hätte. Ueber die Frage: »hast du das gemacht?« kamen sie nicht hinaus. Nein, ich gab einfach meine Zirkusvorstellung, ich zeigte meine Kunststücke, und man freute sich, dass ich sie in jedem Augenblick in aller Eleganz vorweisen konnte und mich niemals blamierte. Das verblüffendste Beispiel einer oberflächlichen Befriedigung gab später der dicke Yapü, als Vogel ihm seine goldene Uhr zeigte und, um ihn auf das wertvolle Gold recht aufmerk- sam zu machen, sie zum Kontrast auf die Glasseite herumdrehte. Yapü hatte gerade ein Stück Beijú, Mandiokafladen in der Hand, der nur auf einer Seite gut gebacken zu werden pflegte, und somit eine schön goldgelbe und eine andere grauweissliche Seite hatte: »Beijú«, sagte er gelassen, und schritt weiter. Die Erscheinung war ihm von Beijú her bekannt, und es lohnte wahrlich nicht, sich dabei aufzuhalten.
Auch kann ich hier schon ihrer Ueberraschung gedenken, als einer der Herren, der in der Lage war, ein falsches Gebiss herausnehmen zu können, dieses Kunststück produzierte. Sie staunten, aber lachten auch sehr bald, und einige Tage später, als sie an den gefangenen Piranyafischen die Gebisse, ihre ein- heimischen »Messer«, auslösten und von einem Kameraden gefragt wurden, warum sie das thäten, antwortete Einer nicht ohne Witz: »damit wir uns auch helfen können, wie der Bruder, wenn wir einmal alt werden«.
Wie wäre es auch möglich gewesen, ihnen irgend einen meiner Apparate oder auch nur ein Messer oder einen Knopf wirklich zu erklären? Wie sollte ich ihnen begreiflich machen, was eine »Maschine« ist? Was sie zu leisten hatten, leisteten sie, sie passten gut auf und es war hübsch, die Lebhaftigkeit und Wichtigthuerei zu beobachten, mit der ein eben gezeigtes Kunststück einem neu Hinzutretenden, einem Ignoranten in ihren Augen, beschrieben wurde. So merkten sie sich ganz genau, dass meine schwedischen Zündhölzer nur auf der Reibfläche in Brand gerieten; mit grossem Eifer wurde ein Ankömmling auf Bakaïrí über »tända endast mot lådans plån« belehrt. Welche Dame bei uns wüsste mehr davon zu sagen? Nicht davon zu reden, dass keine eine Ahnung davon hat, was Feuer ist. Zuerst erschraken sie, dann fanden sie die Sache spannend, dann sehr nett und spasshaft, und endlich zogen sie die Nutzanwendung und baten mich, als ein Feuer angezündet werden sollte, einen dicken Holzkloben mit meinen Schweden in Brand zu setzen. Eine Frau, bei der wohl die ersten Gefühle vorherrschend blieben, nahm eine leere Schachtel und hing sie ihrem Baby um den Hals.
Ihr Bedürfnis, in das Wesen der neuen Dinge einzudringen, erschöpfte sich ausser in der Frage, ob ich sie gemacht habe, in der zweiten nach dem Namen.
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[76/0106]
besondern Grund, weil sie »nachts nicht schlief«. Sie stellten mehrfach mitten
in der Unterhaltung die Forderung, dass ich die Uhr hervorhole und lachten
dann sehr befriedigt, wenn sie wirklich wach war und tickte.
Nichts wäre verkehrter als zu glauben, dass dieser aufrichtigen Neugier und
Bewunderung nun ein eigentlicher Wissenstrieb oder ein tieferes Bedürfnis des
Verstehens zu Grunde gelegen hätte. Ueber die Frage: »hast du das gemacht?«
kamen sie nicht hinaus. Nein, ich gab einfach meine Zirkusvorstellung, ich zeigte
meine Kunststücke, und man freute sich, dass ich sie in jedem Augenblick in
aller Eleganz vorweisen konnte und mich niemals blamierte. Das verblüffendste
Beispiel einer oberflächlichen Befriedigung gab später der dicke Yapü, als Vogel
ihm seine goldene Uhr zeigte und, um ihn auf das wertvolle Gold recht aufmerk-
sam zu machen, sie zum Kontrast auf die Glasseite herumdrehte. Yapü hatte
gerade ein Stück Beijú, Mandiokafladen in der Hand, der nur auf einer Seite
gut gebacken zu werden pflegte, und somit eine schön goldgelbe und eine andere
grauweissliche Seite hatte: »Beijú«, sagte er gelassen, und schritt weiter. Die
Erscheinung war ihm von Beijú her bekannt, und es lohnte wahrlich nicht, sich
dabei aufzuhalten.
Auch kann ich hier schon ihrer Ueberraschung gedenken, als einer der
Herren, der in der Lage war, ein falsches Gebiss herausnehmen zu können, dieses
Kunststück produzierte. Sie staunten, aber lachten auch sehr bald, und einige
Tage später, als sie an den gefangenen Piranyafischen die Gebisse, ihre ein-
heimischen »Messer«, auslösten und von einem Kameraden gefragt wurden, warum
sie das thäten, antwortete Einer nicht ohne Witz: »damit wir uns auch helfen
können, wie der Bruder, wenn wir einmal alt werden«.
Wie wäre es auch möglich gewesen, ihnen irgend einen meiner Apparate
oder auch nur ein Messer oder einen Knopf wirklich zu erklären? Wie sollte ich
ihnen begreiflich machen, was eine »Maschine« ist? Was sie zu leisten hatten,
leisteten sie, sie passten gut auf und es war hübsch, die Lebhaftigkeit und
Wichtigthuerei zu beobachten, mit der ein eben gezeigtes Kunststück einem neu
Hinzutretenden, einem Ignoranten in ihren Augen, beschrieben wurde. So
merkten sie sich ganz genau, dass meine schwedischen Zündhölzer nur auf der
Reibfläche in Brand gerieten; mit grossem Eifer wurde ein Ankömmling auf
Bakaïrí über »tända endast mot lådans plån« belehrt. Welche Dame bei uns
wüsste mehr davon zu sagen? Nicht davon zu reden, dass keine eine Ahnung
davon hat, was Feuer ist. Zuerst erschraken sie, dann fanden sie die Sache
spannend, dann sehr nett und spasshaft, und endlich zogen sie die Nutzanwendung
und baten mich, als ein Feuer angezündet werden sollte, einen dicken Holzkloben
mit meinen Schweden in Brand zu setzen. Eine Frau, bei der wohl die ersten
Gefühle vorherrschend blieben, nahm eine leere Schachtel und hing sie ihrem
Baby um den Hals.
Ihr Bedürfnis, in das Wesen der neuen Dinge einzudringen, erschöpfte sich
ausser in der Frage, ob ich sie gemacht habe, in der zweiten nach dem Namen.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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