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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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man den geschmückten Korb, lehnte daran drei noch unbemalte Schwirrhölzer
und legte den Schädel auf eine mit einem losen Federhaufen gefüllte Matte;
der thätigste der Baris setzte sich in den Eingang, den sein Körper nebst dem
hinter ihm stehenden Trommler -- jetzt ohne Trommel -- verschloss. Ihnen
zum Trost waren auch zwei Töpfe mit Wasser, lehmgelbem Flusswasser, und drei
Zigarren in die Nische gebracht worden. Langsam anhebend, mit tiefer Stimme,
begannen die Beiden ihren Gesang, und der Bari schwang in jeder Hand die
Rassel. Die Uebrigen sassen vergnügt herum, trieben kleine Spässchen, bettelten
um Tabak und brummten nur den Schlusstakt mit. Aber allmählig wurde der
Gesang lebhafter, helle Frauenstimmen fielen kräftig ein, und die beiden Vor-
sänger an der Nische arbeiteten aus Leibeskräften, bis sie nach dreiviertel
Stunden zu Tode erschöpft waren. Sie beugten sich in die Nische hinein, um
zu trinken, doch ihr ganzer Körper schüttelte sich wie im Fieber, sodass der
Wassertopf gehalten werden musste; sie wischten sich den Schweiss ab und ver-
mochten nur noch ein paar unartikulierte Laute zu stammeln, die der Chor uni-
sono mit mehrfachem, verhaltenem Anerkennungsbrummen beantwortete. Zitternd
rauchten sie ihre Zigarren.

Die Decken werden abgenommen; sechs Männer, unter ihnen jetzt auch Co-
queiro, schwangen die Rasseln, sangen und tanzten, stets mit geschlossenen Augen,
ganz in sich selbst konzentriert. Auch wir tanzten und rasselten eine Weile mit, zur
Freude der Indianer. Nur der Eine oder Andere pausierte gelegentlich ein
Weilchen, rauchte währenddess mit grosser Hast an seiner Zigarre und strich
den Schweiss herunter, der von den Leibern der sechs in Strömen floss.
Zahlreiche Frauen sangen mit, sich die Zeit mit Lausen vertreibend, fächelten den
Tänzern auch, hinter ihnen stehend, im Takte Kühlung zu; die Männer lagen in
grosser Zahl der Wand entlang ausgestreckt und ruhten sich aus. Eine allgemeine
Pause wurde nur einmal gemacht und der Gesang von lustigem Harmonika-
geklimper, das von den Soldatenhütten her erklang, abgelöst; doch schon nach
drei oder vier Minuten rasselte Moguyokuri's Kürbis zum Zeichen der Fortsetzung.
Alle Knochen werden einzeln mit Uruku bestrichen -- nach der Reihe Ober-
schenkel, Oberarm, Unterarm, Unterschenkel, das in zwei Theile gespaltene
Becken, die Rippen und Hand- und Fussknochen bis zum letzten Zehenknöchel-
chen. Mit einem Kind hat man leichtere Arbeit; es wird in toto verpackt.
Trieften die Knochen zu sehr von dem Oel, so hielt man Decken und Matten
unter; nichts durfte verloren gehen. An den mitgebrachten Palmzweigen wischte
man sich die Hände ab. Sorgfältig wurden sämtliche Skeletteile, die kleinen
Hand- und Fussknochen in besondere Blätter eingewickelt, in den Korb gelegt,
Kleidungsstücke -- drei Hosen (Frau Coqueiro!), eine Frauenjacke, drei Hemden --
zugefügt, und endlich noch die gebrauchten Palmzweige in die zum Platzen ge-
füllte Korbtasche hineingestopft. Man vernähte sie mit fusslangen Holznadeln;
Moguyokuri's kräftige Faust war nötig, um die Ränder zum Schluss zu bringen.
Die an den beiden Ecken überstehenden Palmzweige wurden abgeschnitten.


