eine Geschichte, zu der die Eigenschaften des Dinges den Stoff liefern, von einer Person dieses Namens, -- Jemand muss es doch gebracht haben und der Be- treffende hiess so, wie auch das Ding seitdem heisst: in dem Namen des Dinges, den der Zuhörer kennt, steckt der Beweis für die Wahrhaftigkeit der Geschichte und ihm entspringt die Befriedigung der Wissbegierde. So hat es bei den Tupi eine Häuptlingstochter Mani gegeben, die unter besondern Umständen starb und aus deren Grab im Hause des Vaters eine Pflanze herauswuchs; die Vögel be- rauschten sich an den Blüten, man grub nach und fand eine Wurzel mit be- rauschendem Saft, die man seither "Mani's Haus" (oka) oder "Mandioka" nennt. In gleicher Weise, würde ich lieber denken, sind auch ein paar Zwillinge geboren, die Keri und Kame "hiessen" und die, als sie herangewachsen waren, Sonne und Mond für uns herbeischafften, die natürlich schon, bevor sie irgend etwas von Sonne und Mond wussten, Keri und Kame genannt waren. Der Name der beiden besten Dinge, die sie uns, den Bakairi und Aruak gebracht haben, ist der, den sie selber besassen, und daher wissen wir nun, wo die beiden Dinge herkamen.
Jedenfalls bestreite ich durchaus, dass Sonne und Mond personifiziert wurden. Wenn ich freilich nicht bestimmt festgestellt hätte, dass sie als Federbälle und Dinge gelten, die im Besitz von Personen sind, wenn wir nur die Namen der Kulturheroen "Sonne" und "Mond" hätten, so würde ich zusehen müssen, dass man auch diesen Fall nach dem bequemen Schema der Personifikation erledigte. Das ist aber hier ausgeschlossen. Der Indianer schliesst, Jemand muss die Dinge gebracht haben, und das sind natürlich die beiden Stammväter, die es notwendig gegeben haben muss. Und deren Namen findet er auch vorrätig.
Der alte Caetano sagte, sie heissen Tschischi oder Keri und Nuna oder Kame. Er gebrauchte die karaibischen und die aruakischen Wörter für Sonne und Mond als Eigennamen beliebig durcheinander, nur dass er seinen Bakairi (trotz des keri = Mond) die Hauptperson Keri als Sonne vorbehielt. Keri ist immer der Kluge in den Geschichten und Kame der Dumme! "Kame", sagte Antonio, "ist ein Tölpel (e gente bobo) und macht Alles verkehrt, Keri nicht, o nein!" Mit diesem für jeden Stamm selbstverständlichen Bestreben erreiche ich wieder den Anschluss an die geographische Verteilung und auch die Erklärung. Zwei Brüder "Sonne" und "Mond" waren die Stammväter der in einer gewissen Periode seit altersher gemeinsam lebenden Nu-Aruak und Bakairi. Selbstverständlich erkor jeder Stamm "Sonne" zu seinem Helden und gab "Mond" dem andern. Die Aruak-Frauen sagten, unser Kame (Sonne) und euer Keri (Mond), die Bakairi- Männer unser Tschischi (Sonne) und euer Nuna (Mond). So wurde für die Kinder der beiden, die Vorfahren der heutigen Bakairi, die von beiden belehrt wurden und sich um die Thaten der Helden mehr kümmerten als um die Worterklärung, der Besitzer der Sonne Tschischi, wie ihn die Väter, oder Keri, wie ihn die Mütter nannten, der Besitzer des Mondes Nuna, wie ihn die Väter, oder Kame, wie ihn die Mütter nannten. Tschischi-Keri haben die Bakairi und ihre Nachbarn, Nuna-Kame die Aruak und ihre Nachbarn ge-
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 24
eine Geschichte, zu der die Eigenschaften des Dinges den Stoff liefern, von einer Person dieses Namens, — Jemand muss es doch gebracht haben und der Be- treffende hiess so, wie auch das Ding seitdem heisst: in dem Namen des Dinges, den der Zuhörer kennt, steckt der Beweis für die Wahrhaftigkeit der Geschichte und ihm entspringt die Befriedigung der Wissbegierde. So hat es bei den Tupí eine Häuptlingstochter Mani gegeben, die unter besondern Umständen starb und aus deren Grab im Hause des Vaters eine Pflanze herauswuchs; die Vögel be- rauschten sich an den Blüten, man grub nach und fand eine Wurzel mit be- rauschendem Saft, die man seither »Mani’s Haus« (óka) oder »Mandioka« nennt. In gleicher Weise, würde ich lieber denken, sind auch ein paar Zwillinge geboren, die Keri und Kame »hiessen« und die, als sie herangewachsen waren, Sonne und Mond für uns herbeischafften, die natürlich schon, bevor sie irgend etwas von Sonne und Mond wussten, Keri und Kame genannt waren. Der Name der beiden besten Dinge, die sie uns, den Bakaïrí und Aruak gebracht haben, ist der, den sie selber besassen, und daher wissen wir nun, wo die beiden Dinge herkamen.
Jedenfalls bestreite ich durchaus, dass Sonne und Mond personifiziert wurden. Wenn ich freilich nicht bestimmt festgestellt hätte, dass sie als Federbälle und Dinge gelten, die im Besitz von Personen sind, wenn wir nur die Namen der Kulturheroen »Sonne« und »Mond« hätten, so würde ich zusehen müssen, dass man auch diesen Fall nach dem bequemen Schema der Personifikation erledigte. Das ist aber hier ausgeschlossen. Der Indianer schliesst, Jemand muss die Dinge gebracht haben, und das sind natürlich die beiden Stammväter, die es notwendig gegeben haben muss. Und deren Namen findet er auch vorrätig.
