kehrenden Oka vor, der ihn ahnungslos ass. Heftig erzürnt, als er den Hergang er- fuhr, lief er Mero zu töten, stand aber davon ab, weil sie sagte: "ich bin deine Mutter." Keri und Kame zog der Pflegevater Jaguar auf, er liess sie auf seinen Rücken reiten und lehrte sie mit Pfeilen schiessen. Nun fragten sie ihn aber nach ihrer Mutter; er hatte von ihrem Tod geschwiegen, weil er sich schämte, von ihrem Fleisch gegessen zu haben, und gab auch jetzt keine Auskunft. Doch die Gross- mutter oder Tante Ewaki, die zum Geschlecht der Bakairi gehörte und hier zum ersten Mal genannt wird, berichtete die Unthat Mero's. Keri und Kame gingen hin und töteten Mero, obwohl diese sie freundlich mit dem Gruss "o meine Enkel" empfing.
"Mero safada, die verdammte Mero" (Antonio hasste sie von Herzensgrund) "wurde nicht beerdigt, o nein, die wurde verbrannt". Keri und Kame trugen Scheiter zusammen und legten Feuer an, dann gruben sie sich ein Loch um zuzuschauen. Mero brannte bopopopo . . . . . Man sieht das Feuer noch heute in der grossen Magelhaes'schen Wolke. Zu jener Zeit hatte Keri und Kame noch keine menschliche Gestalt. Kame kroch aus seinem Loch neugierig hervor und fing Feuer. Er verbrannte, starb. Keri blies ihn an und machte ihm Nase und Hände und Füsse wie die Menschen haben. Aber auch Keri fing Feuer (die kleine Magehaes'sche Wolke ist das Feuer von Keri und Kame), verbrannte, starb, wurde von Kame lebendig geblasen und menschlich gestaltet. Da kamen drei Tierarten, die man auch noch am Himmel sieht, die kleine Fischotter, die sich den Schwanz, die grosse (Ariranya), die sich Hände und Füsse, und der Tukan, der sich den Schnabel von Keri und Kame nahm. Keri hatte einen grösseren Schnabel gehabt als Kame.
Jetzt sind die beiden also erst menschlichen Aussehens und beginnen bald ihre Thätigkeit zum Nutzen der heute Lebenden. Wie sahen denn Kamuschini, Mero und Oka aus? "Oka ist doch der bunte Jaguar?" "Ja". "Und er schoss mit Pfeilen? "Ja, damals schoss der Jaguar mit Pfeilen." "Er schoss die Bakairi und frass sie auf." Mero hatte "etwas vom Joho" (Crypturus noctivagus) "und Makuku" (Tinamus brasiliensis), zwei Waldhühnern. Aber ihre Krallen waren so gross wie Daumen. "Also die Mutter der Jaguare ist ein Vogel gewesen?" "Ja, man sagt, dass der Jaguar noch heute keinen Joho und Makuku frisst." Da ist wieder eine echt indianische Begründung des unsinnigen Verwandtschafts- verhältnisses zwischen der Sippe Jaguar und der Sippe Waldhuhn. Wenn hier etwas Historisches zu Grunde liegt, so ist es mit dem Zoologischen untrennbar verquickt. "Mero frass so viele Bakairi, dass kaum welche übrig blieben. Keri musste neue machen."
Kamuschini's Person endlich wird auch mit einer Tierbeobachtung in Zu- sammenhang gebracht, und stellt, obwohl wir seinen Aufenthalt im Himmel be- greifen lernen, noch grössere Ansprüche an unsere Einbildungskraft. Er hat "ein schwarzes Fell, ist mässig behaart, er macht Fäden wie die Spinne". "Die Spinnen kommen jedes Jahr im Juli und kriegen dann Kinder; im August und
kehrenden Oka vor, der ihn ahnungslos ass. Heftig erzürnt, als er den Hergang er- fuhr, lief er Mero zu töten, stand aber davon ab, weil sie sagte: »ich bin deine Mutter.« Keri und Kame zog der Pflegevater Jaguar auf, er liess sie auf seinen Rücken reiten und lehrte sie mit Pfeilen schiessen. Nun fragten sie ihn aber nach ihrer Mutter; er hatte von ihrem Tod geschwiegen, weil er sich schämte, von ihrem Fleisch gegessen zu haben, und gab auch jetzt keine Auskunft. Doch die Gross- mutter oder Tante Ewaki, die zum Geschlecht der Bakaïrí gehörte und hier zum ersten Mal genannt wird, berichtete die Unthat Mero’s. Keri und Kame gingen hin und töteten Mero, obwohl diese sie freundlich mit dem Gruss »o meine Enkel« empfing.
