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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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bilden in der Thalmulde jene eigenartige und liebliche Cabeceira, die sich dem
Wanderer als das reizvollste Landschaftsbildchen des Matogrosso einprägt. Halb-
verschmachtet in dem dürren Busch und auf dem sandigen Boden tritt man
plötzlich auf einen saftigen frischen, vielleicht ein wenig sumpfigen Wiesengrund
hinaus, an dessen Ende in der Mittellinie der junge Bach entspringt, wo ihn das
Auge aber vergeblich sucht. Denn thalabwärts schleichend verschwindet er sofort
inmitten einer Doppelgallerie prächtiger, schlank emporragender Fächerpalmen und
hochstämmiger Laubbäume; und dieser an vollen Wipfeln und Kronen reiche
Wald geht nicht etwa beiderseits mit Sträuchern oder Gestrüpp in den niedrigen
Busch über, sondern zieht als freistehende dunkle Mauer in die Ferne, noch eine
gute Strecke von dem feuchtschimmernden breiten Streifen der grünen Grasflur
eingefasst.

Der Topograph darf sich nicht beklagen, dass er schwere Arbeit habe;
steigt er auf einen der Tafelberge oder bewegt er sich auf hohem Chapadao, so
erblickt er nirgendwo wie bei uns die in der Sonne schimmernden Silberbänder
der Wasserarme, allein für ihn bedeuten Bach oder Fluss alle die schmalen, auf
hellem Grund scharf abgesetzten Waldlinien, die aus engen Querthälern der
Hügelrücken seitlich hervortreten und in gewundenem Lauf den rasch anschwellen-
den und dem ferneren Horizont zustrebenden Hauptzug im tiefen, breiten Thal-
grund suchen.

Hier oben auf der Hochebene befinden wir uns in der echten Natur der
"Campos", und alle Eigentümlichkeiten dieser Kampwildnis -- die in beliebigen
Uebergängen von dem schwer durchdringlichen, mit stachligen Hecken und dornigem
Gestrüpp erfüllten Buschdickicht, dem "Campo cerrado", bis zu der nur von
schmucken Wäldchen (Capoes) oder kleinen Palmenständen (Buritisaes) unter-
brochenen Grassteppe erscheint -- alle Eigentümlichkeiten ihrer wechselnden
Bodengestaltung und Bewässerung, ihrer Pflanzen- und Tierwelt, ihrer Lebens-
bedingungen für den Menschen fasst der Brasilier in dem einen Wort "Sertao"
zusammen. Der Sertao "bruto", der rohe wilde Sertao, ist der, in dem es keine
Menschenwohnung oder Weg und Steg überhaupt mehr giebt, wie wir ihn
jenseits des Paranatinga in seinem vollen Glanze kennen lernten, aber auch
der Sertao, der einige Leguas im Nordosten von Cuyaba beginnt, ist nur eine
gewaltige Einöde mit wenigen kleinen, um Tagereisen voneinander entfernten
Ansiedelungen.

Man kann ohne grosse Uebertreibung sagen, dass der Sertao bereits hinter
den Thoren der Hauptstadt einsetzt, denn kein Feldbau, keine Dörfer, keine
Bauernhöfe, nur die sandigen, mit Kieselbrocken bestreuten Wege durch das
niedrige Gebüsch verraten die Kultur. Im Anfang zieht man noch auf breiter
Strasse, die nicht gerade mit Fahrdamm, Wegweisern und Meilensteinen ausge-
stattet, aber für die Tiere gut gangbar ist. Sie liegt nur völlig vernachlässigt;
jedes Hindernis, eine tiefe Karrenspur oder ein in der Regenzeit ausgespültes
Loch oder ein seitlich herabgestürzter Baum wird umgangen, umritten oder um-

bilden in der Thalmulde jene eigenartige und liebliche Cabeceira, die sich dem
Wanderer als das reizvollste Landschaftsbildchen des Matogrosso einprägt. Halb-
verschmachtet in dem dürren Busch und auf dem sandigen Boden tritt man
plötzlich auf einen saftigen frischen, vielleicht ein wenig sumpfigen Wiesengrund
hinaus, an dessen Ende in der Mittellinie der junge Bach entspringt, wo ihn das
Auge aber vergeblich sucht. Denn thalabwärts schleichend verschwindet er sofort
inmitten einer Doppelgallerie prächtiger, schlank emporragender Fächerpalmen und
hochstämmiger Laubbäume; und dieser an vollen Wipfeln und Kronen reiche
Wald geht nicht etwa beiderseits mit Sträuchern oder Gestrüpp in den niedrigen
Busch über, sondern zieht als freistehende dunkle Mauer in die Ferne, noch eine
gute Strecke von dem feuchtschimmernden breiten Streifen der grünen Grasflur
eingefasst.

Der Topograph darf sich nicht beklagen, dass er schwere Arbeit habe;
steigt er auf einen der Tafelberge oder bewegt er sich auf hohem Chapadão, so
erblickt er nirgendwo wie bei uns die in der Sonne schimmernden Silberbänder
der Wasserarme, allein für ihn bedeuten Bach oder Fluss alle die schmalen, auf
hellem Grund scharf abgesetzten Waldlinien, die aus engen Querthälern der
Hügelrücken seitlich hervortreten und in gewundenem Lauf den rasch anschwellen-
den und dem ferneren Horizont zustrebenden Hauptzug im tiefen, breiten Thal-
grund suchen.

