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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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trennt, bleibt der Kinnbart ganz innerhalb des Gesichtes. Dieser Kopf ist genau
meine Karte von Afrika mit den gleichmütig nördlich oder südlich von den
Kongo- und Nilquellen eingetragenen Seeen, ohne jedes Verhältnis erscheinen wie
meine Landenge von Suez der fürchterliche Halsstrich, wie meine Sansibarinsel
die ungeheuern Ohrwatscheln. Und nachdem ich von einem hochgestellten
deutschen Beamten gehört habe, dass Brasilien und Rio de Janeiro auf der West-
seite des Kontinents am Stillen Ozean liegen, gebe ich mich auch damit zu-
frieden, dass die Bakairi, vgl. Kulisehu-Tafel I, den Herren Ehrenreich und Perrot
den Schnurrbart gar oben auf dem Kopf aufsitzen lassen. In diesen beiden
Fällen war der Schnurrbart nachgetragen worden. Die Indianer selbst rupfen
alles Barthaar aus und gleichgültig, wo das Barthaar sitzt, unterscheiden sie nach
ihrem ersten Eindurck, ohne sich genauere Rechenschaft zu geben, ein hängendes
und ein quer liegendes Barthaar, sie geben jenes, wenn sie nicht (vgl. Bororo I
und die Nahuqua-Zeichnung Kulisehu II) die Haare in grösserer Anzahl einzeln
zeichnen, durch eine nach oben offene, dieses durch eine nach unten offene Bogen-
linie wieder. Das Wo kümmert sie nur für die gröbste Topographie, der
Bart bleibt ja bei Kopf und Gesicht, und, worauf es ihnen ankommt, ist nur,
dass sie das Merkmal überhaupt bringen. Wenn es ihnen einfällt, den After
zu zeichnen, so setzen sie ihn auch in die Vorderansicht, obwohl sie hier doch
die Erfahrung, die ihnen beim Bart mangelt, dass er an eine andere Stelle gehört,
haben müssen.

Was fehlt, was da ist, es hängt vom Interesse ab. Der Kopf, der Bart,
die Sexualia werden mit Lust und Liebe gezeichnet -- mag das Uebrige sehen,
wo es unterkommt, oder wegbleiben. Wirft man nicht dem grössten Meister des
Bildnisses und genialsten Charakteristiker der Physiognomie vor, dass er die
Hände vernachlässigt? Die Gegensätze berühren sich, Franz Lenbach und die
Kulisehu-Indianer sind Zeitgenossen. Nehmen diese oder die Bororo den Bleistift
zur Hand, so machen sie ihre mehr oder minder vollständigen Angaben, ihre
Aufzählung der Körperteile, und was sie interessiert, wird betont, was sie in dem
Augenblick gleichgültig lässt, wird salopp behandelt oder ausgelassen. Bei den
Tieren sind die Umrisse wichtig, Augen hat nicht eines von allen uns überhaupt
gezeichneten mit Ausnahme der in den Sand gezeichneten Fische, vgl. Abbil-
dung 34 und 35; bei diesen kommt man wol eher dazu, weil der Kopf, nur
durch den Kiemenbogen abgesetzt, zu wenig charakterisiert erscheint. Der
Nahuqua, Kulisehu I, giebt dem Jaguar eine lauernde Stellung mit mächtigem
Katzenbuckel und dem langen Schweif, die Extremitäten bilden eine Wellenlinie:
das Bild wurde von Andern stets mühelos als Jaguar erkannt. Wenn bei allen
Bororotieren die Gesichter einfach schwarz ausgefüllt sind, so kann man dies der
malenden Manier der Zeichner zur Last legen und darauf hinweisen, dass der
ganze übrige Körper ebenso behandelt ist, aber auch der Bakairi auf der Kuli-
sehu-Tafel I verkritzelt das Gesicht seines Jaguars. Die Indianerin, Bororo II, die
von sämtlichen Figuren die besten Proportionen zeigt, hat einen ganz verkritzelten