»Mero safada, die verdammte Mero« (Antonio hasste sie von Herzensgrund) »wurde nicht beerdigt, o nein, die wurde verbrannt«. Keri und Kame trugen Scheiter zusammen und legten Feuer an, dann gruben sie sich ein Loch um zuzuschauen. Mero brannte bopopopo . . . . . Man sieht das Feuer noch heute in der grossen Magelhães’schen Wolke. Zu jener Zeit hatte Keri und Kame noch keine menschliche Gestalt. Kame kroch aus seinem Loch neugierig hervor und fing Feuer. Er verbrannte, starb. Keri blies ihn an und machte ihm Nase und Hände und Füsse wie die Menschen haben. Aber auch Keri fing Feuer (die kleine Magehães’sche Wolke ist das Feuer von Keri und Kame), verbrannte, starb, wurde von Kame lebendig geblasen und menschlich gestaltet. Da kamen drei Tierarten, die man auch noch am Himmel sieht, die kleine Fischotter, die sich den Schwanz, die grosse (Ariranya), die sich Hände und Füsse, und der Tukan, der sich den Schnabel von Keri und Kame nahm. Keri hatte einen grösseren Schnabel gehabt als Kame.
Jetzt sind die beiden also erst menschlichen Aussehens und beginnen bald ihre Thätigkeit zum Nutzen der heute Lebenden. Wie sahen denn Kamuschini, Mero und Oka aus? »Oka ist doch der bunte Jaguar?« »Ja«. »Und er schoss mit Pfeilen? »Ja, damals schoss der Jaguar mit Pfeilen.« »Er schoss die Bakaïrí und frass sie auf.« Mero hatte »etwas vom Joho« (Crypturus noctivagus) »und Makuku« (Tinamus brasiliensis), zwei Waldhühnern. Aber ihre Krallen waren so gross wie Daumen. »Also die Mutter der Jaguare ist ein Vogel gewesen?« »Ja, man sagt, dass der Jaguar noch heute keinen Johó und Makuku frisst.« Da ist wieder eine echt indianische Begründung des unsinnigen Verwandtschafts- verhältnisses zwischen der Sippe Jaguar und der Sippe Waldhuhn. Wenn hier etwas Historisches zu Grunde liegt, so ist es mit dem Zoologischen untrennbar verquickt. »Mero frass so viele Bakaïrí, dass kaum welche übrig blieben. Keri musste neue machen.«
Kamuschini’s Person endlich wird auch mit einer Tierbeobachtung in Zu- sammenhang gebracht, und stellt, obwohl wir seinen Aufenthalt im Himmel be- greifen lernen, noch grössere Ansprüche an unsere Einbildungskraft. Er hat »ein schwarzes Fell, ist mässig behaart, er macht Fäden wie die Spinne«. »Die Spinnen kommen jedes Jahr im Juli und kriegen dann Kinder; im August und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0438"n="374"/>
kehrenden Oka vor, der ihn ahnungslos ass. Heftig erzürnt, als er den Hergang er-<lb/>
fuhr, lief er Mero zu töten, stand aber davon ab, weil sie sagte: »ich bin deine<lb/>
Mutter.« Keri und Kame zog der Pflegevater Jaguar auf, er liess sie auf seinen Rücken<lb/>
reiten und lehrte sie mit Pfeilen schiessen. Nun fragten sie ihn aber nach ihrer<lb/>
Mutter; er hatte von ihrem Tod geschwiegen, weil er sich schämte, von ihrem<lb/>
Fleisch gegessen zu haben, und gab auch jetzt keine Auskunft. Doch die Gross-<lb/>
mutter oder Tante <hirendition="#g">Ewaki</hi>, die zum Geschlecht der Bakaïrí gehörte und hier zum<lb/>
ersten Mal genannt wird, berichtete die Unthat Mero’s. Keri und Kame gingen<lb/>
hin und töteten Mero, obwohl diese sie freundlich mit dem Gruss »o meine<lb/>
Enkel« empfing.</p><lb/><p>»Mero <hirendition="#i">safada</hi>, die verdammte Mero« (Antonio hasste sie von Herzensgrund)<lb/>
