Auf der zweiten Reise ist unsere Ausbeute an Tanzschmuck und vor allem an Gesichtsmasken bedeutend grösser gewesen als auf der ersten. Es ist dies um so wichtiger, als die Masken, die doch über die ganze Erde in den verschiedensten Formen und den verschiedensten Zwecken dienend verbreitet sind, die auch bei den Indianern des nördlichen Amerika eine so bedeutende Rolle spielen, bisher nur in verhältnismässig geringem Umfang in Südamerika beobachtet wurden. Es scheint, dass ihr Vorkommen besonders dem Amazonasgebiet angehört, aber es scheint wohl nur. Alle Stämme haben ihre Tanzfeste, alle haben Pantomimen, in denen Tiere dargestellt werden, man stattet sich mit dem natürlichen Fell- oder Federschmuck aus, ahmt die Stimme und Bewegungen nach, und gelangt von selbst zur charakterisierenden Vermummung, durch die das Spiel wirkungs- voller gestaltet wird. Die technische Geschicklichkeit der Vermummung und ihrer Charakterisierung ist gewiss verschieden, aber bis zu dieser Stufe, die wir bei den Schingu-Stämmen in auch recht verschiedener Ausbildung der mimischen Mittel antreffen, sind wohl alle Jägervölker gelangt. Wir sind nur deshalb so schlecht darüber unterrichtet, weil die Gelegenheiten, in ungestörten Verhältnissen lebende Stämme zu erforschen, selten sind und bei einem flüchtigen Besuche auch nur oberflächlich ausgenutzt werden können. Unsere eigene Reise ist das beste Beispiel. Aus einem Gebiet, in dem wir 1884 zwar sonderbare Kopf- aufsätze mit Tiernachbildungen aus Stroh u. dgl., aber nur zwei hölzerne Tauben- masken kennen lernten, haben wir 1887 eine stattliche Sammlung von Gesichts- masken heimgebracht, die jetzt im Berliner Museum für Völkerkunde einen interessanten Vergleich mit den dort vorhandenen grotesken Tiermasken der Tekuna vom oberen Amazonenstrom gestatten. Auch Ehrenreich hat von den Karaya am Araguay eine Reihe von mächtigen, in buntester Weise mit Federn geschmückten Tanzmasken mitgebracht, die in ihrer Bauart auf das auffallendste an den Duck-Duck der Südsee erinnern.
Jeder Stamm nicht nur, jedes Dorf hat seine eigenen Maskentänze. Der Mittelpunkt ist immer das "Flötenhaus". In ihrem Charakter gleichen sich die Tänze in ganz Brasilien ausserordentlich. Stets das Umherlaufen im Kreise und der dem Stampfen entsprechende stossweise Gesang. Es ist ungemein charak- teristisch, dass die Bakairi für "tanzen" und "singen" dasselbe Wort haben. "Der Sinn der Gesänge", sagt Martius, "ist einfach: Lob der Kriegs- und Jagdthaten Einzelner oder Horden, Aufzählung gewisser Tiere und Erwähnung von deren Eigenschaften. Erscheinen Masken beim Feste, welche meistens Tiere vorstellen, so ahmen die Träger deren Stimmen nach."
Nichts haben wir beobachtet, was uns den Schluss erlaubte, dass die Masken irgendwie heilig gehalten werden. Zumal alle von Palmstroh geflochtenen Stücke wurden nach dem Gebrauch achtlos beiseite geworfen. Man hat zwar die Masken zuweilen vor uns versteckt, aber nur auf dieselbe Art, wie man in der Angst
I. Masken.
Auf der zweiten Reise ist unsere Ausbeute an Tanzschmuck und vor allem an Gesichtsmasken bedeutend grösser gewesen als auf der ersten. Es ist dies um so wichtiger, als die Masken, die doch über die ganze Erde in den verschiedensten Formen und den verschiedensten Zwecken dienend verbreitet sind, die auch bei den Indianern des nördlichen Amerika eine so bedeutende Rolle spielen, bisher nur in verhältnismässig geringem Umfang in Südamerika beobachtet wurden. Es scheint, dass ihr Vorkommen besonders dem Amazonasgebiet angehört, aber es scheint wohl nur. Alle Stämme haben ihre Tanzfeste, alle haben Pantomimen, in denen Tiere dargestellt werden, man stattet sich mit dem natürlichen Fell- oder Federschmuck aus, ahmt die Stimme und Bewegungen nach, und gelangt von selbst zur charakterisierenden Vermummung, durch die das Spiel wirkungs- voller gestaltet wird. Die technische Geschicklichkeit der Vermummung und ihrer Charakterisierung ist gewiss verschieden, aber bis zu dieser Stufe, die wir bei den Schingú-Stämmen in auch recht verschiedener Ausbildung der mimischen Mittel antreffen, sind wohl alle Jägervölker gelangt. Wir sind nur deshalb so schlecht darüber unterrichtet, weil die Gelegenheiten, in ungestörten Verhältnissen lebende Stämme zu erforschen, selten sind und bei einem flüchtigen Besuche auch nur oberflächlich ausgenutzt werden können. Unsere eigene Reise ist das beste Beispiel. Aus einem Gebiet, in dem wir 1884 zwar sonderbare Kopf- aufsätze mit Tiernachbildungen aus Stroh u. dgl., aber nur zwei hölzerne Tauben- masken kennen lernten, haben wir 1887 eine stattliche Sammlung von Gesichts- masken heimgebracht, die jetzt im Berliner Museum für Völkerkunde einen interessanten Vergleich mit den dort vorhandenen grotesken Tiermasken der Tekuna vom oberen Amazonenstrom gestatten. Auch Ehrenreich hat von den Karayá am Araguay eine Reihe von mächtigen, in buntester Weise mit Federn geschmückten Tanzmasken mitgebracht, die in ihrer Bauart auf das auffallendste an den Duck-Duck der Südsee erinnern.
