Anblick! Beim Fischschiessen wird die Pfeilspitze öfter in das Wasser getaucht, um den Grad der Lichtbrechung zu prüfen. Es gehört nicht geringe Uebung zum Fischschiessen. Langsam rudert der hinten sitzende Gefährte, während der Schütze vorn schussfertig steht und scharf auslugt. Unsereins sieht nicht mehr als der Indianer, wenn er zum ersten Mal in das Mikroskop blicken würde. Eine leise Aenderung der Wellenform verrät ihm schon die Beute. Dabei hat man sich mäuschenstill zu verhalten, unhörbar wird das Ruder eingetaucht. Mancher Schuss geht übrigens fehl und häufig treiben zwei oder drei der schönen Pfeile traurig im Wasser, bis sie zurückgeholt werden. Kein Wunder, dass den Indianern unsere Angel wie eine Offenbarung erschien. Kannten sie die Angel noch nicht, so kannten sie doch schon den Köder. Aber den frei schwimmenden. Der Schütze warf vom Kanu eine scharlachrote Beere in den Fluss; in dem Augenblick, wo ein von unten zuschnappendes Maul sie verschlingen wollte, schnellte der Pfeil vom Bogen. Wer neuen Sport sucht, möge es pro- bieren. Die Indianer üben sich auf dem Dorfplatz und pflanzen als Ziel einen Schaft auf, der oben ein zilindrisches oder kegelförmiges Stück Korkholz trägt.
Das Wurfbrett, für unsern Fall, wo kein "Brett" vorhanden ist, häufig Wurfholz*) genannt, ist eine jetzt seltene Waffe, die sich nur bei den beiden Tupistämmen, den Kamayura und Auetö, und bei den Trumai vorfand. Sie ist die grösste ethnologische Ueberraschung unserer Reise gewesen. Ehrenreich begegnete ihr dann auch bei den Karaya am Araguay. Durch den Bogen verdrängt, hat sie sich in lebenskräftiger Uebung nur bei den holzarmen Eskimo erhalten. Die nordamerikanischen Indianer haben sie, so viel man weiss, nicht gekannt; bei den alten Mexikanern und bei den Maya, sowie bei den Bewohnern Kolumbiens erscheint sie in beschränkter Verwendung, doch lässt sich auf eine grössere Verbreitung in frühen Zeiten schliessen, sie gilt als Waffe der Inkakrieger, wir sehen sie dann endlich in vereinzelten Beispielen bei südamerikanischen Naturvölkern, zumal Tupis, sowohl am hohen Amazonas wie im östlichen Bra- silien. Auch bei unsern Stämmen hatte das Wurfholz seine aktuelle Bedeutung eingebüsst oder war mindestens dabei, sie zu verlieren. Immerhin fanden sich in jedem Hause mehr Wurfbretter als Bogen; die Indianer sagten, dass sie die Waffe zwar niemals mehr zur Jagd, wohl aber noch im Kriege gebrauchten. Als die Trumai 1884 vor unserm Lager erschienen, hatten sie keine Wurfbretter bei sich; die Steinkugeln, mit denen die Wurfpfeile im Ernstfall ausgestattet sind, waren bei den Auetö und Kamayura nicht zahlreich vorhanden, sie mussten sie auch von den Trumai beziehen, und so sind für die Tupistämme wenigstens schon rein infolge der geographischen Lage die Tage des Wurfbrettes gezählt. Aber als Sportwaffe erfreute es sich noch hohen Ansehens und fleissigen Gebrauchs; ich werde bei den Tänzen auch des Wurfbretttanzes, der die Verwundung im Kampf darstellt, zu gedenken haben. Das Wurfbrett hat den Zweck, einen stein-
*) Für unsern Fall würde der beste Ausdruck "Pfeilschleuder" sein. "Wurfholz" giebt leicht zu Verwechselungen mit geworfenen Hölzern Anlass.
