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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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grauschwarzem, trocknem Morast bestanden und in die der Wald hinabgestürzt
war, durch scharfes dürres Massegagras auf Tapirpfaden wandernd umgangen und
einen unangenehmen Chapadao mit einem Niederstieg voller Cangablöcke gekreuzt
hatten, machten wir an einem sumpfigen Bächlein einen Ruhetag, nicht denkend,
dass wir bereits Kulisehuwasser tranken. Die Maultiere waren von den Strapazen
schon recht mitgenommen, während die Hunde sich gerade hier, in den besten
Jagdgründen, am wohlsten fühlten und gelegentlich mit Tapirfleisch derart voll-
pfropften, dass sie sich kaum mehr bewegen konnten, auch selbst zu jagen viel
zu faul wurden.

Wir wünschten auf der Wasserscheide zwischen Batovy und seinen östlichen
Nachbarn nach Norden zu rücken, allein wir gerieten in ein schreckliches Hügel-
gewirr mit tiefen Abstürzen, mussten jeden Fortschritt in nördlicher Richtung
mit einem Umweg nach Osten erkaufen und hatten Tag für Tag mit den
schwierigsten Passagen zu kämpfen: die kleinen Bäche höher oben waren tief
eingeschnitten und hatten senkrechte Ufer, die grösseren weiter unten verbreiterten
sich rasch zu Flüsschen von mehr als 30 m Breite, deren Gewässer träge zwischen
Sandsteinblöcken dahinfloss und von hohem Wald oder starrendem Bambusdickicht
mit sumpfigem Grund eingeschlossen war. Das Land zwischen den Quellarmen
war fast ausnahmslos klassischer Campo cerrado, wo Antonio, Wilhelm und ich
schwere Arbeit hatten. Wie ein gehetztes Wild hatte Antonio bachaufwärts,
bachabwärts zu rennen, um nach einem erträglichen Uebergang zu fahnden. Aber
die Esel stürzten dennoch oft einer hinter dem andern.

Kräftig sahen wir den Hauptfluss unseres Thals sich entwickeln, immer
breiter und voller schwoll sein Waldstreifen an, aber war es der Kulisehu? 30--36 m
Breite war doch sehr wenig. Wir rechneten bestimmt darauf, dass bald von
Osten her ein stärkerer Arm hinzukomme, doch hofften wir vergebens. Antonio
freilich hatte die feste Ueberzeugung, wir müssten schon am richtigen Kulisehu
sein, wo weiter abwärts die Bakairi wohnten; er hatte von den Bakairi des Batovy
erfahren, dass die Kulisehu-Bakairi den Fluss hoch bis zu einem grossem Katarakt
hinaufgingen, um dort zu fischen, und dass die Batovy-Bakairi drei Tage ge-
brauchten, wenn sie ihre Stammesgenossen am Kulisehu über Land besuchten.
Im nahen Bereich von Indianern schienen wir schon jetzt zu sein. Am 2. Sep-
tember bemerkten wir Abends einen Schein im Osten, der jedoch vielleicht vom
aufgehenden Mond herrührte, am 4. September konnten wir ihn mit Sicherheit
als Feuerschein ansprechen, und am 5. September brachte uns der Wind am Tage
Rauch und Asche aus SSO.

Mit deutlichen Anzeichen rückte die Regenzeit heran. Die Luft war dunstig,
die Hitze unausstehlich, die Sonne ging löschpapierfarben auf und ging rosa am
trüben Himmel wie eine Polarsonne unter; in der Nacht vom 1. auf den 2. Sep-
tember hatten wir den ersten Regenalarm, aber es blieb bei dem Schrecken;
nur im Osten ging ein Gewitter nieder. Doch am 2. September regnete es auch
wirklich ein wenig; wir schlugen zum ersten Mal, freilich mehr zum Vergnügen

grauschwarzem, trocknem Morast bestanden und in die der Wald hinabgestürzt
war, durch scharfes dürres Massegagras auf Tapirpfaden wandernd umgangen und
einen unangenehmen Chapadão mit einem Niederstieg voller Cangablöcke gekreuzt
hatten, machten wir an einem sumpfigen Bächlein einen Ruhetag, nicht denkend,
dass wir bereits Kulisehuwasser tranken. Die Maultiere waren von den Strapazen
schon recht mitgenommen, während die Hunde sich gerade hier, in den besten
Jagdgründen, am wohlsten fühlten und gelegentlich mit Tapirfleisch derart voll-
pfropften, dass sie sich kaum mehr bewegen konnten, auch selbst zu jagen viel
zu faul wurden.

Wir wünschten auf der Wasserscheide zwischen Batovy und seinen östlichen
Nachbarn nach Norden zu rücken, allein wir gerieten in ein schreckliches Hügel-
gewirr mit tiefen Abstürzen, mussten jeden Fortschritt in nördlicher Richtung
mit einem Umweg nach Osten erkaufen und hatten Tag für Tag mit den
schwierigsten Passagen zu kämpfen: die kleinen Bäche höher oben waren tief
eingeschnitten und hatten senkrechte Ufer, die grösseren weiter unten verbreiterten
sich rasch zu Flüsschen von mehr als 30 m Breite, deren Gewässer träge zwischen
Sandsteinblöcken dahinfloss und von hohem Wald oder starrendem Bambusdickicht
mit sumpfigem Grund eingeschlossen war. Das Land zwischen den Quellarmen
war fast ausnahmslos klassischer Campo cerrado, wo Antonio, Wilhelm und ich
schwere Arbeit hatten. Wie ein gehetztes Wild hatte Antonio bachaufwärts,
bachabwärts zu rennen, um nach einem erträglichen Uebergang zu fahnden. Aber
die Esel stürzten dennoch oft einer hinter dem andern.

