nicht notwendig, auf die von dem Kandiru ausgehende, nur gelegentliche Gefahr zurückzugreifen. Dagegen macht allerdings das Gesindel der "Carapatos" (Ixodidae), der beim Durchwandern des Waldes zahlreich von den Blättern abgestreiften und herabgeschüttelten Zecken, den Schutz der Glans den Waldbewohnern im höchsten Grade wünschenswert. Die zum Teil winzig kleinen Schmarotzer saugen sich auf der Haut fest, pumpen sich voller Blut, bei ihrer dehnbaren Körperwandung bis zu Erbsengrösse anschwellend, und haften mit den in die Haut scharf eindringenden Hakenspitzen ihrer Kieferfühler so fest, dass man sie zerreisst, wenn man sie ab- pflücken will, und durch die zurückbleibenden Teile schmerzhafte Entzündungs- stellen hervorgerufen werden. Der Brasilier, der häufig mit Karapaten wie besät aus dem Walde kommt, entledigt sich schleunigst seiner Kleidung und schüttelt Hemd und Beinkleid über dem Lagerfeuer aus; hat sich einer der Schmarotzer in die Glans eingebohrt, so pflegt er ihm mit einer brennenden Zigarette so nahe auf den Leib zu rücken, als seine eigene Empfindlichkeit nur eben gestattet, damit das Tierchen, durch die Hitze bedrängt, freiwillig seinen Aufenthalt aufgiebt und sich aus der Schleimhaut zurückzieht, ohne zerrissen zu werden. Wir Alle haben trotz unserer Kleidung das eine oder andere Mal dieses Verfahren ein- schlagen müssen und die Situation, bevor die Erlösung erreicht ist, als eine der peinlichsten gekostet. Ich bin auch der Ansicht, dass der Schutz, dessen sich die Indianer erfreuen, sicherer ist, als der einer verhüllenden Bekleidung.
Wie viel anderes beissendes, kneifendes, saugendes, einkriechendes Insekten- zeug den südamerikanischen Waldbewohner noch auf ähnliche Art bedrängen kann, ist jedem Reisenden geläufig, der sich im brasilischen Wald auf den Boden gesetzt hat. Am hellsten werden diese Unannehmlichkeiten durch den Umstand beleuchtet, dass es auch der Bewohner des südamerikanischen Tropenwaldes gewesen ist, der die Hängematte, von den Engländern und Franzosen noch jetzt nach dem Nu-Aruakwort "amaka" benannt, zu erfinden genötigt war. Genötigt war, sicherlich nicht allein wegen des nassen Bodens der Hylaea. Wohlweislich begegnet der Indianer jenen Angriffen in etwas dadurch, dass er in Hockstellung zu sitzen pflegt. Auch gebrauchen die Frauen, wenn sie beim Schaben der Mandiokawurzel und dergleichen Beschäftigung, die sich in der Hockstellung nur unbequem verrichten liesse, breit aufsitzen, selbst im Hause, das ja von Schleppameisen wimmelt, ein paar aneinander befestigte flache Bambusstücke zur Unterlage. Sie sind von den häuslichen Arbeiten her weniger daran gewöhnt zu hocken, als die Männer, somit auch weniger geschützt. Auf der nebenstehenden Abbildung zeigt eine Gruppe von Bakairi aus dem zweiten Dorf sehr gut die charakteristischen Stellungen beider Geschlechter im Sitzen oder Hocken.
