Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.den Mehinaku verliess. Das Mereschu-Rautenmuster, von dem ich später ausführ- Ritznarben. Ritzen der Haut ist eine Art Universalheilmittel. Es wird [Abbildung]
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Abb. 15. Wundkratzer, einem dreieckigem Stück Kürbis-Wundkratzer. schale, das mit einer Reihe kleiner spitzer Zähn- chen von Fischen (Trahira) oder Krallen von Nagetieren (Aguti) besetzt ist, wird die Haut ge- ritzt, eine Weile bluten gelassen, wobei durch Streichen mit einem Knochen nachgeholfen wird, und dann entweder mit gelbem Lehm oder mit Russ oder dem Saft einer Frucht (natuntsan bei den Auetö) eingerieben. Zumal an den Armen sieht man überall die Ritznarben. Eigentliche Ziernarben fehlen durchaus, was mit dem Satz von Joest übereinstimmt, dass sie auf die dunkeln Völker beschränkt sind. Damit die Knaben zum Schiessen ein sicheres Auge und einen starken Arm erhalten, wird Gesicht und Oberarm mit dem Wund- kratzer bearbeitet. Ich sah ihn bei einer starken Anschwellung des Fusses mit sehr gutem Erfolg angewandt. Das Verfahren ist der reine Baunscheidtismus und wird auch ausdrücklich als ein medizinisches hingestellt. Es ist klar, dass man sich in vielen Fällen auch wirklich Erleichterung verschafft, indem man die Spannung und Entzündung vermindert. Es ist nicht weniger klar, wie man darauf verfallen ist, da sich jeder Mensch bei Insektenstichen kratzt, bis es blutet und der Schmerz oder das Jucken aufhört, und da man auch, was Schlechtes unter die Haut eingedrungen ist, wieder herauslassen möchte. Endlich ist es nicht rätselhaft, warum man sich mit Russ oder Erde einreibt, man will sich wiederum nicht schmücken, sondern man steigert oder mildert nach Bedarf den Reiz und stillt das Blut. Bluten wurde auch mit Asche gehemmt. So ist der Eingeborene hier zum Tätowieren gekommen, ohne es zu er- den Mehinakú verliess. Das Mereschu-Rautenmuster, von dem ich später ausführ- Ritznarben. Ritzen der Haut ist eine Art Universalheilmittel. Es wird [Abbildung]
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Abb. 15. Wundkratzer, einem dreieckigem Stück Kürbis-Wundkratzer. schale, das mit einer Reihe kleiner spitzer Zähn- chen von Fischen (Trahira) oder Krallen von Nagetieren (Agutí) besetzt ist, wird die Haut ge- ritzt, eine Weile bluten gelassen, wobei durch Streichen mit einem Knochen nachgeholfen wird, und dann entweder mit gelbem Lehm oder mit Russ oder dem Saft einer Frucht (natuntsán bei den Auetö́) eingerieben. Zumal an den Armen sieht man überall die Ritznarben. Eigentliche Ziernarben fehlen durchaus, was mit dem Satz von Joest übereinstimmt, dass sie auf die dunkeln Völker beschränkt sind. Damit die Knaben zum Schiessen ein sicheres Auge und einen starken Arm erhalten, wird Gesicht und Oberarm mit dem Wund- kratzer bearbeitet. Ich sah ihn bei einer starken Anschwellung des Fusses mit sehr gutem Erfolg angewandt. Das Verfahren ist der reine Baunscheidtismus und wird auch ausdrücklich als ein medizinisches hingestellt. Es ist klar, dass man sich in vielen Fällen auch wirklich Erleichterung verschafft, indem man die Spannung und Entzündung vermindert. Es ist nicht weniger klar, wie man darauf verfallen ist, da sich jeder Mensch bei Insektenstichen kratzt, bis es blutet und der Schmerz oder das Jucken aufhört, und da man auch, was Schlechtes unter die Haut eingedrungen ist, wieder herauslassen möchte. Endlich ist es nicht rätselhaft, warum man sich mit Russ oder Erde einreibt, man will sich wiederum nicht schmücken, sondern man steigert oder mildert nach Bedarf den Reiz und stillt das Blut. Bluten wurde auch mit Asche gehemmt. So ist der Eingeborene hier zum Tätowieren gekommen, ohne es zu er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0232" n="188"/> den Mehinakú verliess. 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Die Bakaïrí des ersten Dorfes empfingen uns, als ich mit den Gefährten<lb/> von der Independencia erschien, einschliesslich der Frauen fast sämtlich in be-<lb/> maltem Zustande; die kleineren Enkel Tumayaua’s waren sorgfältig am ganzen<lb/> Körper beklext, und Tumayaua sagte mir ausdrücklich, dass wir sehen sollten,<lb/> wie sich die Frauen freuten.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Ritznarben.</hi> Ritzen der Haut ist eine Art Universalheilmittel. Es wird<lb/> für Jung und Alt gebraucht und in gleicher Art bei allen Stämmen. 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den Mehinakú verliess. Das Mereschu-Rautenmuster, von dem ich später ausführ-
licher sprechen werde, bedeckte Brust und Seiten abwärts bis zur halben Höhe
der Waden, dagegen prangte die untere Hälfte des Gesichts und seitlich der Hals
vom Ohr bis zum Schlüsselbein in einem Ueberzug von reinem tiefem Schwarz.