Jeder Stamm nicht nur, jedes Dorf hat seine eigenen Maskentänze. Der Mittelpunkt ist immer das »Flötenhaus«. In ihrem Charakter gleichen sich die Tänze in ganz Brasilien ausserordentlich. Stets das Umherlaufen im Kreise und der dem Stampfen entsprechende stossweise Gesang. Es ist ungemein charak- teristisch, dass die Bakaïrí für »tanzen« und »singen« dasselbe Wort haben. »Der Sinn der Gesänge«, sagt Martius, »ist einfach: Lob der Kriegs- und Jagdthaten Einzelner oder Horden, Aufzählung gewisser Tiere und Erwähnung von deren Eigenschaften. Erscheinen Masken beim Feste, welche meistens Tiere vorstellen, so ahmen die Träger deren Stimmen nach.«
Nichts haben wir beobachtet, was uns den Schluss erlaubte, dass die Masken irgendwie heilig gehalten werden. Zumal alle von Palmstroh geflochtenen Stücke wurden nach dem Gebrauch achtlos beiseite geworfen. Man hat zwar die Masken zuweilen vor uns versteckt, aber nur auf dieselbe Art, wie man in der Angst
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I. Masken.
Auf der zweiten Reise ist unsere Ausbeute an Tanzschmuck und vor allem
an Gesichtsmasken bedeutend grösser gewesen als auf der ersten. Es ist dies um
so wichtiger, als die Masken, die doch über die ganze Erde in den verschiedensten
Formen und den verschiedensten Zwecken dienend verbreitet sind, die auch bei
den Indianern des nördlichen Amerika eine so bedeutende Rolle spielen, bisher
nur in verhältnismässig geringem Umfang in Südamerika beobachtet wurden. Es
scheint, dass ihr Vorkommen besonders dem Amazonasgebiet angehört, aber es
scheint wohl nur. Alle Stämme haben ihre Tanzfeste, alle haben Pantomimen,
in denen Tiere dargestellt werden, man stattet sich mit dem natürlichen Fell-
oder Federschmuck aus, ahmt die Stimme und Bewegungen nach, und gelangt
von selbst zur charakterisierenden Vermummung, durch die das Spiel wirkungs-
voller gestaltet wird. Die technische Geschicklichkeit der Vermummung und
ihrer Charakterisierung ist gewiss verschieden, aber bis zu dieser Stufe, die wir
bei den Schingú-Stämmen in auch recht verschiedener Ausbildung der mimischen
Mittel antreffen, sind wohl alle Jägervölker gelangt. Wir sind nur deshalb so
schlecht darüber unterrichtet, weil die Gelegenheiten, in ungestörten Verhältnissen
lebende Stämme zu erforschen, selten sind und bei einem flüchtigen Besuche
auch nur oberflächlich ausgenutzt werden können. Unsere eigene Reise ist das
beste Beispiel. Aus einem Gebiet, in dem wir 1884 zwar sonderbare Kopf-
aufsätze mit Tiernachbildungen aus Stroh u. dgl., aber nur zwei hölzerne Tauben-
masken kennen lernten, haben wir 1887 eine stattliche Sammlung von Gesichts-
masken heimgebracht, die jetzt im Berliner Museum für Völkerkunde einen
interessanten Vergleich mit den dort vorhandenen grotesken Tiermasken der
Tekuna vom oberen Amazonenstrom gestatten. Auch Ehrenreich hat von den
Karayá am Araguay eine Reihe von mächtigen, in buntester Weise mit Federn
geschmückten Tanzmasken mitgebracht, die in ihrer Bauart auf das auffallendste
an den Duck-Duck der Südsee erinnern.
Jeder Stamm nicht nur, jedes Dorf hat seine eigenen Maskentänze. Der
Mittelpunkt ist immer das »Flötenhaus«. In ihrem Charakter gleichen sich die
Tänze in ganz Brasilien ausserordentlich. Stets das Umherlaufen im Kreise und
der dem Stampfen entsprechende stossweise Gesang. Es ist ungemein charak-
teristisch, dass die Bakaïrí für »tanzen« und »singen« dasselbe Wort haben. »Der
Sinn der Gesänge«, sagt Martius, »ist einfach: Lob der Kriegs- und Jagdthaten
Einzelner oder Horden, Aufzählung gewisser Tiere und Erwähnung von deren
Eigenschaften. Erscheinen Masken beim Feste, welche meistens Tiere vorstellen,
so ahmen die Träger deren Stimmen nach.«
Nichts haben wir beobachtet, was uns den Schluss erlaubte, dass die Masken
irgendwie heilig gehalten werden. Zumal alle von Palmstroh geflochtenen Stücke
wurden nach dem Gebrauch achtlos beiseite geworfen. Man hat zwar die Masken
zuweilen vor uns versteckt, aber nur auf dieselbe Art, wie man in der Angst
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/360>, abgerufen am 21.11.2024.
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