Anblick! Beim Fischschiessen wird die Pfeilspitze öfter in das Wasser getaucht, um den Grad der Lichtbrechung zu prüfen. Es gehört nicht geringe Uebung zum Fischschiessen. Langsam rudert der hinten sitzende Gefährte, während der Schütze vorn schussfertig steht und scharf auslugt. Unsereins sieht nicht mehr als der Indianer, wenn er zum ersten Mal in das Mikroskop blicken würde. Eine leise Aenderung der Wellenform verrät ihm schon die Beute. Dabei hat man sich mäuschenstill zu verhalten, unhörbar wird das Ruder eingetaucht. Mancher Schuss geht übrigens fehl und häufig treiben zwei oder drei der schönen Pfeile traurig im Wasser, bis sie zurückgeholt werden. Kein Wunder, dass den Indianern unsere Angel wie eine Offenbarung erschien. Kannten sie die Angel noch nicht, so kannten sie doch schon den Köder. Aber den frei schwimmenden. Der Schütze warf vom Kanu eine scharlachrote Beere in den Fluss; in dem Augenblick, wo ein von unten zuschnappendes Maul sie verschlingen wollte, schnellte der Pfeil vom Bogen. Wer neuen Sport sucht, möge es pro- bieren. Die Indianer üben sich auf dem Dorfplatz und pflanzen als Ziel einen Schaft auf, der oben ein zilindrisches oder kegelförmiges Stück Korkholz trägt.
Das Wurfbrett, für unsern Fall, wo kein »Brett« vorhanden ist, häufig Wurfholz*) genannt, ist eine jetzt seltene Waffe, die sich nur bei den beiden Tupístämmen, den Kamayurá und Auetö́, und bei den Trumaí vorfand. Sie ist die grösste ethnologische Ueberraschung unserer Reise gewesen. Ehrenreich begegnete ihr dann auch bei den Karayá am Araguay. Durch den Bogen verdrängt, hat sie sich in lebenskräftiger Uebung nur bei den holzarmen Eskimo erhalten. Die nordamerikanischen Indianer haben sie, so viel man weiss, nicht gekannt; bei den alten Mexikanern und bei den Maya, sowie bei den Bewohnern Kolumbiens erscheint sie in beschränkter Verwendung, doch lässt sich auf eine grössere Verbreitung in frühen Zeiten schliessen, sie gilt als Waffe der Inkakrieger, wir sehen sie dann endlich in vereinzelten Beispielen bei südamerikanischen Naturvölkern, zumal Tupís, sowohl am hohen Amazonas wie im östlichen Bra- silien. Auch bei unsern Stämmen hatte das Wurfholz seine aktuelle Bedeutung eingebüsst oder war mindestens dabei, sie zu verlieren. Immerhin fanden sich in jedem Hause mehr Wurfbretter als Bogen; die Indianer sagten, dass sie die Waffe zwar niemals mehr zur Jagd, wohl aber noch im Kriege gebrauchten. Als die Trumaí 1884 vor unserm Lager erschienen, hatten sie keine Wurfbretter bei sich; die Steinkugeln, mit denen die Wurfpfeile im Ernstfall ausgestattet sind, waren bei den Auetö́ und Kamayurá nicht zahlreich vorhanden, sie mussten sie auch von den Trumaí beziehen, und so sind für die Tupístämme wenigstens schon rein infolge der geographischen Lage die Tage des Wurfbrettes gezählt. Aber als Sportwaffe erfreute es sich noch hohen Ansehens und fleissigen Gebrauchs; ich werde bei den Tänzen auch des Wurfbretttanzes, der die Verwundung im Kampf darstellt, zu gedenken haben. Das Wurfbrett hat den Zweck, einen stein-
*) Für unsern Fall würde der beste Ausdruck »Pfeilschleuder« sein. »Wurfholz« giebt leicht zu Verwechselungen mit geworfenen Hölzern Anlass.
