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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Fleischverteilung 26. März. Eine tüchtige Verwaltung würde in der
Art der Verteilung der Lebensmittel einen vortrefflichen Weg finden, um die
Indianer an Ordnung zu gewöhnen. An gerechte Gleichmässigkeit denkt aber
Niemand weder beim Proviant noch bei den anderen Dingen. Alles Willkür.
Die rohe Szene bei der Verteilung des tapira, des Ochsen, deren wöchentlich
etwa zwei geschlachtet werden und die im Matogrosso wahrlich ein billiges
Lebensmittel darstellen, spottet jeder Beschreibung. Bequemer können es sich
die Brasilier freilich nicht gut einrichten. Die Fleischstücke und zerhackten
Knochen werden vor dem Haus auf einer Haut zu einem grossen Haufen über-
einander geschichtet, die Indianer stehen, Männer und Frauen und grössere
Kinder, zum Teil mit Körben bewaffnet, abwartend beiseite, einer der Kadetten
giebt das Signal, und die ganze Gesellschaft stürzt sich wie ein Rudel Wölfe auf
das Fleisch und die Knochen. Es war ein so widerlicher Anblick, dass mir der
Humor versagte, obgleich ein Kreis von Zuschauern das Schauspiel mit einigem
Genuss in sich aufnahm. Namentlich fesselte der Idiot Dyapokuri, der Typus
eines Kretin, die allgemeine Aufmerksamkeit; mit tierischer Wildheit erkämpfte
sich der Blödsinnige, der Deputierte des Männerhauses, drei gewaltige Stücke und
schleppte sie mit triumphierendem Grunzen, während ihm der Speichel über den
herabhängenden Unterkiefer troff, und mit glänzenden Augen von dannen. Wenn
dies noch ein plumper Gelegenheitsscherz wäre, aber nein, es ist das regelmässige,
ortsübliche Verfahren. Der Indianer wird dadurch zu Zuständen hinabgedrückt,
die er in seinem Jägerleben seit undenklichen Zeiten überwunden hat; ist es
doch einer der Hauptzwecke des Instituts der Bari oder Medizinmänner (wie
wir sehen werden), der Uneinigkeit bei Verteilung der Beute vorzubeugen, ein
Problem, das diese allerdings dadurch lösen, dass sie sich die besten Stücke sichern.

Nächtliches Klagegeheul. Abend für Abend ertönt aus mindestens
vier oder fünf Hütten unausgesetztes Klagegeheul vereinzelter Frauen. Es sind
Gattinnen der Männer, die auf dem Jagdzug begriffen sind und in wenigen Tagen
zurückerwartet werden. Babela babela ba . . . . baba eh. Tief in die Nacht hinein
dauert das Klagen; es ist uns kaum möglich einzuschlafen. Es hat aber einen
sehr bestimmten Zweck. Die Frauen erklären, sie erführen, wenn sie sich nachher
zum Schlafen niederlegten, im Traum, wann ihre Männer zurückkehrten. Sie
wissen es dann am nächsten Morgen. Augenblicklich sind sie mit diesem Thema
um so mehr beschäftigt, als die Frau eines der Abwesenden, des Indianers
"Coqueiro" (Kokospalme), gerade gestorben ist. Im Männerhaus hatte man die
rote Decke der Toten ausgebreitet, einen Topf und zwei Arbeitsmuscheln von
ihr hinzugefügt; zwei Baris liessen einen langen Klagegesang erschallen, während
sich eine Anzahl trauernder Frauen im Hintergrund hielt.

