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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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widerlichen Fettes; junge Tiere sollen nicht so übel sein. Gebratener Rüsselbär
hat einen angenehmen Wildgeschmack.

Vögel kamen nur selten zum Schuss, hier und da eine der Rebhuhnarten
oder eine Taube oder ein Papagei. Sie ziehen die Flusswaldung vor.

Schildkröten waren ziemlich selten, doch natürlich stets willkommen, be-
sonders stärkere weibliche Exemplare, die runde Eier bis fast zur Grösse mittel-
grosser Apfelsinen beherbergten. Am Rio Manso assen wir auch in den Schuppen
gerösteten Alligatorschwanz; das fischweisse, in dicken Längsbündeln geordnete
Fleisch war etwas zäh, aber wohl geniessbar und wurde von den Einen als fisch-,
von den Andern als krebsartig betrachtet und der Abwechslung halber unserer
Carne secca vorgezogen. Leguane gab es erst später auf der Flussfahrt. Von
Fischen habe ich des Dourado, Paku, Jahu, der Piranha, der Piraputanga zu
gedenken, von denen die ersteren während der Ruhetage am Rio Manso zum
Teil geschossen wurden; den Matrinchams des Paranatinga habe ich die verdiente
ehrenvolle Erwähnung schon früher angedeihen lassen. In den kleineren Ge-
wässern der Hochebene war wenig Gelegenheit zum Fischen geboten; die finger-
langen Lambares wurden mit etwas Farinhakleister von den Leuten gelegentlich
mehr zum Vergnügen geangelt. Und die wenigen Fische bissen auch nicht einmal
an; der Grund dafür, den einer unserer Mulatten entdeckte, wäre eines Irischman
würdig gewesen: "weil sie die Angel nicht kennen".

Eine grössere Anzahl von Menschen rein auf die Jagd angewiesen, würde
im Sertao schweren Entbehrungen ausgesetzt sein, selbst wenn sie sich an einem
günstigen Platz festsetzte. Gleichzeitig aber in regelmässigem Marsch vorrücken
ist unmöglich. Das Land ist trotz der gegenteiligen Behauptungen der Mato-
grossenser als verhältnismässig jagdarm zu bezeichnen, doch mögen sich ein paar
Leute mit guten Hunden und einigem Salzvorrat, sofern sie nicht an eine strikte
Route und an eine bestimmte Zeit gebunden sind, recht wohl durchschlagen können.

Von vegetabilischen Nahrungsmitteln wird ausser dem bereits besprochenen
Früchten nur Palmkohl von der Guariroba -- chininbitter -- und Akuri geboten.
"Palmwein" haben wir nur einmal getrunken; wir fällten eine Buriti, die in der
Höhe -- 17 m der Stamm, 2 m (Stiel 0,35 m + Fächer 1,65 m) das Blatt --
19 m mass und einen Umfang von 1,2 m hatte, und schlugen mehrere Tröge in
den stahlhart klingenden Stamm, wobei zwei Beilgriffe zerbrachen. Aus den
graurötlichen Gefässbündeln floss, in den oberen Trögen nur sehr spärlich, ein
sanftes Zuckerwasser, das allmählich einen Geschmack von Kokosmilch annahm
und ausgetrunken wurde, ehe Gährung eintrat.

So glaube ich, den hervorragendsten Genüssen, die das Lagerleben bot, ge-
recht geworden zu sein. Als gewissenhafter Chronist erwähne ich auch Perrot's Ge-
burtstagsfeier am 14. August: wir vier brachten ihm schon vor Tagesanbruch
einen solennen Fackelzug mit obligater Musik dar, das heisst ein Jeder, der noch
herrschenden Nachtzeit angemessen gekleidet, trug eine brennende Kerze, ich blies
auf meinem Signalhörnchen, Vogel und Ehrenreich pfiffen auf einem Jagdflötchen,

widerlichen Fettes; junge Tiere sollen nicht so übel sein. Gebratener Rüsselbär
hat einen angenehmen Wildgeschmack.

Vögel kamen nur selten zum Schuss, hier und da eine der Rebhuhnarten
oder eine Taube oder ein Papagei. Sie ziehen die Flusswaldung vor.

Schildkröten waren ziemlich selten, doch natürlich stets willkommen, be-
sonders stärkere weibliche Exemplare, die runde Eier bis fast zur Grösse mittel-
grosser Apfelsinen beherbergten. Am Rio Manso assen wir auch in den Schuppen
gerösteten Alligatorschwanz; das fischweisse, in dicken Längsbündeln geordnete
Fleisch war etwas zäh, aber wohl geniessbar und wurde von den Einen als fisch-,
von den Andern als krebsartig betrachtet und der Abwechslung halber unserer
Carne secca vorgezogen. Leguane gab es erst später auf der Flussfahrt. Von
Fischen habe ich des Dourado, Pakú, Jahú, der Piranha, der Piraputanga zu
gedenken, von denen die ersteren während der Ruhetage am Rio Manso zum
Teil geschossen wurden; den Matrinchams des Paranatinga habe ich die verdiente
ehrenvolle Erwähnung schon früher angedeihen lassen. In den kleineren Ge-
wässern der Hochebene war wenig Gelegenheit zum Fischen geboten; die finger-
langen Lambarés wurden mit etwas Farinhakleister von den Leuten gelegentlich
mehr zum Vergnügen geangelt. Und die wenigen Fische bissen auch nicht einmal
an; der Grund dafür, den einer unserer Mulatten entdeckte, wäre eines Irischman
würdig gewesen: »weil sie die Angel nicht kennen«.

