heit heilen sie nicht." Klarer kann der Ursprung und der Sinn des Zauberns nicht ausgesprochen werden: man versetzt sich in einen Erregungszustand, um sich zu einem sonst Unmöglichen zu befähigen, man vollbringt Wunder, an die Alles glaubt, indem man seine Einbildungskraft steigert; der Urgrund alles Hexens ist die Ueberzeugung von der Wirklichkeit des Geträumten oder des Eingebildeten.
Besser jedoch als meine Deutung werden die Angaben Antonio's im genauen Wortlaut über den Besuch eines narkotisierten Piaje im Himmel die Sachlage erläutern. Die zahmen Bakaii haben einige christlichen Vorstellungen, ich kann nur sagen, aufgeschnappt, und besitzen sie nun in seltsamster Verzerrung; mir wenigstens ist es herzlich schwer geworden, ernst zu bleiben, als vor meinen er- staunten Augen plötzlich Christus, Maria und die Engel in Schingutracht unter Beijus und umgeben von den mit Stärkekleister und gelber Pikibrühe gefüllten Kürbissen auftauchten. Daneben aber wird uns versichert, dass auch die noch unchristlichen Vorfahren, die "antigos" des erzählenden Piaje den Himmel auf- suchten und Gift trinkend sich in allerlei wilde Tiere verwandelten. Ich erhielt die Geschichte, als ich die Vorstellungen über den Himmel zu gewinnen suchte.
"Der Himmel hat einen Boden wie hier. Der Piaje sagt es, der da war." "?? ..." "Er trank Schlingpflanzengift und starb. Er war dann nicht mehr wie Menschen, er konnte in einen Jaguar oder eine Cobra-Schlange oder eine Sukuri- Schlange oder einen Geier hineingehen. Er stieg zum Himmel, kehrte zurück, erwachte als ein Mensch und war wieder wie vorher. Dies geschah am Paranatinga. Dasselbe geschah auch früher bei den Antigos und dasselbe erzählten auch die Leute vom Tamitotoala (Batovy)." Alsdann be- richtete Antonio sein bestimmtes Beispiel. "Er trank das Gift in der Hänge- matte selbst, er trank aus einer Kuye, in der viel Wasser gemischt war, er starb in der Hängematte. Er ging in den Himmel und traf dort die Antigos. Er traf auch jenen . . . . ., wie heisst er doch?" (Sucht vergeblich nach dem Namen.) "Ach, seine Mutter war ja auch nach dem Himmel." "Jesu Christo?" "Eben den. Mit dem unterhielt er sich lange Zeit. Dieser Krito liess ihn auf einen Schemel niedersitzen und brachte ihm Kalabassen mit Pogu und Pikibrühe. Es gab sehr viel davon. Sie unterhielten sich sehr lange. Dieser Krito verschaffte ihm Arara- federn zum Fliegen. Dann blies er ihn an. Dann liess er ihn zurückkehren. Er erwachte in der Hängematte." Ich wollte Näheres wissen, wie er heraus- gekommen sei. "Der Schatten stieg ein wenig über den Himmel empor, sah gut nach dem Loch aus, wo man aus dem Himmel herauskommt, und flog hier- her." "So war der Schatten im Himmel gewesen?" "Da der Leib nicht geht und nicht steigen kann, da der tot ist, so geht der Schatten."
Die Verwandlung findet also im Traum statt, der durch ein narkotisches Mittel herbeigeführt ist. Sie wird als wirklich genommen und die Geschichte eines solchen ganz oder heutzutage in der professionellen Ausübung nur sehr teilweise wahren Traums liefert das Material für den Glauben an die Kunst der
heit heilen sie nicht.« Klarer kann der Ursprung und der Sinn des Zauberns nicht ausgesprochen werden: man versetzt sich in einen Erregungszustand, um sich zu einem sonst Unmöglichen zu befähigen, man vollbringt Wunder, an die Alles glaubt, indem man seine Einbildungskraft steigert; der Urgrund alles Hexens ist die Ueberzeugung von der Wirklichkeit des Geträumten oder des Eingebildeten.
