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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Uebrigen wurde die Bartpflege weitaus am nachlässigsten behandelt, und so wird
der Brauch, das Haar zu entfernen, wohl auch nicht zuerst bei ihr eingesetzt haben.

Für das Schamhaar, das nur die Suya-Männer nicht entfernten, während
ihre absolut nackten Frauen dies thaten, kann man den ziemlich grob naiven Ein-
geborenen am ehesten zumuten, dass sie sein Vorhandensein als besonders hässlich
erachteten. Doch ist es schwerlich befriedigend anzunehmen, dass es nur die dem
Menschen angeborene Freude an glatter Haut sei, die den so energischen Ver-
nichtungskrieg des unbekleideten Eingeborenen gegen alles Körperhaar in Szene
gesetzt hat. Es fehlt nicht an Gründen, die es als vielfach lästig erscheinen
lassen. Man sagt sich, dass auch Insekten, die nicht nach Art der Läuse
verspeist werden, in Bart, Achsel- und Schamhaar eindringen und das Haar ver-
filzen, wie in unserm Revier sich dort namentlich die Bienen verfingen, man
erinnert sich der im Haar doppelt empfindlichen Knötchen und Eiterbläschen auf
schwitzender Haut, der Unsauberkeit durch Blut und Schmutz, der Angriffs-
gelegenheit für Gestrüpp wie für die Rauflust des Mitmenschen und findet so
manchen Umstand, dem zufolge das Körperhaar einem nackten Menschen aller-
dings eher Beschwerden als Freuden bringen mag. Es ist andrerseits auch der
Zeitvertreib und Genuss zu würdigen, den das Ausrupfen der Haare und das
Herumarbeiten mit Handwerkzeug am Körper in faulen Stunden den Leuten
bietet. Endlich wäre es vielleicht nicht ganz gleichgültig, dass Haar und Federn
als eine Art pflanzlicher Gewächse gelten. Das Wort für Haar und Federn bei
den Bakairi und wahrscheinlich auch in andern Sprachen ist ursprünglich dasselbe
wie Wald, und ob nun das Pflanzliche vom Körperlichen abgeleitet sei oder um-
gekehrt, die Begriffe sind urverwandt. Haar und Pflanzen wachsen, sie werden
auch ausgerodet, zumal das kurze Unkraut.

Ich möchte jedoch einen einfachen und täglich wirkenden Grund voranstellen.
Wie Haut und Haar zusammengehören, so denke ich bei dem Gebrauch des Aus-
rupfens an einen Zusammenhang mit dem andern Gebrauch des Körperbemalens,
des Schminkens, von dem Joest behauptet, dass es älter sei als das Waschen.
Für das Anstreichen des Körpers, mit dem wir uns bald näher beschäftigen wollen,
ist die Entfernung des Haares aber äusserst wünschenswert, weil dieses die Farbe
aufnimmt, die der darunter liegenden Haut selbst eingerieben werden soll. Wer ein
Fell anstreichen will, rasiert zuvörderst. Ein Hauptzweck des Anstreichens, die Tötung
der Insekten, würde gar nicht erreicht. Die Entfernung des Schamhaars findet weiter-
hin eine sehr natürliche Erklärung in dem Konflikt, in den es mit den Vorrichtungen
gerät, die hier gerade um die Zeit angebracht werden, wenn es erscheint. Besonders
würden die Manipulationen mit der Hüftschnur bei den Männern entschieden be-
hindert werden. Kurz, wer das Haar entfernt, ist besser daran und vermisst doch
Nichts. Damit allein ist die Sitte genügend begründet. Rupfen, Schneiden und
Rasieren sind nur eine Frage der Gründlichkeit oder der technischen Mittel oder der
Rücksicht auf die Empfindlichkeit. Weniger Beachtung findet der Kamm, man hat
eher die Haare geschnitten und ausgerupft, ehe man sie gekämmt hat.


v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 12

Uebrigen wurde die Bartpflege weitaus am nachlässigsten behandelt, und so wird
der Brauch, das Haar zu entfernen, wohl auch nicht zuerst bei ihr eingesetzt haben.

