Unio Orbignanus, wurden die Bogen geglättet und zwar mit der Aussenfläche der Muschel. Interessant war eine flache Hyria, ita muku, weil sie einen scharfen spitzen Fortsatz hat, mit dem man z. B. Pikifrüchte öffnete. Sie entspricht am besten unserm Taschenmesser, einem von den Indianern sehr abfällig beurteilten Instrument, weil sie es nur mit unsäglicher Mühe zu öffnen wussten; sie stellten sich dabei so ungeschickt an wie wir bei dem uns ungewohnten Quirlbohren. Die Muschel wurde um den Hals gehängt, wenn man auf Reisen ging, mit ihr wurden die erbeuteten Fische und Jagdtiere aufgeschnitten, mit der Muschel wurde das Grübchen des Feuerstocks ausgehöhlt, in dem ein zweiter Stock bis zum Glimmen gequirlt wurde, bei allem Schnitzen des Holzes war sie unentbehrlich. Vielfache Verwendung fanden Schneckenschalen, Stücke von Bulimus-Gehäusen zum Ketten- schmuck. Vgl. Seite 182. Orthalicus melanostomus baumelte zuweilen in dichtem Gehänge am Maskenanzug.
Federn beflügeln den Pfeil, dessen Schaftende einander gegenüber zwei abgespaltene Federhälften in spiraliger Drehung aufgenäht sind. Im Uebrigen scheinen sie ausschliesslich, hier aber in grösstem Umfang, zum Schmuck ver- wendet zu werden als Ohrfedern, Federkronen, Federhauben, Federarmbänder, Federmäntel (bei den Kamayura) und in hundertfältiger Verzierung im Kleinen, wo die bunten Büschelchen hingen an den Hängematten, an Kämmen, Kürbis- rasseln, Pfeilschleudern, Masken u. s. w. Das herrlichste Material stand zur Ver- fügung, von dem Gelb, Blau, Rot und Grün der Arara, Tukane, Webervögel, Papageien, von den schönen Streifungen oder Sprenkelungen der Hokkohühner, Falken, Eulen, bis zu dem schimmernden Weiss der Reiher und Störche oder dem Schwarz des Urubugeiers. Prächtig war die breite und grosse schwarz-weiss gebänderte Fahne der Harpyia destructor.
Die Beute von Jagd und Fischfang bot also eine Fülle der notwendigsten Dinge, sie lieferte namentlich Werkzeug zum Schneiden, Schaben, Glätten, Stechen, Bohren, Ritzen und Graben. Der Feldbau hatte den Eingeborenen Sesshaftigkeit gesichert, ihre ökonomische Lage verbessert, aber sie waren dabei immer, wenn auch in geringerem Umfang, noch Fischer und Jäger geblieben. Sie waren Jäger ohne Hunde, Fischer ohne Angel, Bauern ohne Pflug und Spaten. Sie bieten uns ein vortreffliches Beispiel dar, um zu lernen, wie vielgestaltig die Methoden der Arbeit zum Zweck des Lebensunterhalts vor dem Besitz jedweder Metalltechnik gewesen sei können, ein Beispiel, das uns warnt, die Wichtigkeit der Steingeräte, die freilich am ehesten und reichhaltigsten der Nachwelt erhalten bleiben, zu überschätzen, und in den einen grossen Topf des Steinalters unterschiedlos Alles hineinzuwerfen, was vor dem Gebrauch der Metalle liegt und im Vergleich zu der für diesen anzusetzenden kleinen Spanne Zeit unvorstellbar lange Perioden umfassen muss.