man den geschmückten Korb, lehnte daran drei noch unbemalte Schwirrhölzer
und legte den Schädel auf eine mit einem losen Federhaufen gefüllte Matte;
der thätigste der Baris setzte sich in den Eingang, den sein Körper nebst dem
hinter ihm stehenden Trommler — jetzt ohne Trommel — verschloss. Ihnen
zum Trost waren auch zwei Töpfe mit Wasser, lehmgelbem Flusswasser, und drei
Zigarren in die Nische gebracht worden. Langsam anhebend, mit tiefer Stimme,
begannen die Beiden ihren Gesang, und der Bari schwang in jeder Hand die
Rassel. Die Uebrigen sassen vergnügt herum, trieben kleine Spässchen, bettelten
um Tabak und brummten nur den Schlusstakt mit. Aber allmählig wurde der
Gesang lebhafter, helle Frauenstimmen fielen kräftig ein, und die beiden Vor-
sänger an der Nische arbeiteten aus Leibeskräften, bis sie nach dreiviertel
Stunden zu Tode erschöpft waren. Sie beugten sich in die Nische hinein, um
zu trinken, doch ihr ganzer Körper schüttelte sich wie im Fieber, sodass der
Wassertopf gehalten werden musste; sie wischten sich den Schweiss ab und ver-
mochten nur noch ein paar unartikulierte Laute zu stammeln, die der Chor uni-
sono mit mehrfachem, verhaltenem Anerkennungsbrummen beantwortete. Zitternd
rauchten sie ihre Zigarren.

Die Decken werden abgenommen; sechs Männer, unter ihnen jetzt auch Co-
queiro, schwangen die Rasseln, sangen und tanzten, stets mit geschlossenen Augen,
ganz in sich selbst konzentriert. Auch wir tanzten und rasselten eine Weile mit, zur
Freude der Indianer. Nur der Eine oder Andere pausierte gelegentlich ein
Weilchen, rauchte währenddess mit grosser Hast an seiner Zigarre und strich
den Schweiss herunter, der von den Leibern der sechs in Strömen floss.
Zahlreiche Frauen sangen mit, sich die Zeit mit Lausen vertreibend, fächelten den
Tänzern auch, hinter ihnen stehend, im Takte Kühlung zu; die Männer lagen in
grosser Zahl der Wand entlang ausgestreckt und ruhten sich aus. Eine allgemeine
Pause wurde nur einmal gemacht und der Gesang von lustigem Harmonika-
geklimper, das von den Soldatenhütten her erklang, abgelöst; doch schon nach
drei oder vier Minuten rasselte Moguyokuri’s Kürbis zum Zeichen der Fortsetzung.
Alle Knochen werden einzeln mit Urukú bestrichen — nach der Reihe Ober-
schenkel, Oberarm, Unterarm, Unterschenkel, das in zwei Theile gespaltene
Becken, die Rippen und Hand- und Fussknochen bis zum letzten Zehenknöchel-
chen. Mit einem Kind hat man leichtere Arbeit; es wird in toto verpackt.
Trieften die Knochen zu sehr von dem Oel, so hielt man Decken und Matten
unter; nichts durfte verloren gehen. An den mitgebrachten Palmzweigen wischte
man sich die Hände ab. Sorgfältig wurden sämtliche Skeletteile, die kleinen
Hand- und Fussknochen in besondere Blätter eingewickelt, in den Korb gelegt,
Kleidungsstücke — drei Hosen (Frau Coqueiro!), eine Frauenjacke, drei Hemden —
zugefügt, und endlich noch die gebrauchten Palmzweige in die zum Platzen ge-
füllte Korbtasche hineingestopft. Man vernähte sie mit fusslangen Holznadeln;
Moguyokuri’s kräftige Faust war nötig, um die Ränder zum Schluss zu bringen.
Die an den beiden Ecken überstehenden Palmzweige wurden abgeschnitten.