»wurde nicht beerdigt, o nein, die wurde <hirendition="#g">verbrannt</hi>«. Keri und Kame trugen<lb/>
Scheiter zusammen und legten Feuer an, dann gruben sie sich ein Loch um<lb/>
zuzuschauen. Mero brannte <hirendition="#i">bopopopo</hi> . . . . . Man sieht das Feuer noch heute in<lb/>
der grossen Magelhães’schen Wolke. Zu jener Zeit hatte Keri und Kame noch<lb/><hirendition="#g">keine menschliche Gestalt</hi>. Kame kroch aus seinem Loch neugierig hervor<lb/>
und fing Feuer. Er verbrannte, starb. Keri blies ihn an und machte ihm Nase<lb/>
und Hände und Füsse wie die Menschen haben. Aber auch Keri fing Feuer<lb/>
(die <hirendition="#g">kleine</hi> Magehães’sche Wolke ist das Feuer von Keri und Kame), verbrannte,<lb/>
starb, wurde von Kame lebendig geblasen und menschlich gestaltet. Da kamen<lb/>
drei Tierarten, die man auch noch am Himmel sieht, die kleine Fischotter, die<lb/>
sich den Schwanz, die grosse (Ariranya), die sich Hände und Füsse, und der<lb/>
Tukan, der sich den Schnabel von Keri und Kame nahm. Keri hatte einen<lb/>
grösseren Schnabel gehabt als Kame.</p><lb/><p>Jetzt sind die beiden also erst menschlichen Aussehens und beginnen bald<lb/>
ihre Thätigkeit zum Nutzen der heute Lebenden. Wie sahen denn Kamuschini,<lb/>
Mero und Oka aus? »Oka ist doch der bunte Jaguar?« »Ja«. »Und er schoss<lb/>
mit Pfeilen? »Ja, damals schoss der Jaguar mit Pfeilen.« »Er schoss die Bakaïrí<lb/>
und frass sie auf.« Mero hatte »etwas vom Joho« (Crypturus noctivagus) »und<lb/>
Makuku« (Tinamus brasiliensis), zwei Waldhühnern. Aber ihre Krallen waren<lb/>
so gross wie Daumen. »Also die Mutter der Jaguare ist ein Vogel gewesen?«<lb/>
»Ja, man sagt, dass der Jaguar <hirendition="#g">noch heute keinen Johó und Makuku frisst</hi>.«<lb/>
Da ist wieder eine echt indianische Begründung des unsinnigen Verwandtschafts-<lb/>
verhältnisses zwischen der Sippe Jaguar und der Sippe Waldhuhn. Wenn hier<lb/>
etwas Historisches zu Grunde liegt, so ist es mit dem Zoologischen untrennbar<lb/>
verquickt. »Mero frass so viele Bakaïrí, dass kaum welche übrig blieben. Keri<lb/>
musste neue machen.«</p><lb/><p>Kamuschini’s Person endlich wird auch mit einer Tierbeobachtung in Zu-<lb/>
sammenhang gebracht, und stellt, obwohl wir seinen Aufenthalt im Himmel be-<lb/>
greifen lernen, noch grössere Ansprüche an unsere Einbildungskraft. Er hat »ein<lb/>
schwarzes Fell, ist mässig behaart, er macht Fäden wie die Spinne«. »Die<lb/>
Spinnen kommen jedes Jahr im Juli und kriegen dann Kinder; im August und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[374/0438]
kehrenden Oka vor, der ihn ahnungslos ass. Heftig erzürnt, als er den Hergang er-
fuhr, lief er Mero zu töten, stand aber davon ab, weil sie sagte: »ich bin deine
Mutter.« Keri und Kame zog der Pflegevater Jaguar auf, er liess sie auf seinen Rücken
reiten und lehrte sie mit Pfeilen schiessen. Nun fragten sie ihn aber nach ihrer
Mutter; er hatte von ihrem Tod geschwiegen, weil er sich schämte, von ihrem
Fleisch gegessen zu haben, und gab auch jetzt keine Auskunft. Doch die Gross-
mutter oder Tante Ewaki, die zum Geschlecht der Bakaïrí gehörte und hier zum
ersten Mal genannt wird, berichtete die Unthat Mero’s. Keri und Kame gingen
hin und töteten Mero, obwohl diese sie freundlich mit dem Gruss »o meine
Enkel« empfing.