Wenn man die Kultur nach dem Umfang und der Gründlichkeit schätzt, wie die den Menschen umgebende Natur ausgenutzt wird, so standen unsere Ein- geborenen wahrlich auf keiner niedrigen Stufe. Sie jagten und fischten mit Pfeil
Unio Orbignanus, wurden die Bogen geglättet und zwar mit der Aussenfläche der Muschel. Interessant war eine flache Hyria, itá mukú, weil sie einen scharfen spitzen Fortsatz hat, mit dem man z. B. Pikífrüchte öffnete. Sie entspricht am besten unserm Taschenmesser, einem von den Indianern sehr abfällig beurteilten Instrument, weil sie es nur mit unsäglicher Mühe zu öffnen wussten; sie stellten sich dabei so ungeschickt an wie wir bei dem uns ungewohnten Quirlbohren. Die Muschel wurde um den Hals gehängt, wenn man auf Reisen ging, mit ihr wurden die erbeuteten Fische und Jagdtiere aufgeschnitten, mit der Muschel wurde das Grübchen des Feuerstocks ausgehöhlt, in dem ein zweiter Stock bis zum Glimmen gequirlt wurde, bei allem Schnitzen des Holzes war sie unentbehrlich. Vielfache Verwendung fanden Schneckenschalen, Stücke von Bulimus-Gehäusen zum Ketten- schmuck. Vgl. Seite 182. Orthalicus melanostomus baumelte zuweilen in dichtem Gehänge am Maskenanzug.
Federn beflügeln den Pfeil, dessen Schaftende einander gegenüber zwei abgespaltene Federhälften in spiraliger Drehung aufgenäht sind. Im Uebrigen scheinen sie ausschliesslich, hier aber in grösstem Umfang, zum Schmuck ver- wendet zu werden als Ohrfedern, Federkronen, Federhauben, Federarmbänder, Federmäntel (bei den Kamayurá) und in hundertfältiger Verzierung im Kleinen, wo die bunten Büschelchen hingen an den Hängematten, an Kämmen, Kürbis- rasseln, Pfeilschleudern, Masken u. s. w. Das herrlichste Material stand zur Ver- fügung, von dem Gelb, Blau, Rot und Grün der Arara, Tukane, Webervögel, Papageien, von den schönen Streifungen oder Sprenkelungen der Hokkohühner, Falken, Eulen, bis zu dem schimmernden Weiss der Reiher und Störche oder dem Schwarz des Urubúgeiers. Prächtig war die breite und grosse schwarz-weiss gebänderte Fahne der Harpyia destructor.
Die Beute von Jagd und Fischfang bot also eine Fülle der notwendigsten Dinge, sie lieferte namentlich Werkzeug zum Schneiden, Schaben, Glätten, Stechen, Bohren, Ritzen und Graben. Der Feldbau hatte den Eingeborenen Sesshaftigkeit gesichert, ihre ökonomische Lage verbessert, aber sie waren dabei immer, wenn auch in geringerem Umfang, noch Fischer und Jäger geblieben. Sie waren Jäger ohne Hunde, Fischer ohne Angel, Bauern ohne Pflug und Spaten. Sie bieten uns ein vortreffliches Beispiel dar, um zu lernen, wie vielgestaltig die Methoden der Arbeit zum Zweck des Lebensunterhalts vor dem Besitz jedweder Metalltechnik gewesen sei können, ein Beispiel, das uns warnt, die Wichtigkeit der Steingeräte, die freilich am ehesten und reichhaltigsten der Nachwelt erhalten bleiben, zu überschätzen, und in den einen grossen Topf des Steinalters unterschiedlos Alles hineinzuwerfen, was vor dem Gebrauch der Metalle liegt und im Vergleich zu der für diesen anzusetzenden kleinen Spanne Zeit unvorstellbar lange Perioden umfassen muss.
