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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Bogen aus und duckten sich wie Kundschafter, die den Feind beschleichen. Da-
zwischen bettelten sie um Tabak und Branntwein.

Noch einmal gab es grossen Lärm: ein Bororo sei von den Kayapo getötet
worden, dicht bei den letzten Häusern! Man brachte einen Mann mit blutender
Stirn, jammernd stürzte sich über ihn die Gattin und untersuchte die Wunde.
Wir thaten desgleichen. Ein paar Tropfen, eine kleine Schramme; der Verun-
glückte gab an, er sei, als er ausgespäht habe, mit einem spitzen Ochsenknochen
geworfen worden. Ob ein frivoler Freund sich einen schlechten Witz erlaubt, ob
der Wurf einem Kayapo gegolten hatte, ist ein Geheimnis der Schreckensnacht
geblieben.

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 128.

Bororo-Jungen.

Gegen 11 Uhr hielten wir es an der Zeit, uns zurückzuziehen. Neues war
nicht mehr in Aussicht. Die Kadetten spielten Karten, die Häuptlinge waren
schwer betrunken. Draussen war es auch ziemlich still geworden. Die Soldaten
hatten es sich bequem gemacht, nahebei lagen auf Fellen ihre Frauen. Die
Totenklage dauerte fort; im Ranchao war es dunkel.

Schule. Verweilen wir nun einmal bei einem friedlichen Bilde. Die Bo-
roro-Jungen waren meine speziellen Freunde. Von ihnen lernte ich die wichtigsten
Elemente der Sprache kennen; sie waren ausserordentlich aufgeweckt, keck, un-
gefähr wie kleine Niggerboys und in körperlicher und geistiger Gewandtheit un-
serer zivilisierten Jugend Europa's entschieden über. Sie gefielen sich in ihrer
Lehrerrolle ausserordentlich und drängten mich unablässig zum Aufschreiben:
"poyedye papera", etwa "weiter auf dem Papier". Ihnen verdankte ich namentlich

Bogen aus und duckten sich wie Kundschafter, die den Feind beschleichen. Da-
zwischen bettelten sie um Tabak und Branntwein.

Noch einmal gab es grossen Lärm: ein Bororó sei von den Kayapó getötet
worden, dicht bei den letzten Häusern! Man brachte einen Mann mit blutender
Stirn, jammernd stürzte sich über ihn die Gattin und untersuchte die Wunde.
Wir thaten desgleichen. Ein paar Tropfen, eine kleine Schramme; der Verun-
glückte gab an, er sei, als er ausgespäht habe, mit einem spitzen Ochsenknochen
geworfen worden. Ob ein frivoler Freund sich einen schlechten Witz erlaubt, ob
der Wurf einem Kayapó gegolten hatte, ist ein Geheimnis der Schreckensnacht
geblieben.

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 128.

Bororó-Jungen.

Gegen 11 Uhr hielten wir es an der Zeit, uns zurückzuziehen. Neues war
nicht mehr in Aussicht. Die Kadetten spielten Karten, die Häuptlinge waren
schwer betrunken. Draussen war es auch ziemlich still geworden. Die Soldaten
hatten es sich bequem gemacht, nahebei lagen auf Fellen ihre Frauen. Die
Totenklage dauerte fort; im Ranchão war es dunkel.

Schule. Verweilen wir nun einmal bei einem friedlichen Bilde. Die Bo-
roró-Jungen waren meine speziellen Freunde. Von ihnen lernte ich die wichtigsten
Elemente der Sprache kennen; sie waren ausserordentlich aufgeweckt, keck, un-
gefähr wie kleine Niggerboys und in körperlicher und geistiger Gewandtheit un-
serer zivilisierten Jugend Europa’s entschieden über. Sie gefielen sich in ihrer
Lehrerrolle ausserordentlich und drängten mich unablässig zum Aufschreiben:
poyédye papéra“, etwa »weiter auf dem Papier«. Ihnen verdankte ich namentlich

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[462/0528] Bogen aus und duckten sich wie Kundschafter, die den Feind beschleichen. Da- zwischen bettelten sie um Tabak und Branntwein. Noch einmal gab es grossen Lärm: ein Bororó sei von den Kayapó getötet worden, dicht bei den letzten Häusern! Man brachte einen Mann mit blutender Stirn, jammernd stürzte sich über ihn die Gattin und untersuchte die Wunde. Wir thaten desgleichen. Ein paar Tropfen, eine kleine Schramme; der Verun- glückte gab an, er sei, als er ausgespäht habe, mit einem spitzen Ochsenknochen geworfen worden. Ob ein frivoler Freund sich einen schlechten Witz erlaubt, ob der Wurf einem Kayapó gegolten hatte, ist ein Geheimnis der Schreckensnacht geblieben. [Abbildung] [Abbildung Abb. 128. Bororó-Jungen. ] Gegen 11 Uhr hielten wir es an der Zeit, uns zurückzuziehen. Neues war nicht mehr in Aussicht. Die Kadetten spielten Karten, die Häuptlinge waren schwer betrunken. Draussen war es auch ziemlich still geworden. Die Soldaten hatten es sich bequem gemacht, nahebei lagen auf Fellen ihre Frauen. Die Totenklage dauerte fort; im Ranchão war es dunkel. Schule. Verweilen wir nun einmal bei einem friedlichen Bilde. Die Bo- roró-Jungen waren meine speziellen Freunde. Von ihnen lernte ich die wichtigsten Elemente der Sprache kennen; sie waren ausserordentlich aufgeweckt, keck, un- gefähr wie kleine Niggerboys und in körperlicher und geistiger Gewandtheit un- serer zivilisierten Jugend Europa’s entschieden über. Sie gefielen sich in ihrer Lehrerrolle ausserordentlich und drängten mich unablässig zum Aufschreiben: „poyédye papéra“, etwa »weiter auf dem Papier«. Ihnen verdankte ich namentlich

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/528>, abgerufen am 22.11.2024.