»Mero safada, die verdammte Mero« (Antonio hasste sie von Herzensgrund)
»wurde nicht beerdigt, o nein, die wurde verbrannt«. Keri und Kame trugen
Scheiter zusammen und legten Feuer an, dann gruben sie sich ein Loch um
zuzuschauen. Mero brannte bopopopo . . . . . Man sieht das Feuer noch heute in
der grossen Magelhães’schen Wolke. Zu jener Zeit hatte Keri und Kame noch
keine menschliche Gestalt. Kame kroch aus seinem Loch neugierig hervor
und fing Feuer. Er verbrannte, starb. Keri blies ihn an und machte ihm Nase
und Hände und Füsse wie die Menschen haben. Aber auch Keri fing Feuer
(die kleine Magehães’sche Wolke ist das Feuer von Keri und Kame), verbrannte,
starb, wurde von Kame lebendig geblasen und menschlich gestaltet. Da kamen
drei Tierarten, die man auch noch am Himmel sieht, die kleine Fischotter, die
sich den Schwanz, die grosse (Ariranya), die sich Hände und Füsse, und der
Tukan, der sich den Schnabel von Keri und Kame nahm. Keri hatte einen
grösseren Schnabel gehabt als Kame.
Jetzt sind die beiden also erst menschlichen Aussehens und beginnen bald
ihre Thätigkeit zum Nutzen der heute Lebenden. Wie sahen denn Kamuschini,
Mero und Oka aus? »Oka ist doch der bunte Jaguar?« »Ja«. »Und er schoss
mit Pfeilen? »Ja, damals schoss der Jaguar mit Pfeilen.« »Er schoss die Bakaïrí
und frass sie auf.« Mero hatte »etwas vom Joho« (Crypturus noctivagus) »und
Makuku« (Tinamus brasiliensis), zwei Waldhühnern. Aber ihre Krallen waren
so gross wie Daumen. »Also die Mutter der Jaguare ist ein Vogel gewesen?«
»Ja, man sagt, dass der Jaguar noch heute keinen Johó und Makuku frisst.«
Da ist wieder eine echt indianische Begründung des unsinnigen Verwandtschafts-
verhältnisses zwischen der Sippe Jaguar und der Sippe Waldhuhn. Wenn hier
etwas Historisches zu Grunde liegt, so ist es mit dem Zoologischen untrennbar
verquickt. »Mero frass so viele Bakaïrí, dass kaum welche übrig blieben. Keri
musste neue machen.«
Kamuschini’s Person endlich wird auch mit einer Tierbeobachtung in Zu-
sammenhang gebracht, und stellt, obwohl wir seinen Aufenthalt im Himmel be-
greifen lernen, noch grössere Ansprüche an unsere Einbildungskraft. Er hat »ein
schwarzes Fell, ist mässig behaart, er macht Fäden wie die Spinne«. »Die
Spinnen kommen jedes Jahr im Juli und kriegen dann Kinder; im August und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/438>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.