anfing: "nao tendo a devida intelligencia", ja, toastete nun, als das Eis gebrochen war, wieder und wieder, jedesmal beginnend mit der Entschuldigung, dass er nicht im Besitz der nötigen Geisteskräfte sei, und jedesmal die coadjuvencia der An- wesenden zum Schluss anrufend, um debaixo de todo enthusiasmo nach der Reihe einzelne Familienmitglieder Duarte's, die Gattin in Cuyaba, den Bruder und nament- lich die älteste Tochter hoch leben zu lassen. Je mehr Bier getrunken wurde, desto ergreifender und ernster wurden die Reden. Der Apotheker war Poet, er wusste gar Vieles von Blumen aller Art und verglich den ungeschlachten Kadetten Joaquim mit einer Knospe, er feierte die Frau, die -- erster Teil -- nur ein Kind, und für ihn -- zweiter Teil -- eine Gottheit sei, die uns Männern immerdar ein unergründliches Geheimnis bleibe. Zur leisen Begleitmusik der Guitarre rezi- tierte Caldas schwungvolle Gedichte; die schönen Worte jagten sich oft mit un- heimlicher Geschwindigkeit und ebenso schnell musste unser Empfinden vom Zarten zum Pathetischen, vom Starken zum Süssen überspringen. Tiefe Rührung bemächtigte sich Aller. Duarte wurde als Vater umarmt, Eliseo kniete vor ihm nieder und erflehte seinen Segen, was der Vater aber mild mit einem "isso nao" "o Freunde, nicht diese Töne" abwehrte.
Noch habe ich der Bororo nicht Erwähnung gethan. Allein sie fehlten keineswegs und waren ganz bei der Sache. Zum ersten Mal sah ich einen stolzen Indianerhäuptling eine Flasche deutschen Exportbiers entkorken. Sie sprachen dem Saft der Gerste und des Zuckerrohrs redlich zu und tranken weit mehr als sie vertragen konnten, sie schwatzten in die sentimentalen Reden, was aber Nie- manden kümmerte, eifrig hinein, sie hoben ihre Flaschen, wenn die Gläser zu- sammenklangen, und stiessen mit an, sie erschöpften sich und uns mit zärtlichen Umarmungen. Moguyokuri setzte sich auch hin und sang ein dröhnendes Lied und spielte die Guitarre, durch deren Saiten er wie ein Tapir durch den Bambus fuhr. Nur die indianischen Frauen fehlten bei der Serenade. Zwei junge Personen freilich waren vor dem Beginn von Moguyokuri nebenan in Duarte's Zimmer gebracht worden. Dort schauten sie am nächsten Morgen zum Fenster hinaus und liessen sich bewundern, Schildpattkämme im Haar, Talmi- ketten um den Hals, rosafarbene Ringe um das Handgelenk und geziemend gekleidet in lange Hemden, die mit einem mächtigen, buntschillernden Palmetten- muster bedeckt waren.
Ich darf hier wohl meinen Guckkasten schliessen. Die Bilder würden sich nur wiederholen. Bis zu unserer Abreise am 18. April hatten wir nicht Gelegen- heit zu bemerken, dass an unsern ungünstigen ersten Eindrücken die Abwesenheit des Leiters der Katechese schuld gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Duarte ging baden, machte einen Spaziergang zur Ziegelei oder dergleichen; sonst sass er den Tag über in seiner Stube, in der sich immer zahlreiche Bororo aufhielten. Alle bettelten. Die einen erhielten Etwas, die andern erhielten Nichts. Betrunkene waren immer darunter. Für einen Neubau trugen die Soldaten die Hölzer und die Palmblätter herbei, die sie im Wald beschafft hatten. Ein paar Bororo halfen
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anfing: „nào tendo a devida intelligencia“, ja, toastete nun, als das Eis gebrochen war, wieder und wieder, jedesmal beginnend mit der Entschuldigung, dass er nicht im Besitz der nötigen Geisteskräfte sei, und jedesmal die coadjuvencia der An- wesenden zum Schluss anrufend, um debaixo de todo enthusiasmo nach der Reihe einzelne Familienmitglieder Duarte’s, die Gattin in Cuyabá, den Bruder und nament- lich die älteste Tochter hoch leben zu lassen. Je mehr Bier getrunken wurde, desto ergreifender und ernster wurden die Reden. Der Apotheker war Poet, er wusste gar Vieles von Blumen aller Art und verglich den ungeschlachten Kadetten Joaquim mit einer Knospe, er feierte die Frau, die — erster Teil — nur ein Kind, und für ihn — zweiter Teil — eine Gottheit sei, die uns Männern immerdar ein unergründliches Geheimnis bleibe. Zur leisen Begleitmusik der Guitarre rezi- tierte Caldas schwungvolle Gedichte; die schönen Worte jagten sich oft mit un- heimlicher Geschwindigkeit und ebenso schnell musste unser Empfinden vom Zarten zum Pathetischen, vom Starken zum Süssen überspringen. Tiefe Rührung bemächtigte sich Aller. Duarte wurde als Vater umarmt, Eliseo kniete vor ihm nieder und erflehte seinen Segen, was der Vater aber mild mit einem „isso não“ »o Freunde, nicht diese Töne« abwehrte.
