Indianer schneller vorwärts; diese fuhren zwar alle Windungen aus, arbeiteten aber sehr stetig und drehten sich keine Zigaretten. Ihr gutes Beispiel blieb nicht ohne Wirkung, auch gab die Gesellschaft immer Anregung zu kleinen Scherzen. Unsere Kameraden unterhielten sich natürlich auch untereinander von Kanu zu Kanu nur noch in indianischen Sprachen, was wiederum den Gevattern grosses Vergnügen machte. In meinem Kanu hatte Jeder seine Methode, sich die An- strengung zu erleichtern. Ich selbst steckte mir ein möglichst fernes Ziel am Ufer, das ich erreichen wollte, ohne mit dem Rudern auszusetzen, und spaltete mein liebes Ich in zwei getrennte Persönlichkeiten, die eine, die sich redlich plagte und nur Pflichten besass, die andere, die streng über Nr. 1 zu Gericht sass. Wenn das Kanu nach der Meinung von Nr. 1 den Zielpunkt passierte, dann hatte Nr. 2 seine Bedenken, ob das Kanu an dieser Stelle nicht gerade einen Winkel mit der Uferlinie mache und in Wirklichkeit noch zurück sei; war dieser Zweifel gründlich beseitigt, so stellte Nr. 2 für eine gut bemessene Zusatzstrecke ein schmeichelhaftes Lob in Aussicht, das des Schweisses wert war. Doch half sich Nr. 1 durch taktmässiges leises Zählen mit allerlei Kniffen; besonders bewährte sich die folgende Art: z. B. 2, 4, 6 und so fort bis 40, dann dasselbe noch einmal, dann erst weiter zählen bis 50, nun auch bis 50 wiederholt und jetzt erst bis 60, etc. Con grazia in infinitum.
Wilhelm pflegte sich entweder die Frage nach allen Richtungen gründlich zu überlegen, was er bei der Ankunft auf der Fazenda S. Manoel und gar in Cuyaba zuerst essen und trinken solle, die verschiedenen Möglichkeiten abwägend, oder er rechnete sich den Zeitunterschied zwischen unserm Aufenthaltsort und dem Düsseldorfer Malkasten aus und wusste dann zu seinem Trost genau, wie es dort in diesem Augenblick aussah, wer in dieser und wer in jener Ecke sass, wer einen Skat drehte, wer Kegel schob oder ob gar Einer mit geübter Künstler- hand auf dem Tisch die Kreidezeichnung der lustigen Sieben entwarf.
Antonio hielt sich als echter Sohn eines Naturvolkes an die Gegenwart und war der Verständigste von uns Dreien. Durch seine Jagdgelüste immer wach- gehalten, spähte er mit muntern Sinnen umher, sah Alles, hörte Alles und speicherte die kleinen und kleinsten Vorgänge in seinem zuverlässigen Gedächtnis auf, um mit zahlreichen Lokalzeichen die Fähigkeit zu üben, die von den Kultur- menschen als "Ortsinstinkt" missverstanden wird. Wenn ich es nicht durch häufige Fragen selbst festgestellt hätte, ich würde kaum geglaubt haben, dass irgend Jemand ohne schriftliche Notizen sich nach einmaliger Fahrt auf einem gleichförmigen Fluss eine so sichere Anschauung über die Einzelheiten seines Verlaufs hätte erwerben können. Er kannte jede Windung nicht nur genau wieder, er sagte mir, wenn ich ihn fragte, richtig, dass es noch zwei oder drei Windungen bis zu dem oder jenem Punkte seien. Er hatte die Karte im Kopf oder vielmehr, er hatte zahlreiche und unbedeutend erscheinende Ereignisse in ihrer Reihenfolge behalten. Hier hatte "Doktor Guilherme" damals eine Ente geschossen, dort war ein Kapivara über den Fluss geschwommen, hier hingen Bienennester, dort stand ein hoher Jatobabaum,