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um den Grad der Lichtbrechung zu prüfen. Es gehört nicht geringe Uebung
zum Fischschiessen. Langsam rudert der hinten sitzende Gefährte, während
der Schütze vorn schussfertig steht und scharf auslugt. Unsereins sieht nicht
mehr als der Indianer, wenn er zum ersten Mal in das Mikroskop blicken würde.
Eine leise Aenderung der Wellenform verrät ihm schon die Beute. Dabei hat
man sich mäuschenstill zu verhalten, unhörbar wird das Ruder eingetaucht.
Mancher Schuss geht übrigens fehl und häufig treiben zwei oder drei der schönen
Pfeile traurig im Wasser, bis sie zurückgeholt werden. Kein Wunder, dass
den Indianern unsere Angel wie eine Offenbarung erschien. Kannten sie die
Angel noch nicht, so kannten sie doch schon den Köder. Aber den frei
schwimmenden. Der Schütze warf vom Kanu eine scharlachrote Beere in den
Fluss; in dem Augenblick, wo ein von unten zuschnappendes Maul sie verschlingen
wollte, schnellte der Pfeil vom Bogen. Wer neuen Sport sucht, möge es pro-
bieren. Die Indianer üben sich auf dem Dorfplatz und pflanzen als Ziel einen
Schaft auf, der oben ein zilindrisches oder kegelförmiges Stück Korkholz trägt.
Das Wurfbrett, für unsern Fall, wo kein »Brett« vorhanden ist, häufig
Wurfholz *) genannt, ist eine jetzt seltene Waffe, die sich nur bei den beiden
Tupístämmen, den Kamayurá und Auetö́, und bei den Trumaí vorfand. Sie ist
die grösste ethnologische Ueberraschung unserer Reise gewesen. Ehrenreich
begegnete ihr dann auch bei den Karayá am Araguay. Durch den Bogen
verdrängt, hat sie sich in lebenskräftiger Uebung nur bei den holzarmen Eskimo
erhalten. Die nordamerikanischen Indianer haben sie, so viel man weiss, nicht
gekannt; bei den alten Mexikanern und bei den Maya, sowie bei den Bewohnern
Kolumbiens erscheint sie in beschränkter Verwendung, doch lässt sich auf eine
grössere Verbreitung in frühen Zeiten schliessen, sie gilt als Waffe der Inkakrieger,
wir sehen sie dann endlich in vereinzelten Beispielen bei südamerikanischen
Naturvölkern, zumal Tupís, sowohl am hohen Amazonas wie im östlichen Bra-
silien. Auch bei unsern Stämmen hatte das Wurfholz seine aktuelle Bedeutung
eingebüsst oder war mindestens dabei, sie zu verlieren. Immerhin fanden sich in
jedem Hause mehr Wurfbretter als Bogen; die Indianer sagten, dass sie die Waffe
zwar niemals mehr zur Jagd, wohl aber noch im Kriege gebrauchten. Als die
Trumaí 1884 vor unserm Lager erschienen, hatten sie keine Wurfbretter bei sich;
die Steinkugeln, mit denen die Wurfpfeile im Ernstfall ausgestattet sind, waren
bei den Auetö́ und Kamayurá nicht zahlreich vorhanden, sie mussten sie auch
von den Trumaí beziehen, und so sind für die Tupístämme wenigstens schon rein
infolge der geographischen Lage die Tage des Wurfbrettes gezählt. Aber als
Sportwaffe erfreute es sich noch hohen Ansehens und fleissigen Gebrauchs; ich
werde bei den Tänzen auch des Wurfbretttanzes, der die Verwundung im Kampf
darstellt, zu gedenken haben. Das Wurfbrett hat den Zweck, einen stein-
*) Für unsern Fall würde der beste Ausdruck »Pfeilschleuder« sein. »Wurfholz« giebt
leicht zu Verwechselungen mit geworfenen Hölzern Anlass.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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