Für das Schamhaar, das nur die Suyá-Männer nicht entfernten, während
ihre absolut nackten Frauen dies thaten, kann man den ziemlich grob naiven Ein-
geborenen am ehesten zumuten, dass sie sein Vorhandensein als besonders hässlich
erachteten. Doch ist es schwerlich befriedigend anzunehmen, dass es nur die dem
Menschen angeborene Freude an glatter Haut sei, die den so energischen Ver-
nichtungskrieg des unbekleideten Eingeborenen gegen alles Körperhaar in Szene
gesetzt hat. Es fehlt nicht an Gründen, die es als vielfach lästig erscheinen
lassen. Man sagt sich, dass auch Insekten, die nicht nach Art der Läuse
verspeist werden, in Bart, Achsel- und Schamhaar eindringen und das Haar ver-
filzen, wie in unserm Revier sich dort namentlich die Bienen verfingen, man
erinnert sich der im Haar doppelt empfindlichen Knötchen und Eiterbläschen auf
schwitzender Haut, der Unsauberkeit durch Blut und Schmutz, der Angriffs-
gelegenheit für Gestrüpp wie für die Rauflust des Mitmenschen und findet so
manchen Umstand, dem zufolge das Körperhaar einem nackten Menschen aller-
dings eher Beschwerden als Freuden bringen mag. Es ist andrerseits auch der
Zeitvertreib und Genuss zu würdigen, den das Ausrupfen der Haare und das
Herumarbeiten mit Handwerkzeug am Körper in faulen Stunden den Leuten
bietet. Endlich wäre es vielleicht nicht ganz gleichgültig, dass Haar und Federn
als eine Art pflanzlicher Gewächse gelten. Das Wort für Haar und Federn bei
den Bakaïrí und wahrscheinlich auch in andern Sprachen ist ursprünglich dasselbe
wie Wald, und ob nun das Pflanzliche vom Körperlichen abgeleitet sei oder um-
gekehrt, die Begriffe sind urverwandt. Haar und Pflanzen wachsen, sie werden
auch ausgerodet, zumal das kurze Unkraut.

Ich möchte jedoch einen einfachen und täglich wirkenden Grund voranstellen.
Wie Haut und Haar zusammengehören, so denke ich bei dem Gebrauch des Aus-
rupfens an einen Zusammenhang mit dem andern Gebrauch des Körperbemalens,
des Schminkens, von dem Joest behauptet, dass es älter sei als das Waschen.
Für das Anstreichen des Körpers, mit dem wir uns bald näher beschäftigen wollen,
ist die Entfernung des Haares aber äusserst wünschenswert, weil dieses die Farbe
aufnimmt, die der darunter liegenden Haut selbst eingerieben werden soll. Wer ein
Fell anstreichen will, rasiert zuvörderst. Ein Hauptzweck des Anstreichens, die Tötung
der Insekten, würde gar nicht erreicht. Die Entfernung des Schamhaars findet weiter-
hin eine sehr natürliche Erklärung in dem Konflikt, in den es mit den Vorrichtungen
gerät, die hier gerade um die Zeit angebracht werden, wenn es erscheint. Besonders
würden die Manipulationen mit der Hüftschnur bei den Männern entschieden be-
hindert werden. Kurz, wer das Haar entfernt, ist besser daran und vermisst doch
Nichts. Damit allein ist die Sitte genügend begründet. Rupfen, Schneiden und
Rasieren sind nur eine Frage der Gründlichkeit oder der technischen Mittel oder der
Rücksicht auf die Empfindlichkeit. Weniger Beachtung findet der Kamm, man hat
eher die Haare geschnitten und ausgerupft, ehe man sie gekämmt hat.