Indianer schneller vorwärts; diese fuhren zwar alle Windungen aus, arbeiteten aber sehr stetig und drehten sich keine Zigaretten. Ihr gutes Beispiel blieb nicht ohne Wirkung, auch gab die Gesellschaft immer Anregung zu kleinen Scherzen. Unsere Kameraden unterhielten sich natürlich auch untereinander von Kanu zu Kanu nur noch in indianischen Sprachen, was wiederum den Gevattern grosses Vergnügen machte. In meinem Kanu hatte Jeder seine Methode, sich die An- strengung zu erleichtern. Ich selbst steckte mir ein möglichst fernes Ziel am Ufer, das ich erreichen wollte, ohne mit dem Rudern auszusetzen, und spaltete mein liebes Ich in zwei getrennte Persönlichkeiten, die eine, die sich redlich plagte und nur Pflichten besass, die andere, die streng über Nr. 1 zu Gericht sass. Wenn das Kanu nach der Meinung von Nr. 1 den Zielpunkt passierte, dann hatte Nr. 2 seine Bedenken, ob das Kanu an dieser Stelle nicht gerade einen Winkel mit der Uferlinie mache und in Wirklichkeit noch zurück sei; war dieser Zweifel gründlich beseitigt, so stellte Nr. 2 für eine gut bemessene Zusatzstrecke ein schmeichelhaftes Lob in Aussicht, das des Schweisses wert war. Doch half sich Nr. 1 durch taktmässiges leises Zählen mit allerlei Kniffen; besonders bewährte sich die folgende Art: z. B. 2, 4, 6 und so fort bis 40, dann dasselbe noch einmal, dann erst weiter zählen bis 50, nun auch bis 50 wiederholt und jetzt erst bis 60, etc. Con grazia in infinitum.
Wilhelm pflegte sich entweder die Frage nach allen Richtungen gründlich zu überlegen, was er bei der Ankunft auf der Fazenda S. Manoel und gar in Cuyabá zuerst essen und trinken solle, die verschiedenen Möglichkeiten abwägend, oder er rechnete sich den Zeitunterschied zwischen unserm Aufenthaltsort und dem Düsseldorfer Malkasten aus und wusste dann zu seinem Trost genau, wie es dort in diesem Augenblick aussah, wer in dieser und wer in jener Ecke sass, wer einen Skat drehte, wer Kegel schob oder ob gar Einer mit geübter Künstler- hand auf dem Tisch die Kreidezeichnung der lustigen Sieben entwarf.
Antonio hielt sich als echter Sohn eines Naturvolkes an die Gegenwart und war der Verständigste von uns Dreien. Durch seine Jagdgelüste immer wach- gehalten, spähte er mit muntern Sinnen umher, sah Alles, hörte Alles und speicherte die kleinen und kleinsten Vorgänge in seinem zuverlässigen Gedächtnis auf, um mit zahlreichen Lokalzeichen die Fähigkeit zu üben, die von den Kultur- menschen als »Ortsinstinkt« missverstanden wird. Wenn ich es nicht durch häufige Fragen selbst festgestellt hätte, ich würde kaum geglaubt haben, dass irgend Jemand ohne schriftliche Notizen sich nach einmaliger Fahrt auf einem gleichförmigen Fluss eine so sichere Anschauung über die Einzelheiten seines Verlaufs hätte erwerben können. Er kannte jede Windung nicht nur genau wieder, er sagte mir, wenn ich ihn fragte, richtig, dass es noch zwei oder drei Windungen bis zu dem oder jenem Punkte seien. Er hatte die Karte im Kopf oder vielmehr, er hatte zahlreiche und unbedeutend erscheinende Ereignisse in ihrer Reihenfolge behalten. Hier hatte »Doktor Guilherme« damals eine Ente geschossen, dort war ein Kapivara über den Fluss geschwommen, hier hingen Bienennester, dort stand ein hoher Jatobábaum,
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[133/0171]
Indianer schneller vorwärts; diese fuhren zwar alle Windungen aus, arbeiteten
aber sehr stetig und drehten sich keine Zigaretten. Ihr gutes Beispiel blieb nicht
ohne Wirkung, auch gab die Gesellschaft immer Anregung zu kleinen Scherzen.
