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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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indem er ihn getrennt neben V und IV hält, "ahage tokale", geht zu II über,
vereinigt ihn mit III und sagt "ahage ahage", fasst den Daumen an und sagt
"ahage ahage tokale", legt den Kleinfinger der rechten Hand heran und sagt
"ahage ahage ahage". Hinter "6" ist der Bakairi mit den Zahlwörtern zu Ende
und fährt nun bei IV, III, II, I der rechten Hand fort, indem er jeden Finger
nach der Reihe berührt und einfach "mera", "dieser" hinzufügt. So berührt er
auch die Zehen des linken und des rechten Fusses und erklärt jedesmal "mera".
Ist er noch nicht zu Ende, so greift er sich in die Haare und zieht sie nach allen
Richtungen auseinander.

Man muss sich sagen, wenn sie die 7 mit "ahage ahage ahage tokale" hätten
bezeichnen wollen, so hätten sie schon zählen müssen, um zu zählen, die Zahlen
selbst zählen müssen. So konnte, selbst wenn es sich nicht um tiefere Gründe
handelte, schon der Mangel eines höheren Zahlwortes als 2 oder 3 an und für
sich ein Hindernis bilden. Offenbar hatten sie jenseits der 6 nur die vage An-
schauung einer grösseren Summe. Man denke sich Jemand, der die Stufen einer
Treppe zählen will, unterwegs aber an einer Stelle aus irgend einem Grunde die
Zahl der zurückgelegten Stufen nicht mehr genau weiss; höher und höher steigend
bleibt er sich bewusst, dass es immer mehr wird, aber einmal aus dem Konzept
gebracht, wird er sich immer unklarer, wie viel Stufen es mehr werden und wie
viele es zusammen sind. So kletterten die Bakairi an ihrer Treppe von 20 Stufen
bis zu Ende empor und hatten gewiss alle Sicherheit, dass sie bei dem ersten
Fuss weiter waren, als bei der zweiten Hand und bei dem zweiten Fuss weiter
als bei dem ersten, allein dass sie nun etwa nach dem Abgreifen von 10 Fingern
und 5 Zehen eine präzise Vorstellung gehabt hätten wie wir mit dem Wort
"fünfzehn" verbinden, davon konnte auch nicht die Rede sein.

Ihre Begriffe endeten bei "6", und auch die Anschauung jenseits der "6"
war nur einigermassen bestimmt, so lange sie an der Betrachtung und Befühlung
der Finger und Zehen haftete. Sobald bestimmte Gegenstände gezählt werden
sollten, ging ihre Kunst kaum weiter als ihre Begriffe, das heisst die Zahlwörter.
Ich habe mit Paleko und Tumayaua eine Menge -- ich greife mir bei der Er-
innerung in die Haare -- Versuche gemacht und will zunächst das immer gleiche
Ergebnis bei einer grösseren Anzahl von Maiskörnern oder dergl. erwähnen.
Legte ich zehn Körner hin und fragte "atura?", "wie viele?", so zählten sie auf
die noch zu beschreibende Art und Weise langsam, aber richtig bis "6".
Das 7te, 8te Korn wurde zur Not noch auf die Finger IV und III der rechten
Hand bezogen und entsprechend "mera", "mera" gesagt, aber sie zeigten sich dann
abgespannt und unlustig; sie erinnerten mich an Leute, die ohne Interesse Karten
spielen oder Rätsel lösen sollen und bald gähnend ausrufen: "ach, ich habe für
dergleichen gar kein Talent". Sie gähnten auch, und wenn ich sie nötigte, so
lachten sie einfältig oder machten ein verdrossenes Gesicht, klagten über "kinarachu
ewano
", was bezeichnend "Kopf-Arbeit" oder "Kopf-Schmerz" bedeutet, und liefen
womöglich davon, in jedem Fall streikten sie.


indem er ihn getrennt neben V und IV hält, „aháge tokále“, geht zu II über,
vereinigt ihn mit III und sagt „aháge aháge“, fasst den Daumen an und sagt
aháge aháge tokále“, legt den Kleinfinger der rechten Hand heran und sagt
aháge aháge aháge“. Hinter »6« ist der Bakaïrí mit den Zahlwörtern zu Ende
und fährt nun bei IV, III, II, I der rechten Hand fort, indem er jeden Finger
nach der Reihe berührt und einfach „méra“, »dieser« hinzufügt. So berührt er
auch die Zehen des linken und des rechten Fusses und erklärt jedesmal „méra“.
Ist er noch nicht zu Ende, so greift er sich in die Haare und zieht sie nach allen
Richtungen auseinander.

Man muss sich sagen, wenn sie die 7 mit „aháge aháge aháge tokále“ hätten
bezeichnen wollen, so hätten sie schon zählen müssen, um zu zählen, die Zahlen
selbst zählen müssen. So konnte, selbst wenn es sich nicht um tiefere Gründe
handelte, schon der Mangel eines höheren Zahlwortes als 2 oder 3 an und für
sich ein Hindernis bilden. Offenbar hatten sie jenseits der 6 nur die vage An-
schauung einer grösseren Summe. Man denke sich Jemand, der die Stufen einer
Treppe zählen will, unterwegs aber an einer Stelle aus irgend einem Grunde die
Zahl der zurückgelegten Stufen nicht mehr genau weiss; höher und höher steigend
bleibt er sich bewusst, dass es immer mehr wird, aber einmal aus dem Konzept
gebracht, wird er sich immer unklarer, wie viel Stufen es mehr werden und wie
viele es zusammen sind. So kletterten die Bakaïrí an ihrer Treppe von 20 Stufen
bis zu Ende empor und hatten gewiss alle Sicherheit, dass sie bei dem ersten
Fuss weiter waren, als bei der zweiten Hand und bei dem zweiten Fuss weiter
als bei dem ersten, allein dass sie nun etwa nach dem Abgreifen von 10 Fingern
und 5 Zehen eine präzise Vorstellung gehabt hätten wie wir mit dem Wort
»fünfzehn« verbinden, davon konnte auch nicht die Rede sein.

