hier Trendelenburg helfen Becker zu schlagen. Auch steht uns Trendelenburg -- wiewohl wir seine Metaphysik nach Seiten ih- res Princips nicht zur unsrigen machen mögen -- doch zu hoch, als daß wir nicht suchen sollten, Becker jede Stütze, die er an ihm zu haben meint, zu entziehen. Trendelenburg ist ein Mann, von dem zu lernen ist; so haben wir zu zeigen, wie Becker von ihm hätte lernen können, lernen sollen. Wir haben schon rück- sichtlich der Bestimmung des Organismus und der Zweckbe- trachtung auf Trendelenburg hingewiesen; ebenso rücksichtlich des Gegensatzes, und werden es später noch einmal bei einer noch wichtigern Gelegenheit thun. Wenn sich nun Trendelenburg selbst öfter der Beckerschen Sprachwissenschaft durchaus nur beipflichtend ausspricht, so hat er das zwar zu verantworten; wir begreifen aber wohl, wie ein Philosoph über die Anwendung sei- ner Grundsätze auf eine besondere Wissenschaft weniger richtig urtheilt, als jemand der diese besondere Wissenschaft sich zur Aufgabe gestellt hat.
Trendelenburg in seinen "logischen Untersuchungen" geht, indem er seine Aufgabe zu bestimmen sucht, davon aus (I. S. 102), daß jeder wissenschaftlichen Betrachtung eine gewisse Vorstellung von dem zu erkennenden Gegenstande vorausgehen müsse: d. h. nicht bloß das Bewußtsein, daß ein solcher vor- handen ist; sondern es muß sich auch schon an ihm etwas Räth- selhaftes ergeben, der Vorstellung aufgedrängt haben, welches das Denken zu weiterer Forschung reizt und herausfordert. Es wird als Beispiel die physiologische Untersuchung des Sehens angeführt, welche durchaus eine nähere Vorstellung vom Sehen voraussetzt. "Sollte das Sehen begriffen werden, so mußte sich zuvor im Sehen selbst ein Räthsel ergeben, ein Widerspruch des gleich- sam sich selbst bewußt werdenden Vorganges mit dem bis da- hin Begriffenen. Dieser Widerspruch erscheint in der Frage: wie ist es möglich, daß sich die Gegenstände auf der Netzhaut abmalen? Der Thatbestand widerspricht der nächsten Folgerung der Erfahrung. Denn man sollte meinen, daß nach jedem Punkte der Netzhaut die Strahlen der verschiedensten Gegenstände ge- langen, und sich daher die verschiedensten Bilder einander ver- nichten. Es wird also gefragt, wie dieser Betrachtung zum Trotze das Sehen geschehen könne." -- Was bei Trendelenburg eigent- liche Sache, Aufgabe ist, das logische Erkennen des Erkennens, mag uns hier als ein zweites Beispiel dienen. Die logische
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hier Trendelenburg helfen Becker zu schlagen. Auch steht uns Trendelenburg — wiewohl wir seine Metaphysik nach Seiten ih- res Princips nicht zur unsrigen machen mögen — doch zu hoch, als daß wir nicht suchen sollten, Becker jede Stütze, die er an ihm zu haben meint, zu entziehen. Trendelenburg ist ein Mann, von dem zu lernen ist; so haben wir zu zeigen, wie Becker von ihm hätte lernen können, lernen sollen. Wir haben schon rück- sichtlich der Bestimmung des Organismus und der Zweckbe- trachtung auf Trendelenburg hingewiesen; ebenso rücksichtlich des Gegensatzes, und werden es später noch einmal bei einer noch wichtigern Gelegenheit thun. Wenn sich nun Trendelenburg selbst öfter der Beckerschen Sprachwissenschaft durchaus nur beipflichtend ausspricht, so hat er das zwar zu verantworten; wir begreifen aber wohl, wie ein Philosoph über die Anwendung sei- ner Grundsätze auf eine besondere Wissenschaft weniger richtig urtheilt, als jemand der diese besondere Wissenschaft sich zur Aufgabe gestellt hat.
Trendelenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ geht, indem er seine Aufgabe zu bestimmen sucht, davon aus (I. S. 102), daß jeder wissenschaftlichen Betrachtung eine gewisse Vorstellung von dem zu erkennenden Gegenstande vorausgehen müsse: d. h. nicht bloß das Bewußtsein, daß ein solcher vor- handen ist; sondern es muß sich auch schon an ihm etwas Räth- selhaftes ergeben, der Vorstellung aufgedrängt haben, welches das Denken zu weiterer Forschung reizt und herausfordert. Es wird als Beispiel die physiologische Untersuchung des Sehens angeführt, welche durchaus eine nähere Vorstellung vom Sehen voraussetzt. „Sollte das Sehen begriffen werden, so mußte sich zuvor im Sehen selbst ein Räthsel ergeben, ein Widerspruch des gleich- sam sich selbst bewußt werdenden Vorganges mit dem bis da- hin Begriffenen. Dieser Widerspruch erscheint in der Frage: wie ist es möglich, daß sich die Gegenstände auf der Netzhaut abmalen? Der Thatbestand widerspricht der nächsten Folgerung der Erfahrung. Denn man sollte meinen, daß nach jedem Punkte der Netzhaut die Strahlen der verschiedensten Gegenstände ge- langen, und sich daher die verschiedensten Bilder einander ver- nichten. Es wird also gefragt, wie dieser Betrachtung zum Trotze das Sehen geschehen könne.“ — Was bei Trendelenburg eigent- liche Sache, Aufgabe ist, das logische Erkennen des Erkennens, mag uns hier als ein zweites Beispiel dienen. Die logische
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hier Trendelenburg helfen Becker zu schlagen. Auch steht uns
Trendelenburg — wiewohl wir seine Metaphysik nach Seiten ih-
res Princips nicht zur unsrigen machen mögen — doch zu hoch,
als daß wir nicht suchen sollten, Becker jede Stütze, die er an
ihm zu haben meint, zu entziehen. Trendelenburg ist ein Mann,
von dem zu lernen ist; so haben wir zu zeigen, wie Becker von
ihm hätte lernen können, lernen sollen. Wir haben schon rück-
sichtlich der Bestimmung des Organismus und der Zweckbe-
trachtung auf Trendelenburg hingewiesen; ebenso rücksichtlich des
Gegensatzes, und werden es später noch einmal bei einer noch
wichtigern Gelegenheit thun. Wenn sich nun Trendelenburg
selbst öfter der Beckerschen Sprachwissenschaft durchaus nur
beipflichtend ausspricht, so hat er das zwar zu verantworten; wir
begreifen aber wohl, wie ein Philosoph über die Anwendung sei-
ner Grundsätze auf eine besondere Wissenschaft weniger richtig
urtheilt, als jemand der diese besondere Wissenschaft sich zur
Aufgabe gestellt hat.
Trendelenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ geht,
indem er seine Aufgabe zu bestimmen sucht, davon aus (I.
S. 102), daß jeder wissenschaftlichen Betrachtung eine gewisse
Vorstellung von dem zu erkennenden Gegenstande vorausgehen
müsse: d. h. nicht bloß das Bewußtsein, daß ein solcher vor-
handen ist; sondern es muß sich auch schon an ihm etwas Räth-
selhaftes ergeben, der Vorstellung aufgedrängt haben, welches das
Denken zu weiterer Forschung reizt und herausfordert. Es wird
als Beispiel die physiologische Untersuchung des Sehens angeführt,
welche durchaus eine nähere Vorstellung vom Sehen voraussetzt.
„Sollte das Sehen begriffen werden, so mußte sich zuvor im
Sehen selbst ein Räthsel ergeben, ein Widerspruch des gleich-
sam sich selbst bewußt werdenden Vorganges mit dem bis da-
hin Begriffenen. Dieser Widerspruch erscheint in der Frage:
wie ist es möglich, daß sich die Gegenstände auf der Netzhaut
abmalen? Der Thatbestand widerspricht der nächsten Folgerung
der Erfahrung. Denn man sollte meinen, daß nach jedem Punkte
der Netzhaut die Strahlen der verschiedensten Gegenstände ge-
langen, und sich daher die verschiedensten Bilder einander ver-
nichten. Es wird also gefragt, wie dieser Betrachtung zum Trotze
das Sehen geschehen könne.“ — Was bei Trendelenburg eigent-
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mag uns hier als ein zweites Beispiel dienen. Die logische
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/105>, abgerufen am 21.11.2024.
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