Auch bei den Frauen würde, wenn Schutz der Schleimhaut durch ihre Vorrichtungen bewirkt werden sollte, dieser Zweck wohl erreicht und sicherlich besser erreicht als etwa ein Zweck der Verhüllung. Es ist ferner anzuerkennen, dass, die Absicht des Schutzes der Schleimhaut vorausgesetzt, ein Bedürfnis sich dafür durch das geschlechtliche Leben wenigstens steigerte, weil bei der jungen
nicht notwendig, auf die von dem Kandirú ausgehende, nur gelegentliche Gefahr zurückzugreifen. Dagegen macht allerdings das Gesindel der »Carapatos« (Ixodidae), der beim Durchwandern des Waldes zahlreich von den Blättern abgestreiften und herabgeschüttelten Zecken, den Schutz der Glans den Waldbewohnern im höchsten Grade wünschenswert. Die zum Teil winzig kleinen Schmarotzer saugen sich auf der Haut fest, pumpen sich voller Blut, bei ihrer dehnbaren Körperwandung bis zu Erbsengrösse anschwellend, und haften mit den in die Haut scharf eindringenden Hakenspitzen ihrer Kieferfühler so fest, dass man sie zerreisst, wenn man sie ab- pflücken will, und durch die zurückbleibenden Teile schmerzhafte Entzündungs- stellen hervorgerufen werden. Der Brasilier, der häufig mit Karapaten wie besät aus dem Walde kommt, entledigt sich schleunigst seiner Kleidung und schüttelt Hemd und Beinkleid über dem Lagerfeuer aus; hat sich einer der Schmarotzer in die Glans eingebohrt, so pflegt er ihm mit einer brennenden Zigarette so nahe auf den Leib zu rücken, als seine eigene Empfindlichkeit nur eben gestattet, damit das Tierchen, durch die Hitze bedrängt, freiwillig seinen Aufenthalt aufgiebt und sich aus der Schleimhaut zurückzieht, ohne zerrissen zu werden. Wir Alle haben trotz unserer Kleidung das eine oder andere Mal dieses Verfahren ein- schlagen müssen und die Situation, bevor die Erlösung erreicht ist, als eine der peinlichsten gekostet. Ich bin auch der Ansicht, dass der Schutz, dessen sich die Indianer erfreuen, sicherer ist, als der einer verhüllenden Bekleidung.
Wie viel anderes beissendes, kneifendes, saugendes, einkriechendes Insekten- zeug den südamerikanischen Waldbewohner noch auf ähnliche Art bedrängen kann, ist jedem Reisenden geläufig, der sich im brasilischen Wald auf den Boden gesetzt hat. Am hellsten werden diese Unannehmlichkeiten durch den Umstand beleuchtet, dass es auch der Bewohner des südamerikanischen Tropenwaldes gewesen ist, der die Hängematte, von den Engländern und Franzosen noch jetzt nach dem Nu-Aruakwort „amáka“ benannt, zu erfinden genötigt war. Genötigt war, sicherlich nicht allein wegen des nassen Bodens der Hylaea. Wohlweislich begegnet der Indianer jenen Angriffen in etwas dadurch, dass er in Hockstellung zu sitzen pflegt. Auch gebrauchen die Frauen, wenn sie beim Schaben der Mandiokawurzel und dergleichen Beschäftigung, die sich in der Hockstellung nur unbequem verrichten liesse, breit aufsitzen, selbst im Hause, das ja von Schleppameisen wimmelt, ein paar aneinander befestigte flache Bambusstücke zur Unterlage. Sie sind von den häuslichen Arbeiten her weniger daran gewöhnt zu hocken, als die Männer, somit auch weniger geschützt. Auf der nebenstehenden Abbildung zeigt eine Gruppe von Bakaïrí aus dem zweiten Dorf sehr gut die charakteristischen Stellungen beider Geschlechter im Sitzen oder Hocken.
