daten erfolgte? Die Leute waren erbittert, weil der Indianer müssig ging und sie alle Arbeit thun mussten, weil der Indianer den Branntwein bis zum gröbsten Missbrauch umsonst erhielt und sie für eine Flasche 2 Milreis bezahlen mussten oder 5mal so viel als in der Stadt, weil der Indianer den Offizieren ein verächtliches filho da puta ungestraft in's Gesicht sagen durfte und sie für ihre Vergehen in die "Xadrez"*) wandern mussten. Im Uebrigen war der gutmütige Eliseo, der das System nicht ändern konnte, schuldlos -- ja er war z. B. nachsichtig genug, einem Mann zu verzeihen, der mit dem Messer auf ihn losging. Natürlich wurde der Sold im Kartenspiel verjubelt. Einer hatte, als der Löhnungstag kam, 100 Milreis im Vinte e um oder Trinta e um verloren. Hatten sie kein Geld, so verkauften sie ihr Hausgerät für einen Spottpreis.
Ihr Hass gegen den Verwalter steigerte sich zu einem kleinen Aufruhr, als einer ihrer Kameraden gefangen gesetzt wurde wegen der Verleumdung, dass jener seiner Hausgenossin Anträge gemacht und ihr ein neues Kleid aus seinem Magazin versprochen habe. Sie wollten das Arrestlokal stürmen und Ildefonso, "diesen Familienvater", erschiessen. Es gelang, sie mit dem Hinweis auf Duarte's bevorstehende Ankunft, der den Streit entscheiden solle, zu beruhigen. Ildefonso war aber sehr aufgeregt. Er habe dem Mädchen nur guten Tag gesagt. Früher, das wolle er nicht leugnen, hatte er sich dergleichen erlaubt, jetzt aber sei ihm "das Weib nur Ideal".
Duarte's Ankunft. Am 11. April gegen Mittag lautes Geschrei und grosse Aufregung: "dyuate, dyuate!" Aus dem Walde kamen sie hervor -- in keiner Operette wird Schöneres geboten. 14 Bororo, einer hinter dem andern, barfuss, in schlohweissem Matrosenanzug, der mit roter Litze eingefasst war, in breit- randigen hellen Strohhüten, unter denen das lange schwarze Haar wellig hervor- quoll, mit dicken roten Troddelquasten und flatternden roten Schleifen, darauf zu lesen "Colonia Thereza Christina". Säbel mit verzierten Gehenken und Griffen, grosse runde Schnapsflaschen, vereinzelt ein aufgespannter Sonnenschirm. Und dahinter Duarte zu Pferde und drei Häuptlinge hoch zu Maultier in marineblauer Uniform mit handbreiten roten Galons, die scharf gegen die blossen Füsse ab- stachen, ein Gewehr in der Hand und auf dem Aermel ein blinkendes Messing- schild mit der Inschrift "Voluntarios da patria". Es lebe Donna Carmina, die Präsidentin! Denn das ist die Katechese der excellentissima Senhora! Prächtig genug sahen die strammen Burschen aus, wie sie im Sonnenschein dahergeschritten kamen und recta via auf das Hauptgebäude losmarschierten; unverwandt starrten sie mit furchtbar ernsten Mienen geradeaus, wirklich "unverwandt", denn sie gönnten auch nicht einmal einen Seitenblick den laut heulenden Weibern und Kindern, die sich vor Freude wie toll anstellten.