Hier oben auf der Hochebene befinden wir uns in der echten Natur der
»Campos«, und alle Eigentümlichkeiten dieser Kampwildnis — die in beliebigen
Uebergängen von dem schwer durchdringlichen, mit stachligen Hecken und dornigem
Gestrüpp erfüllten Buschdickicht, dem »Campo cerrado«, bis zu der nur von
schmucken Wäldchen (Capões) oder kleinen Palmenständen (Buritisaes) unter-
brochenen Grassteppe erscheint — alle Eigentümlichkeiten ihrer wechselnden
Bodengestaltung und Bewässerung, ihrer Pflanzen- und Tierwelt, ihrer Lebens-
bedingungen für den Menschen fasst der Brasilier in dem einen Wort »Sertão«
zusammen. Der Sertão »bruto«, der rohe wilde Sertão, ist der, in dem es keine
Menschenwohnung oder Weg und Steg überhaupt mehr giebt, wie wir ihn
jenseits des Paranatinga in seinem vollen Glanze kennen lernten, aber auch
der Sertão, der einige Leguas im Nordosten von Cuyabá beginnt, ist nur eine
gewaltige Einöde mit wenigen kleinen, um Tagereisen voneinander entfernten
Ansiedelungen.

Man kann ohne grosse Uebertreibung sagen, dass der Sertão bereits hinter
den Thoren der Hauptstadt einsetzt, denn kein Feldbau, keine Dörfer, keine
Bauernhöfe, nur die sandigen, mit Kieselbrocken bestreuten Wege durch das
niedrige Gebüsch verraten die Kultur. Im Anfang zieht man noch auf breiter
Strasse, die nicht gerade mit Fahrdamm, Wegweisern und Meilensteinen ausge-
stattet, aber für die Tiere gut gangbar ist. Sie liegt nur völlig vernachlässigt;
jedes Hindernis, eine tiefe Karrenspur oder ein in der Regenzeit ausgespültes
Loch oder ein seitlich herabgestürzter Baum wird umgangen, umritten oder um-

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[20/0044] bilden in der Thalmulde jene eigenartige und liebliche Cabeceira, die sich dem Wanderer als das reizvollste Landschaftsbildchen des Matogrosso einprägt. Halb- verschmachtet in dem dürren Busch und auf dem sandigen Boden tritt man plötzlich auf einen saftigen frischen, vielleicht ein wenig sumpfigen Wiesengrund hinaus, an dessen Ende in der Mittellinie der junge Bach entspringt, wo ihn das Auge aber vergeblich sucht. Denn thalabwärts schleichend verschwindet er sofort inmitten einer Doppelgallerie prächtiger, schlank emporragender Fächerpalmen und hochstämmiger Laubbäume; und dieser an vollen Wipfeln und Kronen reiche Wald geht nicht etwa beiderseits mit Sträuchern oder Gestrüpp in den niedrigen Busch über, sondern zieht als freistehende dunkle Mauer in die Ferne, noch eine gute Strecke von dem feuchtschimmernden breiten Streifen der grünen Grasflur eingefasst. Der Topograph darf sich nicht beklagen, dass er schwere Arbeit habe; steigt er auf einen der Tafelberge oder bewegt er sich auf hohem Chapadão, so erblickt er nirgendwo wie bei uns die in der Sonne schimmernden Silberbänder der Wasserarme, allein für ihn bedeuten Bach oder Fluss alle die schmalen, auf hellem Grund scharf abgesetzten Waldlinien, die aus engen Querthälern der Hügelrücken seitlich hervortreten und in gewundenem Lauf den rasch anschwellen- den und dem ferneren Horizont zustrebenden Hauptzug im tiefen, breiten Thal- grund suchen. Hier oben auf der Hochebene befinden wir uns in der echten Natur der »Campos«, und alle Eigentümlichkeiten dieser Kampwildnis — die in beliebigen Uebergängen von dem schwer durchdringlichen, mit stachligen Hecken und dornigem Gestrüpp erfüllten Buschdickicht, dem »Campo cerrado«, bis zu der nur von schmucken Wäldchen (Capões) oder kleinen Palmenständen (Buritisaes) unter- brochenen Grassteppe erscheint — alle Eigentümlichkeiten ihrer wechselnden Bodengestaltung und Bewässerung, ihrer Pflanzen- und Tierwelt, ihrer Lebens- bedingungen für den Menschen fasst der Brasilier in dem einen Wort »Sertão« zusammen. Der Sertão »bruto«, der rohe wilde Sertão, ist der, in dem es keine Menschenwohnung oder Weg und Steg überhaupt mehr giebt, wie wir ihn jenseits des Paranatinga in seinem vollen Glanze kennen lernten, aber auch der Sertão, der einige Leguas im Nordosten von Cuyabá beginnt, ist nur eine gewaltige Einöde mit wenigen kleinen, um Tagereisen voneinander entfernten Ansiedelungen. Man kann ohne grosse Uebertreibung sagen, dass der Sertão bereits hinter den Thoren der Hauptstadt einsetzt, denn kein Feldbau, keine Dörfer, keine Bauernhöfe, nur die sandigen, mit Kieselbrocken bestreuten Wege durch das niedrige Gebüsch verraten die Kultur. Im Anfang zieht man noch auf breiter Strasse, die nicht gerade mit Fahrdamm, Wegweisern und Meilensteinen ausge- stattet, aber für die Tiere gut gangbar ist. Sie liegt nur völlig vernachlässigt; jedes Hindernis, eine tiefe Karrenspur oder ein in der Regenzeit ausgespültes Loch oder ein seitlich herabgestürzter Baum wird umgangen, umritten oder um-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/44>, abgerufen am 21.11.2024.