Eine grössere Anzahl von Menschen rein auf die Jagd angewiesen, würde
im Sertão schweren Entbehrungen ausgesetzt sein, selbst wenn sie sich an einem
günstigen Platz festsetzte. Gleichzeitig aber in regelmässigem Marsch vorrücken
ist unmöglich. Das Land ist trotz der gegenteiligen Behauptungen der Mato-
grossenser als verhältnismässig jagdarm zu bezeichnen, doch mögen sich ein paar
Leute mit guten Hunden und einigem Salzvorrat, sofern sie nicht an eine strikte
Route und an eine bestimmte Zeit gebunden sind, recht wohl durchschlagen können.

Von vegetabilischen Nahrungsmitteln wird ausser dem bereits besprochenen
Früchten nur Palmkohl von der Guariroba — chininbitter — und Akurí geboten.
»Palmwein« haben wir nur einmal getrunken; wir fällten eine Burití, die in der
Höhe — 17 m der Stamm, 2 m (Stiel 0,35 m + Fächer 1,65 m) das Blatt —
19 m mass und einen Umfang von 1,2 m hatte, und schlugen mehrere Tröge in
den stahlhart klingenden Stamm, wobei zwei Beilgriffe zerbrachen. Aus den
graurötlichen Gefässbündeln floss, in den oberen Trögen nur sehr spärlich, ein
sanftes Zuckerwasser, das allmählich einen Geschmack von Kokosmilch annahm
und ausgetrunken wurde, ehe Gährung eintrat.

So glaube ich, den hervorragendsten Genüssen, die das Lagerleben bot, ge-
recht geworden zu sein. Als gewissenhafter Chronist erwähne ich auch Perrot’s Ge-
burtstagsfeier am 14. August: wir vier brachten ihm schon vor Tagesanbruch
einen solennen Fackelzug mit obligater Musik dar, das heisst ein Jeder, der noch
herrschenden Nachtzeit angemessen gekleidet, trug eine brennende Kerze, ich blies
auf meinem Signalhörnchen, Vogel und Ehrenreich pfiffen auf einem Jagdflötchen,

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[38/0064] widerlichen Fettes; junge Tiere sollen nicht so übel sein. Gebratener Rüsselbär hat einen angenehmen Wildgeschmack. Vögel kamen nur selten zum Schuss, hier und da eine der Rebhuhnarten oder eine Taube oder ein Papagei. Sie ziehen die Flusswaldung vor. Schildkröten waren ziemlich selten, doch natürlich stets willkommen, be- sonders stärkere weibliche Exemplare, die runde Eier bis fast zur Grösse mittel- grosser Apfelsinen beherbergten. Am Rio Manso assen wir auch in den Schuppen gerösteten Alligatorschwanz; das fischweisse, in dicken Längsbündeln geordnete Fleisch war etwas zäh, aber wohl geniessbar und wurde von den Einen als fisch-, von den Andern als krebsartig betrachtet und der Abwechslung halber unserer Carne secca vorgezogen. Leguane gab es erst später auf der Flussfahrt. Von Fischen habe ich des Dourado, Pakú, Jahú, der Piranha, der Piraputanga zu gedenken, von denen die ersteren während der Ruhetage am Rio Manso zum Teil geschossen wurden; den Matrinchams des Paranatinga habe ich die verdiente ehrenvolle Erwähnung schon früher angedeihen lassen. In den kleineren Ge- wässern der Hochebene war wenig Gelegenheit zum Fischen geboten; die finger- langen Lambarés wurden mit etwas Farinhakleister von den Leuten gelegentlich mehr zum Vergnügen geangelt. Und die wenigen Fische bissen auch nicht einmal an; der Grund dafür, den einer unserer Mulatten entdeckte, wäre eines Irischman würdig gewesen: »weil sie die Angel nicht kennen«. Eine grössere Anzahl von Menschen rein auf die Jagd angewiesen, würde im Sertão schweren Entbehrungen ausgesetzt sein, selbst wenn sie sich an einem günstigen Platz festsetzte. Gleichzeitig aber in regelmässigem Marsch vorrücken ist unmöglich. Das Land ist trotz der gegenteiligen Behauptungen der Mato- grossenser als verhältnismässig jagdarm zu bezeichnen, doch mögen sich ein paar Leute mit guten Hunden und einigem Salzvorrat, sofern sie nicht an eine strikte Route und an eine bestimmte Zeit gebunden sind, recht wohl durchschlagen können. Von vegetabilischen Nahrungsmitteln wird ausser dem bereits besprochenen Früchten nur Palmkohl von der Guariroba — chininbitter — und Akurí geboten. »Palmwein« haben wir nur einmal getrunken; wir fällten eine Burití, die in der Höhe — 17 m der Stamm, 2 m (Stiel 0,35 m + Fächer 1,65 m) das Blatt — 19 m mass und einen Umfang von 1,2 m hatte, und schlugen mehrere Tröge in den stahlhart klingenden Stamm, wobei zwei Beilgriffe zerbrachen. Aus den graurötlichen Gefässbündeln floss, in den oberen Trögen nur sehr spärlich, ein sanftes Zuckerwasser, das allmählich einen Geschmack von Kokosmilch annahm und ausgetrunken wurde, ehe Gährung eintrat. So glaube ich, den hervorragendsten Genüssen, die das Lagerleben bot, ge- recht geworden zu sein. Als gewissenhafter Chronist erwähne ich auch Perrot’s Ge- burtstagsfeier am 14. August: wir vier brachten ihm schon vor Tagesanbruch einen solennen Fackelzug mit obligater Musik dar, das heisst ein Jeder, der noch herrschenden Nachtzeit angemessen gekleidet, trug eine brennende Kerze, ich blies auf meinem Signalhörnchen, Vogel und Ehrenreich pfiffen auf einem Jagdflötchen,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/64>, abgerufen am 27.11.2024.