Auch bei den Frauen würde, wenn Schutz der Schleimhaut durch ihre Vorrichtungen bewirkt werden sollte, dieser Zweck wohl erreicht und sicherlich besser erreicht als etwa ein Zweck der Verhüllung. Es ist ferner anzuerkennen, dass, die Absicht des Schutzes der Schleimhaut vorausgesetzt, ein Bedürfnis sich dafür durch das geschlechtliche Leben wenigstens steigerte, weil bei der jungen
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zurückzugreifen. Dagegen macht allerdings das Gesindel der »Carapatos« (Ixodidae),
der beim Durchwandern des Waldes zahlreich von den Blättern abgestreiften und
herabgeschüttelten Zecken, den Schutz der Glans den Waldbewohnern im höchsten
Grade wünschenswert. Die zum Teil winzig kleinen Schmarotzer saugen sich auf
der Haut fest, pumpen sich voller Blut, bei ihrer dehnbaren Körperwandung bis
zu Erbsengrösse anschwellend, und haften mit den in die Haut scharf eindringenden
Hakenspitzen ihrer Kieferfühler so fest, dass man sie zerreisst, wenn man sie ab-
pflücken will, und durch die zurückbleibenden Teile schmerzhafte Entzündungs-
stellen hervorgerufen werden. Der Brasilier, der häufig mit Karapaten wie besät
aus dem Walde kommt, entledigt sich schleunigst seiner Kleidung und schüttelt
Hemd und Beinkleid über dem Lagerfeuer aus; hat sich einer der Schmarotzer
in die Glans eingebohrt, so pflegt er ihm mit einer brennenden Zigarette so nahe
auf den Leib zu rücken, als seine eigene Empfindlichkeit nur eben gestattet,
damit das Tierchen, durch die Hitze bedrängt, freiwillig seinen Aufenthalt aufgiebt
und sich aus der Schleimhaut zurückzieht, ohne zerrissen zu werden. Wir Alle
haben trotz unserer Kleidung das eine oder andere Mal dieses Verfahren ein-
schlagen müssen und die Situation, bevor die Erlösung erreicht ist, als eine der
peinlichsten gekostet. Ich bin auch der Ansicht, dass der Schutz, dessen sich
die Indianer erfreuen, sicherer ist, als der einer verhüllenden Bekleidung.
Wie viel anderes beissendes, kneifendes, saugendes, einkriechendes Insekten-
zeug den südamerikanischen Waldbewohner noch auf ähnliche Art bedrängen
kann, ist jedem Reisenden geläufig, der sich im brasilischen Wald auf den Boden
gesetzt hat. Am hellsten werden diese Unannehmlichkeiten durch den Umstand
beleuchtet, dass es auch der Bewohner des südamerikanischen Tropenwaldes
gewesen ist, der die Hängematte, von den Engländern und Franzosen noch
jetzt nach dem Nu-Aruakwort „amáka“ benannt, zu erfinden genötigt war. Genötigt
war, sicherlich nicht allein wegen des nassen Bodens der Hylaea. Wohlweislich
begegnet der Indianer jenen Angriffen in etwas dadurch, dass er in Hockstellung
zu sitzen pflegt. Auch gebrauchen die Frauen, wenn sie beim Schaben der
Mandiokawurzel und dergleichen Beschäftigung, die sich in der Hockstellung nur
unbequem verrichten liesse, breit aufsitzen, selbst im Hause, das ja von
Schleppameisen wimmelt, ein paar aneinander befestigte flache Bambusstücke zur
Unterlage. Sie sind von den häuslichen Arbeiten her weniger daran gewöhnt zu
hocken, als die Männer, somit auch weniger geschützt. Auf der nebenstehenden
Abbildung zeigt eine Gruppe von Bakaïrí aus dem zweiten Dorf sehr gut die
charakteristischen Stellungen beider Geschlechter im Sitzen oder Hocken.
Auch bei den Frauen würde, wenn Schutz der Schleimhaut durch ihre
Vorrichtungen bewirkt werden sollte, dieser Zweck wohl erreicht und sicherlich
besser erreicht als etwa ein Zweck der Verhüllung. Es ist ferner anzuerkennen,
dass, die Absicht des Schutzes der Schleimhaut vorausgesetzt, ein Bedürfnis sich
dafür durch das geschlechtliche Leben wenigstens steigerte, weil bei der jungen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/240>, abgerufen am 21.11.2024.
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