Auch im Esszimmer bewahrten sie die feierliche Ruhe. Wie Fremde sassen sie auf den Bänken um den Tisch und an der Wand, ein greller Gegensatz zu den
*) Das Arrestlokal. Eigentlich Schachbrett.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 30
daten erfolgte? Die Leute waren erbittert, weil der Indianer müssig ging und sie alle Arbeit thun mussten, weil der Indianer den Branntwein bis zum gröbsten Missbrauch umsonst erhielt und sie für eine Flasche 2 Milreis bezahlen mussten oder 5mal so viel als in der Stadt, weil der Indianer den Offizieren ein verächtliches filho da puta ungestraft in’s Gesicht sagen durfte und sie für ihre Vergehen in die „Xadrez“*) wandern mussten. Im Uebrigen war der gutmütige Eliseo, der das System nicht ändern konnte, schuldlos — ja er war z. B. nachsichtig genug, einem Mann zu verzeihen, der mit dem Messer auf ihn losging. Natürlich wurde der Sold im Kartenspiel verjubelt. Einer hatte, als der Löhnungstag kam, 100 Milreis im Vinte e um oder Trinta e um verloren. Hatten sie kein Geld, so verkauften sie ihr Hausgerät für einen Spottpreis.
Ihr Hass gegen den Verwalter steigerte sich zu einem kleinen Aufruhr, als einer ihrer Kameraden gefangen gesetzt wurde wegen der Verleumdung, dass jener seiner Hausgenossin Anträge gemacht und ihr ein neues Kleid aus seinem Magazin versprochen habe. Sie wollten das Arrestlokal stürmen und Ildefonso, »diesen Familienvater«, erschiessen. Es gelang, sie mit dem Hinweis auf Duarte’s bevorstehende Ankunft, der den Streit entscheiden solle, zu beruhigen. Ildefonso war aber sehr aufgeregt. Er habe dem Mädchen nur guten Tag gesagt. Früher, das wolle er nicht leugnen, hatte er sich dergleichen erlaubt, jetzt aber sei ihm »das Weib nur Ideal«.
Duarte’s Ankunft. Am 11. April gegen Mittag lautes Geschrei und grosse Aufregung: „dyuáte, dyuáte!“ Aus dem Walde kamen sie hervor — in keiner Operette wird Schöneres geboten. 14 Bororó, einer hinter dem andern, barfuss, in schlohweissem Matrosenanzug, der mit roter Litze eingefasst war, in breit- randigen hellen Strohhüten, unter denen das lange schwarze Haar wellig hervor- quoll, mit dicken roten Troddelquasten und flatternden roten Schleifen, darauf zu lesen „Colonia Thereza Christina“. Säbel mit verzierten Gehenken und Griffen, grosse runde Schnapsflaschen, vereinzelt ein aufgespannter Sonnenschirm. Und dahinter Duarte zu Pferde und drei Häuptlinge hoch zu Maultier in marineblauer Uniform mit handbreiten roten Galons, die scharf gegen die blossen Füsse ab- stachen, ein Gewehr in der Hand und auf dem Aermel ein blinkendes Messing- schild mit der Inschrift „Voluntarios da patria“. Es lebe Donna Carmina, die Präsidentin! Denn das ist die Katechese der excellentissima Senhora! Prächtig genug sahen die strammen Burschen aus, wie sie im Sonnenschein dahergeschritten kamen und recta via auf das Hauptgebäude losmarschierten; unverwandt starrten sie mit furchtbar ernsten Mienen geradeaus, wirklich »unverwandt«, denn sie gönnten auch nicht einmal einen Seitenblick den laut heulenden Weibern und Kindern, die sich vor Freude wie toll anstellten.