Unsere Kameraden unterhielten sich natürlich auch untereinander von Kanu zu
Kanu nur noch in indianischen Sprachen, was wiederum den Gevattern grosses
Vergnügen machte. In meinem Kanu hatte Jeder seine Methode, sich die An-
strengung zu erleichtern. Ich selbst steckte mir ein möglichst fernes Ziel am
Ufer, das ich erreichen wollte, ohne mit dem Rudern auszusetzen, und spaltete
mein liebes Ich in zwei getrennte Persönlichkeiten, die eine, die sich redlich plagte
und nur Pflichten besass, die andere, die streng über Nr. 1 zu Gericht sass.
Wenn das Kanu nach der Meinung von Nr. 1 den Zielpunkt passierte, dann
hatte Nr. 2 seine Bedenken, ob das Kanu an dieser Stelle nicht gerade einen
Winkel mit der Uferlinie mache und in Wirklichkeit noch zurück sei; war dieser
Zweifel gründlich beseitigt, so stellte Nr. 2 für eine gut bemessene Zusatzstrecke
ein schmeichelhaftes Lob in Aussicht, das des Schweisses wert war. Doch half
sich Nr. 1 durch taktmässiges leises Zählen mit allerlei Kniffen; besonders bewährte
sich die folgende Art: z. B. 2, 4, 6 und so fort bis 40, dann dasselbe noch
einmal, dann erst weiter zählen bis 50, nun auch bis 50 wiederholt und jetzt erst
bis 60, etc. Con grazia in infinitum.
Wilhelm pflegte sich entweder die Frage nach allen Richtungen gründlich
zu überlegen, was er bei der Ankunft auf der Fazenda S. Manoel und gar in
Cuyabá zuerst essen und trinken solle, die verschiedenen Möglichkeiten abwägend,
oder er rechnete sich den Zeitunterschied zwischen unserm Aufenthaltsort und
dem Düsseldorfer Malkasten aus und wusste dann zu seinem Trost genau, wie
es dort in diesem Augenblick aussah, wer in dieser und wer in jener Ecke sass,
wer einen Skat drehte, wer Kegel schob oder ob gar Einer mit geübter Künstler-
hand auf dem Tisch die Kreidezeichnung der lustigen Sieben entwarf.
Antonio hielt sich als echter Sohn eines Naturvolkes an die Gegenwart und
war der Verständigste von uns Dreien. Durch seine Jagdgelüste immer wach-
gehalten, spähte er mit muntern Sinnen umher, sah Alles, hörte Alles und
speicherte die kleinen und kleinsten Vorgänge in seinem zuverlässigen Gedächtnis
auf, um mit zahlreichen Lokalzeichen die Fähigkeit zu üben, die von den Kultur-
menschen als »Ortsinstinkt« missverstanden wird. Wenn ich es nicht durch häufige
Fragen selbst festgestellt hätte, ich würde kaum geglaubt haben, dass irgend Jemand
ohne schriftliche Notizen sich nach einmaliger Fahrt auf einem gleichförmigen Fluss
eine so sichere Anschauung über die Einzelheiten seines Verlaufs hätte erwerben
können. Er kannte jede Windung nicht nur genau wieder, er sagte mir, wenn ich
ihn fragte, richtig, dass es noch zwei oder drei Windungen bis zu dem oder jenem
Punkte seien. Er hatte die Karte im Kopf oder vielmehr, er hatte zahlreiche und
unbedeutend erscheinende Ereignisse in ihrer Reihenfolge behalten. Hier hatte
»Doktor Guilherme« damals eine Ente geschossen, dort war ein Kapivara über den
Fluss geschwommen, hier hingen Bienennester, dort stand ein hoher Jatobábaum,
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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