trennt, bleibt der Kinnbart ganz innerhalb des Gesichtes. Dieser Kopf ist genau
meine Karte von Afrika mit den gleichmütig nördlich oder südlich von den
Kongo- und Nilquellen eingetragenen Seeen, ohne jedes Verhältnis erscheinen wie
meine Landenge von Suez der fürchterliche Halsstrich, wie meine Sansibarinsel
die ungeheuern Ohrwatscheln. Und nachdem ich von einem hochgestellten
deutschen Beamten gehört habe, dass Brasilien und Rio de Janeiro auf der West-
seite des Kontinents am Stillen Ozean liegen, gebe ich mich auch damit zu-
frieden, dass die Bakaïrí, vgl. Kulisehu-Tafel I, den Herren Ehrenreich und Perrot
den Schnurrbart gar oben auf dem Kopf aufsitzen lassen. In diesen beiden
Fällen war der Schnurrbart nachgetragen worden. Die Indianer selbst rupfen
alles Barthaar aus und gleichgültig, wo das Barthaar sitzt, unterscheiden sie nach
ihrem ersten Eindurck, ohne sich genauere Rechenschaft zu geben, ein hängendes
und ein quer liegendes Barthaar, sie geben jenes, wenn sie nicht (vgl. Bororó I
und die Nahuquá-Zeichnung Kulisehu II) die Haare in grösserer Anzahl einzeln
zeichnen, durch eine nach oben offene, dieses durch eine nach unten offene Bogen-
linie wieder. Das Wo kümmert sie nur für die gröbste Topographie, der
Bart bleibt ja bei Kopf und Gesicht, und, worauf es ihnen ankommt, ist nur,
dass sie das Merkmal überhaupt bringen. Wenn es ihnen einfällt, den After
zu zeichnen, so setzen sie ihn auch in die Vorderansicht, obwohl sie hier doch
die Erfahrung, die ihnen beim Bart mangelt, dass er an eine andere Stelle gehört,
haben müssen.

Was fehlt, was da ist, es hängt vom Interesse ab. Der Kopf, der Bart,
die Sexualia werden mit Lust und Liebe gezeichnet — mag das Uebrige sehen,
wo es unterkommt, oder wegbleiben. Wirft man nicht dem grössten Meister des
Bildnisses und genialsten Charakteristiker der Physiognomie vor, dass er die
Hände vernachlässigt? Die Gegensätze berühren sich, Franz Lenbach und die
Kulisehu-Indianer sind Zeitgenossen. Nehmen diese oder die Bororó den Bleistift
zur Hand, so machen sie ihre mehr oder minder vollständigen Angaben, ihre
Aufzählung der Körperteile, und was sie interessiert, wird betont, was sie in dem
Augenblick gleichgültig lässt, wird salopp behandelt oder ausgelassen. Bei den
Tieren sind die Umrisse wichtig, Augen hat nicht eines von allen uns überhaupt
gezeichneten mit Ausnahme der in den Sand gezeichneten Fische, vgl. Abbil-
dung 34 und 35; bei diesen kommt man wol eher dazu, weil der Kopf, nur
durch den Kiemenbogen abgesetzt, zu wenig charakterisiert erscheint. Der
Nahuquá, Kulisehu I, giebt dem Jaguar eine lauernde Stellung mit mächtigem
Katzenbuckel und dem langen Schweif, die Extremitäten bilden eine Wellenlinie:
das Bild wurde von Andern stets mühelos als Jaguar erkannt. Wenn bei allen
Bororótieren die Gesichter einfach schwarz ausgefüllt sind, so kann man dies der
malenden Manier der Zeichner zur Last legen und darauf hinweisen, dass der
ganze übrige Körper ebenso behandelt ist, aber auch der Bakaïrí auf der Kuli-
sehu-Tafel I verkritzelt das Gesicht seines Jaguars. Die Indianerin, Bororó II, die
von sämtlichen Figuren die besten Proportionen zeigt, hat einen ganz verkritzelten