Noch habe ich der Bororó nicht Erwähnung gethan. Allein sie fehlten keineswegs und waren ganz bei der Sache. Zum ersten Mal sah ich einen stolzen Indianerhäuptling eine Flasche deutschen Exportbiers entkorken. Sie sprachen dem Saft der Gerste und des Zuckerrohrs redlich zu und tranken weit mehr als sie vertragen konnten, sie schwatzten in die sentimentalen Reden, was aber Nie- manden kümmerte, eifrig hinein, sie hoben ihre Flaschen, wenn die Gläser zu- sammenklangen, und stiessen mit an, sie erschöpften sich und uns mit zärtlichen Umarmungen. Moguyokuri setzte sich auch hin und sang ein dröhnendes Lied und spielte die Guitarre, durch deren Saiten er wie ein Tapir durch den Bambus fuhr. Nur die indianischen Frauen fehlten bei der Serenade. Zwei junge Personen freilich waren vor dem Beginn von Moguyokuri nebenan in Duarte’s Zimmer gebracht worden. Dort schauten sie am nächsten Morgen zum Fenster hinaus und liessen sich bewundern, Schildpattkämme im Haar, Talmi- ketten um den Hals, rosafarbene Ringe um das Handgelenk und geziemend gekleidet in lange Hemden, die mit einem mächtigen, buntschillernden Palmetten- muster bedeckt waren.
Ich darf hier wohl meinen Guckkasten schliessen. Die Bilder würden sich nur wiederholen. Bis zu unserer Abreise am 18. April hatten wir nicht Gelegen- heit zu bemerken, dass an unsern ungünstigen ersten Eindrücken die Abwesenheit des Leiters der Katechese schuld gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Duarte ging baden, machte einen Spaziergang zur Ziegelei oder dergleichen; sonst sass er den Tag über in seiner Stube, in der sich immer zahlreiche Bororó aufhielten. Alle bettelten. Die einen erhielten Etwas, die andern erhielten Nichts. Betrunkene waren immer darunter. Für einen Neubau trugen die Soldaten die Hölzer und die Palmblätter herbei, die sie im Wald beschafft hatten. Ein paar Bororó halfen
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anfing: „nào tendo a devida intelligencia“, ja, toastete nun, als das Eis gebrochen
war, wieder und wieder, jedesmal beginnend mit der Entschuldigung, dass er nicht
im Besitz der nötigen Geisteskräfte sei, und jedesmal die coadjuvencia der An-
wesenden zum Schluss anrufend, um debaixo de todo enthusiasmo nach der Reihe
einzelne Familienmitglieder Duarte’s, die Gattin in Cuyabá, den Bruder und nament-
lich die älteste Tochter hoch leben zu lassen. Je mehr Bier getrunken wurde,
desto ergreifender und ernster wurden die Reden. Der Apotheker war Poet, er
wusste gar Vieles von Blumen aller Art und verglich den ungeschlachten Kadetten
Joaquim mit einer Knospe, er feierte die Frau, die — erster Teil — nur ein
Kind, und für ihn — zweiter Teil — eine Gottheit sei, die uns Männern immerdar
ein unergründliches Geheimnis bleibe. Zur leisen Begleitmusik der Guitarre rezi-
tierte Caldas schwungvolle Gedichte; die schönen Worte jagten sich oft mit un-
heimlicher Geschwindigkeit und ebenso schnell musste unser Empfinden vom
Zarten zum Pathetischen, vom Starken zum Süssen überspringen. Tiefe Rührung
bemächtigte sich Aller. Duarte wurde als Vater umarmt, Eliseo kniete vor ihm
nieder und erflehte seinen Segen, was der Vater aber mild mit einem „isso não“
»o Freunde, nicht diese Töne« abwehrte.
Noch habe ich der Bororó nicht Erwähnung gethan. Allein sie fehlten
keineswegs und waren ganz bei der Sache. Zum ersten Mal sah ich einen stolzen
Indianerhäuptling eine Flasche deutschen Exportbiers entkorken. Sie sprachen
dem Saft der Gerste und des Zuckerrohrs redlich zu und tranken weit mehr als
sie vertragen konnten, sie schwatzten in die sentimentalen Reden, was aber Nie-
manden kümmerte, eifrig hinein, sie hoben ihre Flaschen, wenn die Gläser zu-
sammenklangen, und stiessen mit an, sie erschöpften sich und uns mit zärtlichen
Umarmungen. Moguyokuri setzte sich auch hin und sang ein dröhnendes Lied
und spielte die Guitarre, durch deren Saiten er wie ein Tapir durch den
Bambus fuhr. Nur die indianischen Frauen fehlten bei der Serenade. Zwei
junge Personen freilich waren vor dem Beginn von Moguyokuri nebenan in
Duarte’s Zimmer gebracht worden. Dort schauten sie am nächsten Morgen
zum Fenster hinaus und liessen sich bewundern, Schildpattkämme im Haar, Talmi-
ketten um den Hals, rosafarbene Ringe um das Handgelenk und geziemend
gekleidet in lange Hemden, die mit einem mächtigen, buntschillernden Palmetten-
muster bedeckt waren.
Ich darf hier wohl meinen Guckkasten schliessen. Die Bilder würden sich
nur wiederholen. Bis zu unserer Abreise am 18. April hatten wir nicht Gelegen-
heit zu bemerken, dass an unsern ungünstigen ersten Eindrücken die Abwesenheit
des Leiters der Katechese schuld gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Duarte
ging baden, machte einen Spaziergang zur Ziegelei oder dergleichen; sonst sass
er den Tag über in seiner Stube, in der sich immer zahlreiche Bororó aufhielten.
Alle bettelten. Die einen erhielten Etwas, die andern erhielten Nichts. Betrunkene
waren immer darunter. Für einen Neubau trugen die Soldaten die Hölzer und
die Palmblätter herbei, die sie im Wald beschafft hatten. Ein paar Bororó halfen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/535>, abgerufen am 22.11.2024.
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