Besser jedoch als meine Deutung werden die Angaben Antonio’s im genauen Wortlaut über den Besuch eines narkotisierten Piaje im Himmel die Sachlage erläutern. Die zahmen Bakaïí haben einige christlichen Vorstellungen, ich kann nur sagen, aufgeschnappt, und besitzen sie nun in seltsamster Verzerrung; mir wenigstens ist es herzlich schwer geworden, ernst zu bleiben, als vor meinen er- staunten Augen plötzlich Christus, Maria und die Engel in Schingútracht unter Beijús und umgeben von den mit Stärkekleister und gelber Pikíbrühe gefüllten Kürbissen auftauchten. Daneben aber wird uns versichert, dass auch die noch unchristlichen Vorfahren, die »antigos« des erzählenden Piaje den Himmel auf- suchten und Gift trinkend sich in allerlei wilde Tiere verwandelten. Ich erhielt die Geschichte, als ich die Vorstellungen über den Himmel zu gewinnen suchte.
»Der Himmel hat einen Boden wie hier. Der Piaje sagt es, der da war.« »?? …« »Er trank Schlingpflanzengift und starb. Er war dann nicht mehr wie Menschen, er konnte in einen Jaguar oder eine Cobra-Schlange oder eine Sukurí- Schlange oder einen Geier hineingehen. Er stieg zum Himmel, kehrte zurück, erwachte als ein Mensch und war wieder wie vorher. Dies geschah am Paranatinga. Dasselbe geschah auch früher bei den Antigos und dasselbe erzählten auch die Leute vom Tamitotoala (Batovy).« Alsdann be- richtete Antonio sein bestimmtes Beispiel. »Er trank das Gift in der Hänge- matte selbst, er trank aus einer Kuye, in der viel Wasser gemischt war, er starb in der Hängematte. Er ging in den Himmel und traf dort die Antigos. Er traf auch jenen . . . . ., wie heisst er doch?« (Sucht vergeblich nach dem Namen.) »Ach, seine Mutter war ja auch nach dem Himmel.« »Jesu Christo?« »Eben den. Mit dem unterhielt er sich lange Zeit. Dieser Krito liess ihn auf einen Schemel niedersitzen und brachte ihm Kalabassen mit Pogu und Pikíbrühe. Es gab sehr viel davon. Sie unterhielten sich sehr lange. Dieser Krito verschaffte ihm Arara- federn zum Fliegen. Dann blies er ihn an. Dann liess er ihn zurückkehren. Er erwachte in der Hängematte.« Ich wollte Näheres wissen, wie er heraus- gekommen sei. »Der Schatten stieg ein wenig über den Himmel empor, sah gut nach dem Loch aus, wo man aus dem Himmel herauskommt, und flog hier- her.« »So war der Schatten im Himmel gewesen?« »Da der Leib nicht geht und nicht steigen kann, da der tot ist, so geht der Schatten.«
Die Verwandlung findet also im Traum statt, der durch ein narkotisches Mittel herbeigeführt ist. Sie wird als wirklich genommen und die Geschichte eines solchen ganz oder heutzutage in der professionellen Ausübung nur sehr teilweise wahren Traums liefert das Material für den Glauben an die Kunst der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0410"n="346"/>
heit heilen sie nicht</hi>.« Klarer kann der Ursprung und der Sinn des Zauberns<lb/>
nicht ausgesprochen werden: man versetzt sich in einen Erregungszustand, um<lb/>
sich zu einem sonst Unmöglichen zu befähigen, man vollbringt Wunder, an die<lb/>
Alles glaubt, indem man seine Einbildungskraft steigert; der Urgrund alles Hexens<lb/>
ist die Ueberzeugung von der Wirklichkeit des Geträumten oder des Eingebildeten.</p><lb/><p>Besser jedoch als meine Deutung werden die Angaben Antonio’s im genauen<lb/>
Wortlaut über den Besuch eines narkotisierten Piaje im Himmel die Sachlage<lb/>