Kräftig sahen wir den Hauptfluss unseres Thals sich entwickeln, immer
breiter und voller schwoll sein Waldstreifen an, aber war es der Kulisehu? 30—36 m
Breite war doch sehr wenig. Wir rechneten bestimmt darauf, dass bald von
Osten her ein stärkerer Arm hinzukomme, doch hofften wir vergebens. Antonio
freilich hatte die feste Ueberzeugung, wir müssten schon am richtigen Kulisehu
sein, wo weiter abwärts die Bakaïrí wohnten; er hatte von den Bakaïrí des Batovy
erfahren, dass die Kulisehu-Bakaïrí den Fluss hoch bis zu einem grossem Katarakt
hinaufgingen, um dort zu fischen, und dass die Batovy-Bakaïrí drei Tage ge-
brauchten, wenn sie ihre Stammesgenossen am Kulisehu über Land besuchten.
Im nahen Bereich von Indianern schienen wir schon jetzt zu sein. Am 2. Sep-
tember bemerkten wir Abends einen Schein im Osten, der jedoch vielleicht vom
aufgehenden Mond herrührte, am 4. September konnten wir ihn mit Sicherheit
als Feuerschein ansprechen, und am 5. September brachte uns der Wind am Tage
Rauch und Asche aus SSO.

Mit deutlichen Anzeichen rückte die Regenzeit heran. Die Luft war dunstig,
die Hitze unausstehlich, die Sonne ging löschpapierfarben auf und ging rosa am
trüben Himmel wie eine Polarsonne unter; in der Nacht vom 1. auf den 2. Sep-
tember hatten wir den ersten Regenalarm, aber es blieb bei dem Schrecken;
nur im Osten ging ein Gewitter nieder. Doch am 2. September regnete es auch
wirklich ein wenig; wir schlugen zum ersten Mal, freilich mehr zum Vergnügen

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[43/0069] grauschwarzem, trocknem Morast bestanden und in die der Wald hinabgestürzt war, durch scharfes dürres Massegagras auf Tapirpfaden wandernd umgangen und einen unangenehmen Chapadão mit einem Niederstieg voller Cangablöcke gekreuzt hatten, machten wir an einem sumpfigen Bächlein einen Ruhetag, nicht denkend, dass wir bereits Kulisehuwasser tranken. Die Maultiere waren von den Strapazen schon recht mitgenommen, während die Hunde sich gerade hier, in den besten Jagdgründen, am wohlsten fühlten und gelegentlich mit Tapirfleisch derart voll- pfropften, dass sie sich kaum mehr bewegen konnten, auch selbst zu jagen viel zu faul wurden. Wir wünschten auf der Wasserscheide zwischen Batovy und seinen östlichen Nachbarn nach Norden zu rücken, allein wir gerieten in ein schreckliches Hügel- gewirr mit tiefen Abstürzen, mussten jeden Fortschritt in nördlicher Richtung mit einem Umweg nach Osten erkaufen und hatten Tag für Tag mit den schwierigsten Passagen zu kämpfen: die kleinen Bäche höher oben waren tief eingeschnitten und hatten senkrechte Ufer, die grösseren weiter unten verbreiterten sich rasch zu Flüsschen von mehr als 30 m Breite, deren Gewässer träge zwischen Sandsteinblöcken dahinfloss und von hohem Wald oder starrendem Bambusdickicht mit sumpfigem Grund eingeschlossen war. Das Land zwischen den Quellarmen war fast ausnahmslos klassischer Campo cerrado, wo Antonio, Wilhelm und ich schwere Arbeit hatten. Wie ein gehetztes Wild hatte Antonio bachaufwärts, bachabwärts zu rennen, um nach einem erträglichen Uebergang zu fahnden. Aber die Esel stürzten dennoch oft einer hinter dem andern. Kräftig sahen wir den Hauptfluss unseres Thals sich entwickeln, immer breiter und voller schwoll sein Waldstreifen an, aber war es der Kulisehu? 30—36 m Breite war doch sehr wenig. Wir rechneten bestimmt darauf, dass bald von Osten her ein stärkerer Arm hinzukomme, doch hofften wir vergebens. Antonio freilich hatte die feste Ueberzeugung, wir müssten schon am richtigen Kulisehu sein, wo weiter abwärts die Bakaïrí wohnten; er hatte von den Bakaïrí des Batovy erfahren, dass die Kulisehu-Bakaïrí den Fluss hoch bis zu einem grossem Katarakt hinaufgingen, um dort zu fischen, und dass die Batovy-Bakaïrí drei Tage ge- brauchten, wenn sie ihre Stammesgenossen am Kulisehu über Land besuchten. Im nahen Bereich von Indianern schienen wir schon jetzt zu sein. Am 2. Sep- tember bemerkten wir Abends einen Schein im Osten, der jedoch vielleicht vom aufgehenden Mond herrührte, am 4. September konnten wir ihn mit Sicherheit als Feuerschein ansprechen, und am 5. September brachte uns der Wind am Tage Rauch und Asche aus SSO. Mit deutlichen Anzeichen rückte die Regenzeit heran. Die Luft war dunstig, die Hitze unausstehlich, die Sonne ging löschpapierfarben auf und ging rosa am trüben Himmel wie eine Polarsonne unter; in der Nacht vom 1. auf den 2. Sep- tember hatten wir den ersten Regenalarm, aber es blieb bei dem Schrecken; nur im Osten ging ein Gewitter nieder. Doch am 2. September regnete es auch wirklich ein wenig; wir schlugen zum ersten Mal, freilich mehr zum Vergnügen

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/69>, abgerufen am 26.11.2024.