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[252/0306] trennt, bleibt der Kinnbart ganz innerhalb des Gesichtes. Dieser Kopf ist genau meine Karte von Afrika mit den gleichmütig nördlich oder südlich von den Kongo- und Nilquellen eingetragenen Seeen, ohne jedes Verhältnis erscheinen wie meine Landenge von Suez der fürchterliche Halsstrich, wie meine Sansibarinsel die ungeheuern Ohrwatscheln. Und nachdem ich von einem hochgestellten deutschen Beamten gehört habe, dass Brasilien und Rio de Janeiro auf der West- seite des Kontinents am Stillen Ozean liegen, gebe ich mich auch damit zu- frieden, dass die Bakaïrí, vgl. Kulisehu-Tafel I, den Herren Ehrenreich und Perrot den Schnurrbart gar oben auf dem Kopf aufsitzen lassen. In diesen beiden Fällen war der Schnurrbart nachgetragen worden. Die Indianer selbst rupfen alles Barthaar aus und gleichgültig, wo das Barthaar sitzt, unterscheiden sie nach ihrem ersten Eindurck, ohne sich genauere Rechenschaft zu geben, ein hängendes und ein quer liegendes Barthaar, sie geben jenes, wenn sie nicht (vgl. Bororó I und die Nahuquá-Zeichnung Kulisehu II) die Haare in grösserer Anzahl einzeln zeichnen, durch eine nach oben offene, dieses durch eine nach unten offene Bogen- linie wieder. Das Wo kümmert sie nur für die gröbste Topographie, der Bart bleibt ja bei Kopf und Gesicht, und, worauf es ihnen ankommt, ist nur, dass sie das Merkmal überhaupt bringen. Wenn es ihnen einfällt, den After zu zeichnen, so setzen sie ihn auch in die Vorderansicht, obwohl sie hier doch die Erfahrung, die ihnen beim Bart mangelt, dass er an eine andere Stelle gehört, haben müssen. Was fehlt, was da ist, es hängt vom Interesse ab. Der Kopf, der Bart, die Sexualia werden mit Lust und Liebe gezeichnet — mag das Uebrige sehen, wo es unterkommt, oder wegbleiben. Wirft man nicht dem grössten Meister des Bildnisses und genialsten Charakteristiker der Physiognomie vor, dass er die Hände vernachlässigt? Die Gegensätze berühren sich, Franz Lenbach und die Kulisehu-Indianer sind Zeitgenossen. Nehmen diese oder die Bororó den Bleistift zur Hand, so machen sie ihre mehr oder minder vollständigen Angaben, ihre Aufzählung der Körperteile, und was sie interessiert, wird betont, was sie in dem Augenblick gleichgültig lässt, wird salopp behandelt oder ausgelassen. Bei den Tieren sind die Umrisse wichtig, Augen hat nicht eines von allen uns überhaupt gezeichneten mit Ausnahme der in den Sand gezeichneten Fische, vgl. Abbil- dung 34 und 35; bei diesen kommt man wol eher dazu, weil der Kopf, nur durch den Kiemenbogen abgesetzt, zu wenig charakterisiert erscheint. Der Nahuquá, Kulisehu I, giebt dem Jaguar eine lauernde Stellung mit mächtigem Katzenbuckel und dem langen Schweif, die Extremitäten bilden eine Wellenlinie: das Bild wurde von Andern stets mühelos als Jaguar erkannt. Wenn bei allen Bororótieren die Gesichter einfach schwarz ausgefüllt sind, so kann man dies der malenden Manier der Zeichner zur Last legen und darauf hinweisen, dass der ganze übrige Körper ebenso behandelt ist, aber auch der Bakaïrí auf der Kuli- sehu-Tafel I verkritzelt das Gesicht seines Jaguars. Die Indianerin, Bororó II, die von sämtlichen Figuren die besten Proportionen zeigt, hat einen ganz verkritzelten

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/306>, abgerufen am 21.11.2024.