erläutern. Die zahmen Bakaïí haben einige christlichen Vorstellungen, ich kann<lb/>
nur sagen, aufgeschnappt, und besitzen sie nun in seltsamster Verzerrung; mir<lb/>
wenigstens ist es herzlich schwer geworden, ernst zu bleiben, als vor meinen er-<lb/>
staunten Augen plötzlich Christus, Maria und die Engel in Schingútracht unter<lb/>
Beijús und umgeben von den mit Stärkekleister und gelber Pikíbrühe gefüllten<lb/>
Kürbissen auftauchten. Daneben aber wird uns versichert, dass auch die noch<lb/>
unchristlichen Vorfahren, die »<hirendition="#g">antigos</hi>« des erzählenden Piaje den Himmel auf-<lb/>
suchten und <hirendition="#g">Gift trinkend</hi> sich in allerlei wilde Tiere <hirendition="#g">verwandelten</hi>. Ich<lb/>
erhielt die Geschichte, als ich die Vorstellungen über den Himmel zu gewinnen<lb/>
suchte.</p><lb/><p>»Der Himmel hat einen Boden wie hier. Der Piaje sagt es, <hirendition="#g">der da war</hi>.«<lb/>
»?? …« »Er trank Schlingpflanzengift und <hirendition="#g">starb</hi>. Er war dann nicht mehr wie<lb/>
Menschen, er konnte in einen Jaguar oder eine Cobra-Schlange oder eine Sukurí-<lb/>
Schlange oder einen Geier hineingehen. <hirendition="#g">Er stieg zum Himmel, kehrte<lb/>
zurück, erwachte als ein Mensch und war wieder wie vorher</hi>. Dies<lb/>
geschah am Paranatinga. Dasselbe geschah auch früher bei den Antigos und<lb/>
dasselbe erzählten auch die Leute vom Tamitotoala (Batovy).« Alsdann be-<lb/>
richtete Antonio sein bestimmtes Beispiel. »Er trank das Gift in der Hänge-<lb/>
matte selbst, er trank aus einer Kuye, in der viel Wasser gemischt war, er starb<lb/>
in der Hängematte. Er ging in den Himmel und traf dort die Antigos. Er traf<lb/>
auch jenen . . . . ., wie heisst er doch?« (Sucht vergeblich nach dem Namen.)<lb/>
»Ach, seine Mutter war ja auch nach dem Himmel.« »Jesu Christo?« »Eben den.<lb/>
Mit dem unterhielt er sich lange Zeit. Dieser Krito liess ihn auf einen Schemel<lb/>
niedersitzen und brachte ihm Kalabassen mit Pogu und Pikíbrühe. Es gab sehr<lb/>
viel davon. Sie unterhielten sich sehr lange. Dieser Krito verschaffte ihm Arara-<lb/>
federn zum Fliegen. Dann blies er ihn an. Dann liess er ihn zurückkehren.<lb/>
Er erwachte in der Hängematte.« Ich wollte Näheres wissen, wie er heraus-<lb/>
gekommen sei. »Der <hirendition="#g">Schatten</hi> stieg ein wenig über den Himmel empor, sah<lb/>
gut nach dem Loch aus, wo man aus dem Himmel herauskommt, und flog hier-<lb/>
her.« »So war der <hirendition="#g">Schatten</hi> im Himmel gewesen?« »Da der Leib nicht geht<lb/>
und nicht steigen kann, da der tot ist, so geht der Schatten.«</p><lb/><p>Die Verwandlung findet also im Traum statt, der durch ein narkotisches<lb/>
Mittel herbeigeführt ist. Sie wird als wirklich genommen und die Geschichte<lb/>
eines solchen ganz oder heutzutage in der professionellen Ausübung nur sehr<lb/>
teilweise wahren Traums liefert das Material für den Glauben an die Kunst der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[346/0410]
heit heilen sie nicht.« Klarer kann der Ursprung und der Sinn des Zauberns
nicht ausgesprochen werden: man versetzt sich in einen Erregungszustand, um
sich zu einem sonst Unmöglichen zu befähigen, man vollbringt Wunder, an die
Alles glaubt, indem man seine Einbildungskraft steigert; der Urgrund alles Hexens
ist die Ueberzeugung von der Wirklichkeit des Geträumten oder des Eingebildeten.