Vespergebet. Um 8 Uhr Abends findet die "Reza", das Vespergebet
der Soldaten statt. Wir verfolgten den Hergang gestern genauer und stellten uns, als
der Hornist sein Signal gab, vor der Gefängnisthüre auf, um zuzuschauen. Allmählich
fanden sich 32 Mann neben der immer vorhandenen Schildwache am Haupthause

Fleischverteilung 26. März. Eine tüchtige Verwaltung würde in der
Art der Verteilung der Lebensmittel einen vortrefflichen Weg finden, um die
Indianer an Ordnung zu gewöhnen. An gerechte Gleichmässigkeit denkt aber
Niemand weder beim Proviant noch bei den anderen Dingen. Alles Willkür.
Die rohe Szene bei der Verteilung des tapíra, des Ochsen, deren wöchentlich
etwa zwei geschlachtet werden und die im Matogrosso wahrlich ein billiges
Lebensmittel darstellen, spottet jeder Beschreibung. Bequemer können es sich
die Brasilier freilich nicht gut einrichten. Die Fleischstücke und zerhackten
Knochen werden vor dem Haus auf einer Haut zu einem grossen Haufen über-
einander geschichtet, die Indianer stehen, Männer und Frauen und grössere
Kinder, zum Teil mit Körben bewaffnet, abwartend beiseite, einer der Kadetten
giebt das Signal, und die ganze Gesellschaft stürzt sich wie ein Rudel Wölfe auf
das Fleisch und die Knochen. Es war ein so widerlicher Anblick, dass mir der
Humor versagte, obgleich ein Kreis von Zuschauern das Schauspiel mit einigem
Genuss in sich aufnahm. Namentlich fesselte der Idiot Dyapokuri, der Typus
eines Kretin, die allgemeine Aufmerksamkeit; mit tierischer Wildheit erkämpfte
sich der Blödsinnige, der Deputierte des Männerhauses, drei gewaltige Stücke und
schleppte sie mit triumphierendem Grunzen, während ihm der Speichel über den
herabhängenden Unterkiefer troff, und mit glänzenden Augen von dannen. Wenn
dies noch ein plumper Gelegenheitsscherz wäre, aber nein, es ist das regelmässige,
ortsübliche Verfahren. Der Indianer wird dadurch zu Zuständen hinabgedrückt,
die er in seinem Jägerleben seit undenklichen Zeiten überwunden hat; ist es
doch einer der Hauptzwecke des Instituts der Bari oder Medizinmänner (wie
wir sehen werden), der Uneinigkeit bei Verteilung der Beute vorzubeugen, ein
Problem, das diese allerdings dadurch lösen, dass sie sich die besten Stücke sichern.

Nächtliches Klagegeheul. Abend für Abend ertönt aus mindestens
vier oder fünf Hütten unausgesetztes Klagegeheul vereinzelter Frauen. Es sind
Gattinnen der Männer, die auf dem Jagdzug begriffen sind und in wenigen Tagen
zurückerwartet werden. Bábela bábela bá . . . . baba éh. Tief in die Nacht hinein
dauert das Klagen; es ist uns kaum möglich einzuschlafen. Es hat aber einen
sehr bestimmten Zweck. Die Frauen erklären, sie erführen, wenn sie sich nachher
zum Schlafen niederlegten, im Traum, wann ihre Männer zurückkehrten. Sie
wissen es dann am nächsten Morgen. Augenblicklich sind sie mit diesem Thema
um so mehr beschäftigt, als die Frau eines der Abwesenden, des Indianers
»Coqueiro« (Kokospalme), gerade gestorben ist. Im Männerhaus hatte man die
rote Decke der Toten ausgebreitet, einen Topf und zwei Arbeitsmuscheln von
ihr hinzugefügt; zwei Baris liessen einen langen Klagegesang erschallen, während
sich eine Anzahl trauernder Frauen im Hintergrund hielt.