Ihre Begriffe endeten bei »6«, und auch die Anschauung jenseits der »6«
war nur einigermassen bestimmt, so lange sie an der Betrachtung und Befühlung
der Finger und Zehen haftete. Sobald bestimmte Gegenstände gezählt werden
sollten, ging ihre Kunst kaum weiter als ihre Begriffe, das heisst die Zahlwörter.
Ich habe mit Paleko und Tumayaua eine Menge — ich greife mir bei der Er-
innerung in die Haare — Versuche gemacht und will zunächst das immer gleiche
Ergebnis bei einer grösseren Anzahl von Maiskörnern oder dergl. erwähnen.
Legte ich zehn Körner hin und fragte „åtúra?“, »wie viele?«, so zählten sie auf
die noch zu beschreibende Art und Weise langsam, aber richtig bis »6«.
Das 7te, 8te Korn wurde zur Not noch auf die Finger IV und III der rechten
Hand bezogen und entsprechend „méra“, „méra“ gesagt, aber sie zeigten sich dann
abgespannt und unlustig; sie erinnerten mich an Leute, die ohne Interesse Karten
spielen oder Rätsel lösen sollen und bald gähnend ausrufen: »ach, ich habe für
dergleichen gar kein Talent«. Sie gähnten auch, und wenn ich sie nötigte, so
lachten sie einfältig oder machten ein verdrossenes Gesicht, klagten über „kinaráchu
ewáno
“, was bezeichnend »Kopf-Arbeit« oder »Kopf-Schmerz« bedeutet, und liefen
womöglich davon, in jedem Fall streikten sie.


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[407/0471] indem er ihn getrennt neben V und IV hält, „aháge tokále“, geht zu II über, vereinigt ihn mit III und sagt „aháge aháge“, fasst den Daumen an und sagt „aháge aháge tokále“, legt den Kleinfinger der rechten Hand heran und sagt „aháge aháge aháge“. Hinter »6« ist der Bakaïrí mit den Zahlwörtern zu Ende und fährt nun bei IV, III, II, I der rechten Hand fort, indem er jeden Finger nach der Reihe berührt und einfach „méra“, »dieser« hinzufügt. So berührt er auch die Zehen des linken und des rechten Fusses und erklärt jedesmal „méra“. Ist er noch nicht zu Ende, so greift er sich in die Haare und zieht sie nach allen Richtungen auseinander. Man muss sich sagen, wenn sie die 7 mit „aháge aháge aháge tokále“ hätten bezeichnen wollen, so hätten sie schon zählen müssen, um zu zählen, die Zahlen selbst zählen müssen. So konnte, selbst wenn es sich nicht um tiefere Gründe handelte, schon der Mangel eines höheren Zahlwortes als 2 oder 3 an und für sich ein Hindernis bilden. Offenbar hatten sie jenseits der 6 nur die vage An- schauung einer grösseren Summe. Man denke sich Jemand, der die Stufen einer Treppe zählen will, unterwegs aber an einer Stelle aus irgend einem Grunde die Zahl der zurückgelegten Stufen nicht mehr genau weiss; höher und höher steigend bleibt er sich bewusst, dass es immer mehr wird, aber einmal aus dem Konzept gebracht, wird er sich immer unklarer, wie viel Stufen es mehr werden und wie viele es zusammen sind. So kletterten die Bakaïrí an ihrer Treppe von 20 Stufen bis zu Ende empor und hatten gewiss alle Sicherheit, dass sie bei dem ersten Fuss weiter waren, als bei der zweiten Hand und bei dem zweiten Fuss weiter als bei dem ersten, allein dass sie nun etwa nach dem Abgreifen von 10 Fingern und 5 Zehen eine präzise Vorstellung gehabt hätten wie wir mit dem Wort »fünfzehn« verbinden, davon konnte auch nicht die Rede sein. Ihre Begriffe endeten bei »6«, und auch die Anschauung jenseits der »6« war nur einigermassen bestimmt, so lange sie an der Betrachtung und Befühlung der Finger und Zehen haftete. Sobald bestimmte Gegenstände gezählt werden sollten, ging ihre Kunst kaum weiter als ihre Begriffe, das heisst die Zahlwörter. Ich habe mit Paleko und Tumayaua eine Menge — ich greife mir bei der Er- innerung in die Haare — Versuche gemacht und will zunächst das immer gleiche Ergebnis bei einer grösseren Anzahl von Maiskörnern oder dergl. erwähnen. Legte ich zehn Körner hin und fragte „åtúra?“, »wie viele?«, so zählten sie auf die noch zu beschreibende Art und Weise langsam, aber richtig bis »6«. Das 7te, 8te Korn wurde zur Not noch auf die Finger IV und III der rechten Hand bezogen und entsprechend „méra“, „méra“ gesagt, aber sie zeigten sich dann abgespannt und unlustig; sie erinnerten mich an Leute, die ohne Interesse Karten spielen oder Rätsel lösen sollen und bald gähnend ausrufen: »ach, ich habe für dergleichen gar kein Talent«. Sie gähnten auch, und wenn ich sie nötigte, so lachten sie einfältig oder machten ein verdrossenes Gesicht, klagten über „kinaráchu ewáno“, was bezeichnend »Kopf-Arbeit« oder »Kopf-Schmerz« bedeutet, und liefen womöglich davon, in jedem Fall streikten sie.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/471>, abgerufen am 22.11.2024.