mir vor und überhaupt die Schwierigkeit, bestimmt zu sagen, welcher geistige Zustand es ist, den wir als Krankheit bezeich- nen. Und weiter sagte ich mir: es giebt, ja es giebt Krank- heiten des Geistes in der Geschichte der Menschheit, die durch die einmal vorhandenen Umstände eben so nothwendig und für die Entwickelung des menschlichen Geistes eben so heilsam sind, wie körperliche Krankheiten im Leben des Körpers; und dieje- nigen Männer, welche der classische Ausdruck dieser Geistes- krankheiten sind, sind sogar groß zu nennen, und wir schicken sie nicht ins Irrenhaus, weil wir dorthin nur die bringen, welche an einer individuellen Krankheit leiden, an einem ihnen eigen- thümlichen Irrthume, dessen Möglichkeit auf ganz besondern Verhältnissen beruht, an denen sonst niemand Theil nimmt. Jene Männer aber hegen einen Irrthum, der durch die allgemeinen Zustände vorbereitet ist, dem Tausende erliegen und dem jeder, in diese Zustände versetzt, erliegen würde. Ihr Wahn ist also ein objectiver, kein bloß subjectiver.
Als Becker auftrat, war Organismus das Schlagwort, das in allen Kreisen geistiger Thätigkeit widertönte. Er führte daher dasselbe in die Grammatik ein, und alle, die diese Wissenschaft betrieben, mußten um so eher davon ergriffen werden, je dun- kler das Wort blieb. Man glaubte sich zu verstehen, weil man für einen gemeinsamen dunkeln Drang ein gemeinsames Wort hatte. So wirken Schlagwörter allemal um so weiter, je weni- ger sie verstanden werden; und die Parteien zerfallen, sobald sie sich ihr Schlagwort klar machen wollen.
Das ist also das Verdienst Beckers, einem allgemein herr- schenden dunkeln Drange ein Wort gegeben zu haben; und dann auch, die alte Grammatik vollendet, auf die Spitze getrie- ben zu haben; denn die Vereinheitlichung der Grammatik mit der Logik ist ihre Erbkrankheit. Ich will nicht so weit gehen zu läugnen, daß nicht auch manche Mängel Beckers rein sub- jectiv sind; jedoch sind diese gewiß unwesentlich, und auch sie fließen ursprünglichst aus den objectiven Schwächen.
Auch diese Kritik Beckers, wie alle meine übrigen Kriti- ken, ist eine Kritik meiner selbst: denn theils habe ich selbst Beckers Fehler gehabt, theils hätte ich sie leicht haben können.
mir vor und überhaupt die Schwierigkeit, bestimmt zu sagen, welcher geistige Zustand es ist, den wir als Krankheit bezeich- nen. Und weiter sagte ich mir: es giebt, ja es giebt Krank- heiten des Geistes in der Geschichte der Menschheit, die durch die einmal vorhandenen Umstände eben so nothwendig und für die Entwickelung des menschlichen Geistes eben so heilsam sind, wie körperliche Krankheiten im Leben des Körpers; und dieje- nigen Männer, welche der classische Ausdruck dieser Geistes- krankheiten sind, sind sogar groß zu nennen, und wir schicken sie nicht ins Irrenhaus, weil wir dorthin nur die bringen, welche an einer individuellen Krankheit leiden, an einem ihnen eigen- thümlichen Irrthume, dessen Möglichkeit auf ganz besondern Verhältnissen beruht, an denen sonst niemand Theil nimmt. Jene Männer aber hegen einen Irrthum, der durch die allgemeinen Zustände vorbereitet ist, dem Tausende erliegen und dem jeder, in diese Zustände versetzt, erliegen würde. Ihr Wahn ist also ein objectiver, kein bloß subjectiver.
Als Becker auftrat, war Organismus das Schlagwort, das in allen Kreisen geistiger Thätigkeit widertönte. Er führte daher dasselbe in die Grammatik ein, und alle, die diese Wissenschaft betrieben, mußten um so eher davon ergriffen werden, je dun- kler das Wort blieb. Man glaubte sich zu verstehen, weil man für einen gemeinsamen dunkeln Drang ein gemeinsames Wort hatte. So wirken Schlagwörter allemal um so weiter, je weni- ger sie verstanden werden; und die Parteien zerfallen, sobald sie sich ihr Schlagwort klar machen wollen.
Das ist also das Verdienst Beckers, einem allgemein herr- schenden dunkeln Drange ein Wort gegeben zu haben; und dann auch, die alte Grammatik vollendet, auf die Spitze getrie- ben zu haben; denn die Vereinheitlichung der Grammatik mit der Logik ist ihre Erbkrankheit. Ich will nicht so weit gehen zu läugnen, daß nicht auch manche Mängel Beckers rein sub- jectiv sind; jedoch sind diese gewiß unwesentlich, und auch sie fließen ursprünglichst aus den objectiven Schwächen.
Auch diese Kritik Beckers, wie alle meine übrigen Kriti- ken, ist eine Kritik meiner selbst: denn theils habe ich selbst Beckers Fehler gehabt, theils hätte ich sie leicht haben können.
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[VII/0013]
mir vor und überhaupt die Schwierigkeit, bestimmt zu sagen,
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nen. Und weiter sagte ich mir: es giebt, ja es giebt Krank-
heiten des Geistes in der Geschichte der Menschheit, die durch
die einmal vorhandenen Umstände eben so nothwendig und für
die Entwickelung des menschlichen Geistes eben so heilsam sind,
wie körperliche Krankheiten im Leben des Körpers; und dieje-
nigen Männer, welche der classische Ausdruck dieser Geistes-
krankheiten sind, sind sogar groß zu nennen, und wir schicken
sie nicht ins Irrenhaus, weil wir dorthin nur die bringen, welche
an einer individuellen Krankheit leiden, an einem ihnen eigen-
thümlichen Irrthume, dessen Möglichkeit auf ganz besondern
Verhältnissen beruht, an denen sonst niemand Theil nimmt. Jene
Männer aber hegen einen Irrthum, der durch die allgemeinen
Zustände vorbereitet ist, dem Tausende erliegen und dem jeder,
in diese Zustände versetzt, erliegen würde. Ihr Wahn ist also
ein objectiver, kein bloß subjectiver.
Als Becker auftrat, war Organismus das Schlagwort, das
in allen Kreisen geistiger Thätigkeit widertönte. Er führte daher
dasselbe in die Grammatik ein, und alle, die diese Wissenschaft
betrieben, mußten um so eher davon ergriffen werden, je dun-
kler das Wort blieb. Man glaubte sich zu verstehen, weil
man für einen gemeinsamen dunkeln Drang ein gemeinsames Wort
hatte. So wirken Schlagwörter allemal um so weiter, je weni-
ger sie verstanden werden; und die Parteien zerfallen, sobald
sie sich ihr Schlagwort klar machen wollen.
Das ist also das Verdienst Beckers, einem allgemein herr-
schenden dunkeln Drange ein Wort gegeben zu haben; und
dann auch, die alte Grammatik vollendet, auf die Spitze getrie-
ben zu haben; denn die Vereinheitlichung der Grammatik mit
der Logik ist ihre Erbkrankheit. Ich will nicht so weit gehen
zu läugnen, daß nicht auch manche Mängel Beckers rein sub-
jectiv sind; jedoch sind diese gewiß unwesentlich, und auch
sie fließen ursprünglichst aus den objectiven Schwächen.
Auch diese Kritik Beckers, wie alle meine übrigen Kriti-
ken, ist eine Kritik meiner selbst: denn theils habe ich selbst
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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