Besser jedoch als meine Deutung werden die Angaben Antonio’s im genauen
Wortlaut über den Besuch eines narkotisierten Piaje im Himmel die Sachlage
erläutern. Die zahmen Bakaïí haben einige christlichen Vorstellungen, ich kann
nur sagen, aufgeschnappt, und besitzen sie nun in seltsamster Verzerrung; mir
wenigstens ist es herzlich schwer geworden, ernst zu bleiben, als vor meinen er-
staunten Augen plötzlich Christus, Maria und die Engel in Schingútracht unter
Beijús und umgeben von den mit Stärkekleister und gelber Pikíbrühe gefüllten
Kürbissen auftauchten. Daneben aber wird uns versichert, dass auch die noch
unchristlichen Vorfahren, die »antigos« des erzählenden Piaje den Himmel auf-
suchten und Gift trinkend sich in allerlei wilde Tiere verwandelten. Ich
erhielt die Geschichte, als ich die Vorstellungen über den Himmel zu gewinnen
suchte.
»Der Himmel hat einen Boden wie hier. Der Piaje sagt es, der da war.«
»?? …« »Er trank Schlingpflanzengift und starb. Er war dann nicht mehr wie
Menschen, er konnte in einen Jaguar oder eine Cobra-Schlange oder eine Sukurí-
Schlange oder einen Geier hineingehen. Er stieg zum Himmel, kehrte
zurück, erwachte als ein Mensch und war wieder wie vorher. Dies
geschah am Paranatinga. Dasselbe geschah auch früher bei den Antigos und
dasselbe erzählten auch die Leute vom Tamitotoala (Batovy).« Alsdann be-
richtete Antonio sein bestimmtes Beispiel. »Er trank das Gift in der Hänge-
matte selbst, er trank aus einer Kuye, in der viel Wasser gemischt war, er starb
in der Hängematte. Er ging in den Himmel und traf dort die Antigos. Er traf
auch jenen . . . . ., wie heisst er doch?« (Sucht vergeblich nach dem Namen.)
»Ach, seine Mutter war ja auch nach dem Himmel.« »Jesu Christo?« »Eben den.
Mit dem unterhielt er sich lange Zeit. Dieser Krito liess ihn auf einen Schemel
niedersitzen und brachte ihm Kalabassen mit Pogu und Pikíbrühe. Es gab sehr
viel davon. Sie unterhielten sich sehr lange. Dieser Krito verschaffte ihm Arara-
federn zum Fliegen. Dann blies er ihn an. Dann liess er ihn zurückkehren.
Er erwachte in der Hängematte.« Ich wollte Näheres wissen, wie er heraus-
gekommen sei. »Der Schatten stieg ein wenig über den Himmel empor, sah
gut nach dem Loch aus, wo man aus dem Himmel herauskommt, und flog hier-
her.« »So war der Schatten im Himmel gewesen?« »Da der Leib nicht geht
und nicht steigen kann, da der tot ist, so geht der Schatten.«
Die Verwandlung findet also im Traum statt, der durch ein narkotisches
Mittel herbeigeführt ist. Sie wird als wirklich genommen und die Geschichte
eines solchen ganz oder heutzutage in der professionellen Ausübung nur sehr
teilweise wahren Traums liefert das Material für den Glauben an die Kunst der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/410>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.