Auch im Esszimmer bewahrten sie die feierliche Ruhe. Wie Fremde sassen sie auf den Bänken um den Tisch und an der Wand, ein greller Gegensatz zu den
*) Das Arrestlokal. Eigentlich Schachbrett.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 30
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0533"n="465"/>
daten erfolgte? Die Leute waren erbittert, weil der Indianer müssig ging und sie<lb/>
alle Arbeit thun mussten, weil der Indianer den Branntwein bis zum gröbsten<lb/>
Missbrauch umsonst erhielt und sie für eine Flasche 2 Milreis bezahlen mussten oder<lb/>
5mal so viel als in der Stadt, weil der Indianer den Offizieren ein verächtliches<lb/><hirendition="#i">filho da puta</hi> ungestraft in’s Gesicht sagen durfte und sie für ihre Vergehen in<lb/>
die „<hirendition="#i">Xadrez</hi>“<noteplace="foot"n="*)">Das Arrestlokal. Eigentlich Schachbrett.</note> wandern mussten. Im Uebrigen war der gutmütige Eliseo, der<lb/>
das System nicht ändern konnte, schuldlos — ja er war z. B. nachsichtig genug,<lb/>
einem Mann zu verzeihen, der mit dem Messer auf ihn losging. Natürlich wurde<lb/>
der Sold im Kartenspiel verjubelt. Einer hatte, als der Löhnungstag kam,<lb/>
100 Milreis im <hirendition="#i">Vinte e um</hi> oder <hirendition="#i">Trinta e um</hi> verloren. Hatten sie kein Geld, so<lb/>
verkauften sie ihr Hausgerät für einen Spottpreis.</p><lb/><p>Ihr Hass gegen den Verwalter steigerte sich zu einem kleinen Aufruhr, als<lb/>
einer ihrer Kameraden gefangen gesetzt wurde wegen der Verleumdung, dass<lb/>
jener seiner Hausgenossin Anträge gemacht und ihr ein neues Kleid aus seinem<lb/>
Magazin versprochen habe. Sie wollten das Arrestlokal stürmen und Ildefonso,<lb/>
»diesen Familienvater«, erschiessen. Es gelang, sie mit dem Hinweis auf Duarte’s<lb/>
bevorstehende Ankunft, der den Streit entscheiden solle, zu beruhigen. Ildefonso<lb/>
war aber sehr aufgeregt. Er habe dem Mädchen nur guten Tag gesagt. Früher,<lb/>
das wolle er nicht leugnen, hatte er sich dergleichen erlaubt, jetzt aber sei ihm<lb/>
»das Weib nur Ideal«.</p><lb/><p><hirendition="#b">Duarte’s Ankunft.</hi> Am 11. April gegen Mittag lautes Geschrei und grosse<lb/>
Aufregung: „<hirendition="#i">dyuáte</hi>, <hirendition="#i">dyuáte!</hi>“ Aus dem Walde kamen sie hervor — in keiner<lb/>
Operette wird Schöneres geboten. 14 Bororó, einer hinter dem andern, barfuss,<lb/>
in schlohweissem Matrosenanzug, der mit roter Litze eingefasst war, in breit-<lb/>
randigen hellen Strohhüten, unter denen das lange schwarze Haar wellig hervor-<lb/>
quoll, mit dicken roten Troddelquasten und flatternden roten Schleifen, darauf<lb/>
zu lesen „<hirendition="#i">Colonia Thereza Christina</hi>“. Säbel mit verzierten Gehenken und Griffen,<lb/>
grosse runde Schnapsflaschen, vereinzelt ein aufgespannter Sonnenschirm. Und<lb/>
dahinter Duarte zu Pferde und drei Häuptlinge hoch zu Maultier in marineblauer<lb/>
Uniform mit handbreiten roten Galons, die scharf gegen die blossen Füsse ab-<lb/>
stachen, ein Gewehr in der Hand und auf dem Aermel ein blinkendes Messing-<lb/>
schild mit der Inschrift „<hirendition="#i">Voluntarios da patria</hi>“. Es lebe Donna Carmina, die<lb/>
Präsidentin! Denn das ist die Katechese der excellentissima Senhora! Prächtig<lb/>
genug sahen die strammen Burschen aus, wie sie im Sonnenschein dahergeschritten<lb/>
kamen und recta via auf das Hauptgebäude losmarschierten; unverwandt starrten<lb/>
sie mit furchtbar ernsten Mienen geradeaus, wirklich »unverwandt«, denn sie gönnten<lb/>
auch nicht einmal einen Seitenblick den laut heulenden Weibern und Kindern,<lb/>
die sich vor Freude wie toll anstellten.</p><lb/><p>Auch im Esszimmer bewahrten sie die feierliche Ruhe. Wie Fremde sassen<lb/>
sie auf den Bänken um den Tisch und an der Wand, ein greller Gegensatz zu den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 30</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[465/0533]
daten erfolgte? Die Leute waren erbittert, weil der Indianer müssig ging und sie
alle Arbeit thun mussten, weil der Indianer den Branntwein bis zum gröbsten
Missbrauch umsonst erhielt und sie für eine Flasche 2 Milreis bezahlen mussten oder
5mal so viel als in der Stadt, weil der Indianer den Offizieren ein verächtliches
filho da puta ungestraft in’s Gesicht sagen durfte und sie für ihre Vergehen in
die „Xadrez“ *) wandern mussten. Im Uebrigen war der gutmütige Eliseo, der
das System nicht ändern konnte, schuldlos — ja er war z. B. nachsichtig genug,
einem Mann zu verzeihen, der mit dem Messer auf ihn losging. Natürlich wurde
der Sold im Kartenspiel verjubelt. Einer hatte, als der Löhnungstag kam,
100 Milreis im Vinte e um oder Trinta e um verloren. Hatten sie kein Geld, so
verkauften sie ihr Hausgerät für einen Spottpreis.