Der alte Caetano sagte, sie heissen Tschischi oder Keri und Nuna oder Kame. Er gebrauchte die karaibischen und die aruakischen Wörter für Sonne und Mond als Eigennamen beliebig durcheinander, nur dass er seinen Bakaïrí (trotz des kérí = Mond) die Hauptperson Keri als Sonne vorbehielt. Keri ist immer der Kluge in den Geschichten und Kame der Dumme! »Kame«, sagte Antonio, »ist ein Tölpel (é gente bobo) und macht Alles verkehrt, Keri nicht, o nein!« Mit diesem für jeden Stamm selbstverständlichen Bestreben erreiche ich wieder den Anschluss an die geographische Verteilung und auch die Erklärung. Zwei Brüder »Sonne« und »Mond« waren die Stammväter der in einer gewissen Periode seit altersher gemeinsam lebenden Nu-Aruak und Bakaïrí. Selbstverständlich erkor jeder Stamm »Sonne« zu seinem Helden und gab »Mond« dem andern. Die Aruak-Frauen sagten, unser Kame (Sonne) und euer Keri (Mond), die Bakaïrí- Männer unser Tschischi (Sonne) und euer Nuna (Mond). So wurde für die Kinder der beiden, die Vorfahren der heutigen Bakaïrí, die von beiden belehrt wurden und sich um die Thaten der Helden mehr kümmerten als um die Worterklärung, der Besitzer der Sonne Tschischi, wie ihn die Väter, oder Keri, wie ihn die Mütter nannten, der Besitzer des Mondes Nuna, wie ihn die Väter, oder Kame, wie ihn die Mütter nannten. Tschischi-Keri haben die Bakaïrí und ihre Nachbarn, Nuna-Kame die Aruak und ihre Nachbarn ge-
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eine Geschichte, zu der die Eigenschaften des Dinges den Stoff liefern, von einer
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treffende hiess so, wie auch das Ding seitdem heisst: in dem Namen des Dinges,
den der Zuhörer kennt, steckt der Beweis für die Wahrhaftigkeit der Geschichte
und ihm entspringt die Befriedigung der Wissbegierde. So hat es bei den Tupí
eine Häuptlingstochter Mani gegeben, die unter besondern Umständen starb und
aus deren Grab im Hause des Vaters eine Pflanze herauswuchs; die Vögel be-
rauschten sich an den Blüten, man grub nach und fand eine Wurzel mit be-
rauschendem Saft, die man seither »Mani’s Haus« (óka) oder »Mandioka« nennt.
In gleicher Weise, würde ich lieber denken, sind auch ein paar Zwillinge geboren,
die Keri und Kame »hiessen« und die, als sie herangewachsen waren, Sonne und
Mond für uns herbeischafften, die natürlich schon, bevor sie irgend etwas von
Sonne und Mond wussten, Keri und Kame genannt waren. Der Name der beiden
besten Dinge, die sie uns, den Bakaïrí und Aruak gebracht haben, ist der, den
sie selber besassen, und daher wissen wir nun, wo die beiden Dinge herkamen.
Jedenfalls bestreite ich durchaus, dass Sonne und Mond personifiziert wurden.
Wenn ich freilich nicht bestimmt festgestellt hätte, dass sie als Federbälle und
Dinge gelten, die im Besitz von Personen sind, wenn wir nur die Namen der
Kulturheroen »Sonne« und »Mond« hätten, so würde ich zusehen müssen, dass
man auch diesen Fall nach dem bequemen Schema der Personifikation erledigte.
Das ist aber hier ausgeschlossen. Der Indianer schliesst, Jemand muss die Dinge
gebracht haben, und das sind natürlich die beiden Stammväter, die es notwendig
gegeben haben muss. Und deren Namen findet er auch vorrätig.
Der alte Caetano sagte, sie heissen Tschischi oder Keri und Nuna oder
Kame. Er gebrauchte die karaibischen und die aruakischen Wörter für Sonne
und Mond als Eigennamen beliebig durcheinander, nur dass er seinen Bakaïrí
(trotz des kérí = Mond) die Hauptperson Keri als Sonne vorbehielt. Keri ist
immer der Kluge in den Geschichten und Kame der Dumme! »Kame«, sagte
Antonio, »ist ein Tölpel (é gente bobo) und macht Alles verkehrt, Keri nicht,
o nein!« Mit diesem für jeden Stamm selbstverständlichen Bestreben erreiche
ich wieder den Anschluss an die geographische Verteilung und auch die Erklärung.
Zwei Brüder »Sonne« und »Mond« waren die Stammväter der in einer gewissen
Periode seit altersher gemeinsam lebenden Nu-Aruak und Bakaïrí. Selbstverständlich
erkor jeder Stamm »Sonne« zu seinem Helden und gab »Mond« dem andern. Die
Aruak-Frauen sagten, unser Kame (Sonne) und euer Keri (Mond), die Bakaïrí-
Männer unser Tschischi (Sonne) und euer Nuna (Mond). So wurde für die Kinder
der beiden, die Vorfahren der heutigen Bakaïrí, die von beiden belehrt wurden und
sich um die Thaten der Helden mehr kümmerten als um die Worterklärung,
der Besitzer der Sonne Tschischi, wie ihn die Väter, oder Keri, wie
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Väter, oder Kame, wie ihn die Mütter nannten. Tschischi-Keri haben die
Bakaïrí und ihre Nachbarn, Nuna-Kame die Aruak und ihre Nachbarn ge-
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/433>, abgerufen am 21.11.2024.
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