Vespergebet. Um 8 Uhr Abends findet die „Reza“, das Vespergebet
der Soldaten statt. Wir verfolgten den Hergang gestern genauer und stellten uns, als
der Hornist sein Signal gab, vor der Gefängnisthüre auf, um zuzuschauen. Allmählich
fanden sich 32 Mann neben der immer vorhandenen Schildwache am Haupthause

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[456/0522] Fleischverteilung 26. März. Eine tüchtige Verwaltung würde in der Art der Verteilung der Lebensmittel einen vortrefflichen Weg finden, um die Indianer an Ordnung zu gewöhnen. An gerechte Gleichmässigkeit denkt aber Niemand weder beim Proviant noch bei den anderen Dingen. Alles Willkür. Die rohe Szene bei der Verteilung des tapíra, des Ochsen, deren wöchentlich etwa zwei geschlachtet werden und die im Matogrosso wahrlich ein billiges Lebensmittel darstellen, spottet jeder Beschreibung. Bequemer können es sich die Brasilier freilich nicht gut einrichten. Die Fleischstücke und zerhackten Knochen werden vor dem Haus auf einer Haut zu einem grossen Haufen über- einander geschichtet, die Indianer stehen, Männer und Frauen und grössere Kinder, zum Teil mit Körben bewaffnet, abwartend beiseite, einer der Kadetten giebt das Signal, und die ganze Gesellschaft stürzt sich wie ein Rudel Wölfe auf das Fleisch und die Knochen. Es war ein so widerlicher Anblick, dass mir der Humor versagte, obgleich ein Kreis von Zuschauern das Schauspiel mit einigem Genuss in sich aufnahm. Namentlich fesselte der Idiot Dyapokuri, der Typus eines Kretin, die allgemeine Aufmerksamkeit; mit tierischer Wildheit erkämpfte sich der Blödsinnige, der Deputierte des Männerhauses, drei gewaltige Stücke und schleppte sie mit triumphierendem Grunzen, während ihm der Speichel über den herabhängenden Unterkiefer troff, und mit glänzenden Augen von dannen. Wenn dies noch ein plumper Gelegenheitsscherz wäre, aber nein, es ist das regelmässige, ortsübliche Verfahren. Der Indianer wird dadurch zu Zuständen hinabgedrückt, die er in seinem Jägerleben seit undenklichen Zeiten überwunden hat; ist es doch einer der Hauptzwecke des Instituts der Bari oder Medizinmänner (wie wir sehen werden), der Uneinigkeit bei Verteilung der Beute vorzubeugen, ein Problem, das diese allerdings dadurch lösen, dass sie sich die besten Stücke sichern. Nächtliches Klagegeheul. Abend für Abend ertönt aus mindestens vier oder fünf Hütten unausgesetztes Klagegeheul vereinzelter Frauen. Es sind Gattinnen der Männer, die auf dem Jagdzug begriffen sind und in wenigen Tagen zurückerwartet werden. Bábela bábela bá . . . . baba éh. Tief in die Nacht hinein dauert das Klagen; es ist uns kaum möglich einzuschlafen. Es hat aber einen sehr bestimmten Zweck. Die Frauen erklären, sie erführen, wenn sie sich nachher zum Schlafen niederlegten, im Traum, wann ihre Männer zurückkehrten. Sie wissen es dann am nächsten Morgen. Augenblicklich sind sie mit diesem Thema um so mehr beschäftigt, als die Frau eines der Abwesenden, des Indianers »Coqueiro« (Kokospalme), gerade gestorben ist. Im Männerhaus hatte man die rote Decke der Toten ausgebreitet, einen Topf und zwei Arbeitsmuscheln von ihr hinzugefügt; zwei Baris liessen einen langen Klagegesang erschallen, während sich eine Anzahl trauernder Frauen im Hintergrund hielt. Vespergebet. Um 8 Uhr Abends findet die „Reza“, das Vespergebet der Soldaten statt. Wir verfolgten den Hergang gestern genauer und stellten uns, als der Hornist sein Signal gab, vor der Gefängnisthüre auf, um zuzuschauen. Allmählich fanden sich 32 Mann neben der immer vorhandenen Schildwache am Haupthause

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/522>, abgerufen am 22.11.2024.