Ihr Hass gegen den Verwalter steigerte sich zu einem kleinen Aufruhr, als
einer ihrer Kameraden gefangen gesetzt wurde wegen der Verleumdung, dass
jener seiner Hausgenossin Anträge gemacht und ihr ein neues Kleid aus seinem
Magazin versprochen habe. Sie wollten das Arrestlokal stürmen und Ildefonso,
»diesen Familienvater«, erschiessen. Es gelang, sie mit dem Hinweis auf Duarte’s
bevorstehende Ankunft, der den Streit entscheiden solle, zu beruhigen. Ildefonso
war aber sehr aufgeregt. Er habe dem Mädchen nur guten Tag gesagt. Früher,
das wolle er nicht leugnen, hatte er sich dergleichen erlaubt, jetzt aber sei ihm
»das Weib nur Ideal«.
Duarte’s Ankunft. Am 11. April gegen Mittag lautes Geschrei und grosse
Aufregung: „dyuáte, dyuáte!“ Aus dem Walde kamen sie hervor — in keiner
Operette wird Schöneres geboten. 14 Bororó, einer hinter dem andern, barfuss,
in schlohweissem Matrosenanzug, der mit roter Litze eingefasst war, in breit-
randigen hellen Strohhüten, unter denen das lange schwarze Haar wellig hervor-
quoll, mit dicken roten Troddelquasten und flatternden roten Schleifen, darauf
zu lesen „Colonia Thereza Christina“. Säbel mit verzierten Gehenken und Griffen,
grosse runde Schnapsflaschen, vereinzelt ein aufgespannter Sonnenschirm. Und
dahinter Duarte zu Pferde und drei Häuptlinge hoch zu Maultier in marineblauer
Uniform mit handbreiten roten Galons, die scharf gegen die blossen Füsse ab-
stachen, ein Gewehr in der Hand und auf dem Aermel ein blinkendes Messing-
schild mit der Inschrift „Voluntarios da patria“. Es lebe Donna Carmina, die
Präsidentin! Denn das ist die Katechese der excellentissima Senhora! Prächtig
genug sahen die strammen Burschen aus, wie sie im Sonnenschein dahergeschritten
kamen und recta via auf das Hauptgebäude losmarschierten; unverwandt starrten
sie mit furchtbar ernsten Mienen geradeaus, wirklich »unverwandt«, denn sie gönnten
auch nicht einmal einen Seitenblick den laut heulenden Weibern und Kindern,
die sich vor Freude wie toll anstellten.
Auch im Esszimmer bewahrten sie die feierliche Ruhe. Wie Fremde sassen
sie auf den Bänken um den Tisch und an der Wand, ein greller Gegensatz zu den
*) Das Arrestlokal. Eigentlich Schachbrett.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 30
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/533>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.