Im Uebrigen war es vorwiegend bei der festlichen Gelegenheit des Empfangs oder
wie bei den Nahuquá, beim Tanz, dass man sich mit Mustern schmückte. Im
alltäglichen Leben war so gut wie Nichts zu sehen, ebensowenig als von Feder-
schmuck. Die Bakaïrí des ersten Dorfes empfingen uns, als ich mit den Gefährten
von der Independencia erschien, einschliesslich der Frauen fast sämtlich in be-
maltem Zustande; die kleineren Enkel Tumayaua’s waren sorgfältig am ganzen
Körper beklext, und Tumayaua sagte mir ausdrücklich, dass wir sehen sollten,
wie sich die Frauen freuten.
Ritznarben. Ritzen der Haut ist eine Art Universalheilmittel. Es wird
für Jung und Alt gebraucht und in gleicher Art bei allen Stämmen. Mit dem
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[Abbildung Abb. 15.
Wundkratzer.]
Wundkratzer, einem dreieckigem Stück Kürbis-
schale, das mit einer Reihe kleiner spitzer Zähn-
chen von Fischen (Trahira) oder Krallen von
Nagetieren (Agutí) besetzt ist, wird die Haut ge-
ritzt, eine Weile bluten gelassen, wobei durch
Streichen mit einem Knochen nachgeholfen wird,
und dann entweder mit gelbem Lehm oder mit
Russ oder dem Saft einer Frucht (natuntsán bei
den Auetö́) eingerieben. Zumal an den Armen
sieht man überall die Ritznarben. Eigentliche
Ziernarben fehlen durchaus, was mit dem Satz von Joest übereinstimmt, dass sie auf
die dunkeln Völker beschränkt sind. Damit die Knaben zum Schiessen ein sicheres
Auge und einen starken Arm erhalten, wird Gesicht und Oberarm mit dem Wund-
kratzer bearbeitet. Ich sah ihn bei einer starken Anschwellung des Fusses mit sehr
gutem Erfolg angewandt. Das Verfahren ist der reine Baunscheidtismus und wird
auch ausdrücklich als ein medizinisches hingestellt. Es ist klar, dass man sich
in vielen Fällen auch wirklich Erleichterung verschafft, indem man die Spannung
und Entzündung vermindert. Es ist nicht weniger klar, wie man darauf verfallen
ist, da sich jeder Mensch bei Insektenstichen kratzt, bis es blutet und der
Schmerz oder das Jucken aufhört, und da man auch, was Schlechtes unter
die Haut eingedrungen ist, wieder herauslassen möchte. Endlich ist es nicht
rätselhaft, warum man sich mit Russ oder Erde einreibt, man will sich wiederum
nicht schmücken, sondern man steigert oder mildert nach Bedarf den Reiz und
stillt das Blut. Bluten wurde auch mit Asche gehemmt.
So ist der Eingeborene hier zum Tätowieren gekommen, ohne es zu er-
finden; ich habe häufig gefärbte Ritzstriche in der Haut als eine richtige, wenn
auch unbeabsichtigte Tätowierung bei den Stämmen beobachtet, die sich mit dieser
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