v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 12
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[177/0221] Uebrigen wurde die Bartpflege weitaus am nachlässigsten behandelt, und so wird der Brauch, das Haar zu entfernen, wohl auch nicht zuerst bei ihr eingesetzt haben. Für das Schamhaar, das nur die Suyá-Männer nicht entfernten, während ihre absolut nackten Frauen dies thaten, kann man den ziemlich grob naiven Ein- geborenen am ehesten zumuten, dass sie sein Vorhandensein als besonders hässlich erachteten. Doch ist es schwerlich befriedigend anzunehmen, dass es nur die dem Menschen angeborene Freude an glatter Haut sei, die den so energischen Ver- nichtungskrieg des unbekleideten Eingeborenen gegen alles Körperhaar in Szene gesetzt hat. Es fehlt nicht an Gründen, die es als vielfach lästig erscheinen lassen. Man sagt sich, dass auch Insekten, die nicht nach Art der Läuse verspeist werden, in Bart, Achsel- und Schamhaar eindringen und das Haar ver- filzen, wie in unserm Revier sich dort namentlich die Bienen verfingen, man erinnert sich der im Haar doppelt empfindlichen Knötchen und Eiterbläschen auf schwitzender Haut, der Unsauberkeit durch Blut und Schmutz, der Angriffs- gelegenheit für Gestrüpp wie für die Rauflust des Mitmenschen und findet so manchen Umstand, dem zufolge das Körperhaar einem nackten Menschen aller- dings eher Beschwerden als Freuden bringen mag. Es ist andrerseits auch der Zeitvertreib und Genuss zu würdigen, den das Ausrupfen der Haare und das Herumarbeiten mit Handwerkzeug am Körper in faulen Stunden den Leuten bietet. Endlich wäre es vielleicht nicht ganz gleichgültig, dass Haar und Federn als eine Art pflanzlicher Gewächse gelten. Das Wort für Haar und Federn bei den Bakaïrí und wahrscheinlich auch in andern Sprachen ist ursprünglich dasselbe wie Wald, und ob nun das Pflanzliche vom Körperlichen abgeleitet sei oder um- gekehrt, die Begriffe sind urverwandt. Haar und Pflanzen wachsen, sie werden auch ausgerodet, zumal das kurze Unkraut. Ich möchte jedoch einen einfachen und täglich wirkenden Grund voranstellen. Wie Haut und Haar zusammengehören, so denke ich bei dem Gebrauch des Aus- rupfens an einen Zusammenhang mit dem andern Gebrauch des Körperbemalens, des Schminkens, von dem Joest behauptet, dass es älter sei als das Waschen. Für das Anstreichen des Körpers, mit dem wir uns bald näher beschäftigen wollen, ist die Entfernung des Haares aber äusserst wünschenswert, weil dieses die Farbe aufnimmt, die der darunter liegenden Haut selbst eingerieben werden soll. Wer ein Fell anstreichen will, rasiert zuvörderst. Ein Hauptzweck des Anstreichens, die Tötung der Insekten, würde gar nicht erreicht. Die Entfernung des Schamhaars findet weiter- hin eine sehr natürliche Erklärung in dem Konflikt, in den es mit den Vorrichtungen gerät, die hier gerade um die Zeit angebracht werden, wenn es erscheint. Besonders würden die Manipulationen mit der Hüftschnur bei den Männern entschieden be- hindert werden. Kurz, wer das Haar entfernt, ist besser daran und vermisst doch Nichts. Damit allein ist die Sitte genügend begründet. Rupfen, Schneiden und Rasieren sind nur eine Frage der Gründlichkeit oder der technischen Mittel oder der Rücksicht auf die Empfindlichkeit. Weniger Beachtung findet der Kamm, man hat eher die Haare geschnitten und ausgerupft, ehe man sie gekämmt hat. v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 12

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/221>, abgerufen am 21.11.2024.