Wenn man die Kultur nach dem Umfang und der Gründlichkeit schätzt, wie die den Menschen umgebende Natur ausgenutzt wird, so standen unsere Ein- geborenen wahrlich auf keiner niedrigen Stufe. Sie jagten und fischten mit Pfeil
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="208"/><hirendition="#i">Unio Orbignanus</hi>, wurden die Bogen geglättet und zwar mit der Aussenfläche der<lb/>
Muschel. Interessant war eine flache <hirendition="#i">Hyria</hi>, <hirendition="#i">itá mukú</hi>, weil sie einen scharfen<lb/>
spitzen Fortsatz hat, mit dem man z. B. Pikífrüchte öffnete. Sie entspricht am<lb/>
besten unserm Taschenmesser, einem von den Indianern sehr abfällig beurteilten<lb/>
Instrument, weil sie es nur mit unsäglicher Mühe zu öffnen wussten; sie stellten<lb/>
sich dabei so ungeschickt an wie wir bei dem uns ungewohnten Quirlbohren. Die<lb/>
Muschel wurde um den Hals gehängt, wenn man auf Reisen ging, mit ihr wurden<lb/>
die erbeuteten Fische und Jagdtiere aufgeschnitten, mit der Muschel wurde das<lb/>
Grübchen des Feuerstocks ausgehöhlt, in dem ein zweiter Stock bis zum Glimmen<lb/>
gequirlt wurde, bei allem Schnitzen des Holzes war sie unentbehrlich. Vielfache<lb/>
Verwendung fanden Schneckenschalen, Stücke von <hirendition="#i">Bulimus</hi>-Gehäusen zum Ketten-<lb/>
schmuck. Vgl. Seite 182. <hirendition="#i">Orthalicus melanostomus</hi> baumelte zuweilen in dichtem<lb/>
Gehänge am Maskenanzug.</p><lb/><p><hirendition="#g">Federn</hi> beflügeln den Pfeil, dessen Schaftende einander gegenüber zwei<lb/>
abgespaltene Federhälften in spiraliger Drehung aufgenäht sind. Im Uebrigen<lb/>
scheinen sie ausschliesslich, hier aber in grösstem Umfang, zum Schmuck ver-<lb/>
wendet zu werden als Ohrfedern, Federkronen, Federhauben, Federarmbänder,<lb/>
Federmäntel (bei den Kamayurá) und in hundertfältiger Verzierung im Kleinen,<lb/>
wo die bunten Büschelchen hingen an den Hängematten, an Kämmen, Kürbis-<lb/>
rasseln, Pfeilschleudern, Masken u. s. w. Das herrlichste Material stand zur Ver-<lb/>
fügung, von dem Gelb, Blau, Rot und Grün der Arara, Tukane, Webervögel,<lb/>
Papageien, von den schönen Streifungen oder Sprenkelungen der Hokkohühner,<lb/>
Falken, Eulen, bis zu dem schimmernden Weiss der Reiher und Störche oder<lb/>
dem Schwarz des Urubúgeiers. Prächtig war die breite und grosse schwarz-weiss<lb/>
gebänderte Fahne der <hirendition="#i">Harpyia destructor</hi>.</p><lb/><p>Die Beute von Jagd und Fischfang bot also eine Fülle der notwendigsten<lb/>
Dinge, sie lieferte namentlich Werkzeug zum Schneiden, Schaben, Glätten, Stechen,<lb/>
Bohren, Ritzen und Graben. Der Feldbau hatte den Eingeborenen Sesshaftigkeit<lb/>
gesichert, ihre ökonomische Lage verbessert, aber sie waren dabei immer, wenn<lb/>
auch in geringerem Umfang, noch Fischer und Jäger geblieben. Sie waren Jäger<lb/>
ohne Hunde, Fischer ohne Angel, Bauern ohne Pflug und Spaten. Sie bieten uns<lb/>
ein vortreffliches Beispiel dar, um zu lernen, wie vielgestaltig die Methoden der<lb/>
Arbeit zum Zweck des Lebensunterhalts vor dem Besitz jedweder Metalltechnik<lb/>
gewesen sei können, ein Beispiel, das uns warnt, die Wichtigkeit der Steingeräte,<lb/>
die freilich am ehesten und reichhaltigsten der Nachwelt erhalten bleiben, zu<lb/>
überschätzen, und in den einen grossen Topf des Steinalters unterschiedlos Alles<lb/>
hineinzuwerfen, was vor dem Gebrauch der Metalle liegt und im Vergleich zu<lb/>
der für diesen anzusetzenden kleinen Spanne Zeit unvorstellbar lange Perioden<lb/>
