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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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müssen, wenn sie sie sehen; auch wurden ihm die Flöten nur unter besonderen
Umständen überlassen.

Freilich, wenn man liest, dass einem Reisenden von Australiern mit den-
selben Worten wie mir von den Bororo gesagt wurde, "die Frauen müssen
sterben, die das Schwirrholz sehen", wenn dasselbe Schwirrholz bei den ver-
schiedensten Völkerschaften der alten und der neuen Welt in Mysterien, von

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[Abbildung] Abb. 145.

Schwirrholz. Bororo
( 1/8 nat. Gr.)

denen die Frauen ausgeschlossen waren, eine Rolle ge-
spielt hat, so fühlt man sich zunächst wunderlich berührt.
Doch ist es in der That schwer fassbar, dass man aus
diesem Grunde an die sonst durch nichts bewiesenen
Berührungen mittelbarer oder unmittelbarer Art zwischen
den heterogensten Elementen denken konnte; denn man
sollte die Einrichtung, dass ein Brett an einem Strick durch
die Luft geschwungen wird, nicht für eine so hohe Leistung
menschlichen Scharfsinns halten, dass sie nur einmal in der
Weltgeschichte ausgedacht werden kann, und man sollte
die Furcht vor Krankheit und Tod, die Erklärungsversuche
für diese Phänomene, die Vorstellungen über die Fortdauer
nach dem Tode, die Deutung der Traumerlebnisse u. s. w.
in ihren Entsprechungen ebenfalls nicht so seltsam finden,
dass ein Volk nur von einem andern seine "Medizin"
übernehmen konnte. Man kommt auf diesem Wege, da
sich für eine lange Reihe von Erfindungen und Sitten
Gleiches beweisen lässt, zu einem ethnographischen Pa-
radies der Menschheit -- ein Weg, der für das Schwirrholz
wohl abgeschnitten ist durch den lichtvollen Aufsatz "the
bullroarer" in Andrew Lang's "Custom and Myth"
(London 1885). Die verschiedensten Stämme, erklärt Lang,
haben ihre Mysterien, sie benötigten ein Signal, die richtigen
Personen zu berufen und die unrichtigen zu warnen; da-
durch, dass sie das Instrument vor den Frauen verbergen,
erhalten sie doppelte Sicherheit, dass das neugierige Ge-
schlecht sich scheu zeigt und fern hält. Bei den Bororo
liegt der Fall etwas anders; man ist für die Frauen besorgt.
Bei andern Stämmen kann es sich -- und so will jeder
Fall für sich untersucht sein, da die auffällige Uebereinstimmung nur äusserlich
zu sein braucht -- um eine Bedrohung der Frauen mit Todesstrafe handeln,
wie die Kulisehuindianerin sich einer solchen Gefahr für Leib und Leben aus-
setzen würde, wenn sie das Flötenhaus der Männer beträte. Der Satz, dass
"die Frauen sterben würden", kann zweierlei sehr verschiedene Bedeutung haben.

Es war uns bei den Bororo schier unmöglich, Schwirrhölzer zu bekommen.
Die Angst vor Missbrauch war nach dem Verhalten der Brasilier nur zu be-

müssen, wenn sie sie sehen; auch wurden ihm die Flöten nur unter besonderen
Umständen überlassen.

Freilich, wenn man liest, dass einem Reisenden von Australiern mit den-
selben Worten wie mir von den Bororó gesagt wurde, »die Frauen müssen
sterben, die das Schwirrholz sehen«, wenn dasselbe Schwirrholz bei den ver-
schiedensten Völkerschaften der alten und der neuen Welt in Mysterien, von

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 145.

Schwirrholz. Bororó
(⅛ nat. Gr.)