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[509/0583] man den geschmückten Korb, lehnte daran drei noch unbemalte Schwirrhölzer und legte den Schädel auf eine mit einem losen Federhaufen gefüllte Matte; der thätigste der Baris setzte sich in den Eingang, den sein Körper nebst dem hinter ihm stehenden Trommler — jetzt ohne Trommel — verschloss. Ihnen zum Trost waren auch zwei Töpfe mit Wasser, lehmgelbem Flusswasser, und drei Zigarren in die Nische gebracht worden. Langsam anhebend, mit tiefer Stimme, begannen die Beiden ihren Gesang, und der Bari schwang in jeder Hand die Rassel. Die Uebrigen sassen vergnügt herum, trieben kleine Spässchen, bettelten um Tabak und brummten nur den Schlusstakt mit. Aber allmählig wurde der Gesang lebhafter, helle Frauenstimmen fielen kräftig ein, und die beiden Vor- sänger an der Nische arbeiteten aus Leibeskräften, bis sie nach dreiviertel Stunden zu Tode erschöpft waren. Sie beugten sich in die Nische hinein, um zu trinken, doch ihr ganzer Körper schüttelte sich wie im Fieber, sodass der Wassertopf gehalten werden musste; sie wischten sich den Schweiss ab und ver- mochten nur noch ein paar unartikulierte Laute zu stammeln, die der Chor uni- sono mit mehrfachem, verhaltenem Anerkennungsbrummen beantwortete. Zitternd rauchten sie ihre Zigarren. Die Decken werden abgenommen; sechs Männer, unter ihnen jetzt auch Co- queiro, schwangen die Rasseln, sangen und tanzten, stets mit geschlossenen Augen, ganz in sich selbst konzentriert. Auch wir tanzten und rasselten eine Weile mit, zur Freude der Indianer. Nur der Eine oder Andere pausierte gelegentlich ein Weilchen, rauchte währenddess mit grosser Hast an seiner Zigarre und strich den Schweiss herunter, der von den Leibern der sechs in Strömen floss. Zahlreiche Frauen sangen mit, sich die Zeit mit Lausen vertreibend, fächelten den Tänzern auch, hinter ihnen stehend, im Takte Kühlung zu; die Männer lagen in grosser Zahl der Wand entlang ausgestreckt und ruhten sich aus. Eine allgemeine Pause wurde nur einmal gemacht und der Gesang von lustigem Harmonika- geklimper, das von den Soldatenhütten her erklang, abgelöst; doch schon nach drei oder vier Minuten rasselte Moguyokuri’s Kürbis zum Zeichen der Fortsetzung. Alle Knochen werden einzeln mit Urukú bestrichen — nach der Reihe Ober- schenkel, Oberarm, Unterarm, Unterschenkel, das in zwei Theile gespaltene Becken, die Rippen und Hand- und Fussknochen bis zum letzten Zehenknöchel- chen. Mit einem Kind hat man leichtere Arbeit; es wird in toto verpackt. Trieften die Knochen zu sehr von dem Oel, so hielt man Decken und Matten unter; nichts durfte verloren gehen. An den mitgebrachten Palmzweigen wischte man sich die Hände ab. Sorgfältig wurden sämtliche Skeletteile, die kleinen Hand- und Fussknochen in besondere Blätter eingewickelt, in den Korb gelegt, Kleidungsstücke — drei Hosen (Frau Coqueiro!), eine Frauenjacke, drei Hemden — zugefügt, und endlich noch die gebrauchten Palmzweige in die zum Platzen ge- füllte Korbtasche hineingestopft. Man vernähte sie mit fusslangen Holznadeln; Moguyokuri’s kräftige Faust war nötig, um die Ränder zum Schluss zu bringen. Die an den beiden Ecken überstehenden Palmzweige wurden abgeschnitten.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/583>, abgerufen am 22.11.2024.