umfassen muss.</p><lb/><p>Wenn man die Kultur nach dem Umfang und der Gründlichkeit schätzt,<lb/>
wie die den Menschen umgebende Natur ausgenutzt wird, so standen unsere Ein-<lb/>
geborenen wahrlich auf keiner niedrigen Stufe. Sie jagten und fischten mit Pfeil<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0252]
Unio Orbignanus, wurden die Bogen geglättet und zwar mit der Aussenfläche der
Muschel. Interessant war eine flache Hyria, itá mukú, weil sie einen scharfen
spitzen Fortsatz hat, mit dem man z. B. Pikífrüchte öffnete. Sie entspricht am
besten unserm Taschenmesser, einem von den Indianern sehr abfällig beurteilten
Instrument, weil sie es nur mit unsäglicher Mühe zu öffnen wussten; sie stellten
sich dabei so ungeschickt an wie wir bei dem uns ungewohnten Quirlbohren. Die
Muschel wurde um den Hals gehängt, wenn man auf Reisen ging, mit ihr wurden
die erbeuteten Fische und Jagdtiere aufgeschnitten, mit der Muschel wurde das
Grübchen des Feuerstocks ausgehöhlt, in dem ein zweiter Stock bis zum Glimmen
gequirlt wurde, bei allem Schnitzen des Holzes war sie unentbehrlich. Vielfache
Verwendung fanden Schneckenschalen, Stücke von Bulimus-Gehäusen zum Ketten-
schmuck. Vgl. Seite 182. Orthalicus melanostomus baumelte zuweilen in dichtem
Gehänge am Maskenanzug.
Federn beflügeln den Pfeil, dessen Schaftende einander gegenüber zwei
abgespaltene Federhälften in spiraliger Drehung aufgenäht sind. Im Uebrigen
scheinen sie ausschliesslich, hier aber in grösstem Umfang, zum Schmuck ver-
wendet zu werden als Ohrfedern, Federkronen, Federhauben, Federarmbänder,
Federmäntel (bei den Kamayurá) und in hundertfältiger Verzierung im Kleinen,
wo die bunten Büschelchen hingen an den Hängematten, an Kämmen, Kürbis-
rasseln, Pfeilschleudern, Masken u. s. w. Das herrlichste Material stand zur Ver-
fügung, von dem Gelb, Blau, Rot und Grün der Arara, Tukane, Webervögel,
Papageien, von den schönen Streifungen oder Sprenkelungen der Hokkohühner,
Falken, Eulen, bis zu dem schimmernden Weiss der Reiher und Störche oder
dem Schwarz des Urubúgeiers. Prächtig war die breite und grosse schwarz-weiss
gebänderte Fahne der Harpyia destructor.
Die Beute von Jagd und Fischfang bot also eine Fülle der notwendigsten
Dinge, sie lieferte namentlich Werkzeug zum Schneiden, Schaben, Glätten, Stechen,
Bohren, Ritzen und Graben. Der Feldbau hatte den Eingeborenen Sesshaftigkeit
gesichert, ihre ökonomische Lage verbessert, aber sie waren dabei immer, wenn
auch in geringerem Umfang, noch Fischer und Jäger geblieben. Sie waren Jäger
ohne Hunde, Fischer ohne Angel, Bauern ohne Pflug und Spaten. Sie bieten uns
ein vortreffliches Beispiel dar, um zu lernen, wie vielgestaltig die Methoden der
Arbeit zum Zweck des Lebensunterhalts vor dem Besitz jedweder Metalltechnik
gewesen sei können, ein Beispiel, das uns warnt, die Wichtigkeit der Steingeräte,
die freilich am ehesten und reichhaltigsten der Nachwelt erhalten bleiben, zu
überschätzen, und in den einen grossen Topf des Steinalters unterschiedlos Alles
hineinzuwerfen, was vor dem Gebrauch der Metalle liegt und im Vergleich zu
der für diesen anzusetzenden kleinen Spanne Zeit unvorstellbar lange Perioden
umfassen muss.
Wenn man die Kultur nach dem Umfang und der Gründlichkeit schätzt,
wie die den Menschen umgebende Natur ausgenutzt wird, so standen unsere Ein-
geborenen wahrlich auf keiner niedrigen Stufe. Sie jagten und fischten mit Pfeil
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/252>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.