denen die Frauen ausgeschlossen waren, eine Rolle ge-
spielt hat, so fühlt man sich zunächst wunderlich berührt.
Doch ist es in der That schwer fassbar, dass man aus
diesem Grunde an die sonst durch nichts bewiesenen
Berührungen mittelbarer oder unmittelbarer Art zwischen
den heterogensten Elementen denken konnte; denn man
sollte die Einrichtung, dass ein Brett an einem Strick durch
die Luft geschwungen wird, nicht für eine so hohe Leistung
menschlichen Scharfsinns halten, dass sie nur einmal in der
Weltgeschichte ausgedacht werden kann, und man sollte
die Furcht vor Krankheit und Tod, die Erklärungsversuche
für diese Phänomene, die Vorstellungen über die Fortdauer
nach dem Tode, die Deutung der Traumerlebnisse u. s. w.
in ihren Entsprechungen ebenfalls nicht so seltsam finden,
dass ein Volk nur von einem andern seine »Medizin«
übernehmen konnte. Man kommt auf diesem Wege, da
sich für eine lange Reihe von Erfindungen und Sitten
Gleiches beweisen lässt, zu einem ethnographischen Pa-
radies der Menschheit — ein Weg, der für das Schwirrholz
wohl abgeschnitten ist durch den lichtvollen Aufsatz »the
bullroarer« in Andrew Lang’s »Custom and Myth«
(London 1885). Die verschiedensten Stämme, erklärt Lang,
haben ihre Mysterien, sie benötigten ein Signal, die richtigen
Personen zu berufen und die unrichtigen zu warnen; da-
durch, dass sie das Instrument vor den Frauen verbergen,
erhalten sie doppelte Sicherheit, dass das neugierige Ge-
schlecht sich scheu zeigt und fern hält. Bei den Bororó
liegt der Fall etwas anders; man ist für die Frauen besorgt.
Bei andern Stämmen kann es sich — und so will jeder
Fall für sich untersucht sein, da die auffällige Uebereinstimmung nur äusserlich
zu sein braucht — um eine Bedrohung der Frauen mit Todesstrafe handeln,
wie die Kulisehuindianerin sich einer solchen Gefahr für Leib und Leben aus-
setzen würde, wenn sie das Flötenhaus der Männer beträte. Der Satz, dass
»die Frauen sterben würden«, kann zweierlei sehr verschiedene Bedeutung haben.

Es war uns bei den Bororó schier unmöglich, Schwirrhölzer zu bekommen.
Die Angst vor Missbrauch war nach dem Verhalten der Brasilier nur zu be-

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[498/0570] müssen, wenn sie sie sehen; auch wurden ihm die Flöten nur unter besonderen Umständen überlassen. Freilich, wenn man liest, dass einem Reisenden von Australiern mit den- selben Worten wie mir von den Bororó gesagt wurde, »die Frauen müssen sterben, die das Schwirrholz sehen«, wenn dasselbe Schwirrholz bei den ver- schiedensten Völkerschaften der alten und der neuen Welt in Mysterien, von [Abbildung] [Abbildung Abb. 145. Schwirrholz. Bororó (⅛ nat. Gr.)] denen die Frauen ausgeschlossen waren, eine Rolle ge- spielt hat, so fühlt man sich zunächst wunderlich berührt. Doch ist es in der That schwer fassbar, dass man aus diesem Grunde an die sonst durch nichts bewiesenen Berührungen mittelbarer oder unmittelbarer Art zwischen den heterogensten Elementen denken konnte; denn man sollte die Einrichtung, dass ein Brett an einem Strick durch die Luft geschwungen wird, nicht für eine so hohe Leistung menschlichen Scharfsinns halten, dass sie nur einmal in der Weltgeschichte ausgedacht werden kann, und man sollte die Furcht vor Krankheit und Tod, die Erklärungsversuche für diese Phänomene, die Vorstellungen über die Fortdauer nach dem Tode, die Deutung der Traumerlebnisse u. s. w. in ihren Entsprechungen ebenfalls nicht so seltsam finden, dass ein Volk nur von einem andern seine »Medizin« übernehmen konnte. Man kommt auf diesem Wege, da sich für eine lange Reihe von Erfindungen und Sitten Gleiches beweisen lässt, zu einem ethnographischen Pa- radies der Menschheit — ein Weg, der für das Schwirrholz wohl abgeschnitten ist durch den lichtvollen Aufsatz »the bullroarer« in Andrew Lang’s »Custom and Myth« (London 1885). Die verschiedensten Stämme, erklärt Lang, haben ihre Mysterien, sie benötigten ein Signal, die richtigen Personen zu berufen und die unrichtigen zu warnen; da- durch, dass sie das Instrument vor den Frauen verbergen, erhalten sie doppelte Sicherheit, dass das neugierige Ge- schlecht sich scheu zeigt und fern hält. Bei den Bororó liegt der Fall etwas anders; man ist für die Frauen besorgt. Bei andern Stämmen kann es sich — und so will jeder Fall für sich untersucht sein, da die auffällige Uebereinstimmung nur äusserlich zu sein braucht — um eine Bedrohung der Frauen mit Todesstrafe handeln, wie die Kulisehuindianerin sich einer solchen Gefahr für Leib und Leben aus- setzen würde, wenn sie das Flötenhaus der Männer beträte. Der Satz, dass »die Frauen sterben würden«, kann zweierlei sehr verschiedene Bedeutung haben. Es war uns bei den Bororó schier unmöglich, Schwirrhölzer zu bekommen. Die Angst vor Missbrauch war nach dem Verhalten der Brasilier nur zu be-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/570>, abgerufen am 25.11.2024.